Heiner Müller
DER HORATIER (1968)
Zwischen der Stadt Rom und der Stadt Alba
War ein Streit um Herrschaft.
Gegen die Streitenden
Standen in Waffen die Etrusker, mächtig.
Ihren Streit auszumachen vor dem erwarteten Angriff
Stellten sich gegeneinander in Schlachtordnung
Die gemeinsam Bedrohten. Die Heerführer
Traten jeder vor sein Heer und sagten
Einer dem andern: Weil die Schlacht schwächt
Sieger und Besiegte, laßt uns das Los werfen
Damit ein Mann kämpfe für unsere Stadt
Gegen einen Mann, kämpfend für eure Stadt
Aufsparend die andern für den gemeinsamen Feind
Und die Heere schlugen die Schwerter gegen die Schilde
Zum Zeichen der Zustimmung und die Lose wurden geworfen.
Die Lose bestimmten zu kämpfen
Für Rom einen Horatier, für Alba einen Kuriatier.
Der Kuriatier war verlobt der Schwester des Horatiers
Und der Horatier und der Kuriatier
Wurden gefragt jeder von seinem Heer:
Er ist/Du bist verlobt deiner/seiner Schwester.
Soll das Los Geworfen werden noch einmal?
Und der Horatier und der Kuriatier sagten: Nein
Und sie kämpften zwischen den Schlachtreihen
Und der Horatier verwundete den Kuriatier
Und der Kuriatier sagte mit schwindender Stimme:
Schone den Besiegten. Ich bin
Deiner Schwester verlobt.
Und der Horatier schrie:
Meine Braut heißt Rom
Und der Horatier stieß dem Kuriatier
Sein Schwert in den Hals, daß das Blut auf die Erde fiel.
Als nach Rom heimkehrte der Horatier
Auf den Schilden der unverwundeten Mannschaft
Über die Schulter geworfen das Schlachtkleid
Des Kuriatiers, den er getötet hatte
Am Gürtel das Beuteschwert, in Händen das blutige eigne
Kam ihm entgegen am östlichen Stadttor
Mit schnellem Schritt seine Schwester und hinter ihr
Sein alter Vater, langsam
Und der Sieger sprang von den Schilden, im Jubel des Volks
Entgegenzunehmen die Umarmung der Schwester.
Aber die Schwester erkannte das blutige Schlachtkleid
Werk ihrer Hände, und schrie und löste ihr Haar auf.
Und der Horatier schalt die trauernde Schwester:
Was schreist du und lösest dein Haar auf.
Rom hat gesiegt. Vor dir steht der Sieger.
Und die Schwester küßte das blutige Schlachtkleid und schrie: Rom.
Gib mir wieder, was in diesem Kleid war.
Und der Horatier, im Arm noch den Schwertschwung
Mit dem er getötet hatte den Kuriatier
Um den seine Schwester weinte jetzt
Stieß das Schwert, auf dem das Blut des Beweinten
Noch nicht getrocknet war
In die Brust der Weinenden
Daß das Blut auf die Erde fiel. Er sagte:
Geh zu ihm, den du mehr liebst als Rom.
Das jeder Römerin
Die den Feind betrauert.
Und er zeigte das zweimal blutige Schwert allen Römern
Und der Jubel verstummte. Nur aus den hinteren Reihen
Der zuschauenden Menge hörte man noch
Heil rufen. Dort war noch nicht bemerkt worden
Das Schreckliche.
Als im Schweigen des Volks der Vater
Angekommen war bei seinen Kindern
Hatte er nur noch ein Kind. Er sagte:
Du hast deine Schwester getötet.
Und der Horatier verbarg das zweimal blutige Schwert nicht
Und der Vater des Horatiers
Sah das zweimal blutige Schwert an und sagte:
Du hast gesiegt. Rom Herrscht über Alba.
Er beweinte die Tochter, verdeckten Gesichts
Breitete auf ihre Wunde das Schlachtkleid
Werk ihrer Hände, blutig vom gleichen Schwert
Und umarmte den Sieger.
Zu den Horatiern jetzt
Traten die Liktoren, trennten mit Rutenbündel und Beil
Die Umarmung, nahmen das Beuteschwert
Vom Gürtel dem Sieger und dem Mörder aus der Hand das zweifach Blutige eigne.
Und von den Römern einer rief:
Er hat gesiegt. Rom Herrscht über Alba.
Und von den Römern ein andrer entgegnete:
Er hat seine Schwester getötet.
Und die Römer riefen gegeneinander:
Ehrt den Sieger.
Richtet den Mörder.
Und Römer nahmen das Schwert gegen Römer im Streit
Ob als Sieger geehrt werden sollte
Oder gerichtet werden als Mörder der Horatier.
Die Liktoren
Trennten die Streitenden mit Rutenbündel und Beil
Und beriefen das Volk in die Versammlung
Und das Volk bestimmte aus seiner Mitte zwei
Recht zu sprechen über den Horatier
Und gab dem einen in die Hand
Den Lorbeer für den Sieger
Und dem andern das Richtbeil, dem Mörder bestimmt
Und der Horatier stand
Zwischen Lorbeer und Beil.
Aber sein Vater stellte sich zu ihm
Der erste im Verlust, und sagte:
Schändliches Schauspiel, das der Albaner selbst
Nicht ansäh ohne Scham.
Gegen die Stadt stehn die Etrusker
Und Rom zerbricht sein bestes Schwert.
Um eine sorgt ihr.
Sorgt um Rom.
Und von den Römern einer entgegnete ihm
Rom hat viele Schwerter.
Kein Römer
Ist weniger als Rom oder Rom ist nicht.
Und von den Römern ein anderer sagte
Und zeigte mit Fingern die Richtung des Feinds:
Zweifach mächtig
Ist der Etrusker, wenn entzweit ist Rom
Durch verschiedne Meinung
In unzeitigem Gericht.
Und der erste begründete so seine Meinung:
Ungesprochenes Gespräch
Beschwert den Schwertarm.
Verhehlter Zwiespalt
Macht die Schlachtreihe schütter.
Und die Liktoren trennten zum zweiten Mal
Die Umarmung der Horatier, und die Römer bewaffneten sich
Jeder mit seinem Schwert.
Der den Lorbeer hielt und der das Beil hielt
Jeder mit seinem Schwert, so daß die Linke jetzt
Den Lorbeer oder das Beil hielt und das Schwert
Die Rechte. Die Liktoren selbst
Legten aus der Hand einen Blick lang
Die Insignien ihres Amts und steckten
In den Gürtel jeder sein Schwert und nahmen
In die Hand wieder Rutenbündel und Beil
Und der Horatier bückte sich
Nach seinem Schwert, dem blutigen, das im Staub lag.
Aber die Liktoren Verwehrten es ihm mit Rutenbündel und Beil.
Und der Vater des Horatiers nahm sein Schwert auch und ging
Aufzuheben mit der Linken das blutige
Des Siegers, der ein Mörder war
Und die Liktoren verwehrten es ihm auch
Und die Wachen wurden verstärkt an den vier Toren
Und das Gericht wurde fortgesetzt
In Erwartung des Feinds.
Und der Lorbeerträger sagte:
Sein Verdienst löscht seine Schuld
Und der Beilträger sagte:
Seine Schuld löscht sein Verdienst
Und der Lorbeerträger fragte:
Soll der Sieger gerichtet werden?
Und der Beilträger fragte:
Soll der Mörder geehrt werden?
Und der Lorbeerträger sagte:
Wenn der Mörder gerichtet wird
Wird der Sieger gerichtet
Und der Beilträger sagte:
Wenn der Sieger geehrt wird
Wird der Mörder geehrt.
Und das Volk blickte auf den unteilbaren einen
Täter der verschiedenen Taten und schwieg.
Und der Lorbeerträger und der Beilträger fragten:
Wenn das eine nicht getan werden kann
Ohne das andere, das es ungetan macht
Weil der Sieger/Mörder und der Mörder/Sieger sind ein Mann, unteilbar
Sollen wir also von beidem keines tun
So daß da ein Sieg/Mord ist, aber kein Sieger/Mörder
Sondern der Sieger/Mörder heißt Niemand?
Und das Volk antwortete mit einer Stimme
(Aber der Vater des Horatiers schwieg):
Da ist der Sieger. Sein Name: Horatius.
Da ist der Mörder. Sein Name: Horatius.
Viele Männer sind in einem Mann.
Einer hat gesiegt für Rom im Schwertkampf.
Ein andrer hat seine Schwester getötet
Ohne Notwendigkeit. Jedem das Seine.
Dem Sieger den Lorbeer. Dem Mörder das Beil.
Und der Horatier wurde gekrönt mit dem Lorbeer
Und der Lorbeerträger hielt sein Schwert hoch
Mit gestrecktem Arm und ehrte den Sieger
Und die Liktoren legten aus der Hand
Rutenbündel und Beil und hoben das Schwert auf
Das zweimal blutige mit verschiedenem Blut
Das im Staub lag und reichten es dem Sieger
Und der Horatier mit gekrönter Schläfe
Hielt sein Schwert hoch so daß für alle sichtbar war
Das zweimal blutige mit verschiedenem Blut
Und der Beilträger legte das Beil aus der Hand, und die Römer alle
Hielten jeder sein Schwert hoch drei Herzschläge lang
Mit gestrecktem Arm und ehrten den Sieger.
Und die Liktoren steckten ihre Schwerter
In den Gürtel wieder, nahmen das Schwert
Des Siegers aus der Hand dem Mörder und warfen es
In den vorigen Staub, und der Beilträger riß
Dem Mörder von der Schläfe den Lorbeer
Mit dem der Sieger gekrönt worden war und gab ihn
Wieder in die Hand dem Lorbeerträger und warf dem Horatier
Über den Kopf das Tuch in der Farbe der Nacht
In die zu gehen er verurteilt war
Weil er einen Menschen getötet hatte
Ohne Notwendigkeit, und die Römer alle
Steckten jeder sein Schwert in die Scheide
So daß die Schneiden alle bedeckt waren
Damit nicht teilhatten die Waffen
Mit denen der Sieger geehrt worden war
An der Richtung des Mörders. Aber die Wachen
An den vier Toren in Erwartung des Feinds
Bedeckten ihre Schwerter nicht
Und die Schneiden der Beile blieben unbedeckt
Und das Schwert des Siegers, das im Staub lag, blutig.
Und der Vater des Horatiers sagte:
Dieser ist mein letztes. Tötet mich für ihn.
Und das Volk antwortete mit einer Stimme:
Kein Mann ist ein andrer Mann
Und der Horatier wurde gerichtet mit dem Beil
Daß das Blut auf die Erde fiel
Und der Lorbeerträger, in der Hand
Wieder den Lorbeer des Siegers, zerrauft jetzt
Weil von der Schläfe gerissen dem Mörder
Fragte das Volk:
Was soll geschehn mit dem Leichnam des Siegers?
Und das Volk antwortete mit einer Stimme:
Der Leichnam des Siegers soll aufgebahrt werden
Auf den Schilden der Mannschaft, heil durch sein Schwert.
Und sie fügten zusammen ungefähr
Das natürlich nicht mehr Vereinbare
Den Kopf des Mörders und den Leib des Mörders
Getrennt voneinander mit dem Richtbeil
Blutig aus eigenem beide, zum Leichnam des Siegers
Auf den Schilden der Mannschaft, heil durch sein Schwert
Nicht achtend sein Blut, das über die Schilde floß
Nicht achtend sein Blut auf den Händen, und drückten ihm
Auf die Schläfe den zerrauften Lorbeer
Und steckten in die Hand mit den gekrümmten Fingern
Vom letzten Krampf sein staubig blutiges Schwert ihm
Und kreuzten über ihm die nackten Schwerter
Andeutend, daß nichts versehren solle den Leichnam
Des Horatiers, der gesiegt hatte für Rom
Nicht Regen noch Zeit, nicht Schnee noch Vergessen
Und betrauerten ihn mit verdecktem Gesicht.
Aber die Wachen an den vier Toren
In Erwartung des Feinds
Verdeckten ihre Gesichter nicht.
Und der Beilträger, in Händen wieder das Richtbeil
Auf dem das Blut des Siegers noch nicht getrocknet war
Fragte das Volk:
Was soll geschehn mit dem Leichnam des Mörders?
Und das Volk antwortete mit einer Stimme
(Aber der letzte Horatier schwieg) :
Der Leichnam des Mörders
Soll vor die Hunde geworfen werden
Damit sie ihn zerreißen
Also daß nichts bleibt von ihm
Der einen Menschen getötet hat
Ohne Notwendigkeit.
Und der letzte Horatier, im Gesicht
Zweifach die Tränenspur, sagte:
Der Sieger ist tot, der nicht zu vergessende
Solange Rom über Alba herrschen wird.
Vergeßt den Mörder, wie ich ihn vergessen habe
Der erste im Verlust.
Und von den Römern einer antwortete ihm:
Länger als Rom über Alba herrschen wird
Wird nicht zu vergessen sein Rom und das Beispiel
Das es gegeben hat oder nicht gegeben
Abwägend mit der Waage des Händlers gegen einander
Oder reinlich scheidend Schuld und Verdienst
Des unteilbaren Täters verschiedener Taten
Fürchtend die unreine Wahrheit oder nicht fürchtend
Und das halbe Beispiel ist kein Beispiel
Was nicht getan wird ganz bis zum wirklichen Ende
Kehrt ins Nichts am Zügel der Zeit im Krebsgang.
Und der Lorbeer wurde dem Sieger abgenommen
Und von den Römern einer verneigte sich
Vor dem Leichnam und sagte:
Gestatte, daß wir aus der Hand brechen, Sieger
Dir nicht mehr Empfindendem
Das Schwert, das gebraucht wird.
Und von den Römern ein andrer spie auf den Leichnam und sagte:
Mörder, gib das Schwert heraus.
Und das Schwert wurde ihm aus der Hand gebrochen
Nämlich seine Hand mit der Totenstarre
Hatte sich geschlossen um den Schwertknauf
So daß die Finger gebrochen werden mußten
Dem Horatier, damit er das Schwert herausgab
Mit dem er getötet hatte für Rom und einmal
Nicht für Rom, das blutige einmal zu viel
Damit gebraucht werden konnte von andern besser
Was gut gebraucht hatte er und einmal nicht gut.
Und der Leichnam des Mörders, entzweit vom Richtbeil
Wurde vor die Hunde geworfen, damit sie
Ganz ihn zerrissen, so daß nichts bleibe von ihm
Der einen Menschen getötet hatte
Ohne Notwendigkeit, oder so viel wie nichts.
Und von den Römern einer fragte die andern:
Wie soll der Horatier genannt werden der Nachwelt?
Und das Volk antwortete mit einer Stimme:
Er soll genannt werden der Sieger über Alba
Er soll genannt werden der Mörder seiner Schwester
Mit einem Atem sein Verdienst und seine Schuld.
Und wer seine Schuld nennt und nennt sein Verdienst nicht
Der soll mit den Hunden wohnen als ein Hund
Und wer sein Verdienst nennt und nennt seine Schuld nicht
Der soll auch mit den Hunden wohnen.
Wer aber seine Schuld nennt zu einer Zeit
Und nennt sein Verdienst zu anderer Zeit
Redend aus einem Mund zu verschiedner Zeit anders
Oder für verschiedne Ohren anders
Dem soll die Zunge ausgerissen werden.
Nämlich die Worte müssen rein bleiben. Denn
Ein Schwert kann zerbrochen werden und ein Mann
Kann auch zerbrochen werden, aber die Worte
Fallen in das Getriebe der Welt uneinholbar
Kenntlich machend die Dinge oder unkenntlich.
Tödlich dem Menschen ist das Unkenntliche.
So stellten sie auf, nicht fürchtend die unreine Wahrheit
In Erwartung des Feinds ein vorläufiges Beispiel
Reinlicher Scheidung, nicht verbergend den Rest
Der nicht aufging im unaufhaltbaren Wandel
Und gingen jeder an seine Arbeit wieder, im Griff
Neben Pflug, Hammer, Ahle, Schreibgriffel das Schwert.
Wieder mal Dank für diesen Text, den ich völlig vergessen hatte, als wir ihn in den 1970 ger Jahren lasen gab er mir Antwort, wie man mit Stalin umgehen sollte.... Tja...gut daß Sie ihn ausgegraben haben !!!!!
AntwortenLöschenManfred Dietrich , Liebenhof bei Buckow
(als ich 1972 (da begann auch meine Regiearbeit)nahm ich den Text als "Lehrstück" beim Wort: Also die Spieler sollten durch das Spielen lernen und es war nicht für Zuschauer gedacht.Und da ich mit Studenten der Humboldt Uni für ein 6 Tage "Kulturworkshop" auf der abgelegenen Burg Eisenhardt engagiert wurde , fand tatsächlich die geheime"Uraufführung" statt -
Richtig spannend, dieser Text, den ich nicht kannte - danke dafür.
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