Montag, 12. August 2019

DARK - Horror made in Germany

EINE DEUTSCHE FERNSEHSERIE

Zu viel, zu dunkel, aber ich hänge drin, hänge dran.

DARK - Dunkel, Dunkelheit, Deutschland, Dunkelland.
In Winden, einer Kleinstadt im Schwarzwald, tief in den schwarzen Wäldern, wird ein Kernkraftwerk geplant, gebaut, genutzt, dann abgewickelt. Winden, eine Stadt in Deutschland, ist das Zentrum aller Geschehnisse.

2052, 2019, 1986, 1953, 1921, deutsche Geschichte im 33 - Jahre Abstand. 

Mysteriöse Vorkommnisse, Zeitreisen, Hermetik, der Heilige Christopherus, das Higgs-Boson Teilchen und dergleichen spielen eine Rolle, aber ebenso die schiefen, verbogenen Strukturen deutscher Geschichte, in ihnen Verborgenes, Verdecktes, Unterdrücktes, Verdorbenes. Leben und Lieben auf der hauchdünnen Kruste eines Menschen-Sumpfes, Familien, Generationen mit Verletzungen, Leerstellen, Geheimnissen.
Dumpf. Bedrückt ist es hier. 
Keiner verläßt Winden. Alle bleiben. Schmoren. Köcheln. Erzeugen Dampfdruck. Ein bisschen wie in Hamlet, alle wollen weg aus Dänemark und keiner kann entfliehen.
Die 33 Jahre beziehe sich auf den Lunisolarkalender, aber auch auf 1933, wichtige Dinge passieren am 4. und 9. November. Ein Schalk, der Böses dabei denkt. Das andere prägnante Datum ist die Sommersonnenwende.
Einstein, Kernkraft, ihre Nutzung, ihre Gefährlichkeit. Tschernobyl, Hiroshima, Fukushima, der Ausstieg aus der Kernkraft, alles da, aber ohne Oberlehrerton.
Kinder blicken auf ihre Eltern und erschrecken ob ihrer Undurchschaubarkeit. Eltern schauen auf ihre Kinder und erstarren in Verständnislosigkeit ob ihrer Andersartigkeit, Zweizüngigkeit ist das Lebensgesetz. "Game of thrones" für Liebhaber von dystopischem Sci-Fi.
Nur am Humor mangelts. Ist halt deutsch.
Das Ganze ist exzellent besetzt und gespielt und durchaus clever mit wissenschaftlich überprüfbarem Wissen vermischt. 
Immer wieder verblüffend starke Bilder, Spiegelungen aus der Malerei, mit großer Tiefe. Hab schon lange ncht mehr so viel unterschiedlichen Wald gesehen.

Die Zeit ist unser aller Oberbefehlshaber, nicht wir haben Zeit, die Zeit hat uns. "Nehmen wir uns Zeit. In der Minute unserer Geburt beginnt unser Marsch in Richtung Tod, dem persönlichen Ende der Zeit. Und in dieser Serie kämpfen alle gegen die Zeit, die sie als unendliche Widerholung des ewig Gleichen ansehen.
Ich fühle das anders. Wir erhalten ein Geschenk. Die Zeit, die auf Erden uns gegeben ist. Wie lang sie dauern wird, ist ungewiss. Aber endlich ist sie auf jeden Fall.
Was versagen wir uns aus Angst, obwohl es richtig wäre? Was sollten wir nicht tun, weil es Schaden anrichtet, den wir nicht beheben können?

Meine Lieblingsnichte, normalerweise äußerst cool und unerschrocken, wurde beim Ansehen der ersten Staffel zunehmend angespannter und unruhiger. Ich will nicht, das sie das allein ansieht. 


AN DIE NACHGEBORENEN


1
Wirklich, ich lebe in finsteren Zeiten!
Das arglose Wort ist töricht. Eine glatte Stirn
Deutet auf Unempfindlichkeit hin. Der Lachende
Hat die furchtbare Nachricht
Nur noch nicht empfangen.

Was sind das für Zeiten, wo
Ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist
Weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt!
Der dort ruhig über die Straße geht
Ist wohl nicht mehr erreichbar für seine Freunde
Die in Not sind?

Es ist wahr: ich verdiene noch meinen Unterhalt
Aber glaubt mir: das ist nur ein Zufall. Nichts
Von dem, was ich tue, berechtigt mich dazu, mich satt zu essen.
Zufällig bin ich verschont. (Wenn mein Glück aussetzt
Bin ich verloren.)

Man sagt mir: iß und trink du! Sei froh, daß du hast!
Aber wie kann ich essen und trinken, wenn
Ich es dem Hungernden entreiße, was ich esse, und
Mein Glas Wasser einem Verdurstenden fehlt?
Und doch esse und trinke ich.

Ich wäre gerne auch weise
In den alten Büchern steht, was weise ist:
Sich aus dem Streit der Welt halten und die kurze Zeit
Ohne Furcht verbringen
Auch ohne Gewalt auskommen
Böses mit Gutem vergelten
Seine Wünsche nicht erfüllen, sondern vergessen
Gilt für weise.
Alles das kann ich nicht:
Wirklich, ich lebe in finsteren Zeiten!


                                   2

In die Städte kam ich zu der Zeit der Unordnung
Als da Hunger herrschte.
Unter die Menschen kam ich zu der Zeit des Aufruhrs
Und ich empörte mich mit ihnen.
So verging meine Zeit
Die auf Erden mir gegeben war.

Mein Essen aß ich zwischen den Schlachten
Schlafen legt ich mich unter die Mörder
Der Liebe pflegte ich achtlos
Und die Natur sah ich ohne Geduld.
So verging meine Zeit
Die auf Erden mir gegeben war.

Die Straßen führten in den Sumpf zu meiner Zeit
Die Sprache verriet mich dem Schlächter
Ich vermochte nur wenig. Aber die Herrschenden
Saßen ohne mich sicherer, das hoffte ich.
So verging meine Zeit
Die auf Erden mir gegeben war.

Die Kräfte waren gering. Das Ziel
Lag in großer Ferne
Es war deutlich sichtbar, wenn auch für mich
Kaum zu erreichen.
So verging meine Zeit
Die auf Erden mir gegeben war.


                             3

Ihr, die ihr auftauchen werdet aus der Flut
In der wir untergegangen sind
Gedenkt
Wenn ihr von unseren Schwächen sprecht
Auch der finsteren Zeit
Der ihr entronnen seid.

Gingen wir doch, öfter als die Schuhe die Länder wechselnd
Durch die Kriege der Klassen, verzweifelt
Wenn da nur Unrecht war und keine Empörung.

Dabei wissen wir ja:
Auch der Haß gegen die Niedrigkeit
Verzerrt die Züge.
Auch der Zorn über das Unrecht
Macht die Stimme heiser. Ach, wir
Die wir den Boden bereiten wollten für Freundlichkeit
Konnten selber nicht freundlich sein.

Ihr aber, wenn es soweit sein wird
Daß der Mensch dem Menschen ein Helfer ist
Gedenkt unsrer
Mit Nachsicht.


b.b.

Donnerstag, 8. August 2019

Eine kleine Horrorshow - WtF!!!!

Ich kann es jetzt offiziell bestätigen, Herr Liebermann hat leider Recht. Ich kann nicht so viel fressen, wie ich kotzen möchte. 
Jetzt grabschen sich diese Mistkerle einen der wenigen, kurzen Momente der von mir erlebten deutschen Geschichte, auf den ich, in durchaus kritischer Weise, stolz bin. 
Wer ist dieses Volk von dem sie reden? Sind es die, die damals ganz eilig Ein Volk werden wollten? 
Wer sind wir, die wir in einem der wohlhabendsten Länder der Welt leben und die ich doch unentwegt greinen, jammern und hetzen höre?  
Wir fühlen uns niemals für irgendetwas, das wir verbocken, verantwortlich. Nicht für einen der beiden Weltkriege, nicht für den unfassbaren Versuch, die Welt judenfrei, roma- und sintifrei zu machen. Nicht für die Verbrechen unserer Wehrmacht. Nicht für unsere halbblinde, pragmatische Art der Entnazifizierung. Nicht für unsere, ja, auch meine, mangelnde Widerständigkeit durch viele Jahre eines verkommenen, brutalen pseudo-sozialistischen Systems. 
Nein, wir waren immer Opfer! Dresden schweigt jedes Jahr eine Minute in Erinnerung an die Bombardierung durch die englische Luftwaffe, aber schweigt es auch für Coventry, für London, für Antwerpen? Nein, wir sind Opfer, der bösen Frau Merkel, der islamischen Horden, des von uns, nicht als so brutal erwarteten Kapitalismus. Sie alle wollen uns Böses. "Wir schaffen das." Da liegt neuerdings die Ursünde. Sie, die böse Frau, die wir gewählt haben, hat die Ursünde begangen.  Und wir sind wieder unbeteiligte Opfer ihrer sündhaften Großmut.
Wann sind wir so sehr verkommen? Wann und warum haben wir die letzten Reste unseres Geschichtsbewußtseins, unserer Demut, unserer Scham verloren?
Wir reihen uns schamfrei ein in die Ländergemeinschaft der europäischen Selbstsüchtigen, Groß-Ungarn, Polen, Brexit-England, addiert wen ihr passend findet.

WENDE 20
HOL DIR DEIN LAND ZURÜCK - FRIEDLICHE REVOLUTION AUF DEM STIMMZETTEL


WENDE 20
DAMALS WIE HEUTE - WIR SIND DAS VOLK
 1989-2019 
VOLLENDE DIE WENDE





Mittwoch, 7. August 2019

Die Moskauer - Wie das Stalintrauma die DDR prägte

Die Moskauer - Wie das Stalintrauma die DDR prägte von Andreas Petersen

Heute Abend in der "Gedenkbibliothek zu Ehren der Opfer des Kommunismus", die sich passend unpassender Weise mitten im Berliner Nikolaiviertel befindet, ein Vortrag zu einem Buch, das eine für mich erschreckende, aber durchaus glaubwürdige Behauptung aufstellt:

Die DDR wurde gegründet, auf den Weg gebracht, von Leuten, die zutiefst traumatisiert waren. Verstört, zerstört, schuldig und gestraft, aller Illusion verlustig gegangen und doch weiter der verzweifelt aufrechterhaltenen großen Lüge anhängend. Die erste Führungsriege der DDR-Politik, unter strenger Kontrolle Moskaus stehend, wird dann genau die Methoden, die sie selbst jahrelang als tödliche Bedrohung erlebt hatten, auf die Konstruktion des "neuen, besseren" Deutschland anwenden. Eine Gruppe von zurecht von Verfolgungswahn geprägten Paranoikern will eine frohe, gerechte Zukunft erschaffen. Wir haben erlebt, wie gut das gelungen ist.

Diese Leute hatten jahrelang, von 1933 bis 1941, unter ständiger akuter Angst gelebt: Wer wird heute geholt? Wohin wendet sich der der mörderische Wind morgen? Hält ein Auto vor meiner Tür? Höre ich Schritte auf meinem Flur? Wurde ich denunziert oder sollte ich denunzieren? Sie waren Opfer und Täter in Personalunion, ihr Heimatland im Nazi-Wahn und das Land ihrer Hoffnung im Strudel der großen Säuberungen.
1936 lebten circa 4600 deutsche "Politemigranten" in der Sowjetunion, "von den 68 führenden Funktionären der KPD ... wurden 41 ermordet." "Über tausend tote Deutsche hingerichtet, verstorben in Lagern und verschollen, lassen sich bis heute benennen." Stalins Terror kostete mehr Kommunisten das Leben, als das Naziregime. Unfaßbar.
Ein Beispiel aus dem Gedächtnis nacherzählt:
Ein jüdischer Kommunist namens Hirsch wird in Nazi-Deutschland verhaftet, verhört, gefoltert, ins KZ gesperrt. Er hält stand, verrät nichts. Erstaunlicherweise wird er entlassen, flieht und schafft es bis nach Moskau. Zeitgleich erläßt das NKDW neue Vorgaben für die Aufspürung von potentiellen Feinden, Spionen, etc. Wilhelm Pieck verlangt Lieferung. Eine Bürokraft, deutsch, Kommunistin gerät ins Schwitzen, sie muß Feinde liefern und denunziert Hirsch. Er hätte sich im KZ nicht korrekt verhalten. Sie schreibt, von Angst gejagt, zehn Briefe an das NKDW, in denen sie seine Schuld immer größer werden läßt. Schließlich wird Hirsch verhaftet, verhört, in ein Lager verdammt. Auf diesem Leidensweg beschuldigt er nun andere Genossen, sich nicht korrekt verhalten zu haben und stirbt schließlich im Gulag. Die Büroangestellte wird nur wenige Jahre später auch erschossen.
Was für eine unerträgliche Tragödie.


Die Zuhörer heute Abend waren größtenteils alt, sehr alt, der fünfzigjährige Bibliothekar neben mir und ich Sechzigjährige waren sozusagen die Vertreter der jungen Generation. Sie waren Kinder, Enkel von Opfern/Tätern, Leidtragende in zweiter Generation. Auch eine Tragödie. Niemand interessiert sich mehr für diese verletzten Menschen, die ihr Leben darauf verwenden, die wirkliche, die wahrhafte Wahrheit herauszufinden. Für sie gibt es keine einfachen Antworten. Schuld und Selbstaufopferung, Verrat und unvorstellbare Leidensfähigkeit liegen für sie ungeschützt nebeneinander.

Ich dachte, was für ein leichtes, geschütztes Leben habe ich gelebt. Niemand wollte mich töten, niemand hat meine Ansichten, Meinungen benutzt, um mich festzunageln, einzuschüchten, abzuurteilen. In welch unübersichtlichen, unlösbaren Situationen mußten diese Menschen versuchen, zu überleben? Aber auch, welche schrecklichen Gewalttaten haben sie verübt, um sich nicht ihrer Lebensangst stellen zu müssen?

Es muß; das war dies Muß. Wer will der Hand fluchen, auf die der Fluch des Muß gefallen? Wer hat das Muß gesprochen, wer? Was ist das, was in uns lügt, hurt, stiehlt und mordet? Büchner - Dantons Tod

Kurz vor dem Beginn des Vortrages, verteilte die Gründerin der Gedenkbibliothek zu Ehren der Opfer des Kommunismus Zettel mit sorgfältig ausgewählten Zitaten grüner Politiker, die im Fazit beweisen wollten, das die "grünen Gutmenschen", so nannte sie die Ziterten wiederholt, es vorziehen würden, das islamische Horden uns "Deutsche" überrollen.
Ist unser Leben wirklich nur eine ständige Wiederholung der gleichen Muster? Nur das die Tragödie sich in die Farce verwandelt?

Mittwoch, 31. Juli 2019

Almodovar - Leid und Herrlichkeit

 © Nico Bustos

Allein schon für die letzte Einstellung müßte der Film gepriesen und geehrt werden. Eine überraschende Wendung der schönsten Art. Zum Lobe der Kunst, zum Lobe des Lebens. Dolor y gloria!

Banderas spielt Almodovar, aber eben nicht nur und wie fein er spielt, mit dem Körper, der von Schmerzen geplagt wird, mit dem Gesicht, das er nach Belieben uralt oder kindlich-verstohlen aussehen lassen kann. Wie genau er wechselt von weinerlichem Selbstmitleid zu resignierter Selbstaufgabe, zu erwachender Überlebenshoffnung. In einer Szene telefoniert er mit einer alten Liebe, die vor seiner Tür steht, er schaut auf den ebenfalls älteren Mann und fühlt die Liebe zu ihm ganz akut, ganz tief.

Die Farben sind satt, fett, viel Rot gegen Weiß und dann das ganze Spektrum der psychedelischen Farben. Gegen Ende die gräßlichste vorstellbare grasgrüne Lederjacke, wenn eine Krebsdiagnose erwartet wird und das Überleben versprochen wird. 

Also Humor hat der Film auch noch. Was kann man mehr wollen? Selbst die manchmal ungelenken Übergänge bieten Vergnügen.

Da habe ich doch heute ein Kunstwerk erlebt. Meine Augen sind übervoll, das Hirn ganz wach und das Herz schlägt freudig.

Da ist sie, die grüne Jacke.



Aus: ÜBER DIE GEDULD 
Rainer Maria Rilke

Man muss Geduld haben

Mit dem Ungelösten im Herzen,
und versuchen, die Fragen selber lieb zu haben,
wie verschlossene Stuben,
und wie Bücher, die in einer sehr fremden Sprache
geschrieben sind.

Es handelt sich darum, alles zu leben.
Wenn man die Fragen lebt, lebt man vielleicht allmählich,
ohne es zu merken,
eines fremden Tages
in die Antworten hinein. 

Sonntag, 28. Juli 2019

Meckerei über Lappalien

Ich möchte heute gern ein bisschen rummeckern und bitte euch um eine kleine Menge Mitgefühl, denn dieser Sommer war neben herrlicher Arbeit und erfreulichen Ferien, auch eine Malaise in Etappen.

Es begann im Juni mit einer größeren Anzahl von Gerstenkörnern, mal links, mal rechts, mal beidseitig, von denen eins sich zum rottriefenden Matschauge entwickelte und mich nächtens zum Besuch der Notfallambulanz in Rastatt veranlaßte. Nach zwei Stunden Wartezeit, es waren, außer mir noch 2, in Worten zwei, Patienten anwesend, erklärte mir der uninteressierteste Arzt, den ich jemals getroffen habe: "Das wird schon besser werden." Hat geholfen, schon aus Gnatz.

Am Premierenabend in Ötigheim beißt mich eine Zecke, verschwindet aber vollgefressen, bevor ich sie bemerken kann. Ein dickes, entzündetes Knie entwickelt sich, wird einem Arzt, diesmal ist es ein aufmerksamer, gezeigt, und hat drei Wochen Antibiotika-Einnahme zur Folge. 

In einem romantischen Kloster in Sienna entscheiden die anwesenden Flöhe, nur mich beißen zu wollen, auch mehrfach im Gesicht, sieht kleidsam aus. Immerhin habe ich dabei gelernt, dass man mit Hilfe eines tiefen Tellers gefüllt mit Wasser und Spülmittel, in den man eine brennende Kerze plaziert, Flöhe zum Suizid verführen kann. Sie sehen das Licht und ...

Meine Augen wieder klar, die Pillen fertig geschluckt, drei Flöhe gemordet und dann falle ich vom Fahrrad. Ganz abgesehen davon, dass meine Ellenbogen und Knie aussehen, wie die einer achtjährigen Rabaukin, habe ich mir auch eine Rippe geprellt. Das tut vielleicht blöd weh.

So, das war es - bis jetzt. Nix Schlimmes, nichts, das mich über mein Alter jammern ließe, nur doofer Schnumpelkram, wie es meine Mutter genannt hätte. Aber es nervt.

Ich danke euch für eure Aufmerksamkeit.


Sonntag, 14. Juli 2019

KOTZEBUE IN PEITZ

30 Jahre theater 89
theater 89 – Stadtwärts! 
Zu Gast in der Mark: Fontane. 200 – Arbeitsgemeinschaft „Städte mit historischen Stadtkernen“

August Friedrich Ferdinand von Kotzebue - 220 Schauspiele hat er geschrieben, manche in nur zwei Tagen, er war um 1800 der bei weitem erfolgreichste deutsche Dramatiker, Goethe mochte ihn nicht, er starb durch die Messerattacke einen studentischen Attentäters und ist heute nahezu vergessen.

Trotz häufigen Theaterbesuchen über eine mittlerweile sehr lange Zeit, in Worten über fünfzig Jahre, hatte ich noch kein Stück von Kotzebue gesehen, der Name war mir irgendwie bekannt und vor zwei Jahren tauchte er, eher beiläufig in einem Monolog auf, den ich mit der unglaubliche Anika Mauer gearbeitet habe, nämlich "Ein Gespräch im Hause Stein über den abwesenden Herrn von Goethe" von Peter Hacks, einem hochbegabten Stalinisten und Dichter.

Die Tasse, übrigens, hat Goethe bemalt. Man könnte es herausspüren, selbst wenn man es nicht wüßte. Sie ist viel ungeschickter als die jedes Porzellanarbeiters in Ilmenau, so wie ja auch kaum eines seiner Theaterstücke nicht unwirksamer ist als das beiläufigste Stück des Herrn von Kotzebue. Goethe ist ein sehr eigenartiges Talent.


Was Goethen aber die größte Enttäuschung beschert hat, war sein närrischer Ehrgeiz in Betreff auf die menschliche Rasse überhaupt. Wie eifrig war er nicht, sie zur Humanität zu bekehren, nur war die Menschheit nicht eben so eifrig, ihm zu folgen. Herr von Kotzebue hat hierzu eine sehr treffende Anmerkung beigetragen. Früher, so sagte er, reichte es für uns Deutsche hin, Gemüt zu haben, heute muß es unbedingt Humanität sein.


Heute war ich erstmals im brandenburgischen Städtchen Peitz, habe erstmals einen Kotzebue und ebenfalls erstmals eine Sommertheater-Produktion des Theaters 89 gesehen. Peitz und das Elend der brandenburgischen Wirtschaft wäre ein eigenes Thema, aber gerade deshalb ist eine solche Unternehmung wie sie das Theater 89 initiert hat, besonders wichtig. Übrigens kam der Bürgermeister mit Frau und Tochter in vollständiger Renaissancekostümierung!
Die Truppe um Hans-Joachim Frank tourt seit sieben Jahren über den Sommer durch Brandenburg und seit drei Jahren, glaube ich, spielen sie speziell in den historischen Stadtkernen brandenburgischer Kleinstädte. "Die deutschen Kleinstädter" heißt das Stück in diesem Jahr und es passt wie die Faust auf das Auge. Die Leute kommen, erkennen sich wieder und lachen ohne Groll über sich selbst. Das Ding hat eine Boulevarhandlung, ein erstaunlich modern wirkendes Tempo, knappe spitze Dialoge und hier und da schlüpft es dann ganz mühelos ins Absurde.

Eine Mischung aus Profis und Laien, das Ensemble, spielt mit der Lust, die man fühlt, wenn man spürt, dass sich die Besucher ohne den Einsatz mieser Tricks großartig amüsieren. Also, wenn ihr Freilichttheater an schönen Orten mögt, nix wie hin.
 

"Die deutschen Kleinstädter" 
ein Lustspiel in vier Akten von Kotzebue
1802 in Wien uraufgeführt 
 

BESETZUNG

TERMINE





Freitag, 12. Juli 2019

Mein Manifest - In Erwägung

In Erwägung, dass dies hier peinlich wirken kann, erkläre ich, dass ich immer noch auf unser Überleben in einer gerechteren Welt hoffe.

Ein Manifest ist, so sagt es Wiki, eine öffentliche Erklärung von Zielen und Absichten, dies ist meines.
Vor Kurzem habe ich einen Artikel gelesen: Cripping up – "Was problematisch daran ist, wenn Schauspieler ohne Behinderung Rollen mit Behinderung spielen" von Georg Kasch.
Cripping Up

Ich habe meine Verwirrung über die Gedanken, die dort notiert waren, auf Facebook zur Diskussion gestellt. 160 Kommentare folgten. Manche sehr klar, einige nicht so. Ich bin immer noch verwirrt, aber weiß jetzt besser warum. Eine seltene Erfahrung.

Zum Thema. In fast allen Diskussionen der letzten Zeit erlebe ich eine immer minutiöser formulierte Verteidigung immer enger gesteckter Grenzen von immer kleiner definierten Gruppen. Fast jeder ist gegen fast jeden. Aggressive Unversöhnlichkeit bei eigentlich, so würde ich meinen, ähnlichen angestrebten Zielen. Identität statt Solidarität. Rechthaberei statt gemeinsamer Suche nach Lösungen. Wenig Fragen, viele unerschütterliche Antworten.
 

In Erwägung, dass es akute, lebensbedrohliche Probleme gibt, die uns alle töten werden, wenn wir keine Lösung für sie finden. Probleme mit dem Klima, mit der abrupt veränderten Zusammensetzung unserer Gesellschaft, mit unseren erhofften ökonomischen Aussichten, mit der wachsenden Unversöhnlichkeit zwischen Links und Rechts und dem vagen Raum dazwischen, ja, sogar ganz persönliche Probleme mit dem Theater, das gerade im Nirgendwo zwischen Repräsentanz und altbekanntem Spiel verschwiemelt wankelt.

K. F. schrieb: Johanna, das können wir im Osten sozialisierten Menschen nicht wirklich verstehen, weil uns auch aus der eigenen Lebenserfahrung das "soziale Rollenspiel" so selbverständlich ist. Wir sind auch der Meinung, dass Kinderspiele, Spiele zur Aneignung von Sozialverhalten sind. Die aus Amerika herüberschwappenden Diskussionen (Kommunitarismus, Identitäre, Repräsentation) sind - bei einer Schulung in dialektischem Materialismus - zu verorten im Kampf bislang ausgegrenzter Minderheiten um Anteile am gesellschaftlichen Konsens. Du bist liberal-europäisch denkend, da spielt Empathie eine zentrale Rolle, auf der anderen Seite wird auch das schon als Übergriff / Cultural Appropiation zurückgewiesen. Es gibt bei den Kommunitaristen kein Als-Ob, sie definieren Spiel nicht als Spiel, sondern als Repräsentation vorhandener Strukturen. Da gibt es glaube keine Chance einer wirklichen Verständigung - zumal wir ja wirklich anerkennen müssen, dass der weisse Hegemon über Jahrhunderte ausgegrenzte Rassen oder Minderheiten oder Geschlechter nicht als Partnern auf Augenhöhe begegnet ist. Ganz schwieriges Thema...  


In Erwägung, dass es uns allen, die wir uns verschwommen oder widerwillig als "links" definieren, an die Kehle gehen wird, wenn die "Querfront der Verlierer" in rechtmäßigen Wahlen an die Macht kommt. Und das werden sie, wenn wir uns nicht in den Griff kriegen.
Wollen wir uns wirklich so kampflos, kopflos aufeinander, gegeneinander hetzen lassen?
 

In Erwägung, das es höchste Zeit ist, persönliche Verantwortung zu übernehmen, uns solidarisch zu verhalten, mit denen, die uns zumindest nicht unser Recht zu leben, wie wir wollen, gänzlich absprechen. 
Es gibt, auch unter uns, viele, die nach den einfachsten Lösungen suchen, nach den schrecklichen -  alle sollen raus, die anders sind, nicht weiß, nicht christlich, nicht heterosexuell, nicht irgendwas, was sie als "normal", so "wie es früher war" erkennen können. Weg mit den Irritationen. Weg mit denen, die meine Position, mein gewohntes Leben in Frage stellen. Weg mit ihnen. Wohin? Egal.


Nordkreuz
 

In Erwägung der enormen Probleme, für die wir bisher keine Lösung finden können - sollten wir nicht dringlichst nach unseren Gemeinsamkeiten suchen?
Wäre ich ein zynisches, manipulierendes Arschloch, würde es mich freuen, dass wir uns so leicht auseinander dividieren lassen. Das bin ich aber nicht.
 

In Erwägung, dass ich gerne lebe, wünschte ich, dass wir es besser ertragen würden, mit nervenden Widersprüchen zu leben, dass es uns wichtiger wäre, Gemeinsamkeiten zu finden, als einander besserwissend und selbstgerecht zu verurteilen. 
Ablehnung ist einfach. Bemühung um Verständnis kostet Mühe. Demut ist angebracht.

In Erwägung, dass es viele gibt, die mir mein Recht zu leben, wie ich es mag, absprechen, als ältere, jüdische Frau in einem nicht ökonomisch relevanten Beruf, aber auch euch, die ihr nicht der kranken Norm von ebenfalls verwirrten und nach leichten Antworten suchenden Mitbürgern, entsprecht. 

Lasst uns zuhören. Lasst uns, zu Gunsten der Zukunft, unsere banalen Widersprüche beiseite stellen und lasst uns darüber nachdenken, was wirklich wichtig ist, um unser aller Überleben zu ermöglichen.  


In Erwägung unsrer Schwäche machtet
Ihr Gesetze, die uns knechten solln.
Die Gesetze seien künftig nicht beachtet
In Erwägung, dass wir nicht mehr Knecht sein wolln.
    In Erwägung, dass ihr uns dann eben
    Mit Gewehren und Kanonen droht
    Haben wir beschlossen: nunmehr schlechtes Leben
    Mehr zu fürchten als den Tod.
b.b.

Montag, 8. Juli 2019

Mister Bojangels

Meine Lieblingslieder wechseln. Aber da ist eine unveränderbare Position, die mein Herz, mein Ohr nicht ändern können, nicht aufgeben wollen. Ein Walzer im 6/8 Takt, eine einfache Melodie, die immer auf eine Wortfolge hinstrebt: "Mister Bojangles, Mister Bojangles, Mister Bojangles dance". 

Wiki gibt die Inhaltsangabe so: In Ich-Form berichtet der Erzähler von einem silberhaarigen Mann in abgetragenen Kleidern und ausgetretenen Schuhen, den er in einer Gefängniszelle in New Orleans kennenlernt und der sich „Bojangles“ nennt. Der Mann blickt auf ein erlebnisreiches Leben zurück und scheint trotz der misslichen Lage bester Laune. Zur Unterhaltung der Anwesenden tanzt er in der Zelle einen Soft-Shoe-Stepptanz, bei dem er hoch in die Luft springt und die Hacken zusammenschlägt. Er erzählt, dass er fünfzehn Jahre lang durch die Südstaaten getingelt und bei Minstrel Shows und Jahrmärkten aufgetreten ist. Sein einziger Begleiter ist ein Hund gewesen, um den er noch zwanzig Jahre nach dessen Tod trauert. Nun tanzt er nur noch für Trinkgelder in Honky-Tonk-Kneipen, verbringt jedoch die meiste Zeit hinter Gittern, weil er trinkt. 

https://de.wikipedia.org/wiki/Mr._Bojangles 

Dieses Lied gesungen von einem one-eyed Negro Jew, einem jüdischen Neger mit Glasauge. Neger durch den Zufall der Geburt, Jude aus eigener Entscheidung, das Glasauge durch einen Unfall. Das Handicap liegt hoch. Sammy Davis Jr. gilt meine Verneigung, der ein kompliziertes Leben gelebt hat, bedrückt durch groben Rassismus, Angst vor erfahrener Armut und doch mit höchster Grazie.

https://www.youtube.com/watch?v=-Fju4UajL7g 

Sammy Davis Jr. - Wenn es einen Inbegriff von Coolness gibt, dann ist es er. Perfekter Minimalismus. Das rote Futter des Hutes! Bewegungen nur, wenn absolut notwendig, die Zigarette, ungeraucht, aber anwesend. Entspannt. Im Moment. Er zitiert Haltungen, ganz leicht, ohne Nachdruck. Nie wirkt er angestrengt, aber auch nie unterspannt. Er ist da. Er singt.


I knew a man Bojangles and he’d danced for you
In worn out shoes
With silver hair, a ragged shirt, and baggy pants
The old soft shoe
He jumped so high, jumped so high
Then he lightly touched down I met him in a cell in New Orleans 
I was down and out
He looked to me to be the eyes of age
as he spoke right out
He talked of life, talked of life, he laughed
clicked his heels and steppedHe said his name “Bojangles” and he danced a lick
across the cell
He grabbed his pants and spread his stance,
Oh he jumped so high and then he clicked his heels
He let go a laugh, let go a laugh
and shook back his clothes all around Mr. Bojangles, Mr. Bojangles
Mr. Bojangles, dance He danced for those at minstrel shows and county fairs
throughout the south
He spoke through tears of 15 years how his dog and him
traveled about
The dog up and died, he up and died
And after 20 years he still grievesHe said I dance now at every chance in honky tonks
for drinks and tips
But most the time I spend behind these county bars
’cause I drinks a bit
He shook his head, and as he shook his head
I heard someone ask him please
Mr. Bojangles, Mr. Bojangles
Mr. Bojangles, dance.

Tel Aviv On Fire - Ein wirklich witziger Film

Sameh Zoabihat einen überraschend guten Film gemacht: Tel Aviv On Fire.
 
Würde es Gelegenheiten geben, dass Israelis und Palästinenser sich auf Augenhöhe begegnen und sich vielleicht sogar mögen, würde das so manches Weltbild zerschlagen.
Sameh Zoabihat 
 
 
Die Geschichte eines jungen palästinensischen Mannes, zu lang, zu dünn, zu unentschlossen. Seine große Liebe hat er verloren, weil er ihr gesagt hat, er fühle sich bei ihr, wie ein Fisch im Toten Meer. Und nun existiert er so vor sich hin und arbeitet bei der Produktionsfirma seines Onkels als Zuständiger für die hebräischen Dialoge.
Diese Firma produziert eine Soap-Opera, ein täglich gesendetes Melodrama über das Schicksal einer palästinensischen Spionin hin- und hergerissen zwischen ihrer Pflicht als Spionin und der Liebe zu einem jüdischen General namens Jehuda. 
Und diese Serie schauen auch israelische Frauen, trotz ihres unübersehbaren Antisemitismus, weil es halt um Liebe geht. 
Ein israelischer Grenzoffizier mit Hang zur Dramatik und einer der Serie verfallenen Ehefrau kommt ins Spiel und der Irrsinn des Nahost-Konfliktes verwandelt sich vor meinen Augen in den Irrsinn des cineastischen Melodramas mit Ausflügen in die absurde Farce.
Wunderbar, grauenhaft und auch traurig und sehr sehr witzig.
Hier ist Leid kein Druckmittel, sondern Teil von Biographien, Feindschaften sind altbekannt und hindern die Protagonisten doch nicht daran, zum eigenen Vorteil zusammenzuarbeiten. Und die Liebe besiegt wirklich alles, selbst die Macht der anonymen Geldgeber der Produktionsfirma.
Ich wünschte, ein deutscher Filmemacher hätte den Mut und die Leichtigkeit einen solchen politischen Film zu drehen. "Four Lions" von Chris Morris wäre vergleichbar. 
Große Politik, unlösbare Konflikte auf erkennbare Höhe gebracht, nicht durch Verkleinerung, sondern durch Betrachtung der Kontrahenten als unterschiedliche Menschen.
 
Wiki nennt Humor die Begabung eines Menschen, der Unzulänglichkeit der Welt und der Menschen, den alltäglichen Schwierigkeiten und Missgeschicken mit heiterer Gelassenheit zu begegnen. Diese Begabung haben wir, die deutschen Menschen eher nicht so, besonders das Ding mit der Gelassenheit fällt uns schwer. Weil wir ja selbst so sehr leiden, bleibt uns wenig Raum für das Interesse an den Kümmernissen anderer nichtdeutscher Menschen.

nordbuzz: Ihr vorheriger Film „Under the Same Sun“ befasste sich aber auch mit dem, was Palästinenser und Israelis den „Konflikt“ nennen.

Zoabi: Die meisten meiner Arbeiten haben mit dem Konflikt zu tun, aber ich nähere mich dem anders an, als man vielleicht erwarten würde. Ich interessiere mich nicht für die Geschichten, die man in den Nachrichten normalerweise hört, über leidende Palästinenser, die Besatzung oder Bombardierungen. Ich bin mehr an den Figuren interessiert. An den Menschen, die ihr normales Leben führen, das im Kino aber fast nie vorkommt. Die Situation zwischen Palästinensern und Israelis ist, wie sie ist. Und die Menschen müssen damit zurechtkommen. Aber damit akzeptieren beide Seiten auch, dass es immer Gewalt geben wird. Niemand spricht aber darüber, dass beide Seiten auf eine bessere Zukunft hoffen. Jeder will einfach nur ein normales Leben. Und darum geht es mir in meinen Filmen.

nordbuzz: Man hätte natürlich „Tel Aviv on Fire“ auch vollkommen ernst erzählen können.

Zoabi: Ja, darüber habe ich aber nie nachgedacht. Das ist einfach nicht mein Stil, ich mag Humor. Ich bin mit etwas groß geworden, das man als „Ghetto-Humor“ bezeichnen könnte. Wenn man das Gefühl hat, dass die Welt gegen einen ist und alles zerbricht, dann muss man das mit Humor nehmen, da man sonst nicht weitermachen könnte. Palästinenser sind sehr lustige Leute. Amüsant ist, dass ich häufig höre, mein Humor sei sehr jüdisch. Teil dieses Humors ist es, sich umzingelt zu fühlen. Das ist dasselbe Gefühl, das Palästinenser haben. Jüdische Filmemacher transportieren oft diesen Humor, dass die Welt und die Realität sich gegen einen verschwören. Es ist wichtig, als Palästinenser Humor im Alltag zu finden, weil das Leben sonst einfach zu traurig wäre. 
nnn

Freitag, 5. Juli 2019

Lotte Laserstein

Die Berlinische Galerie ist ein guter Ort, um eine bestimmte Art von Bildern anzuschauen. Die Räume sind großzügig, licht, kühl, aber nicht kalt, irgendwie ein sanfter, zurückhaltender Ort. Installationen, Malerei des letzten Jahrhunderts, Photographien habe ich hier gesehen. Aber es ist interessant sich vorzustellen, wie Alte Meister, Caravaggio oder Rembrandt oder El Greco hier wirken würden. Wäre der Kontrast der weißen großen Räume förderlich oder zu krass? 
Caravaggio habe ich bisher immer nur in schlecht beleuchteten Palazzi oder vierfach gehängten Sälen in altehrwürdigen Sälen gefunden. Ich konnte nie richtig gut sehen und das verstärkte das wunderbare Mysterium der Bilder für mich noch.

Heute. Im ersten Raum eine Installation von realities: united. 
Ein nicht sehr großes Video zeigt Starkregen in einem Innenraum mit baumähnlichen Säulen, am Boden bilden sich eigenwillige Wasserströmungsmuster, Lautsprecher an den drei übrigen Raumseiten verströmen das erwartete Geräusch dazu. Ich liebe Regen, er ist poetisch in vielfältiger Art, aber auf der Bühne kommt er selten vor, zu schwierig, zu nass, zu teuer. Ich denke gerade über ein Regen-Projekt nach, mal sehen, was daraus wird.

https://www.design-museum.de/de/diskurs/interviews/detailseiten/realitiesunited.html

Dann Lotte Laserstein. Abend über Potsdam hatte ich vor einiger Zeit zum ersten Mal gesehen und es war mir im Hirn geblieben. 
Geboren am 28. November 1898 in Preußisch Holland im ostpreußischen Oberland und gestorben mit 94 Jahren am 21. Januar 1993 in Kalmar, Schweden. Eine dieser deutschen Biographien mit dem 33er Bruch, gerade auf dem Weg zur öffentlichen Anerkennung, einer Einzelausstellung bei Gurlitt, guten Verkäufen, mußte sie fliehen, nach Schweden. Die zurückgebliebene Mutter starb im KZ, die Schwester überlebte im Untergrund und sie selbst schloß eine Scheinehe, um die schwedische Staatsbürgerschaft zu bekommen. Sie malte Auftragsporträts, hielt sich über Wasser, nach dem Krieg reiste sie viel. "Wiederentdeckt" wurden ihre Bilder in den späten 80ern des letzten Jahrhunderts. Sie hat es also wenigstens noch miterlebt.

Frauen, Gesichter, Körper, Haltungen. Vereinzelt Männer. Immer wieder Selbstporträts. Eine Serie davon, ein bisschen Andy-Warhol vorempfunden, das gleiche Gesicht, mit unterschiedlichen Kopfbedeckungen, wahrscheinlich nur eine Übung fürs Studium, aber verblüffend modern. Es gibt einen wiedererkennbaren Stil, aber auch immer wieder Ausbrüche, die dann verworfen oder integriert werden. Und drei Menschengruppen, Abend über Potsdam 1930, alle wirken bedrückt, unsicher, verstört, ein Hund schläft unterm Tisch. Drei Männer in wildem Gespräch, die Wand voll Schatten, die Körper angespannt, 1933. Vier Emigranten sitzen zusammen, fremd, verloren.

Ob es von meiner Großmutter auch solche Bilder geben könnte? Nur dass sie, in allen Nöten, noch zwei kleine Kinder und einen anstrengenden Mann zu versorgen hatte? Ihre Mutter starb 1927, die Schwester 1934, der Vater im KZ.

Mein Liebling, ein russisches Mädchen, Emigrantin in Berlin


Eine Reihe von Selbstporträts