Mittwoch, 24. Mai 2017

Heiner Geißler CDU - Ein Mann, der dazulernt.

Ich gehöre keiner Partei an und gerate vor jeder anstehenden Wahl in einen Zustand akuter Verzweiflung, wenn ich mich wieder entscheiden soll, wen ich wähle. Nicht wählen zu gehen, ist ausgeschlossen, nachdem ich meine ersten dreissig Jahre in einer Diktatur ohne jede echte Wahlmöglichkeit zugebracht habe. Die Linke verbietet sich von selbst, solange sie die personellen und finanziellen, und damit ideologischen Reste der SED schützt und nutzt. Die Grünen? Ohne Vision, mehr und mehr lachhaft. Die FDP? Nö. Die SPD? Leider, leider nicht mehr. Schulz ist nur Kosmetik. Die AfD, NPD? Würg, kotz, brech. Die CDU/CSU geht gar nicht. Ich wähle zwischen Regen und Traufe, uninspiriert und widerwillig. Aber ich wähle, solang ich wählen kann.

Die früher erfolgreiche und richtige Parole Freiheit statt Sozialismus muß heute ersetzt werden durch: Solidarität statt Kapitalismus.
Heiner Geißler

 
Uns wenn ich auch nie der CDU/CSU meine eine Stimme geben werde, gibt es da bei mir eine überraschende private Zuneigung.

In jeder Sekunde werden auf der Welt Tausende von Menschen getötet, gefoltert und vergewaltigt. Wenn die Schreie dieser Menschen auf einmal zu hören wären, dann wäre dieser Schrei so furchtbar, dass er alles Leben auslöschen würde.
Heiner Geißler  
Zuerst aufgefallen ist er mir, wegen seiner tiefen senkrechten Wangenfalten, solche mag ich, und er hatte kluge Augen und ein Versprechen von Ernsthaftigkeit in der Stimme. Aber der Mann war CDU-Generalsekretär!
Das findet man selten, einen Politiker, der sich bemüht, glaubwürdig zu bleiben, Meinungen vertritt, auch mir unangenehme Meinungen, aber nicht auf ihnen beharrt, sie nicht wiederkäut bis zum jüngsten Tag, sondern Erfahrungen macht und sich und dann seine Haltung verändert. Der nach 'links' driftet, nicht aus taktischen Gründen oder Ideologie, sondern, weil er den realen Zustand der Welt nicht zu ignorieren vermag.

Frage: Die Frage nach der Gerechtigkeit Gottes ist uralt. Schon vor Jahrhunderten haben sich Theologen mit der Theodizee-Frage auseinandergesetzt. 
Heiner Geißler: Und doch erlebt jede Generation diesen Skandal neu.Die christliche Theologie weiß eine schöne Antwort: Gott hat sich in der Person des Jesus mit den Menschen total solidarisiert und sie dadurch erlöst und befreit. Aber was ist das für ein Gott, der uns auf der Frage sitzen lässt, warum er Schmerz und Leid überhaupt ermöglicht hat – nur um uns hinterher mit dem komplizierten Manöver eines von einer Jungfrau geborenen Sohnes davon wieder zu befreien?

http://www.zeit.de/2017/14/heiner-geissler-glauben-alter-interview 

Frage: Viele Theologen argumentieren mit dem freien Willen des Menschen.


Geißler: Das ist die blasphemischste Erfindung der Theologie, um das Elend dieser Welt zu erklären: Gott will von den Menschen geliebt werden und hat ihnen dafür den freien Willen gegeben. Was ist das für ein Gott, der in Kauf nimmt, dass es Auschwitz und Pol Pot gibt, damit er geliebt werden kann?

Der zitierte PSALM 118:

Dankt dem Herrn, denn er ist gütig, ja, seine Gnade währt ewiglich!
So soll denn Israel sprechen: Ja, seine Gnade währt ewiglich!
So soll denn das Haus Aaron sprechen: Ja, seine Gnade währt ewiglich!
So sollen denn, die den Herrn fürchten, sprechen: Ja, seine Gnade währt ewiglich!
Ich rief zum Herrn in meiner Not, der Herr antwortete mir und befreite mich. Der Herr ist für mich, ich fürchte mich nicht; was kann ein Mensch mir antun? Der Herr ist für mich, er kommt mir zu Hilfe, und ich werde meine Lust sehen an denen, die mich hassen. Besser ist's, bei dem Herrn Schutz zu suchen, als sich auf Menschen zu verlassen; besser ist's, bei dem Herrn Schutz zu suchen, als sich auf Fürsten zu verlassen! Alle Heiden haben mich umringt; im Namen des Herrn schlage ich sie! Sie haben mich umringt, ja, sie haben mich umringt; im Namen des Herrn schlage ich sie. Sie haben mich umringt wie Bienen; sie sind erloschen wie ein Dornenfeuer; im Namen des Herrn schlage ich sie. 
Du hast mich hart gestoßen, daß ich fallen sollte; aber der Herr half mir. Der Herr ist meine Stärke und mein Lied, und er wurde mir zum Heil. Stimmen des Jubels und des Heils ertönen in den Zelten der Gerechten: Die Rechte des Herrn hat den Sieg errungen! Die Rechte des Herrn ist erhöht, die Rechte des Herrn hat den Sieg errungen! Ich werde nicht sterben, sondern leben und die Taten des Herrn verkünden.
Der Herr hat mich wohl hart gezüchtigt; aber dem Tod hat er mich nicht preisgegeben.
Tut mir auf die Tore der Gerechtigkeit, daß ich durch sie einziehe und den Herrn preise!
Dies ist das Tor des Herrn; die Gerechten werden durch es eingehen.
Ich danke dir, denn du hast mich erhört und wurdest mein Heil!
Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, der ist zum Eckstein geworden;
vom Herrn ist das geschehen; es ist wunderbar in unseren Augen!
Dies ist der Tag, den der Herr gemacht hat; wir wollen uns freuen und fröhlich sein in ihm!
Ach, Herr, hilf! Ach, Herr, laß wohl gelingen!
Gepriesen sei der, welcher kommt im Namen des Herrn! Wir segnen euch vom Haus des Herrn aus.
Der Herr ist Gott, er hat uns Licht gegeben. Bindet das Festopfer mit Stricken an die Hörner des Altars!
Du bist mein Gott, ich will dich preisen! Mein Gott, ich will dich erheben!
Dankt dem Herrn, denn er ist gütig, ja, seine Gnade währt ewiglich! 



WIKI - Heiner Geißler

Freitag, 19. Mai 2017

Eine kleine jüdische Tragödie

Moische träumt davon, im Lotto zu gewinnen. An jedem Sabbat bittet er G'tt um einen Lottogewinn. An jedem Sabbat betet er in der Synagoge. "Herr, ich bitte Dich, laß mich im Lotto gewinnen!" 
Moische wird älter und fleht weiterhin an jedem Sabbat: " Herr, ich bitte Dich, laß mich im Lotto gewinnen!" 
Moische ist wirklich alt, seine Enkel fahren jetzt seinen Rollstuhl in die Synagoge aber sein Gebet ist immer noch dasselbe: "Herr, ich bitte Dich, laß mich im Lotto gewinnen!" 
Moische ist 98, er spricht sein übliches Gebet.
Donner, Blitz, das Dach der Synagoge wird gespalten, G'ttes Stimme erschallt: "Gib mir 'ne Chance, kauf Dir ein Los."


Donnerstag, 18. Mai 2017

Chris Dercon irrt sich, glaube ich.

Die Welt geht unter und Leute leben einfach weiter.

Frau Schmidt, Herr Krause und Frau Schulz gehen, wenn wir Glück haben, gern ins Theater. Ein kindheitsprägendes Weihnachtsmärchen hat sie gefangen. Ihr bürgerliches Umfeld verlangt es von ihnen. Sie haben eine empfängliche Seele. Sie wollten selbst Künstler werden. Sie suchen nach Verstehen.
Vielerlei Gründe bewegen Leute, und mich, dazu, ins Theater zu gehen und ihr Geld für Eintrittskarten auszugeben. Bevor sie zu uns kommen, haben sie bis 5 oder 6 Uhr gearbeitet. Sie sind wohlsituiert oder von Entlassung bedroht, verliebt oder in den letzten Zuckungen ihrer Ehe, sie verstehen die Welt nicht mehr oder wollen sie verändern.
Wir verdienen unser Geld als Schauspieler, Regisseure von Schauspielen oder technische Mitarbeiter von Theatern. Wir wollen diese Leute unterhalten, ablenken, verarschen, trösten, schlauer machen, irritieren, aufwecken, ergreifen, amüsieren, erzürnen oder belehren. Belehren? Wissen wir es wirklich besser? 
Herr Brecht hat von der "splendid isolation" des Zuschauers geträumt. Dem Zustand, in dem Frau Schmidt, Herr Krause und Frau Schulz im Theatersaal allein sind und ihre persönlichen Schlüsse ziehen. Sie wurden intellektuell herausgefordert oder emotional berührt, aber die Schlussfolgerungen liegen allein bei ihnen. 
Dies ist nur möglich, wenn sie für uns, die Theater Produzierenden, gemeinhin "Theatermacher" genannt, von Interesse sind. Schauspieler, egal ob tanzend, singend, sprechend oder gefilmt müssen komunizieren wollen. Sie müssen geschaut, gesehen werden. Es gibt uns nicht ohne Zuschauer.

Foto: dpa/Jörg Carstensen

Was mich bei den veröffentlichten Gesprächen mit Chris Dercon irritiert, ist, dass er so ungemein stolz scheint, ein Außenseiter zu sein. Weiß er nicht, dass wir alle Außenseiter sind? Alle einsam? Alle verwirrt. Nur nicht so eitel deswegen?
Ich brauche, dringend, Verständnis, Miteinander, Irritation. Ich will nicht wiedereinmal übervorteilt werden.
Chris Dercon Und Marietta Piepenbrock werden finanziert,  um sich, mit mir, dem Zuschauenden, zu unterhalten, darauf bestehe ich.

Volksbühne Berlin heißt sie jetzt. Rosa ist raus.

Der Spielplan der Volksbühne 17/18 wurde vorgestellt.
Auf der großen Bühne eine Beckett Trilogie, die international schon viele Jahre durch Europa tourt, kürzlich erst im Royal Court in London. Eine neue Produktion von Susan Kennedy und eine Übernahme von den Münchner Kammerspielen. Viel Tanz, einiges an Film, kein Ensemble. Sehr viel Ästhetik, wenig Politik.

Chris Dercon sagt in der ZEIT: Wir beginnen ganz elementar, in dem Sinne, dass wir die Fundamente der darstellenden Kunst noch einmal vor Augen führen, für uns selbst und für das Publikum. Also das Abc des Theaters: Stimme, Bewegung, Raum, Licht, Maske. Im opulenten Theater, an das man hier gewöhnt war, wurde ja sehr laut gesprochen. 
etwas weiter unten:
...
Dercon: London war immer die Hauptstadt des Kapitals. Die Folge ist eine Monokultur: Es gibt nur noch Starbucks. Auch Paris hat diese Probleme, wobei es dort immer noch einen Sinn für Luxus und Grandeur gibt. Die andere Seite, das Plebejische, der plebejische Tourismus in Barcelona, mit seinem Airbnb, auch davon kann man lernen. 
weiter unten:
...
ZEIT: Die klassische Konfrontation findet zwischen einer konservativen Obrigkeit und linker Kunst statt. Hier geht ironischerweise eine linke Stadtregierung gegen eine künstlerische Neuausrichtung vor. Sie gelten der Linkspartei und ihrem Kultursenator Klaus Lederer als neoliberal.

Dercon: Die beste Analyse dazu stammt von Diedrich Diederichsen. Er sagte in etwa: Plötzlich steht eine kosmopolitische oder globalisierte Kultur für "neoliberal", und gegen Chris Dercon und Okwui Enwezor regt sich eine Front, die mitunter Parallelen zu rechter, identitärer Politik hat.

In Der FAZ sprechen Chris Dercon und Marietta Piepenbrock:
Piekenbrock: Wir sehen uns nicht als soziales Labor. Wir haben nicht diese ganzen Konzepte von einem „Theater des Widerspruchs“, einem „Theater der Weltentwürfe“. Repräsentationskritik steht nicht ganz oben auf unserer Agenda.
Sind Sie weniger politisch?
Dercon: Nein. Unser Programm ist voller politischer Signale; sie sind nur nicht domestiziert durch irgendein Oberthema, durch das ich sie sofort navigieren kann. Wir interessieren uns aber für ideologische Motive und Phänomene, zum Beispiel die heilige Kommunion zwischen Alt-Linken und neuen Hipstern.

Chris Dercon in einem Interview mit m.dw.com
Wir wollen die unterschiedlichen Kunstsparten miteinander in Beziehung setzen. Das war mir in meinem ganzen Leben wichtig, auch im Museum. Aber erst jetzt im Theater kann ich das nachhaltig gestalten. Zum Beispiel: Ein Tänzer spricht, ein Filmemacher macht Licht für die Bühne. Oder man versucht, Beckett zu kombinieren mit Arbeiten von Tino Sehgal. 
...
Haben Sie noch einmal Lust, den Faust zu sehen, das letzte Stück Ihres Vorgängers Frank Castorf, bevor es abgesetzt wird?
Nein, denn es handelt von mir. 

Sonntag, 14. Mai 2017

Leberwurst ohne Fleisch ist Unsinn und falsch. 

Leberwurst ohne Fleisch. Dosenfisch aus dem Glas. Salziger Zucker. Hühnchen von der Ente. Unsinn.
Ich verstehe jeden, der aus moralischen oder geschmacklichen oder politischen Gründen das Essen von Fleisch ablehnt. Ich wünschte, ich wäre so stark. Veganer, Fruktarier, Paläo-Diätler, jeder wie er mag. Obwohl ich zugegebenermaßen sehr über den Spruch eines Freundes gelacht habe - "Nichts, was eine kleine Hungersnot nicht regeln würde." Trotzdem jeder wie er es mag, was er mag, solange dabei keine sehr kleinen Kinder gebraten werden.
Aber dann bitte auch genau bleiben. Formfleisch ist kein Fleisch, obwohl Fleischreste drin sind. Leberwurst ohne Leber & Schweinefleisch ist keine Leberwurst, höchstens Geflügelleberwurst. Majoran, Salz, Pfeffer, Petersilie, eine Zwiebel, eine Dose Kidney Bohnen und 150g Räuchertofu, Olivenöl, wie es ein Rezept zur Herstellung vegetarischer Leberwurst vorgibt, verwandeln sich verarbeitet nicht in Leberwurst, sondern in etwas möglicherweise Eßbares, das schmierbar ist. Leberwurstähnliche Bohnen & Tofucreme?
Gute Leberwurst, auch unter anderem Namen, schmeckt wunderbar fleischig, wohingegen Bohnen & Tofucreme, wie schmackhaft auch immer, nicht nach Fleisch schmecken kann.
Eine Rose ist eine Rose ist eine Rose schrieb Gertrud Stein. 

Namen sind wichtig, am Anfang war das Wort, oder? Shakespeare hat es anders, aber auch schön gesagt: A rose by any other name would smell as sweet - eine Rose, auch wenn sie anders genannt wird, würde genauso lieblich duften, aber der stinkende Gänsefuss riecht auch dann nicht rosig, wenn wir ihn Rose nennen.

 Dies ist keine Pfeife - Magritte
Als ich sagte.
Eine Rose ist eine Rose ist eine Rose ist eine Rose.
Und als ich das dann später zu einem Ring gemacht hatte, machte ich Poesie, und was tat ich, ich liebkoste, liebkoste ganz und gar und wandte mich an ein Hauptwort.

Gertrud Stein

Im Osten mangelte es an teuren Mandeln, also gab es statt Marzipan Persipan oder Resipan (Maisgrieß mit Zucker und Aroma), dann wegen Maismangels Nakapan (Kartoffelgrieß mit Zucker und Aroma).

DER SPIEGEL im April 1991: Geheimsache Süßtafel - Mit billigen Ersatzstoffen ließ die DDR-Führung teure Import-Lebensmittel nachahmen - jetzt wurden die geheimen Rezepte bekannt.

http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13490070.html

WELT24 2009: Viele verschnittene Lebensmittel sind Klassiker

https://www.welt.de/wissenschaft/article4155486/Viele-verschnittene-Lebensmittel-sind-Klassiker.html 

Samstag, 13. Mai 2017

Hallendes Gelächter

Ein Mann namens Infantino, o ihr Götter, so einen Namen kann sich keiner ausdenken, Präsident, wirft abrupt die beiden beiden Vorsitzenden des lästigen Fifa-Ethikkomitees raus, die die Korruption innerhalb der FIFA untersuchten und unter anderem seinen Förderer und Vorgänger Sepp Blatter des Amtes verwiesen.
http://www.sueddeutsche.de/sport/fifa-die-absetzung-war-ausschliesslich-politisch-motiviert-1.3498816 
Ein Mann namens Trump, Präsident, der Name passt auch irgendwie, schmeißt den Chef seiner nationalen Sicherheitsbehörde raus, den er noch vor nicht allzu langer Zeit lobte, weil der nun die Beziehungen von Trump Mitarbeitern zu russischen Politikern zu eifrig erforschte.
http://www.sueddeutsche.de/politik/entlassung-von-fbi-chef-comey-trump-warnt-comey-davor-informationen-an-die-medien-weiterzugeben-1.3503204 
Ein Mann namens Erdogan, Präsident, verhaftet links und rechts viele und jeden, wegen der Beteiligung an einem Putsch, über den nichts wirklich Sicheres bekannt ist und plant auch die Wiedereinführung der Todesstrafe für sein Land. 
http://www.sueddeutsche.de/news/politik/verfassung-erdogan-stellt-nach-referendum-sieg-todesstrafe-in-aussicht-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-170415-99-79190 
Ein Mann namens Mike Pence, Vizepräsident, meint, Darwins Evolutionstheorie, wie es der Name ja zeigte, sei nur eine Theorie unter vielen, und verlangt vor dem US-Senat, dass auch andere Theorien in Schulen gelehrt werden müssen. Ein Wort zwei Bedeutungen, zuviel für ein Gehirn.
http://www.mdr.de/wissen/trump-und-die-wissenschaft-100.html
Ein Mann namens... und einige Frauen auch.
Wir ängstigen uns vor dem Rückfall ins Mittelalter durch den Terror fundamentalistischer Islamisten und zeitgleich franst uns unsere eigene demokratische Ordnung, in den Wehen der Aufklärung gezeugt, mehr und mehr aus. Was ist wahr, was ist Lüge, was "fake news", was Behauptung, was Tatsache? Wer kann hier noch sicher unterscheiden? 
Grundsätzliches Vertrauen ist erschüttert.
Nach 1989 war bei mir so eine unwissende Vorfreude auf Demokratie, nun würde ich zwischen verschiedenen Möglichkeiten, die mir als die beste erscheinende, wählen können. Jetzt, nicht einmal dreissig Jahre später, stehe ich mit meinem Wahlzettel in der Hand und wähle die am wenigsten blöde Variante. 
Und dabei lebe ich auf einer kleinen mitteleuropäischen Insel der Seligen, meine Probleme sind also nur Harmlosigkeiten.
Weil eine Gruppe von Männern, die sich Boko Haram (aka Bücher sind Sünde) nennt, Nigeria in Angst und Schrecken versetzen und gleichzitig der Staat Nigeria Homosexualität unter hohe Strafen stellt. 
Wiki sagt: Eine Gefängnisstrafe ist im Höchstmaß bis zu 14 Jahren möglich. In zwölf nördlichen Bundesstaaten wird strafverschärfend das islamische Recht der Schari’a angewandt. In diesen nördlichen Bundesstaaten kann die Todesstrafe durch Steinigung drohen.
Weil Israel und seine vielen Feinde in versteinertem Hass gegeneinander rasen.
Weil Allah das eine will und G'tt das andere und Gott noch was anderes, und wir ernsthaft dabei sind uns gegenseitig an die Kehle zu gehen, weil nicht beweisbare unsichtbare Wesen es so von uns verlangen. Aber auch weil es außer unserem demokratisch schlecht verbrämten Kapitalismus hier und jetzt scheinbar keine Ordnung gibt, in der man ohne akute Todesangst leben kann.

Jakob Michael Reinhold Lenz

DAS VERTRAUEN AUF GOTT


Ich weiß nichts von Angst und Sorgen,

Denn, erwach' ich jeden Morgen,

Seh' ich, daß mein Gott noch lebt,

Der die ganze Welt belebt.


Dem hab' ich mich übergeben,

Er mag auf mich Achtung geben,

Er ist Vater, ich das Kind,

Meinem Vater folg' ich blind.


Ich bins so gewohnt von Langem,

Unverrückt an ihm zu hangen.

Wo ich bin, da ist auch er,

Wenn es auch bei'm Teufel wär'.


Toben Stürme, Unglücks-Wellen,

Wenn die Feinde noch so bellen,

Bin ich ruhig, denn mein Gott

Half mir noch aus aller Noth.


Und wenn auch die Noth am größten,

Eben recht, so dient's am besten:

Wenn die Wege wunderlich,

Gehn sie immer seliglich.


Wenn du willst an Ihm verzagen,

Dich mit eitlen Sorgen plagen,

Ei so sag' nicht, daß du bist

Gotteskind, ein wahrer Christ.


Der aus Nichts die Welten machte

Unser Gott im Himmel sagte:

Ruf' mich an, so führ' ich dich,

Helf' dir, und errette dich.


Gott hat Jesum uns gegeben,

Daß wir möchten durch Ihn leben:

Jesum, Seinen lieben Sohn,

Sandte Er vom Himmelsthron.


Er ist unser Fürst geworden,

Er soll helfen aller Orten,

Denen, die sich Seiner freu'n,

Und ihr Herz der Liebe weih'n.


Wird denn Der dich lassen sterben,

Der dich hat gesetzt zum Erben?

Der für dich geschmeckt den Tod?

Gott bleibt immer Gott, dein Gott!


Hoffe nun, steh' fest im Glauben,

Laß dir nichts die Hoffnung rauben;

Ließe dich dein Fürst in Noth,

Würd' Er selbst der Feinde Spott.

THEORIE
Substantiv [die]
1. ein abstraktes wissenschaftliches Modell/Konzept, das einen Ausschnitt der Wirklichkeit zu erklären versucht.
2. eine Denkweise, die Probleme nur gedanklich, ohne Einbeziehung der Praxis zu lösen versucht.



VERTRAUEN
ist in psychologisch-­persönlichkeits­theoretischer Perspektive definiert als subjektive Überzeugung von der (oder auch als Gefühl für oder Glaube an die) Richtigkeit, Wahrheit bzw. Redlichkeit von Personen, von Handlungen, Einsichten und Aussagen eines anderen oder von sich selbst (Selbstvertrauen).

Dienstag, 9. Mai 2017

Meine momentane Obsession

Vorrausgeschickt: Ich bin Atheist. Gott sei Dank.

Ich habe lange darüber nachgedacht. Ich will ja, wenn es möglich wäre, auch gerettet werden, aber habe leider keinen einleuchtenden Beweis, keinen greifbaren Anlass, keinen verständlichen Grund gefunden, der mir Gott, den einen, höchsten, allmächtigen, glaubwürdig machen konnte. 
Selbst wenn ich mich heftigst bemühe, kann ich mein "gottgeschenktes" Gehirn nicht davon überzeugen, dass es Gott braucht.

Und, und hier schließe ich mich Stephen Fry an, wenn es denn, wider alle Vernunft, einen Gott geben sollte, der auch noch, unwahrscheinlicherweise, der Gott unseres Alten Testaments wäre, würde ich ihn nicht lieben können.

 
Erstens: Warum sollte dieser eine Gott existieren und all die tausenden anderen, von anderen Menschen, zu anderen Zeiten, angebeteten, nicht? Was ist mit Zeus, mit Zaratustra, mit Buddha etc.? Hat dieser eine, wirklich seinen Sohn gezeugt, um ihn am Kreuz, einem schauerlichen Tod zu opfern, damit wir an ihn glauben können?

Zweitens: Gott? So heißt er? Das wäre als hieße ich Mensch. Gott ist kein Eigenname, sondern Oberbegriff für alle übernatürliche Wesen. So als würde ich mein Kind Kind nennen. Er hat keinen Namen. Er okkupiert eine Gattungsbezeichnung. Ich, Frau. Du, Mann. ER, Gott.

Drittens: Würde es irgendetwas ändern, wenn es ihn gäbe? Würden dann weniger Kinder sterben?

Viertens: Ein Schöpfer, der seinen Geschöpfen keinerlei Respekt entgegenbringt, lehne ich ab.

Gegen Stephen Fry wird in Irland gerade wegen Blasphemie ermittelt. 

Vor einiger Zeit erdreistete sich der britische Schauspieler und Autor, Stephen Fry, in aller Öffentlichkeit Gott zu lästern. Menschen übersehen, dass sich Gott nicht spotten lässt. Nicht ungestraft! http://www.bibelpraxis.de/index.php?article.2777

In Irland gilt seit 2009 ein Gesetz, wonach sich schuldig macht, wer "etwas veröffentlicht oder äußert, das extrem ausfallend oder beleidigend gegenüber Dingen ist, die von einer Religion als heilig betrachtet werden". Blasphemische Äußerungen können demnach mit einer Geldstrafe von bis zu 25.000 Euro geahndet werden. (Deutschlandfunk)

In einer Fernsehsendung des öffentlich-rechtlichen irischen Fernsehsenders RTÉ One im Februar 2015 "The Meaning of Life" ("Der Sinn des Lebens") stellte der Moderator Gay Byrne seinem atheistischen Gast Stephen Fry die Frage, was er denn tun würde, falls er nach seinem Tod doch unerwarteterweise vor der Himmelspforte stünde und den Herrgott träfe. Fry antwortete:
"Ich würde sagen: Knochenkrebs bei Kindern? Was soll das denn bitte? Wie kannst du es wagen! Wie kannst du es wagen, eine Welt zu schaffen, in der es so viel Elend gibt, das wir nicht verschuldet haben? Das ist nicht in Ordnung! Das ist durch und durch böse. Warum sollte ich einen launischen, bösartigen, dummen Gott respektieren, der eine Welt erschaffen hat, die voll Ungerechtigkeit und Schmerz ist? Das ist das, was ich sagen würde."
Der sichtlich erschütterte Moderator fragte Fry daraufhin, ob er glaube, dass er auf diese Weise von Gott in den Himmel gelassen würde.
"Nein, aber das würde ich auch gar nicht wollen", erwiderte Fry. "Zu seinen Bedingungen will ich da nicht rein. Sie sind falsch. Wenn ich sterbe and es wären Pluto oder Hades oder die griechischen Götter da oben, dann wäre das schon etwas anderes. Denn die griechischen Götter haben nicht so getan, als wären sie nicht menschlich, was ihre Gelüste, ihre Launen und ihre Unvernunft betraf. Sie taten nicht so, als seien sie allsehend, allwissend, allgütig. Denn der Gott, der dieses Universum geschaffen hat – falls es von einem Gott geschaffen wurde – ist ziemlich eindeutig ein Wahnsinniger. Ein komplett Wahnsinniger. Völlig egoistisch. Wir sollen unser Leben auf den Knien verbringen, um ihm zu danken? Was für ein Gott würde das verlangen? Ja, die Welt ist großartig! Aber es gibt darin auch Insekten, deren gesamter Lebenszyklus darauf basiert, dass sie sich in die Augen von Kindern graben und sie erblinden lassen. Sie fressen sich vom Inneren der Augen nach außen. Warum? Warum hast du uns das gegeben? Du hättest leicht eine Schöpfung machen können, in der sowas nicht existiert. Das ist einfach nicht akzeptabel! Beim Atheismus geht es nicht nur darum, nicht daran zu glauben, dass es einen Gott gibt. Angenommen es gibt einen Gott, was für ein Gott ist er dann? Das liegt doch klar auf der Hand: Er ist ein Monster, ein komplettes Monster, und verdient keinerlei Respekt welcher Art auch immer. In dem Moment, in dem man ihn aus seinem Leben vertreibt, wird das Leben einfacher, echter, reiner und ist es meiner Meinung nach mehr wert, gelebt zu werden."
https://hpd.de/artikel/warum-sollte-ich-einen-launischen-boesartigen-dummen-gott-respektieren-13015

Montag, 8. Mai 2017

Das achte Leben (Für Brilka) - Bin ich ein ekelhafter Theatermuffel?

Fünf Stunden Theater. Jette Steckel hat sie inszeniert. Und sie versteht ihr Handwerk. Tolle, wagemutige Schauspieler. Eine große, fast zu große, ein schreckensvolles Jahrhundert umfassende, Geschichte. Eine gewaltige Romanadaption.

Nino Haratischwili wollte über ihre Jugend im Tiblissi der 90er schreiben, bemerkte, dass sie weiter zurückgehen mußte, um zu einem Verstehen zu kommen, und dann arbeitete sie sich über die 70er und 80er bis zur Großen Revolution des russischen Nachbarn zurück. "Der Roman ist kein Geschichtsbuch, sondern eine Subjektive von Geschichten, eine Perspektive aus der Gegenwart." (N.H.)

Das Thalia-Theater in Hamburg ist am Sonntag bei, wie gesagt, fünf Stunden Spielzeit, mit 1000 verfügbaren Plätzen, ausverkauft. Großartig. Der Abend wird geliebt. Alt und Jung mischen sich nahezu ausgewogen im Saal.

Ich schaue, geniesse, bin aufmerksam, ermüde nicht, bis, ja bis, ich kurz vor Schluß rausgehe.

Mir werden Leidensgeschichten erzählt, wunderbar erzählt, besungen, gespielt, aber irgendwann ist mein Reservoir an Mitleid aufgebraucht. Mein Hirn ist nicht gefragt und mein Herz erkühlt. Was ist das nur mit mir und meinem Geiz beim Mitgefühl? Ist es meine Zonenprägung, die nach politischem Überbau verlangt? Ich lasse mich nur zögerlich emotional vereinnahmen und werde widerspenstig, wenn ich den Eindruck habe, dass mein willigen Gefühle, ohne Nutzen, ausgebeutet werden.

Wenn ich vom Erschrecken überrascht werde, wenn eine Geste mir den Hals zuschnürt, wenn eine unerwartete Wendung mir in den Magen fährt, bin ich hilflos begeistert. Aber fünf Stunden großes Unglück ohne harte Widersprüche, dialektische Brüche, ökonomische Zwänge und Einbeziehung der Weltlage machen aus mir eine widerspenstige, störrische Ziege. Richard III, Arturo Ui, Der Goldene Drache, etc. - hochpolitisch und analytisch.

Ich spüre, dies ist meine unbeweisbare Vermutung, eine Abneigung gegen das Denken in diesem wunderbar choreographierten Mammutwerk.

Ich weine bei Videoclips mit kleinen Hunden und jedwedem Filmmaterial von hungernden Kindern, aber werde ich dadurch in Schwierigkeiten mit meiner mir imanenten Trägheit gebracht? Nein. Mitleid ist billig zu haben. Denken ist sexy, aber anstrengend.

Wiki sagt: Unter Denken werden alle Vorgänge zusammengefasst, die aus einer inneren Beschäftigung mit Vorstellungen, Erinnerungen und Begriffen eine Erkenntnis zu formen versuchen.

GEORGIEN

https://de.wikipedia.org/wiki/Georgien

Georgien suchte immer wieder den Kontakt zu Europa, nur das war zu weit weg, da wurde es halt der große Nachbar. Er wiederum annektierte das kleine Land am Schwarzen Meer zweimal, 1801 und 1921.

Samstag, 6. Mai 2017

Ach, manchmal werde ich so gern unterhalten!

Dank an Dirk Audehm, Fräulein Schneider (aka Alex Semann) und Engelbert Herzog.
Gelegentlich vergesse ich zwischen nachtkritiks Streitereien, Stegemann Verrissen, Verdi kontra Neuorientierung der Ensembles, Dercon versus Castorf,  postdramatischen Diskursen, eigener lebenslänglicher  Verunsicherung und nun auch noch Ostermeier am Broadway, dass ich gern unterhalte, mich auch gern vergnüge, beziehungsweise vergnügen lasse. 
Gestern ein kleiner Liederabend, "Sch...Liebe". 
Drei Menschen auf der Bühne, einer nahezu stumm, die beiden anderen singen, was sie lieben. Gar nicht die Art Lieder, die ich sonst anhöre, ganz und gar nicht. Aber sie singen und spielen mit Inbrunst und Können.
Inbrunst, „innere Leidenschaft", ist eine Zusammensetzung aus → in „innen“ und Brunst als Ableitung von → brennen in der Bedeutung „Brennendes, Loderndes“. (wissen.de)  
Ich verlasse den Saal nach zwei Stunden mit einem entspannten Lächeln um den Mund und guter Laune. Bin ich nun übel ausgetrickst worden oder haben die Herren mir nur erlaubt, mein Leben vergnügter zu betrachen?
Heute Abend wurde für mich geschwitzt. Die Darsteller begehrten, mich zu unterhalten, ohne Arg, ohne ironische Selbstabsicherung, mit Chuzpe. Ein kleiner Saal, 50 oder 60 Zuschauer, wir haben alle am Ende mitgesungen und versprochen, nach der dritten Zugabe, zwar weiter zu summen aber nicht mehr zu klatschen.

Die meisten von uns reisen so durchs Land und verkaufen unsere Fähigkeiten für Miete, Zigaretten, Marmeladenbrötchen, dass heisst aber nicht, dass wir nicht brennen, für das, was wir tun. 

Ein kurzer Moment von Pathos und schnell weiter zu den "Guardians of the Galaxy".

Ein Amerikaner mit Vaterproblem, ein Grünhäutige Schwertkämpferin mit Schwesterproblem, ein tätowierter Gigant mit Trauerproblem, ein Waschbär mit Bindungsproblem und ein Baumstämmchen mit Verständigungsproblem retten das Universum aus den Klauen von Kurt Russell, einem exzellenten Bösewicht mit zu perfekt gegelter Frisur. Der Siebziger Jahre Soundtrack untermalt irrwitzige Effekt-Schlachten und schnell abgefeuerte Dialoge.
Warum amüsiere ich mich? Warum? 
All die Superheldenfilme, die ich mit meiner Mutter über die Jahre geschaut habe, Thor und Iron Man und Captain America, um nur Marvels Paket zu nennen, werden hier verstückwerkt, ums dreifache verdreht und in den Irrsinn geschickt. Wie der hochgeschätzte Kollege Shakespeare sagte: "Ist dies schon Wahnsinn, so hat es doch Methode." 


Im zarten Alter von 11 Jahren sah ich eine Dokumentation "Erinnerungen an die Zukunft" über Erich von Dänikens Buch gleichen Namens und war tief beeindruckt. Wie gerade dieser Film den Weg in die Kinos der DDR fand, wird wohl ewig ein Rätsel bleiben. Aliens hätten die Erde besucht unsere Entwicklung beeinflußt und wären wieder weggeflogen. Robert Charrouxs Bücher verstärkten meine Obsession.
Bis zum heutigen Tag glaube ich, die ich nicht an Gott glaube, dass unser Universum noch unzählige andere Zivilisationen beherbergt. Ich glaube daran, nicht weil ich hoffe, dass höherentwickelte Rassen uns retten werden, sondern weil ich mir sicher bin, dass eine der vielen möglichen Varianten von Erfolg gekrönt sein wird. Weil ich hoffen möchte, dass auch Methan-atmende Wesen und andere, die auf Silicium basieren, wasseratmende und solche wie wir, die Sauerstoff benötigen einen Weg zur Koexistenz finden. Wie lächerlich werden uns dann unsere dämlichen Vorurteile gegenüber bloß andersfarbigen Sauerstoffatmern erscheinen.

https://www.youtube.com/watch?v=BEPbXYzE5_Y

Aischylos wollte im Athener Dramenwettbewerb gewinnen, Shakespeare brauchte zum Überleben ein volles Globe Theater, Moliere litt Hunger, wenn seine Stücke nicht ankamen. Gibt es eine Verbindung zwischen unbedingtem Erfolgswillen und Kunst? Ich weiß es nicht. Aber von einer Gesellschaft zu erwarten, dass sie ihre Verächtlichmachung finanziert, scheint mir kindlich.

http://www.tagesspiegel.de/kultur/berliner-theaterregisseur-ersan-mondtag-ich-wuerde-gern-die-schaubuehne-uebernehmen/19757608.html 

Montag, 1. Mai 2017

Doping in der DDR

Es gibt so Vieles, das wir nicht gerne wahrnehmen wollen. 
Doping in der DDR. 
Kindern werden ohne Einverständnis Chemikalien, Hormone und wer weiß noch was alles eingeführt. Die Nachfolgeschäden sind krass.  Körperlich und seelisch.
Die Trainer, die Ärzte, die Täter waren damals allmächtig. Sie mißbrauchten, psychisch und in vielen Fällen auch sexuell. Und bis heute bleiben sie meist unangreifbar. Diese Täter wurden nutzbringend in neue Wirkungsfelder integriert und sind als Mitwirkende des modernen Sportestablishments geschützt. 
Die Opfer, als Kinder in Abhängigheitsverhältnissen gehalten, gewinnen wollend und keinen Widerstand wagend, finden sich heute hin- und hergerissen zwischen realer körperlicher und seelischer Not und alten starken Dankbarkeitsmustern, in Widersprüchen, die ihre geschundenen Körper und schutzlosen Seelen schlecht aushalten.  

http://srv.deutschlandradio.de/themes/dradio/script/aod/index.html?audioMode=3&audioID=542264&state=

Sonntag, 30. April 2017

Ein feiner Sonntag in Berlin

350 Galerien öffnen ihre Türen für drei Tage, ein langes Wochenende lang, in Mitte, in Kreuzberg, in Charlottenburg und auf der Potsdamer Straße - ich war nur in zehn davon und nur in Mitte. Ich bin Lokalpatriot. Der Tag war kühl und sonnig, das was Berliner Kniestrumpfwetter nennen. Im Gropiusbau zeigt Jürgen Teller sehr viele Teller und Menschen mit Tellern und Bilder seiner Mutter und gekritzelte Notizen und ein tolles dreidimensional wirkendes Waldbild. Enjoy your life! Ich bleibe kühl wie das Wetter und nicht so sonnig.
Daniel Richter bietet politische Plakate, die er an John Heartfield anlehnt, die sich mir aber nur partiell erschließen und er kuratiert im Erdgeschoß eine Ausstellung von Jack Bilbo, aka Hugo Cyrill Kulp Baruch; geboren am 13. April 1907 in Berlin; gestorben am 19. Dezember 1967 ebenda. Kneipier, Antifaschist, Maler, Reisender, Fliehender und Lebemann.

TAZ-Artikel zu Jack Bilbo 

Anekdotisches zum Liebermann Haus am Pariser Platz:
Der nach seinen eigenen Worten "eingefleischte Jude", aufrechte Liberale und Berliner Großbürger Max Liebermann war ein selbstbewusster Hausherr. Zwei Mal musste er seinen Besitz gegen die allerhöchste Stelle verteidigen - gegen Kaiser Wilhelm II. Gleich nach dem Einzug gab Liebermann beim Berliner Architekten Hans Grisebach den Entwurf eines Ateliers im Dachgeschoss in Auftrag. Der Maler wollte am Pariser Platz nicht nur mit seiner Frau Martha und seiner Tochter Käthe leben, sondern dort auch arbeiteten. Aber der Kaiser fand den gläsernen Aufbau, den Grisebach als Oberlicht für das Dachatelier entwarf, "scheußlich". Erst nach einem vierjährigen Behördenmarathon konnte Liebermann das Atelier beziehen. Tagesspiegel 29.03.2000

 Jack Bilbo

Danach einmal die Linienstrasse herauf und die Auguststrasse herunter, in jedem Kellerloch, einst sicher die Werkstatt eines ostjüdischen Schusters oder Flickschneiders, hängt Kunst, oder was sich dafür ausgibt. Viele junge Leute, uniform individuell bekleidet und dazwischen reiche ältere Sammler, deren chauffeurbetriebenen Automobile mit laufenden Motoren auf ihre nach frischer Beute suchenden Besitzer warten.
In der Gallerie Rasche Ripken in der Linienstrasse 148 Rik de Bo und Hein Spellmann, der eine malt, immer im gleichen Format, Fenster, hypnotisierend, der andere photographiert Häuserfronten und klebt die Photos auf konvexe Formen. Sehr viel traurige Orte von außen. In einer anderen Gallerie Polixeni Papapetrou, eine australische Griechin, die erleidende Figuren in Camouflage in Landschaften stellt. Was für ein Name.


Und dann noch Luca Lanzi, gequälte, böse Kinder und verwischte Spielzeuge.



Dazwischen Kunsthandwerk und pretentiöser Quatsch, aber auch die Islandbilder von Michael Najjar.  
Michael Najjar verfolgt Naturphänomene wie den Klimawandel und führt uns dessen Brisanz in großformatigen Fotokompositionen vor Augen. Neue Aufnahmen von Spalten und Eishöhlen des Breidamerkurjökull-Gletschers in Island, der sich jährlich bis zu 100 Meter zurückzieht, kombiniert er mit Satellitenbildern desselben Gletschers und verdeutlicht so seine Vergänglichkeit. Zugleich nimmt er Bezug auf das Werk Alfred Ehrhardts, der genau am selben Ort bereits 1938 die Gletscherlandschaft dokumentierte. 
art das kunstmagazin

 
Ein feiner Sonntag, der durch meine kluge Freundin und einen Eisbecher mit Sahne und Würstchen mit Senf vervollkommnet wurde.
Danach zurück an den Computer und in die Bibel. Mein Leben ist wahrhaft voller Kontraste. Schön.