Mittwoch, 13. Juni 2018

Prall gefüllte Tage

Letzten Freitag "Unendlicher Spaß" inszeniert von Thorsten Lensing und gespielt von Ursina Lardi, Devid Striesow, Sebastian Blomberg, Jasna Fritzi Bauer und anderen im Hellerauer Festspielhaus. 
Samstag Jugendweihe und Party im Brandenburgischen. 
Sonntag und Montag Wiedersehen mit einem Lieblingsmenschen im Tessin. 
Dienstag erste Urlaubsetappe am Comer See.
Hammer!

UNENDLICHER SPASS. 
Untertitel: Eine mißlungene Belustigung 
David Foster Wallace nannte sein ungeheuer dickes und ausschweifendes Werk mit Fußnoten die Menge, Ergebnis jahrelanger Arbeit, nach einem Hamlet-Zitat: 
Alas, poor Yorick! I knew him, Horatio: a fellow of infinite jest...
Ach, armer Yorick! Ich kannte ihn, Horatio: ein Bursche von unendlichem Humor...


Unendlicher Witz, aber Gott lacht immer als letzer, oder? 
Ganz wenig Bühne, ganz viel Spiel. Auch wenn mich die Geschichte, ob ihrer amerikanischen Psychopathologisierung nicht recht reißt, habe ich solche Lust an den Spielern. Ganz frei, ganz und gar nicht privat, gänzlich verschieden, sie werden Hunde und Tennischampions mit Drogenproblemen mit gleicher Ernsthaftigkeit und wildem Witz, besonders bei Striesow, manchmal auch weit über die übliche Geschmacksgrenze hinaus. Hochleistungstheater der besten Sorte. Wie olympischer Weitsprung oder Paganini auf der Geige. Sie denken, was sie reden, sie beherrschen sich und die Bühne. Ich kann nicht wegschauen, nicht dösen, will es auch nicht. Fein. Seit langem habe ich mal wieder gedacht, bei dem würde ich gern spielen.


© David Baltzer / Agentur Zenit

BOOM
Jugendweihlinge, oder wie sie an der Schule im Brandenburgischen genannt werden "Boomlinge" sind um die 14, nicht Fleisch, nicht Fisch, nicht gebacken, nicht gebraten, oder alles auf einmal. Herrlich schlau, kindisch, wissend und ahnungslos, ein toller Lebenszeitpunkt. 
Kleines gutes Detail, einer der Feiernden, dem ersten Blick nach ein Junge, nahm seine Urkunde in Stöckelschuhen entgegen und wechselte dann in ein blaues Kleid, niemand starrte oder murmelte. Vor wenigen Jahren wäre das anders gewesen, oder? 
Zweites gutes Detail, nach stundenlangem Stehen und Laufen während der Feierlichkeiten schmerzte mein Hüfte wie blöde, man nähert sich eben nicht ungestraft den Sechzigern, aber dann habe ich zweieinhalb Stunden getanzt und weg war der Schmerz, ein Wunder!

REISE
Origlio im Tessin, Menaggio am Comer See, Verona, Bologna, Ferrara und Bergamo - eine kleine Tour durch Nord-Italien. Wie viele Ortsnamen man kennt, aus Stücken, von Malern und Rezepten. Bergomasker Tanz und Julias Balkon, Bolognese und Tasso. 
Erste Etappe: Berge und See, Wolken über den Bergen, davor, aus ihnen hervorwachsend, Dunst, Nebelschwaden, Nieselregen, Granitfelsen, laubbaumbewachsene Berghänge, Städte an Strassen ohne Bürgersteige, dafür zwischen den Häusern gußeiserne Gänge in Höhe des zweiten Stocks. Nirgends das strahlende Toscana-Rot, viel schweres Grau, zerlaufenes Gelb. Mehrmals täglich Überfälle von schwerem Jasminduft. Wir fahren im Zweisitzer Cabrio, Fiat Spider durch die Landschaft und fühlen uns wie Monica Vitti.

 Der See 1

  Der See 2

  Der See 3

Der See 4

 Ist der schön?

 An der Tür alte arabische Schriftzeichen

 Nicola ist gestorben. Er war 23.

 Jasmin im Übermaß



Mittwoch, 6. Juni 2018

Edward St Aubyn - Patrick Melrose

Keine Ahnung wie ich damals auf die Bücher gestoßen bin, wahrscheinlich durch eine Zeitungsnotiz, aber ich habe alle fünf verschlungen, obwohl ich Prosa sonst nicht mehr so viel lese, wie früher.
Ich kenne die deutsche Übersetzung nicht, der Mann schreibt sehr trocken, böse, knapp, schnell und feinst ziseliert und so britisch. Er erlaubt sich über alles Witze zu machen, weil es sonst nicht zu ertragen wäre. Und auch wenn sein Spielort der englische Hochadel ist, habe ich von anderen nicht-adligen ähnliche atemstockenmachende Geschichten über Mißbrauch, Drogenflucht, Schweigen und Wut gehört. 

Never Mind, Bad News, Some Hope, Mother's Milk, At Last - die Titel der Bücher.

Neulich wieder ein kleiner Artikel über die Verfilmung der Romane als fünfteilige Serie fürs Fernsehen, mit, und jetzt kommt der Clou, denn den hatte ich beim Lesen vorm inneren Auge, Benedict Cumberbatch. 

Läuft auf Sky und mit einem Skyticket kann man damit auf dem Computer für acht Euro zwei Monate lang Serien gucken bis zum Erblinden.

Vier Folgen hab ich jetzt gesehen. Hui! Eine Reise. Die Episoden unterscheiden sich sehr voneinander, wie eine Art Sinfonie. Schnell & laut, lyrisch & schmerzhaft, mit harten Wechseln, anschwellend.

Wie Cumberbatch im ersten Teil den Junkie bis an die Grenze des Grotesken treibt ist grandios. Das habe ich, wenn auch gröber, so nur von Leonardo Dicaprio im "Wolf of Wall Street" gesehen. 
https://www.youtube.com/watch?v=T6ZVI6Ljg2M
Das ist wahnsinnig komisch und trotzdem starrt man mit Schrecken, während sich der Titelheld erniedrigt und selbstverletzt bis zur Unerträglichkeit.
Im zweiten Teil, dem vielleicht bedrückendsten, die Geschichte des einstigen Kindes. Wo findet man so einen begabten Jungen, der mir in langen Großeinstellungen komplizierte und tragische Abläufe nur mit den Augen erzählt? Hugo Weaving, alias Mister Smith in der Matrix, ist ein angsteinflössender Bösewicht und Vater, Jennifer Jason-Leigh eine dauertrunkene, nur scheinbar anwesende Mutter.
Auf einer Dinnerparty im dritten Teil, Prinzess Margaret, aka Harriet Walter, als eingebildete, ignorante Kuh, die sich Kraft ihrer blaueen Blutsuppe alles erlauben kann. Herrlich.

Bald kommt Teil fünf!

B. Cumberbatch, der deutsche Regisseur Edward Berger und E. St. Aubyn auf einem Sofa sitzend. © The Times


Zitat von St. Aubyn aus dem Times Interview:
I’ve spent 25 years being asked if I’m Patrick Melrose,” he told the magazine. “So it’s a great deal of relief to be able to say, ‘No, Benedict Cumberbatch is.’

Montag, 4. Juni 2018

Was ist Sünde?

Was ist Sünde?
Da fragt mich ein alter, geliebter Freund tief in der Nacht:  
Was ist das für Dich, Sünde? 
Sünde?
Ein gewaltiges Wort, dass ich meist nur verniedlicht verwende. Ich sündige, wenn ich einen riesigen Eisbecher esse, zu viel trinke oder rauche. Petitessen.
Sünde?
Ich übersetze es mir mit 'Schaden zufügen', aber Wiki sagt: Der griechische Ausdruck
μαρτία (hamartia) des Neuen Testaments und das hebräische Wort chata’a oder chat'at (חַטָּאָה/חַטָּ֣את) des Tanach bedeuten Verfehlen eines Ziels – konkret und im übertragenen Sinn, also Verfehlung – und werden in deutschen Bibelübersetzungen mit Sünde wiedergegeben.
Es wird also, per definitionem, vorausgesetzt, wir wollen sündenfrei & rein sein und verfehlen unser Ziel, machen uns mancher Verfehlung schuldig. Wir verfehlen das Ziel um Haaresbreite, oder um Kilometer.
Nach der Auslegung des Tanach werden drei Formen der Sünde unterschieden:
Pesha oder Mered: Absichtlich begangene Sünde, in bewusster Auflehnung gegen Gott.
Avon: Emotional begangene Sünde, bewusst, aber nicht in Auflehnung gegen Gott.
Chet: Unbeabsichtigte Sünde
Boah! Ist das eine komplizierte Frage, besonders da ich als radikalisierter Atheist keinen gesicherten theologischen Rahmen für eine Antwort habe. Immer muß ich selber denken.
Ach, wär ich doch ein Huhn. Nee.
Die zehn Gebote helfen mir wenig. Eins bis drei, interessieren mich, da ungläubig, gar nicht. Die Sabbathruhe ist für mich eher eine gewerkschaftliche Frage. Ehre Deinen Vater und eine Mutter kommt auf die jeweiligen Personen an, meine waren ehrenwert. Du sollst nicht morden. Wenn jemand mein Stief-Kind verletzen würde, oder die Lieblingsnichte, fände ich es durchaus rechtens den Schuldigen mittels Gewalt zu strafen. Ehebrechen? Kompliziert. Das eine Mal wo es mir ernst war, habe ich nicht ehebrechen wollen. Nicht stehlen. Wenn die Not groß genug wäre, würde ich alles mitgehen lassen, was nicht niet und nagelfest wäre. Nicht falsch gegen meinen Nächsten aussagen, lügen? Manchmal notwendig, selten entschuldbar. Du sollst nicht nach dem Haus deines Nächsten verlangen. Du sollst nicht nach der Frau deines Nächsten verlangen, nach seinem Sklaven oder seiner Sklavin, seinem Rind oder seinem Esel oder nach irgendetwas, das deinem Nächsten gehört. Eigentumsfragen sind ein sehr kapitalistisches Problem, oder?
Der Mensch ist gar nicht gut
Drum hau ihn auf den Hut.
Hast du ihm auf dem Hut gehaun
Dann wird er vielleicht gut.
Denn für dieses Leben
Ist der Mensch nicht gut genug
Darum haut ihm eben
Ruhig auf den Hut!
b.b.
Sünde?
Ist das ein für mich relevantes Wort? 
Ja. 
Ich sündige, wenn ich unnötig hinter meinen eigenen grundsätzlichen Erwartungen zurückbleibe, weniger tue, als ich könnte, anderen gegenüber unachtsam bin oder mich vor notwendigen Auseinandersetzungen drücke. Wenn ich nicht einschreite, wenn es nötig ist, wenn mir meine Ruhe wichtiger ist, als eine nötige Reaktion, nur weil sie mir unangenehme, für mich unvorteilhafte Folgen hätte. 
Was ist das für Dich, Sünde?  
Das, was ich tue, von dem ich weiß, dass es falsch ist, dass es nicht dem entspricht, was anständig, nützlich, erforderlich wäre, dass ich tue, weil ich zu feig, zu schwach, zu faul, zu uninteressiert, zu gierig bin, um es zu unterlassen.
Ich weiß, was das Richtige ist, aber tue das Andere. 
Meine Ausreden klingen vielleicht überzeugend, sind aber nur Ausreden, Täuschungen, manchmal Selbsttäuschungen.
Wie leicht ich es mir in der Sünde gemütlich machen kann.
Auch etwas zu unterlassen, kann Sünde sein. Die Gründe siehe oben.

Was ist das für Dich, Sünde?
Den Anderen nicht mitbedenken? Ihn mißachten?
Ohne Not, wissentlich jemandem, auch mir selbst, Schaden zufügen?
Freundlichkeit, Verständnis, Hilfe unterlassen?
Nicht zuzuhören, wenn Zuhören Hilfe wäre?
Meine Mama hat mir, Gott sei Dank, wenige weise Sprüche mitgegeben. Aber einen entscheidenden: Was immer zwei, drei oder mehr Menschen miteinander tun, bei dem alle Beteiligten wissend & einverstanden sind, kann nicht Sünde sein.
Ergo: Einverständnis nicht erfragen. 
Wenn Mißbrauch, Folter, Psychose oder Dummheit nicht unsere Sinne abgestumpft haben, ist Sünde oft mit einem diffusen Gefühl von Scham verbunden.

Todsünde ist alles Böse, Schädliche das wir Kindern antun. Und Hochmut ist auch Todsünde. Anmaßung. „Wer zu Grunde gehen soll, der wird zuvor stolz; und Hochmut kommt vor dem Fall.“ (Spr 16,18 EU). Freiheit von Zweifel führt manchesmal zum Hochmut.
Mich selbst lieben, wie meinen Nächsten. Harte Arbeit. 




Sonntag, 3. Juni 2018

Ich wollte nicht ich wär ein Huhn

Ich wollt ich wär ein Huhn
oder wie es irgendein anderer Mann möglicherweise in Bezug auf das Dritten Reich formulierte: "Warum können wir nicht alle blond, blauäugig und blöd sein?"

Ich wollt, ich wär' ein Huhn
Ich hätt' nicht viel zu tun
Ich legte vormittags ein Ei
Und abends wär' ich frei

Mich lockte auf der Welt
Kein Ruhm mehr und kein Geld
Und fände ich das große Los
Dann fräße ich es bloß
Ich brauchte nie mehr ins Büro
Ich wäre dämlich, aber froh

Ich wollt, ich wär' ein Huhn
Ich hätt' nicht viel zu tun
Ich legte täglich nur ein Ei
Und sonntags auch mal zwei

Der Mann hats auf der Welt nicht leicht
Das Kämpfen ist sein Zweck
Und hat er endlich was erreicht
Nimmt's eine Frau ihm weg
Er lebt, wenn's hoch kommt, hundert Jahr
Und bringt's bei gutem Start
Und nur, wenn er sehr fleißig war
Zu einem Rauschebart
Musik: Peter Kreuder 
Text: Hans Fritz Beckmann

Ein schrecklicher Text zu einer ebenso schrecklichen Melodie. Der innige Wunsch nach Aufgabe jeder Verantwortung in harmloser Liedform.  
Dämlich aber froh.  
Ich kenne solche Leute, sie tun mir leid oder sie machen mir Angst, je nach Situation. Aber schlimmer sind die dämlichen, aber schlechtgelaunten, die die Ursache ihrer miesen unbedachten, unüberprüften Laune vor jedwede Türschwelle legen. Die Schuld an der eigenen Unzufriedenheit wird aggressiv weggestossen, blond, blauäugig und dumm schieben sie die Schuld an ihrem Unglück auf jeden, der nicht ihresgleichen ist.
"Da sehen sie es", sagt Heinrich bitter zu Riesenfeld. "Dadurch haben wir den Krieg verloren: Durch die Schlamperei der Intellektuellen und durch die Juden." "Und die Radfahrer." ergänzt Riesenfeld. "Wieso die Radfahrer?" fragt Heinrich erstaunt. "Wieso die Juden?" fragt Riesenfeld zurück.
Das Zitat ist übrigens nicht von Tucholsky, sondern aus Erich Maria Remarques Roman "Der Schwarze Obelisk".
Lied aus dem Film "Glückskinder" von 1936 gesungen von Willy Fritsch mit Lilian Harvey, Paul Kemp und Oskar Sima. Später haben die Comedian Harmonists es berühmt macht.

Freitag, 1. Juni 2018

Anti-Raucher-Bilder

Rauchen ist schlecht für die Gesundheit. Fakt. Das weiß ich und weiß jeder Raucher. 
Und wir rauchen trotzdem. Wir steigen auf "gesunde" Zigaretten um, ganz ohne Zusatzstoffe, mit einem gesunden Indianer auf der Schachtel, wir nippeln an Elektro-Ersatz-Stängeln rum, die aussehen wie schicke Asthmainhalatoren, wir kauen Nikotingummis und kleben ebensolche Pflaster, manche hören auf, gewinnen den Kampf und sehnen sich nur gelegentlich nach den alten, verrauchten verruchten Zeiten zurück.

Der Staat aber glaubt nicht an unsere Entscheidungsfähigkeit, er will uns mit "Clockwork Orange" ähnlichen Methoden das Rauchen verekeln. Noch kriegen wir keine Stäbchen in die Augen und es erklingt keine Beethoven Musik, noch gibt es nur Bilder und Sprüche auf den Zigarettenschachteln. Gräßliche Geschwüre, riesige Operationsnarben, schwarzverkümmerte Zähne. Iiiiiiiiiih. Im Bücherschrank des Vaters einer Kinderfreundin stand sein medizinisches Lexikon, und wir haben mit Vorliebe die Bilder von besonders abstoßenden Hautkrankheiten gesucht, angestarrt, um dann schreiend wegzurennen. Ich hab mir ein schönes blaues Zigarettenetui gekauft und fülle einfach um. 
Die kunstvoll in Positur gelegten Toten, Schlaganfallopfer und Trauernden finde ich eher niedlich. Wie die Babies deren Mutter sie zärtlich anqualmt.
Mein Liebling ist der in embryonaler Haltung zusammengekrümmte Mann, der dem begleitenden Spruch nach, so den Verlust seiner Potenz betrauert. Oder der Stehende, der verwundert bedrückt an sich herunterschaut. Ist gemein, aber als Frau kann ich wenigstens in diesem Punkt unbesorgt sein.
Nun gibt es ein neues Motiv, ein Unterkörper, der Form nach eher weiblich, mit einem riesigen Brandloch, da wo sich gemeinhin das Geschlechtsteil befindet. 
Was mag das Bild bedeuten? 
Rauchen läßt Vaginas explodieren? Das stimmt nicht, da bin ich sicher. Impotente rauchende Liebhaber hinterlassen Brandlöcher? Rauche nie im Bett, die Asche die herunterfällt, könnte Deine eigene sein? Oder ist es doch ein Abbild eines schlanken Mannes? Fühlt sich Impotenz an wie eine Leere. Das ist traurig



Siehst du die Gräber dort im Tal?
Das waren die Raucher von Reval.
Und siehst du die Gräber an anderen Orten?
Das waren die Raucher von anderen Sorten.
Und siehst du die Gräber dort in der Ferne?
Das waren welche, die rauchten so gerne.
Siehst du die Gräber hinterm Strauch? 
Das sind die Nichtraucher - Die sterben auch!

Donnerstag, 31. Mai 2018

Die Stadt & die Stadt von China Miéville

"We need fantasy to think the world, and to change it."
"Wir benötigen Phantasie, um die Welt zu denken, und zu ändern."
Marxism and Fantasy: An Introduction China Miéville

Ein Krimi? Ein phantastischer Roman? Eine Parabel? Der Autor hat mal gesagt, er will sich durch alle Genres schreiben.
Es gibt eine Tote, einen Kommissar, die Polizei, Verdächtige und Ermittlungen und Verfolgungsjagden, ganz wie es sich in einem Kriminalroman gehört. 
Irgendwo auf dem Balkan, zwei Städte, Besźel & Ul Qoma, oder eine geteilte Stadt? Sie existieren nebeneinander und ineinander. Die Kinder beider Seiten lernen früh, den anderen Teil und seine Bewohner nicht zu sehen. Im Englischen klingt das besser: to unsee, sie ungesehen machen. Sie laufen nebeneinander ohne sich wahrzunehmen. Sie blenden die Hälfte der Wirklichkeit aus.
Ein bisschen ist das wie ehemals in Ost-Berlin, der Westen war allüberall und doch nicht wirklich da. Als bei meiner Aufnahme in die FDJ an der Mauer plötzlich Flugblätter über dieselbe flogen, kamen sie wie aus dem Nichts. Unter meiner Kindheitsstrasse, der Friedrichstrasse, spürte man das Beben unsichtbarer, nicht bekannter U-Bahnen, der dortige S-Bahnhof hatte hinter einer undurchdringlichen Trennwand einen weiteren Bahnsteig. Straßen hörten urplötzlich auf. Und einmal hörte ich, wie eine West-Berliner Besucherin vor dem Tränenpalast ihrer Begleiterin zurief: " Bei uns hat nicht so geregnet." 
Ja, wir wurden kollektiv darauf gedrillt den westlichen Nachbarn unzusehen.

 China Miéville © Katie Cook

Zurück zum Roman - Wer die unsichtbare Grenze "überschreitet", durch falsch gucken oder gar körperlichen Grenzübergang, wird von the Breach gepackt und verschwindet. The breach = der Bruch, die Einbruchstelle, die Verfehlung, die Rechtsverletzung.
Das Tolle ist, dass der Schreiber der beunruhigenden Metaebene nie erlaubt, aufdringlich zu werden. Diese kafkaeske Welt wird beschrieben als Alltag, unangezweifelt und gewohnt. Und wie es ein anderer Leser beschreibt: "Das Geheimnisvolle darf geheimnisvoll bleiben." Am Ende, wenn der ernsthafte "Held" gegen Ende eine Verfehlung begeht, erschrickt es ihn so sehr wie mich.
Das BBC hat den Roman gerade verfilmt. Will ich sehen.
 
http://buchwurm.org/mie9ville-china-die-stadt-die-stadt-18010/

Montag, 28. Mai 2018

Nellys warmer Kartoffel-Spargel-Salat

Ein warmer Sommersalat, dem meine Lieblingsnichte erfunden hat, und der überaus einfach zuzubereiten ist und noch überaußer lecker schmeckt. Nelly ist ein unangestrengter Koch, da bin ich noch lange nicht. Und sie experimentiert gern. Wenn wir auf dem Lande zusammen kochen, verschwindet sie gelegentlich im Garten und bringt Kräuter und Blumen zum Würzen mit. Und sie ist eine großzügige Lehrerin. Gut für mich.

DIE ZUTATEN
Kartoffeln
Grüner Spargel
Tomaten
Hühner- oder Gemüsebrühe nach Gusto
Sahne oder 'Creme Fine zum Kochen'
Zitrone
Knoblauch, Salz, Pfeffer, Zucker, Curry und andere Gewürze nach Belieben

Die Mengen der Gemüse sollten etwa gleichgroß sein.

DIE ZUBEREITUNG
dauert etwa 25 Minuten.
Kartoffeln in kleinere Würfel schneiden und kochen wie üblich. Wenn das Wasser sprudelt Brühe, Salz, Knoblauchsalz, Pfeffer und was immer ihr mögt dazu, auf mittlerer Hitze weiterkochen lassen, bis sie fertig, aber noch bißfest sind.
Grünen Spargel in 1 cm Stücke schneiden und in einer Pfanne mit wenig Fett anbraten, salzen und einen Löffel Zucker zum karamelisieren dazu. Die Spitzen erst etwas später dazugeben.
Die Tomaten würfeln, den gebratenen Spargel drüber und zwei kleine Kellen des Kartoffelwassers dazu. Das restliche Kartoffekochwasser abgießen und die Kartoffeln in die Schüssel mit den anderen Zutaten kippen.
Creme Fine und Zitronensaft in "kreisförmiger Bewegung" in die Schüssel, das ganze vermischen und sogleich, noch lauwarm essen. Einen Löffel für die Sauce nicht vergessen!

Sonntag, 27. Mai 2018

Eine Glänzende, Glitzernde Demonstration

Wegen euch Arschmaden habe ich keinen freien Sonntag

Lange nicht mehr auf einer Demo gewesen. Die heute war gut. Die Kundgebung hab ich mir gespart, aber drei Stunden durch Berlin zu laufen, um die Anwesenheit von Widerspruch deutlich zu machen, ist nützlich verbrachte Zeit.

Wenn die Zahlen, die die Polizei geschätzt hat, stimmen, waren 5000 (fünftausend) Mitglieder und Unterstützer der AfD gekommen, um ihre politische Haltung zu vertreten, und im Gegenzug liefen, latschten, tanzten 25 000 (fünfundzwanzigtausend) Leute verschiedenster Couleur und Color, um deutlich zu machen, dass sie gänzlich anderer Meinung sind.

Ich war in der Menschenmenge mit den güldenen Fahnen. Viele Kinder, Jugendliche, junge Erwachsene, zu wenige aus meiner Altersgruppe. Warum? Zu faul? Zu träge? Zu müde? Bei der anderen Gruppe?

Manche meiner Mitläufer (hihihi) kamen direkt vom Feiern, andere hatten sich großartigst verkleidet. Es gab dekorierte Kinderwagen die Menge, kleine Engel, Einhörner, goldene Turbane, Pailtetten, Strass und viele glitzernde Schutzdecken als Hut, Rock, Schleife, Sonnenschirm, Augenbinde und Büstenhalter. Es wurde wenig geschrien und viel in der Sonne gelacht. Klar waren auch einige Menschen auf der Suche nach Randale dabei, aber nicht wirklich viele.

Seitlich liefen die Sammler von Pfandflaschen, auch die zufällig an der Strecke liegenden Kioske und Eisdielen haben gut Geschäft gemacht.

WIR SIND VIELE - JEDE*R EINZELNE VON UNS

Laufen ist gesund, nette Gesellschaft hatte ich, die Sonne hat geschienen. Und zumindest heute waren wir, so verschieden wir über Vieles denken mögen, doch weit mehr, als die anderen mit ihren einfachen, bösen Lösungen.

P.S. Könnten wir aufhören "Nazis raus!" zu skandieren, bitte? Wo raus, wo rein? Quatsch, leere Hülse, Dummzeug. 

P.P.S. Ich werde gerade von Bekannten darauf hingewiesen, dass meine Freude fehl am Platz ist, da eine solche Demo nur von den wirklichen Problemen, die unser Land hat, ablenkt. Tja.


Nur von hinten wegen der neuen Datenschutzbestimmungen

Mittwoch, 23. Mai 2018

Luchino Visconti - Die Verdammten oder Die Götterdämmerung

https://www.tagesspiegel.de/kultur/retrospektive-der-grosse-melancholiker-luchino-visconti-in-einer-berliner-retrospektive-/8392106.html

Ich sehe grauenhaftes, morbides, dekadentes, doch erschütternd schönes Verlöschen, während unbemerkt, ohne eines Momentes des Interesses wert zu sein, Millionen Menschen unbetrauert verrecken.
Schauspieler in ihrer ersten atemraubenden Blüte. Buchholz, Griem, Berger.
Visconti, der Sohn einer adligen italienischen Familie mit hunderten Jahren von Reichtum, Macht und Geschichte auf dem Buckel, versuchte, den Untergang seiner Art zu verfilmen. Das schaut sich an wie ein tragisches biologisches Experiment. Entschlossen kalt und verzweifelt zugleich.
Alle Akteure sind dem Untergang verfallen und reißen dabei Völker mit in den Abgrund, und es spielt keine Rolle für sie.

 ©dpa
http://www.news.de/promis/855534670/helmut-berger-helmut-berger-der-skandal-schauspieler-feiert-seinen-70-geburtstag/1/ 

Nur Aschenbach/Griem, ein Mann ohne Bindungen, ist agil, lebendig, ohne Skrupel, lebensfähig.
"Auf die Knie!"
Edgar Allen Poes "Der Untergang des Hauses Usher" bietet sich an zur begleitenden 
Lektüre.

http://gutenberg.spiegel.de/buch/der-untergang-des-hauses-usher-7205/2

Dienstag, 22. Mai 2018

Facebook ist ein eigen Ding

Facebook, bzw. mein persönliches Facebook. 
Ohne wirkliches Zutun meinerseits habe ich momentan 1600 Facebookfreunde. Die meisten kenne ich nicht im entferntesten persönlich. Ich poste meinen Blog, interessante Artikel, auch mal nur Quatsch, manchmal Fragen, sehr gelegentlich Meinungen, selten Provokationen.

Beginnen wir mit den guten Dingen: Ein Bekannter veröffentlicht interessante Bücher, Bilder, die ihn packen und Auszüge aus gutgeschriebenen SZ-Kritiken. Ein anderer wichtige aktuelle politische Artikel. Ich erfahre wo gerade interessante Inszenierungen laufen, Ausstellungen öffnen. Wenn ich verreise, wissen andere, wo es das beste Eis gibt, die schönste Kirche, das beste Hotel. Wenn ich neu auf ein Thema stoße, kann ich Anstöße bekommen, wo ich am besten beginne, mich zu informieren. bei 1600 Leuten ist fast jeder Beruf, jede Spezialisierung, jedes Hobby vertreten. Und sehr viele Menschen sind hilfsbereit und auskunftsfreudig.

Meine "Blase", die kleine Facebook-Gemeinde, deren Postings ich regelmäßig verfolge, ist dabei keineswegs heterogen. Ich lese Vieles, was mich erstaunt, erschrickt, aufregt. Gut so. Nicht gemütlich werden mit den eigenen Meinungen, zu begreifen, dass Widerspruch, andere, konträre Gedanken und Sichten Berechtigung haben, ist gut für mich.


Andererseits: Unser Umgangston bei Uneinigkeit ist schnell rau, oft hitzig, rasch unverhältnismässig abfällig und manchesmal geradezu verächtlich. Die Fähigkeit zu streiten ohne den Streitgegner, den, der eine von der unseren abweichende Meinung hat, ernst zu nehmen, mit ihm kommunizieren zu wollen, scheint mir auf Erbsengröße verkümmert. Selbst Freunde, die ich in der realen Welt liebe, hacken auf Facebook ohne erkennbaren Eigenzweifel auf Andersmeinende ein, als gälte es, die Welt zu retten, indem man eine harmlose, unsichere Gegenäußerungen auf Facebook in den Boden stampft. Die Wortwahl wird maßlos, die Vergleiche hinken übelst und Unterstellung ist die beliebteste Angriffswaffe. Das Dritte Reich ist dabei ein williger Bereitsteller von Vergleichsbildern oder, dass der andere Ossi ist oder Wessi, oder blind & blöd.

Wer von uns weiß die letzte, unumstößliche Wahrheit über den Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern? Wer kennt alle Ambivalenzen der #metoo Debatte? Merkel wird zum ultimaten Monster, Palästinenser zu aggressiven Halbmenschen. Keiner. Aber dennoch wissen wir uns im Besitz der einzigen wahren unbestreitbaren Wahrheit. 

Ich habe sie nicht, leider. Diese Gewißheit. Je älter ich werde und je mehr ich erfahre, desto unsicherer werde ich. Die Weltpolitik droht, mich zu überwältigen. 

Ich weiß, Trump ist ein egomanisches Arschloch, aber mehr als Halb-Amerika wählt ihn? Merkel ist CDU und sitzt alles aus, aber wer sollte es anstatt ihrer sein? Die Hamas ist ein übler Haufen, aber ist Israel deshalb schuldfrei? 

Gib mir die Fähigkeit und die Geduld andere Meinungen auszuhalten und doch zu wissen, wann ich mich ausklinken muß, grob werden sollte oder die Sperrung der Facebook-Seite verlange.