Der Ball im Savoy eine Operette in zwei Akten von Paul Abraham habe ich heute Abend in der Komischen Oper gesehen, drei und eine halbe Stunde, von denen ich vielleicht eine halbe Stunde hätte missen können. Der Regisseur liebt seine Tänzer, was ihn ehrt, aber das harte "kill your darlings" gilt auch für sie.
Drei Frauen, wilde Weiber, tragen den Abend auf ihren schönen Schultern, Dagmar Manzel, die Grand Dame wider Willen, ganz leicht, ganz klug, ganz Frau, wunderbar. Katharine Mehrling, klein und zart mit Riesenstimme und scharfem Witz, und Agnes Zwierko eine polnische Spiel-Bombe. Und ein Mann, Helmut Baumann, Jahrgang 39, man fasst es nicht, leichtfüssig und charmant und auf den Punkt. Einmal dreht er unzählige Pirouetten und nur wenn er später seine Jacke ein wenig mühsam aufhebt, bemerkt man überrascht, dies ist ein älterer Mann.
Fritzy Massary, Oscar Strauss, Ernst Busch, Paul Dessau, Hanns Eisler, Paul Hindemith, Friedrich Hollaender, Otto Klemperer, Georg Kreissler, Joseph Schmidt, Arnold Schönberg, Kurt Stolz, Kurt Weill, eine völlig unvollständige Liste von Musikern, die unser Land wider Willen verlassen mußten, um der sicheren Vernichtung zu entgehen.
Paul Abraham, auch Ábrahám Pál geboren am 2. November 1892 in Sombor, Königreich Ungarn, Österreich-Ungarn; gestorben am 6. Mai 1960 in Hamburg, war ein ungarisch-deutscher Komponist jüdischer Abstammung. Er schrieb vornehmlich Operetten.
So beginnt sein Wiki-Eintrag, knapp und kurz.
Vor der Machtübernahme der NSDAP hieß das Haus in dem sich heute die Komische Oper befindet "Metropol-Theater", es gehörte den Brüdern Rotter, die eigentlich Schaie hießen und Juden waren. Ihr Chefdirigent war Paul Abraham, die Uraufführung seines "Ball im Savoy" fand am 23. Dezember 1932 im gemieteten Großen Schauspielhaus statt, weil im Mutterhaus eine Spoliansky-Revue lief. 1933 war Schluß, Aus, Ende für ihn und viele, sehr viele andere, Abraham floh erst zurück nach Ungarn, dann nach Paris, später über Kuba in die USA. Dort verlor er durch eine zu spät erkannte Syphillis-Erkrankung den Verstand und starb, verarmt und fast vergessen, nach jahrzehntelanger Unterbringung in psychiatrischen Kliniken, erst in New York, dann durch die Bemühung von Freunden mit gutem Gedächtnis, in Hamburg, im Jahr 1960. Er wurde auf dem Ohlsdorfer Friedhof beigesetzt.
1946 wurde Abraham auf dem Broadway aufgegriffen, als er ein unsichtbares Orchester, das kaiserlich ungarische Sinfonie Orchester, dirigierte.
Barry Koski nannte den fliehenden, kranken Mann einen Dibbuk, einen Untoten.
"Die Annahme, das ein Verbleiben in Deutschland den Antragsteller früher der ärztlichen Begutachtung zugeführt hätte, ist nach Ausführungen in dem fachärztlichen Gutachten nicht wahrscheinlich."
37.000 Mark
Entschädigung durch die BRD wurden Abraham nach einigem Rechtsstreit zugesprochen.
Dienstag, 28. Februar 2017
Sonntag, 26. Februar 2017
EIN KAFFE IM KIEZ
Prenzlauer Berg, die Polizei verhaftet zu sechst unter hysterischem Blaulicht einen laut brüllenden Mann. Auf der anderen Strassenseite ein mittelgroßer gemütlicher Raum mit Ladenfenster, eine Theke, zusammengewürfelte Sitzgelegenheiten, guter Kaffee. Jeden Donnerstag werden hier DEFA-Filmean die Wand geworfen, das Publikum ist altersdurchmischt mit leichter Schlagseite nach oben, und kommt "bis aus Marzahn". Und an einem Samstag monatlich werden Theateraufzeichnungen gezeigt, von Schroth, Weckwerth, Ruprecht, Tom Schilling, Karge/Langhoff, Alex Lang und anderen. Hier ist ein Liebhaber am Werk.
Gestern war es knackend voll. Soll meist so sein, also vorbestellen! Ich habe mir dort einen Film angesehen, den ich vor 27 Jahren gedreht hatte und nie gesehen habe. Wie sehr merkwürdig. Das Jahr war 1989, die Vorlage von Christa Wolf, der Regisseur Peter Vogel und der Titel ist "Selbstversuch". Das DDR-Fernsehen hat ihn 1990 ausgestrahlt, da hatte ich Anderes im Kopf.
Wie sehr merkwürdig.
Die Lieblingsnichte sagte: "Der Film hatte so eine bedrückende Stimmung, aber das sollte so sein." Sie ist schlau.
http://www.zeit.de/1990/20/der-neue-mann
KAFFE
Immanuelkirchstraße 6
10405 Berlin | Prenzlauer Berg
Öffnungszeiten | Opening Hours
Montag bis Freitag : 7:30 - 19:00
Monday to Friday
Samstag | Saturday : 9:00 - 19:00
Sonntag | Sunday : 9:00 - 19:00
http://www.kaffe-kaffe.de/
Gestern war es knackend voll. Soll meist so sein, also vorbestellen! Ich habe mir dort einen Film angesehen, den ich vor 27 Jahren gedreht hatte und nie gesehen habe. Wie sehr merkwürdig. Das Jahr war 1989, die Vorlage von Christa Wolf, der Regisseur Peter Vogel und der Titel ist "Selbstversuch". Das DDR-Fernsehen hat ihn 1990 ausgestrahlt, da hatte ich Anderes im Kopf.
Wie sehr merkwürdig.
Die Lieblingsnichte sagte: "Der Film hatte so eine bedrückende Stimmung, aber das sollte so sein." Sie ist schlau.
http://www.zeit.de/1990/20/der-neue-mann
KAFFE
Immanuelkirchstraße 6
10405 Berlin | Prenzlauer Berg
Öffnungszeiten | Opening Hours
Montag bis Freitag : 7:30 - 19:00
Monday to Friday
Samstag | Saturday : 9:00 - 19:00
Sonntag | Sunday : 9:00 - 19:00
http://www.kaffe-kaffe.de/
Donnerstag, 23. Februar 2017
Ironie, oder ich meine nicht wirklich, was ich denke.
Wiki sagt: Ironie (altgriechisch εἰρωνεία eirōneía, wörtlich „Verstellung, Vortäuschung“) bezeichnet zunächst eine rhetorische Figur. Dabei behauptet der Sprecher etwas, das seiner wahren Einstellung oder Überzeugung nicht entspricht, diese jedoch für ein bestimmtes Publikum ganz oder teilweise durchscheinen lässt. Sie kann dazu dienen, sich von den zitierten Haltungen zu distanzieren oder sie in polemischer Absicht gegen angesprochene Personen zu wenden.
IRONIE
Dies ist ironisch gemeint.
Ironie scheint mir der billigste Weg, Überlegenheit zu demonstrieren und gleichzeitig ohne wahres Risiko die eigene große Angst zu kaschieren. Distanz um fast jeden Preis. Ironie ist frech, ohne den Arsch in der Hose zu haben, offen zuzugeben, was ich denke. Sie ist die guterzogene Form des Sarksmus. Ich tue niemandem weh, schaffe mir aber dennoch das gute Gefühl, nicht zu lügen. Ironie ist billig und letztlich eine Schwächung des Autoimmunsystems, denn irgendwann werde ich nicht mehr wissen, wo meine Feigheit anfängt und die Ironie aufhört. Ups, ist da ein echtes Gefühl, soll ich es rauslassen oder nicht, nein, lieber überspielen, ironisieren. Ironie ist eine der Krankheiten unserer Zeit. Und so wie eine Hungersnot Veganer überwältigen würde, wäre Ironie hilflos in der Gegenwart wirklicher Not. Der Vater George Taboris soll mit der den Taboris eigenen Höflichkeit beim Eintritt in die Gaskammer gesagt haben: "Bitte nach Ihnen, Herr Mandelstam." Fuck your irony! Ich halte mich raus, aber habe meine Meinung, wenn auch gefällig zweideutig formuliert. No pain, no gain, gilt für die anderen, ich entkomme unbeschadet und bin doch im Recht.
Witz ist panisches, schnelles Denken in die rettende Überdrehung.
Zynismus versucht Kältepflaster auf schwärende Wunden zu legen.
Humor ist, wenn ich trotzdem lache. Ja, ich bin auf die Fresse gefallen und es war Absicht, ich wollte mir die Zähne ausschlagen, weil ich mummelnd lustiger klinge.
Spaß verlangt nach Gelächter.
Lustigkeit verläppert meist im gemeinen Frohsinn.
Satire übertreibt, um ehrlich bleiben zu können.
Sarkasmus oder Spott und Hohn vom altgriechischen: σαρκασμός sarkasmós "die Zerfleischung, der beißende Spott", von altgriechisch sarkazein "sich das Maul zerreißen, zerfleischen, verhöhnen", von σάρξ sarx "das (rohe) Fleisch". Sarkasmus bezahlt mit barer Münze, um den hohen Preis des Mitgefühls.
Dienstag, 21. Februar 2017
Ich trage einen großen Namen - Und was mache ich nun damit?
Ich trage einen großen Namen ist eine deutsche Fernsehratesendung, die seit 1977 ausgestrahlt wird. Der Sendetermin im SWR Fernsehen ist sonntags um 18:15 Uhr.
Heute wurde, so glaube ich, die 593. Sendung aufgezeichnet.
Also, ich war in Baden-Baden beim SWR und habe vor Kameras über meine Oma erzählt, bzw., erst mußten ein paar Leuten erraten, wer mein berühmter Verwandter sei, dann folgte das kurze Interview.
Und da sie immer mehrere Folgen auf einmal aufzeichnen, saßen heute beim Mittagessen vielerlei Kinder, Enkel, Urenkel und Ur-Ur-Ur-Ur-Urenkel, alles Leute zwischen 40 und 70, die einen Besonderen, in meinem Fall hätte ich drei zu bieten, in der Verwandtschaft haben. Bei einem ist 'derjenige welche' schon im 16. Jahrhundert gestorben, bei einer anderen gerade erst kürzlich, ein anderer ist seinem Vorfahren wie aus dem Gesicht geschnitten. Komische Gruppe, mit mir mittendrin.
Ich hatte eine tolle Großmutter, freundlich, direkt, klar, schlau. Sie konnte kochen, Gäste bewirten, Pilze sammeln, lange Strecken schwimmen. Sie hat sich mit mir ernsthaft und respektvoll unterhalten, ein äußerst wichtiges Erlebnis für ein Kind. Sie war sehr schön und hatte die coolsten Klamotten, mitten in den 70ern trug sie, zumindestens am Wochenende, ausgewaschene Leinenröcke und lose Blusen. Ihre Sprachmelodie ist mir bis heute angenehm, ein Vorkriegs-Wienerisch. Sie war eine hochbegabte Schauspielerin im Deutschland der 20er Jahre und dann war sie viele Jahre lang ein Flüchtling ohne Arbeit, aber mit zwei Kindern und einem nicht unanstrengenden Mann. Und dann war sie Intendantin und Protagonistin des Berliner Ensembles. Und halt auch meine Großmutter.
Es kam die erwartete Frage nach der Strenge mit der sie Brechts Werke verwaltete und ich hatte plötzlich dieses Bild von einer Familie in einem unsicheren Ruderboot auf hoher See.
1933, der Reichstag brennt, Herr Brecht kommt nach Hause und dringt auf sofortige Flucht. Die Kinder müssen nachkommen. Meine Mutter wird unter der Anklage des Hochverrats, sie war drei Jahre alt, von einer gütigen Calvinistin aus dem feindlichen Land geschmuggelt. Am 27. Februar 1933 war sie gerade auf Besuch beim Großvater in Augsburg.
In Österreich lehnten es Weigels Eltern ab mitzukommen, sie seien gute Österreicher und hätten nichts zu fürchten, Theresienstadt hat sie wenige Jahre später auf furchtbarste Art eines Schlimmeren belehrt. Die vierköpfige Familie geht nach Zürich, darf nicht bleiben, Dänemark beherbergt sie für drei Jahre, da hatte meine Mutter noch Schulfreunde, später nicht mehr, es folgen Zwischenaufenthalte in Schweden und Finnland, aber Hitlers Armee rückt näher, über die UdSSR hilft der kleinen Gruppe ein rettendes Visum in die USA, nach Los Angeles. Aber immer wenig Arbeit, weniger Geld. Zwei Kinder mußten ernährt und bekleidet, ein schreibender Ehemann mit einem Arbeitszimmer versorgt werden. Meine Mama, nunmehr acht Jahre alt, findet sich als deutsche Jüdin in Los Angeles wieder, Deutschland war der Feind und Juden sowieso unbeliebt. Es geht fast nicht schlimmer. Dass aus diesen Jahren ein Gefühl von Beschützenmüssen entsteht, ist mir einleuchtend. Meine Großmutter durfte nicht spielen, der Großvater schrieb für die Schublade, ihre Kinder waren einsam.
Wenn ich heute über Flüchtlinge lese, sind das Menschen ohne individuelles Gesicht, aber sie haben ein Leben vor der Flucht, sie haben Träume, Talente. Manche sind Arschlöcher, manche von tumber Religiösität, aber viele sind nichts anderes als hoffend.
Heute wurde, so glaube ich, die 593. Sendung aufgezeichnet.
Also, ich war in Baden-Baden beim SWR und habe vor Kameras über meine Oma erzählt, bzw., erst mußten ein paar Leuten erraten, wer mein berühmter Verwandter sei, dann folgte das kurze Interview.
Und da sie immer mehrere Folgen auf einmal aufzeichnen, saßen heute beim Mittagessen vielerlei Kinder, Enkel, Urenkel und Ur-Ur-Ur-Ur-Urenkel, alles Leute zwischen 40 und 70, die einen Besonderen, in meinem Fall hätte ich drei zu bieten, in der Verwandtschaft haben. Bei einem ist 'derjenige welche' schon im 16. Jahrhundert gestorben, bei einer anderen gerade erst kürzlich, ein anderer ist seinem Vorfahren wie aus dem Gesicht geschnitten. Komische Gruppe, mit mir mittendrin.
© wahrscheinlich Vera Tenschert
Ich hatte eine tolle Großmutter, freundlich, direkt, klar, schlau. Sie konnte kochen, Gäste bewirten, Pilze sammeln, lange Strecken schwimmen. Sie hat sich mit mir ernsthaft und respektvoll unterhalten, ein äußerst wichtiges Erlebnis für ein Kind. Sie war sehr schön und hatte die coolsten Klamotten, mitten in den 70ern trug sie, zumindestens am Wochenende, ausgewaschene Leinenröcke und lose Blusen. Ihre Sprachmelodie ist mir bis heute angenehm, ein Vorkriegs-Wienerisch. Sie war eine hochbegabte Schauspielerin im Deutschland der 20er Jahre und dann war sie viele Jahre lang ein Flüchtling ohne Arbeit, aber mit zwei Kindern und einem nicht unanstrengenden Mann. Und dann war sie Intendantin und Protagonistin des Berliner Ensembles. Und halt auch meine Großmutter.
Es kam die erwartete Frage nach der Strenge mit der sie Brechts Werke verwaltete und ich hatte plötzlich dieses Bild von einer Familie in einem unsicheren Ruderboot auf hoher See.
1933, der Reichstag brennt, Herr Brecht kommt nach Hause und dringt auf sofortige Flucht. Die Kinder müssen nachkommen. Meine Mutter wird unter der Anklage des Hochverrats, sie war drei Jahre alt, von einer gütigen Calvinistin aus dem feindlichen Land geschmuggelt. Am 27. Februar 1933 war sie gerade auf Besuch beim Großvater in Augsburg.
In Österreich lehnten es Weigels Eltern ab mitzukommen, sie seien gute Österreicher und hätten nichts zu fürchten, Theresienstadt hat sie wenige Jahre später auf furchtbarste Art eines Schlimmeren belehrt. Die vierköpfige Familie geht nach Zürich, darf nicht bleiben, Dänemark beherbergt sie für drei Jahre, da hatte meine Mutter noch Schulfreunde, später nicht mehr, es folgen Zwischenaufenthalte in Schweden und Finnland, aber Hitlers Armee rückt näher, über die UdSSR hilft der kleinen Gruppe ein rettendes Visum in die USA, nach Los Angeles. Aber immer wenig Arbeit, weniger Geld. Zwei Kinder mußten ernährt und bekleidet, ein schreibender Ehemann mit einem Arbeitszimmer versorgt werden. Meine Mama, nunmehr acht Jahre alt, findet sich als deutsche Jüdin in Los Angeles wieder, Deutschland war der Feind und Juden sowieso unbeliebt. Es geht fast nicht schlimmer. Dass aus diesen Jahren ein Gefühl von Beschützenmüssen entsteht, ist mir einleuchtend. Meine Großmutter durfte nicht spielen, der Großvater schrieb für die Schublade, ihre Kinder waren einsam.
Wenn ich heute über Flüchtlinge lese, sind das Menschen ohne individuelles Gesicht, aber sie haben ein Leben vor der Flucht, sie haben Träume, Talente. Manche sind Arschlöcher, manche von tumber Religiösität, aber viele sind nichts anderes als hoffend.
Sonntag, 19. Februar 2017
Gob Squad - Dancing About
Inkohärente Gedanken nach meiner ersten Begegnung mit Gob Squad:
Alles ist organisierter Zufall, Ironie als Notausgang ist vorhanden und wird weidlich genutzt, Intimität, die nicht wirklich etwas kostet, stößt mich ab und ich vermisse Kunstfertigkeit.
Castorfs Tiraden werden transportiert von grandiosen Spielern, Marthaler sucht sich die Besten zusammen, um mit ihnen ins artifizielle Chaos zu reisen.
Ich fürchte und liebe den Moment, wenn das Stück, das Thema, der Konflikt stärker ist als ich und mein Plan, diese Niederlage ist ein Genuß. Bei "Angst essen Seele auf" mußte ich ein Happy End zulassen, wenn auch ein bedrohtes, weil ich die völlige Unmöglichkeit von Liebe nicht ertragen konnte. Die Reaktionen der Zuschauer unterstützen meine aus der eigenen Not getroffenen Entscheidung.
Denn wenn du dich weigerst, mein Volk ziehen zu lassen, siehe, so will ich morgen Heuschrecken in dein Gebiet bringen; und sie werden das Angesicht des Landes bedecken, dass man das Land nicht wird sehen können; und sie werden das Übrige fressen, das entronnen, das euch übriggeblieben ist von dem Hagel, und werden alle Bäume fressen, die euch auf dem Feld wachsen; und sie werden deine Häuser erfüllen und die Häuser aller deiner Knechte und die Häuser aller Ägypter, wie es deine Väter und die Väter deiner Väter nicht gesehen haben, seit dem Tag, da sie auf der Erde gewesen sind, bis auf diesen Tag. Moses 10.4. - 19.
Was habe ich heute gesehen?
Was habe ich heute gesehen?
Was habe ich heute gesehen?
Waren alle anderen in das Geheimnis eingeweiht, nur ich nicht?
Mußte ich heute begreifen, dass ich nunmehr endgültig zu alt bin, um bestimmte Kunstformen als solche erkennen zu können?
Ist der Kaiser nackt, oder ist Kleidung passé?
Waldorfschule oder Palucca?
Muß man irgendetwas besonders gut können, um sich Künstler nennen zu dürfen?
Wenn wir genauso ratlos und ungelenk sind wie unser Publikum, beglücken wir es durch Wiedererkennbarkeit oder erniedrigen wir es durch den Konsens des kleinsten gemeinsamen Nenners?
Fünf Menschen, als solche stellen sie sich uns vor, versuchen mit einem Grasshüpfer oder einer Heuschrecke, zu kommunizieren, indem sie ihm, und damit uns, intime Dinge gestehen und diese dann verausdruckstanzen.
Am Ende antwortet das Insekt, dass es seine Geheimnisse für sich behalten wird. Ging mir genauso. Alle anderen haben dann mitgetanzt.
http://www.symbolonline.de/index.php?title=Heuschrecke
Gob Squad werden in ihrem ersten Tanzstück in bald zwanzig Jahren Performancearbeit aus Versatzstücken von Nachtclub, ritueller Zeremonie, Ausdruckstanz und Therapiesitzung eine neue Form von Spiel und eine neue Art von Tanzfläche erfinden. Tanz wird zu Form und Inhalt von Dancing About.
Über Jahrhunderte haben sich die Menschen versammelt, um mit populären Tänzen und Ritualen ihren Absichten und Gefühlen tänzerisch Ausdruck zu verleihen. Gob Squad wollen die durch Tanzen erzeugte Euphorie transformieren und aufzeigen, wo wir heute stehen – als Einzelner oder als Gruppe. Und die Tanzenden geben alles, um eine persönliche Schwäche, eine verschwiegene Leidenschaft oder ein belastendes Stigma in den eindrucksvollsten und aufgeladensten Tanz zu verwandeln.
Das Paradox vom Kult des Individualismus und unserem Bedürfnis nach Gemeinschaft und Zugehörigkeit wird mit den Mitteln des Tanzes zum Drama gemacht: Einer tanzt für viele, viele tanzen für einen. Durch temporäre Gruppenbildung unterstützt wird das Individuum in ein potentielles "Wir" verwandelt, das für einen Tanz, ein Bekenntnis zusammenfindet. Die Performer vertreten Rand- und Untergruppen wie "Atheisten", "Optimisten", aber auch Neugruppen wie "die Söhne und Töchter von Alkoholikern" und formen stetig neue Splitterungen und Identitäten in Diagrammen von Zugehörigkeit. Hier sieht man sie aufstehen, um als Teil einer stolzen Minderheit gezählt zu werden, manchmal gar als die Minderheit eines Einzelnen.
Alles ist organisierter Zufall, Ironie als Notausgang ist vorhanden und wird weidlich genutzt, Intimität, die nicht wirklich etwas kostet, stößt mich ab und ich vermisse Kunstfertigkeit.
Castorfs Tiraden werden transportiert von grandiosen Spielern, Marthaler sucht sich die Besten zusammen, um mit ihnen ins artifizielle Chaos zu reisen.
Ich fürchte und liebe den Moment, wenn das Stück, das Thema, der Konflikt stärker ist als ich und mein Plan, diese Niederlage ist ein Genuß. Bei "Angst essen Seele auf" mußte ich ein Happy End zulassen, wenn auch ein bedrohtes, weil ich die völlige Unmöglichkeit von Liebe nicht ertragen konnte. Die Reaktionen der Zuschauer unterstützen meine aus der eigenen Not getroffenen Entscheidung.
Denn wenn du dich weigerst, mein Volk ziehen zu lassen, siehe, so will ich morgen Heuschrecken in dein Gebiet bringen; und sie werden das Angesicht des Landes bedecken, dass man das Land nicht wird sehen können; und sie werden das Übrige fressen, das entronnen, das euch übriggeblieben ist von dem Hagel, und werden alle Bäume fressen, die euch auf dem Feld wachsen; und sie werden deine Häuser erfüllen und die Häuser aller deiner Knechte und die Häuser aller Ägypter, wie es deine Väter und die Väter deiner Väter nicht gesehen haben, seit dem Tag, da sie auf der Erde gewesen sind, bis auf diesen Tag. Moses 10.4. - 19.
Was habe ich heute gesehen?
Was habe ich heute gesehen?
Was habe ich heute gesehen?
Waren alle anderen in das Geheimnis eingeweiht, nur ich nicht?
Mußte ich heute begreifen, dass ich nunmehr endgültig zu alt bin, um bestimmte Kunstformen als solche erkennen zu können?
Ist der Kaiser nackt, oder ist Kleidung passé?
Waldorfschule oder Palucca?
Muß man irgendetwas besonders gut können, um sich Künstler nennen zu dürfen?
Wenn wir genauso ratlos und ungelenk sind wie unser Publikum, beglücken wir es durch Wiedererkennbarkeit oder erniedrigen wir es durch den Konsens des kleinsten gemeinsamen Nenners?
Fünf Menschen, als solche stellen sie sich uns vor, versuchen mit einem Grasshüpfer oder einer Heuschrecke, zu kommunizieren, indem sie ihm, und damit uns, intime Dinge gestehen und diese dann verausdruckstanzen.
Am Ende antwortet das Insekt, dass es seine Geheimnisse für sich behalten wird. Ging mir genauso. Alle anderen haben dann mitgetanzt.
Balthasar van der Ast - Blumen in einer Vase mit Muscheln und Insekten
http://www.symbolonline.de/index.php?title=Heuschrecke
Gob Squad werden in ihrem ersten Tanzstück in bald zwanzig Jahren Performancearbeit aus Versatzstücken von Nachtclub, ritueller Zeremonie, Ausdruckstanz und Therapiesitzung eine neue Form von Spiel und eine neue Art von Tanzfläche erfinden. Tanz wird zu Form und Inhalt von Dancing About.
Über Jahrhunderte haben sich die Menschen versammelt, um mit populären Tänzen und Ritualen ihren Absichten und Gefühlen tänzerisch Ausdruck zu verleihen. Gob Squad wollen die durch Tanzen erzeugte Euphorie transformieren und aufzeigen, wo wir heute stehen – als Einzelner oder als Gruppe. Und die Tanzenden geben alles, um eine persönliche Schwäche, eine verschwiegene Leidenschaft oder ein belastendes Stigma in den eindrucksvollsten und aufgeladensten Tanz zu verwandeln.
Das Paradox vom Kult des Individualismus und unserem Bedürfnis nach Gemeinschaft und Zugehörigkeit wird mit den Mitteln des Tanzes zum Drama gemacht: Einer tanzt für viele, viele tanzen für einen. Durch temporäre Gruppenbildung unterstützt wird das Individuum in ein potentielles "Wir" verwandelt, das für einen Tanz, ein Bekenntnis zusammenfindet. Die Performer vertreten Rand- und Untergruppen wie "Atheisten", "Optimisten", aber auch Neugruppen wie "die Söhne und Töchter von Alkoholikern" und formen stetig neue Splitterungen und Identitäten in Diagrammen von Zugehörigkeit. Hier sieht man sie aufstehen, um als Teil einer stolzen Minderheit gezählt zu werden, manchmal gar als die Minderheit eines Einzelnen.
Freitag, 17. Februar 2017
In Zeiten des abnehmenden Lichts - Väter und Söhne und sehr viel Einsamkeit
"Ich persönlich", hätte Wolfgang Ruge am Ende gesagt, „habe
insgesamt, ein ersprießliches
Dasein gehabt. Aber die Welt ist nicht zu retten.",
sagt sein Sohn.
"Das Leben der Anderen" hat mir mißfallen, trotz Oscarehren und trotz Ulrich Mühe. Die übermäßig melodramatische Erzählweise, die Verheiligung des Leidens und die sich daraus ergebende Verwandlung der DDR in eine emotionsüberladene Soap-Opera in dunkelbunt, fand ich weder hilfreich noch erhellend.
Das mittelmäßige Begehren, der kleinbürgerliche Traum, das "Wir wursteln uns so durch" wurde ausgespart, aber auch die entsetzliche Unfähigkeit den großen Plan aufzugeben, weil der Preis der bereits gezahlt wurde, zu hoch war.
Die Liebe besiegt alles, mag hoffnungsspendend klingen, ist aber zu kurz gedacht, wenn ein gigantischer Traum sich in sein Gegenteil verkehrt und ganze Völker nachlässig verrecken läßt, weil es zu schmerzhaft wäre, die Utopie auf ihre Realittstauglichkeit zu überprüfen.
Vorlage ist der Roman gleichen Titels von Eugen Ruge, über dessen Vater lese ich in Wikipedia Folgendes:
Ruge wuchs in einem kommunistischen Elternhaus auf, er war junger Pionier und Mitglied des kommunistischen Jugendverbandes. Nach der NS-Machtübernahme flüchteten er und seine Familie 1933 in die Sowjetunion. Dort wurde sein älterer Bruder Walter Ruge verhaftet und der Vater Erwin Ruge im Frühjahr 1938 in das nationalsozialistische Deutschland abgeschoben. Ruge studierte nach seinem Abitur Geschichte in Moskau. Fassungslos erlebte er dort mit, wie sich unter dem Terror Mitte der 1930er Jahre die Reihen der Altkommunisten und Emigranten lichteten. Nach dem Überfall des Deutschen Reiches auf die Sowjetunion wurde er zusammen mit seiner zweiten Ehefrau wegen seiner deutschen Herkunft nach Kasachstan deportiert, ein Jahr später von ihr getrennt und als Zwangsarbeiter in ein Straflager des Gulags in den Nordural verschickt. Dort wurde er unter Bedingungen der völligen Willkür und Essenzuteilung nach Normerfüllung zu Schwerstarbeit, wie Holzfällen, eingesetzt. Drei Jahre nach Ende des Krieges zerschlugen sich Ruges Hoffnungen, das Lager als freier Bürger verlassen und zu seiner Frau in die Steppe zurückkehren zu können. Seine Strafe wurde in „Ewige Verbannung“ umgewandelt. Er durfte den Lagerort per Dekret zeitlebens nicht mehr verlassen. Ruge konnte jedoch 1948 unter Umgehung des Verbannungsregimes ein Fernstudium der Geschichte in Swerdlowsk absolvieren. Im Nordural-Straflager Soswa fristete Ruge ein karges Leben zusammen mit seiner dritten Frau. Erst 1956 gelang Ruge zusammen mit seiner Frau und zweijährigem Sohn Eugen die Ausreise in die DDR. Ihm wurde eine Stelle am Institut für Geschichte an der Akademie der Wissenschaften in Berlin angeboten.
Das Drehbuch hat der große Wolfgang Kohlhaase geschrieben.
Wolfgang Kohlhaase ist ein Sohn des Maschinenschlossers Karl Kohlhaase und seiner Frau Charlotte. Er wuchs in Berlin-Adlershof auf und besuchte die Volks- und Mittelschule. Schon während der Schulzeit begann er zu schreiben und wurde 1947 Volontär und Redakteur bei der Jugendzeitschrift Start. Ein Exemplar von Start mit einem Artikel von Kohlhaase erreichte auch das sowjetische Kriegsgefangenenlager, in dem sich 1947 Kohlhaase senior, sein Vater, befand. Sein Vater stieg damit im Ansehen bei der Gefängnisleitung, er erhielt mehr Essen als auch leichtere Arbeit und konnte so das Lager überleben.
Matti Geschonneck führte Regie. Über seinen Vater Erwin schreibt Wiki:
Geschonneck war Sohn eines Flickschusters und Nachtwächters. 1908 übersiedelte die Familie nach Berlin in die Rosenthaler Vorstadt. Geschonneck verdiente nach dem Schulabschluss seinen Lebensunterhalt als Gelegenheitsarbeiter, Bürobote und Hausdiener. 1929 trat er der KPD bei und spielte in kommunistischen Laienspiel-, Agitprop- und Kabarettgruppen; 1931 hatte er in Kuhle Wampe oder: Wem gehört die Welt? seine erste kleine Filmrolle. Nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten emigrierte er 1933 über Polen in die Sowjetunion. 1938 wurde er vom NKWD zum Verlassen der Sowjetunion gezwungen. In Prag wurde er am 31. März 1939 verhaftet und an die Gestapo ausgeliefert. Er war Gefangener in den KZ Sachsenhausen, Dachau und Neuengamme. Am 3. Mai 1945 überlebte er den Untergang des in der Lübecker Bucht von britischen Flugzeugen versenkten KZ-Schiffes Cap Arcona.... Was für eine Biographie.
In den "Zeiten des abnehmenden Lichts" bröselt der sogenannte Sozialismus langsam in Richtung seines Untergangs, aber es wird auch von den unglaublichen Opfern berichtet, die die zu Recht Untergehenden einst gebracht haben.
EIN RUNDER GEBURTSTAG IN DER DDR 1989
Der Urgroßvater wird 90, Bruno Ganz in würdiger Vertretung für Erwin Geschonneck, ein Stalinist ohne wirklich große Karriere, weil er in der "falschen" Emigration, der im Westen, war. Die Urgroßmutter, es hätte Inge Keller sein sollen, auch wenn Hildegard Schmahl großartig ist, ihre großbürgerlichen, weltoffenen Träume ersticken in realsozialistischer Spießigkeit, ein Eiertanz zwischen Grandezza und Überheblichkeit. Der Großvater und Sohn, Professor des ddrischen Rechts mit Jahren im sibirischen Lager und einem erschlagenen Bruder auf der Seele, sehnt sich verzweifelt nach Ausgleich, Verbindung, Sylvester Groth. Dessen Sohn, Enkel des Alten, haut ab, macht rüber. Sein Sohn wiederum, der Urenkel bekommt vom Urgroßvater anstatt des ersehnten Dinosauriers, einen getrockneten Iguana, den der aus dem mexikanischen Exil mitgebracht hat.
Die Buddenbrocks des kommunistischen Verfalls. Und um sie herum die Geburtstagsgäste, ich kenne sie alle, alle - was für ein herrlich gräßlicher Haufen Realsozialismus. Die, ohne Traum, die, denen die Hoffnung ausgetrieben wurde. Aber eben auch die Haushälterin, die ihre indignierte Herrin wunderbar penetrant Lotti nennt und die Gemüsehändlerin, die nicht auf dem Fest bleiben kann, weil heute noch Kohlrabi geliefert wird.
https://www.welt.de/kultur/history/article13813554/Als-in-Stalins-Lagerhoelle-die-Utopie-starb.html Der Film kommt im Juni in die Kinos und es würde sich lohnen, hinzugehen und zu schauen.
"Das Leben der Anderen" hat mir mißfallen, trotz Oscarehren und trotz Ulrich Mühe. Die übermäßig melodramatische Erzählweise, die Verheiligung des Leidens und die sich daraus ergebende Verwandlung der DDR in eine emotionsüberladene Soap-Opera in dunkelbunt, fand ich weder hilfreich noch erhellend.
Das mittelmäßige Begehren, der kleinbürgerliche Traum, das "Wir wursteln uns so durch" wurde ausgespart, aber auch die entsetzliche Unfähigkeit den großen Plan aufzugeben, weil der Preis der bereits gezahlt wurde, zu hoch war.
Die Liebe besiegt alles, mag hoffnungsspendend klingen, ist aber zu kurz gedacht, wenn ein gigantischer Traum sich in sein Gegenteil verkehrt und ganze Völker nachlässig verrecken läßt, weil es zu schmerzhaft wäre, die Utopie auf ihre Realittstauglichkeit zu überprüfen.
Vorlage ist der Roman gleichen Titels von Eugen Ruge, über dessen Vater lese ich in Wikipedia Folgendes:
Ruge wuchs in einem kommunistischen Elternhaus auf, er war junger Pionier und Mitglied des kommunistischen Jugendverbandes. Nach der NS-Machtübernahme flüchteten er und seine Familie 1933 in die Sowjetunion. Dort wurde sein älterer Bruder Walter Ruge verhaftet und der Vater Erwin Ruge im Frühjahr 1938 in das nationalsozialistische Deutschland abgeschoben. Ruge studierte nach seinem Abitur Geschichte in Moskau. Fassungslos erlebte er dort mit, wie sich unter dem Terror Mitte der 1930er Jahre die Reihen der Altkommunisten und Emigranten lichteten. Nach dem Überfall des Deutschen Reiches auf die Sowjetunion wurde er zusammen mit seiner zweiten Ehefrau wegen seiner deutschen Herkunft nach Kasachstan deportiert, ein Jahr später von ihr getrennt und als Zwangsarbeiter in ein Straflager des Gulags in den Nordural verschickt. Dort wurde er unter Bedingungen der völligen Willkür und Essenzuteilung nach Normerfüllung zu Schwerstarbeit, wie Holzfällen, eingesetzt. Drei Jahre nach Ende des Krieges zerschlugen sich Ruges Hoffnungen, das Lager als freier Bürger verlassen und zu seiner Frau in die Steppe zurückkehren zu können. Seine Strafe wurde in „Ewige Verbannung“ umgewandelt. Er durfte den Lagerort per Dekret zeitlebens nicht mehr verlassen. Ruge konnte jedoch 1948 unter Umgehung des Verbannungsregimes ein Fernstudium der Geschichte in Swerdlowsk absolvieren. Im Nordural-Straflager Soswa fristete Ruge ein karges Leben zusammen mit seiner dritten Frau. Erst 1956 gelang Ruge zusammen mit seiner Frau und zweijährigem Sohn Eugen die Ausreise in die DDR. Ihm wurde eine Stelle am Institut für Geschichte an der Akademie der Wissenschaften in Berlin angeboten.
Das Drehbuch hat der große Wolfgang Kohlhaase geschrieben.
Wolfgang Kohlhaase ist ein Sohn des Maschinenschlossers Karl Kohlhaase und seiner Frau Charlotte. Er wuchs in Berlin-Adlershof auf und besuchte die Volks- und Mittelschule. Schon während der Schulzeit begann er zu schreiben und wurde 1947 Volontär und Redakteur bei der Jugendzeitschrift Start. Ein Exemplar von Start mit einem Artikel von Kohlhaase erreichte auch das sowjetische Kriegsgefangenenlager, in dem sich 1947 Kohlhaase senior, sein Vater, befand. Sein Vater stieg damit im Ansehen bei der Gefängnisleitung, er erhielt mehr Essen als auch leichtere Arbeit und konnte so das Lager überleben.
Matti Geschonneck führte Regie. Über seinen Vater Erwin schreibt Wiki:
Geschonneck war Sohn eines Flickschusters und Nachtwächters. 1908 übersiedelte die Familie nach Berlin in die Rosenthaler Vorstadt. Geschonneck verdiente nach dem Schulabschluss seinen Lebensunterhalt als Gelegenheitsarbeiter, Bürobote und Hausdiener. 1929 trat er der KPD bei und spielte in kommunistischen Laienspiel-, Agitprop- und Kabarettgruppen; 1931 hatte er in Kuhle Wampe oder: Wem gehört die Welt? seine erste kleine Filmrolle. Nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten emigrierte er 1933 über Polen in die Sowjetunion. 1938 wurde er vom NKWD zum Verlassen der Sowjetunion gezwungen. In Prag wurde er am 31. März 1939 verhaftet und an die Gestapo ausgeliefert. Er war Gefangener in den KZ Sachsenhausen, Dachau und Neuengamme. Am 3. Mai 1945 überlebte er den Untergang des in der Lübecker Bucht von britischen Flugzeugen versenkten KZ-Schiffes Cap Arcona.... Was für eine Biographie.
In den "Zeiten des abnehmenden Lichts" bröselt der sogenannte Sozialismus langsam in Richtung seines Untergangs, aber es wird auch von den unglaublichen Opfern berichtet, die die zu Recht Untergehenden einst gebracht haben.
EIN RUNDER GEBURTSTAG IN DER DDR 1989
Der Urgroßvater wird 90, Bruno Ganz in würdiger Vertretung für Erwin Geschonneck, ein Stalinist ohne wirklich große Karriere, weil er in der "falschen" Emigration, der im Westen, war. Die Urgroßmutter, es hätte Inge Keller sein sollen, auch wenn Hildegard Schmahl großartig ist, ihre großbürgerlichen, weltoffenen Träume ersticken in realsozialistischer Spießigkeit, ein Eiertanz zwischen Grandezza und Überheblichkeit. Der Großvater und Sohn, Professor des ddrischen Rechts mit Jahren im sibirischen Lager und einem erschlagenen Bruder auf der Seele, sehnt sich verzweifelt nach Ausgleich, Verbindung, Sylvester Groth. Dessen Sohn, Enkel des Alten, haut ab, macht rüber. Sein Sohn wiederum, der Urenkel bekommt vom Urgroßvater anstatt des ersehnten Dinosauriers, einen getrockneten Iguana, den der aus dem mexikanischen Exil mitgebracht hat.
Die Buddenbrocks des kommunistischen Verfalls. Und um sie herum die Geburtstagsgäste, ich kenne sie alle, alle - was für ein herrlich gräßlicher Haufen Realsozialismus. Die, ohne Traum, die, denen die Hoffnung ausgetrieben wurde. Aber eben auch die Haushälterin, die ihre indignierte Herrin wunderbar penetrant Lotti nennt und die Gemüsehändlerin, die nicht auf dem Fest bleiben kann, weil heute noch Kohlrabi geliefert wird.
https://www.welt.de/kultur/history/article13813554/Als-in-Stalins-Lagerhoelle-die-Utopie-starb.html Der Film kommt im Juni in die Kinos und es würde sich lohnen, hinzugehen und zu schauen.
Dienstag, 14. Februar 2017
FÜNF STERNE - Ein Film über Freundschaft & Tod
FÜNF STERNE
FIVE STARS
Ein Dokumentarfilm von Annekatrin Hendel
Schnitt Rune Schweitzer
Vorweg, ich habe heute einen ungewöhnlichen, spannenden, verstörenden Dokumentar-Spielfilm gesehen. Er wird im Rahmen der Berlinale noch dreimal gezeigt:
am 14. 2. 14:30 Uhr im Cinestar 7,
am 15. 2. 14:30 Uhr im Colosseum 1
und am 17. 2. 17:00 Uhr im Cinestar 7.
Fünf Sterne hat das Hotel an der Ostsee, in das Annekatrin Hendel und Ines Rastig sich im Januar 2016 einquartieren. Seit 33 Jahren sind die beiden Frauen befreundet. Das 36 Quadratmeter große Zimmer, das sie sich während ihres Urlaubs teilen, verlassen die beiden während ihres Aufenthalts am Meer nur selten. Stattdessen reden sie. Vor zwei Monaten hatte Ines Rastig die Diagnose erhalten, dass sie Lungenkrebs hat. moviepilot
Es ist ein Schnitter, der heißt Tod,
Hat Gewalt vom höchsten Gott,
Heut wetzt er das Messer,
Es schneidt schon viel besser...
Ich grüble. Ein Film einer klugen, warmen Frau über eine Freundin, von der sie weiß, dass sie bald sterben wird. Entstanden als Experiment und doch jetzt zu sehen als vollständiger Film. Diese Tatsachen erzeugen fast unerträgliche Intimität, aber sie setzen mich, als Zuschauer, der Ines Rastig nicht kannte, auch ungeheuer unter Druck. Die Heldin wird von der Filmemacherin geliebt und sie ist schwer krank, alles was geschieht, gesagt wird, jeder Blick, jede Zigarette, die geraucht wird, sehe ich unter diesen Vorzeichen. Ich erlebe Ausschnitte dieser intensiven vier Wochen, durchlebt von zwei Freundinnen und bin unfrei in meinen Reaktionen, denn ich weiß, hier hat der Tod das letzte Wort. Eigenartige Situation.
Der Film wurde in einem Hotel in Ahrenshoop gedreht. Die Besitzer vergeben ein Stipendium für Schriftsteller, das einen kostenlosen Aufenthalt im Fünf Sterne Hotel "The Grand" einschließt. Hut ab vor Daniela & Oliver Schmidt.
http://the-grand.de/de/
FIVE STARS
Ein Dokumentarfilm von Annekatrin Hendel
Schnitt Rune Schweitzer
Vorweg, ich habe heute einen ungewöhnlichen, spannenden, verstörenden Dokumentar-Spielfilm gesehen. Er wird im Rahmen der Berlinale noch dreimal gezeigt:
am 14. 2. 14:30 Uhr im Cinestar 7,
am 15. 2. 14:30 Uhr im Colosseum 1
und am 17. 2. 17:00 Uhr im Cinestar 7.
Fünf Sterne hat das Hotel an der Ostsee, in das Annekatrin Hendel und Ines Rastig sich im Januar 2016 einquartieren. Seit 33 Jahren sind die beiden Frauen befreundet. Das 36 Quadratmeter große Zimmer, das sie sich während ihres Urlaubs teilen, verlassen die beiden während ihres Aufenthalts am Meer nur selten. Stattdessen reden sie. Vor zwei Monaten hatte Ines Rastig die Diagnose erhalten, dass sie Lungenkrebs hat. moviepilot
Es ist ein Schnitter, der heißt Tod,
Hat Gewalt vom höchsten Gott,
Heut wetzt er das Messer,
Es schneidt schon viel besser...
Ich grüble. Ein Film einer klugen, warmen Frau über eine Freundin, von der sie weiß, dass sie bald sterben wird. Entstanden als Experiment und doch jetzt zu sehen als vollständiger Film. Diese Tatsachen erzeugen fast unerträgliche Intimität, aber sie setzen mich, als Zuschauer, der Ines Rastig nicht kannte, auch ungeheuer unter Druck. Die Heldin wird von der Filmemacherin geliebt und sie ist schwer krank, alles was geschieht, gesagt wird, jeder Blick, jede Zigarette, die geraucht wird, sehe ich unter diesen Vorzeichen. Ich erlebe Ausschnitte dieser intensiven vier Wochen, durchlebt von zwei Freundinnen und bin unfrei in meinen Reaktionen, denn ich weiß, hier hat der Tod das letzte Wort. Eigenartige Situation.
© Salzgeber & Co. Medien GmbH
Der Film wurde in einem Hotel in Ahrenshoop gedreht. Die Besitzer vergeben ein Stipendium für Schriftsteller, das einen kostenlosen Aufenthalt im Fünf Sterne Hotel "The Grand" einschließt. Hut ab vor Daniela & Oliver Schmidt.
http://the-grand.de/de/
Sonntag, 12. Februar 2017
Italienische Knusperplätzchen - Crostoli
Die habe ich bei einer wunderbaren Kollegin in Konstanz zum Brunch gegessen, oder besser geknuspert.
CROSTOLI
Knusprige frittierte Teigscheibchen aus dem Friaul/Trentino
Zutaten für 6-8 Portionen:
eine unbehandelte Zitrone
2 Eier
50g Butter
4cl Zwetschgenschnaps, Rum oder Grappa
60g Vaillezucker
350g Mehl & Mehl zum Ausrollen
etwa 1 kg Butterschmalz zum Frittieren
Puderzucker zum Bestäuben
eine Prise Salz
Die Zubereitungszeit ist etwa 45 Minuten.
Zwei Eier mit 60 Gramm Vanillezucker sehr schaumig schlagen. Die Schale einer Zitrone abreiben und mit 4cl Schnaps & Salz unter die Eiermasse rühren.
50 Gramm Butter zerlassen & 350 Gramm Mehl auf die Arbeitsfläche häufen, eine Mulde in das Mehl drücken, die abgekühlte Butter und die schaumige Eiercreme in die Mulde geben & zu einem geschmeidigen Teig verkneten.
In einem Topf ein Kilo Butterschmalz erhitzen und ein Brett mit Mehl bestäuben. Dann den Teig so dünn wie möglich ausrollen und mit einem Teigrädchen zu Rauten von 4 bis 5 Zentimetern schneiden. In jede Teigscherbe einen mittigen Einschnitt schneiden.
Die Crostoli im heißen Fett ausbacken, auf Backpapier gut abtropfen lassen und mit Puderzucker bestäuben.
ESSEN!
CROSTOLI
Knusprige frittierte Teigscheibchen aus dem Friaul/Trentino
Zutaten für 6-8 Portionen:
eine unbehandelte Zitrone
2 Eier
50g Butter
4cl Zwetschgenschnaps, Rum oder Grappa
60g Vaillezucker
350g Mehl & Mehl zum Ausrollen
etwa 1 kg Butterschmalz zum Frittieren
Puderzucker zum Bestäuben
eine Prise Salz
Die Zubereitungszeit ist etwa 45 Minuten.
Zwei Eier mit 60 Gramm Vanillezucker sehr schaumig schlagen. Die Schale einer Zitrone abreiben und mit 4cl Schnaps & Salz unter die Eiermasse rühren.
50 Gramm Butter zerlassen & 350 Gramm Mehl auf die Arbeitsfläche häufen, eine Mulde in das Mehl drücken, die abgekühlte Butter und die schaumige Eiercreme in die Mulde geben & zu einem geschmeidigen Teig verkneten.
In einem Topf ein Kilo Butterschmalz erhitzen und ein Brett mit Mehl bestäuben. Dann den Teig so dünn wie möglich ausrollen und mit einem Teigrädchen zu Rauten von 4 bis 5 Zentimetern schneiden. In jede Teigscherbe einen mittigen Einschnitt schneiden.
Die Crostoli im heißen Fett ausbacken, auf Backpapier gut abtropfen lassen und mit Puderzucker bestäuben.
ESSEN!
Samstag, 11. Februar 2017
AngstessenSeeleauf
Rainer Werner Fassbinder
über seinen Film
ANGST ESSEN SEELE AUF
Aus einem Gespräch mit Hans Günther Pflaum
Herr Fassbinder, Sie haben hier eine provozierend einfache, vereinfachte Geschichte erzählt. Besteht in der Reduzierung der Konflikte ein didaktisches Programm?
Ich finde, dass Geschichten, je einfacher sie sind, auch um so wahrer sind; der gemeinsame Nenner für viele Geschichten ist dann eine Geschichte, die so einfach ist. Wenn wir die Figur des Ali noch komplizierter gemacht hätten, dann hätten es die Zuschauer noch schwerer gehabt, mit dieser Geschichte fertig zu werden. Wäre diese Figur noch komplexer geworden, so hätte es der einen Seite, der Kindlichkeit dieser Beziehung zwischen Ali und Emmi, sehr geschadet – während jetzt die Geschichte so naiv ist wie die beiden Menschen, um die es geht. Obwohl die Beziehungen natürlich viel komplexer sind, das ist mir schon klar. Aber da bin ich der Ansicht, dass jeder Zuschauer sie selbst mit seiner eigenen Realität auffüllen müsste. Und die Möglichkeit hat er halt auch, wenn eine Geschichte so einfach ist. Ich finde, die Leute müssen ihre eigenen Veränderungsmöglichkeiten finden – sicher, man kann auch streng ideologisch vorgehen, aber das finde ich für das große Publikum nicht so relevant.
Könnte die Einfachheit dieses Films nicht den Zuschauern die Möglichkeit bieten, sich dieser Geschichte doch wieder zu entziehen, indem sie sagen: „Das ist in Wirklichkeit ja alles gar nicht so einfach“?
Sie haben die Möglichkeit, oder sie sind sogar gezwungen, sich dieser Geschichte zu entziehen, aber nicht zuungunsten des Films, sondern zugunsten ihrer eigenen Realität – das halte ich für das Wesentliche. Filme müssen irgendwann einmal aufhören, Filme zu sein, müssen aufhören, Geschichten zu sein, und anfangen, lebendig zu werden, dass man fragt, wie sieht das eigentlich mit mir und meinem Leben aus. Ich glaube, bei diesem Film ist jeder gezwungen – weil ihm die Liebe der beiden klar und rein entgegenkommt –, seine Beziehungen zu dunkelhäutigen und auch zu älteren Menschen zu überprüfen. Das halte ich schon für etwas sehr Wesentliches. Da kann man gar nicht einfach genug sein.
Andererseits wirkt diese Einfachheit unglaublich provozierend: wenn etwa Ali in Emmis Wohnung sitzt, man sieht die große, einsame, leere Wohnung und eine kleine, einsame Frau, er erzählt von seinem Zimmer, in dem sie zu sechs hausen – man fragt sich ganz spontan, ob Ali nicht zu Emmi ziehen sollte.
Ja, wir wollten auch versuchen, das so simpel durchzuhalten, dass man immer sagt: Eigentlich wären viele Dinge möglich. Ich halte den Menschen nicht für veränderbar. Das ist schon auch in der Struktur des Films drin, dass man sagt, ja, so ein bisschen anders, das geht schon besser. Und wenn man da weiter denkt, geht’s immer noch ein bisschen besser. Zu dem großen ideologischen Entwurf bin ich nicht fähig, das ist auch nicht meine Aufgabe, dazu sind andere Leute geschulter und auch richtiger. Mich interessieren halt diese kleinen Möglichkeiten, weil ich davon eine Ahnung habe und die auch spannend finde.
Wie weit stecken in ANGST ESSEN SEELE AUF auch die Erfahrungen mit anderen Filmen? Ich meine natürlich vor allem die Filme von Douglas Sirk.
Ja, eigentlich ist der Sirk, seit ich Filme von ihm gesehen habe und versucht habe, darüber zu schreiben, in allem drin, was ich seither gemacht habe. Nicht Sirk selbst, sondern das, was ich dabei gelernt habe. Sirk hat mir gesagt, was die Studiobosse in Hollywood ihm gesagt haben: Filme müssen in Garmisch-Partenkirchen, in Okinawa und in Chicago ankommen – und jetzt überleg dir, was für alle diese Leute der gemeinsame Nenner sein könnte. Wichtig war für Sirk dann noch, was viele andere in Hollywood nicht mehr gemacht haben – das dann noch mit sich selbst, mit der eigenen Persönlichkeit in Einklang zu bringen, also nicht nur so „für das Publikum“ zu produzieren, wie das hierzulande oft getan wird in den Filmen, die wir alle nicht mögen: jene Sex- und Unterhaltungsfilme, von denen die Produzenten denken, dass das Publikum sie mag und die sie selber gar nicht mögen. Das ist dann der Unterschied zwischen Sirkscher Dutzendware und Vohrerscher2 Dutzendware. Sirk hat wenig gemacht, für das er sich geschämt hat, und das hat mir sehr imponiert.
Mich hat auch die dramaturgische Aufteilung der Geschichte von ANGST ESSEN SEELE AUF an Sirk erinnert: In der ersten Hälfte des Films kämpft das Paar mit den Problemen, die von außen kommen und nach innen eher eine stabilisierende Wirkung haben. Erst in dem Moment, in dem dieser Druck von außen aufhört, befassen sich Ihre Protagonisten (und damit auch der Film) mit den Konflikten, die das Paar logischerweise innen, miteinander haben muss.
Ja, das ist aber nicht Sirk, so ist das Leben. Bei Minderheiten, Außenseitern etc. ist das tatsächlich so, dass sie, solange sie den Druck von außen spüren, nicht zu ihren eigentlichen Problemen kommen, weil sie vollauf damit beschäftigt sind, sich nach außen abzuschirmen und sich so ’ner Solidarität zu versichern. Es war für mich beim Schreiben schwer, dann davon wegzukommen, ich habe mich gefragt, wie kann es eigentlich passieren, dass die Leute alle nicht mehr so viel Druck auf die beiden ausüben.
...
Wie lange haben Sie an dem Film gedreht?
Wir haben achtzehn Drehtage gebraucht, also etwa vier Arbeitswochen.
Hat sich Ihr Hauptdarsteller mit seiner Rolle identifiziert?
Ja, er hat sich doch weitgehend identifiziert; sehr stark hat sich auch Brigitte Mira mit ihrer Rolle identifiziert, denn sie hat in Wirklichkeit vergleichbare Beziehungen zu einem jüngeren Mann. Sie spürt da, wie ihr die Leute begegnen.
Bei Brigitte Mira hatte ich den Eindruck, dass hier gerade mit Schauspielern wieder was Neues in Gang kommt.
Ja, das waren auch die Beziehungen zwischen der Mira und mir und der Sache. Die Mira hat sich dafür aus ganz persönlichen Gründen engagiert – sie ist aber eben nicht jemand, der sowieso meint, er muss sich für alles engagieren, was er macht. Sie macht halt auch viele Sachen, die ihr völlig gleichgültig sind, wobei sie halt mehr verdient. Hier hatte sie nun etwas, wofür sie sich über Gage und Ruhm hinaus engagieren konnte. Dadurch wurde sie auf eine ganz eigenartige Weise auch für mich interessant, und ich habe noch nie mit Filmschauspielern so gearbeitet wie mit den beiden in ANGST ESSEN SEELE AUF. Ich habe fast jede Einstellung zehn-, fünfzehn oder zwanzigmal gedreht, was ich früher nie gemacht hätte; diesmal wollte ich wirklich das im Moment Maximale herausholen.
Film-Korrespondenz, Februar 1974
Aus einem Gespräch mit Hans Günther Pflaum
Herr Fassbinder, Sie haben hier eine provozierend einfache, vereinfachte Geschichte erzählt. Besteht in der Reduzierung der Konflikte ein didaktisches Programm?
Ich finde, dass Geschichten, je einfacher sie sind, auch um so wahrer sind; der gemeinsame Nenner für viele Geschichten ist dann eine Geschichte, die so einfach ist. Wenn wir die Figur des Ali noch komplizierter gemacht hätten, dann hätten es die Zuschauer noch schwerer gehabt, mit dieser Geschichte fertig zu werden. Wäre diese Figur noch komplexer geworden, so hätte es der einen Seite, der Kindlichkeit dieser Beziehung zwischen Ali und Emmi, sehr geschadet – während jetzt die Geschichte so naiv ist wie die beiden Menschen, um die es geht. Obwohl die Beziehungen natürlich viel komplexer sind, das ist mir schon klar. Aber da bin ich der Ansicht, dass jeder Zuschauer sie selbst mit seiner eigenen Realität auffüllen müsste. Und die Möglichkeit hat er halt auch, wenn eine Geschichte so einfach ist. Ich finde, die Leute müssen ihre eigenen Veränderungsmöglichkeiten finden – sicher, man kann auch streng ideologisch vorgehen, aber das finde ich für das große Publikum nicht so relevant.
Könnte die Einfachheit dieses Films nicht den Zuschauern die Möglichkeit bieten, sich dieser Geschichte doch wieder zu entziehen, indem sie sagen: „Das ist in Wirklichkeit ja alles gar nicht so einfach“?
Sie haben die Möglichkeit, oder sie sind sogar gezwungen, sich dieser Geschichte zu entziehen, aber nicht zuungunsten des Films, sondern zugunsten ihrer eigenen Realität – das halte ich für das Wesentliche. Filme müssen irgendwann einmal aufhören, Filme zu sein, müssen aufhören, Geschichten zu sein, und anfangen, lebendig zu werden, dass man fragt, wie sieht das eigentlich mit mir und meinem Leben aus. Ich glaube, bei diesem Film ist jeder gezwungen – weil ihm die Liebe der beiden klar und rein entgegenkommt –, seine Beziehungen zu dunkelhäutigen und auch zu älteren Menschen zu überprüfen. Das halte ich schon für etwas sehr Wesentliches. Da kann man gar nicht einfach genug sein.
Andererseits wirkt diese Einfachheit unglaublich provozierend: wenn etwa Ali in Emmis Wohnung sitzt, man sieht die große, einsame, leere Wohnung und eine kleine, einsame Frau, er erzählt von seinem Zimmer, in dem sie zu sechs hausen – man fragt sich ganz spontan, ob Ali nicht zu Emmi ziehen sollte.
Ja, wir wollten auch versuchen, das so simpel durchzuhalten, dass man immer sagt: Eigentlich wären viele Dinge möglich. Ich halte den Menschen nicht für veränderbar. Das ist schon auch in der Struktur des Films drin, dass man sagt, ja, so ein bisschen anders, das geht schon besser. Und wenn man da weiter denkt, geht’s immer noch ein bisschen besser. Zu dem großen ideologischen Entwurf bin ich nicht fähig, das ist auch nicht meine Aufgabe, dazu sind andere Leute geschulter und auch richtiger. Mich interessieren halt diese kleinen Möglichkeiten, weil ich davon eine Ahnung habe und die auch spannend finde.
Wie weit stecken in ANGST ESSEN SEELE AUF auch die Erfahrungen mit anderen Filmen? Ich meine natürlich vor allem die Filme von Douglas Sirk.
Ja, eigentlich ist der Sirk, seit ich Filme von ihm gesehen habe und versucht habe, darüber zu schreiben, in allem drin, was ich seither gemacht habe. Nicht Sirk selbst, sondern das, was ich dabei gelernt habe. Sirk hat mir gesagt, was die Studiobosse in Hollywood ihm gesagt haben: Filme müssen in Garmisch-Partenkirchen, in Okinawa und in Chicago ankommen – und jetzt überleg dir, was für alle diese Leute der gemeinsame Nenner sein könnte. Wichtig war für Sirk dann noch, was viele andere in Hollywood nicht mehr gemacht haben – das dann noch mit sich selbst, mit der eigenen Persönlichkeit in Einklang zu bringen, also nicht nur so „für das Publikum“ zu produzieren, wie das hierzulande oft getan wird in den Filmen, die wir alle nicht mögen: jene Sex- und Unterhaltungsfilme, von denen die Produzenten denken, dass das Publikum sie mag und die sie selber gar nicht mögen. Das ist dann der Unterschied zwischen Sirkscher Dutzendware und Vohrerscher2 Dutzendware. Sirk hat wenig gemacht, für das er sich geschämt hat, und das hat mir sehr imponiert.
Mich hat auch die dramaturgische Aufteilung der Geschichte von ANGST ESSEN SEELE AUF an Sirk erinnert: In der ersten Hälfte des Films kämpft das Paar mit den Problemen, die von außen kommen und nach innen eher eine stabilisierende Wirkung haben. Erst in dem Moment, in dem dieser Druck von außen aufhört, befassen sich Ihre Protagonisten (und damit auch der Film) mit den Konflikten, die das Paar logischerweise innen, miteinander haben muss.
Ja, das ist aber nicht Sirk, so ist das Leben. Bei Minderheiten, Außenseitern etc. ist das tatsächlich so, dass sie, solange sie den Druck von außen spüren, nicht zu ihren eigentlichen Problemen kommen, weil sie vollauf damit beschäftigt sind, sich nach außen abzuschirmen und sich so ’ner Solidarität zu versichern. Es war für mich beim Schreiben schwer, dann davon wegzukommen, ich habe mich gefragt, wie kann es eigentlich passieren, dass die Leute alle nicht mehr so viel Druck auf die beiden ausüben.
...
Wie lange haben Sie an dem Film gedreht?
Wir haben achtzehn Drehtage gebraucht, also etwa vier Arbeitswochen.
Hat sich Ihr Hauptdarsteller mit seiner Rolle identifiziert?
Ja, er hat sich doch weitgehend identifiziert; sehr stark hat sich auch Brigitte Mira mit ihrer Rolle identifiziert, denn sie hat in Wirklichkeit vergleichbare Beziehungen zu einem jüngeren Mann. Sie spürt da, wie ihr die Leute begegnen.
Bei Brigitte Mira hatte ich den Eindruck, dass hier gerade mit Schauspielern wieder was Neues in Gang kommt.
Ja, das waren auch die Beziehungen zwischen der Mira und mir und der Sache. Die Mira hat sich dafür aus ganz persönlichen Gründen engagiert – sie ist aber eben nicht jemand, der sowieso meint, er muss sich für alles engagieren, was er macht. Sie macht halt auch viele Sachen, die ihr völlig gleichgültig sind, wobei sie halt mehr verdient. Hier hatte sie nun etwas, wofür sie sich über Gage und Ruhm hinaus engagieren konnte. Dadurch wurde sie auf eine ganz eigenartige Weise auch für mich interessant, und ich habe noch nie mit Filmschauspielern so gearbeitet wie mit den beiden in ANGST ESSEN SEELE AUF. Ich habe fast jede Einstellung zehn-, fünfzehn oder zwanzigmal gedreht, was ich früher nie gemacht hätte; diesmal wollte ich wirklich das im Moment Maximale herausholen.
Film-Korrespondenz, Februar 1974
Mittwoch, 8. Februar 2017
Ihr solltet euch schämen! Ich mach schon mal den Anfang.
Fast ertrinkend in nächtlichen Rüpel-Tweets des neuen, legasthenischen Präsidenten der U.S.A., den dreisten Bemerkungen von Herrn Kaczyński, geplanten Korruptionsschutzgesetzen in Rumänien, Bildern von akkreditierten Journalisten, die von Marine Le Pens Leibwächtern aus dem Saal gejagt werden, Leibwächtern Trumps, die einen Mann, der unerwünschte Fragen stellt, mit dem Satz, "Geh doch in Dein Land zurück", er ist Amerikaner, rau wegdrängeln, hat mir ein Video von der Einweihung eines Kunstprojektes in Dresden endgültig den Magen umgedreht.
Für das "Monument" hat der Deutsch-Syrier Manaf Halbouni drei ausrangierte Buswracks hochkant aufgestellt, und das in Sichtweite der Frauenkirche, welch eine unglaubliche Frechheit.
Die riesige Skulptur soll Teil des Gedenkens an die Dresdner Bombennacht 1945 sein, aber eben auch einen neuen Bezug enthalten: In den Häuserschluchten Aleppos schützten so aufgestellte Busse die Menschen vor Bomben und Granatsplittern. "Hier wurde vor 72 Jahren alles zerstört. Das wurde zwar überwunden, aber der Prozess ist immer noch nicht vorbei. So wie in Aleppo", erklärte der 32-jährige Künstler seinen Ansatz. Manaf Halbouni lebt seit neun Jahren in Dresden, seine Mutter ist Deutsche, sein Vater Syrer, schreibt der STERN.
VIDEO
Einer gemahnt an die Schrecken von Bombenangriffen und wagt es Dresden 1945 und Aleppo gleichzusetzen, besser in Bezug aufeinander zu stellen, und die empörte Volksseele rast, rastet aus. Habt ihr völlig jedes Mitgefühl verloren? Seid ihr taub und blind für jeden Kummer, wenn es nicht eurer ist? Wer seid ihr? Bin ich, wie ihr? Ohne Scham? Ohne Gehirn? Ohne Anstand?
Schämt euch. Ich schäme mich.
Dresden/Lokales
Der kluge Herr Shakespeare hat es vor vielen Jahren auf den Punkt gebracht: Im Kaufmann von Venedig, Dritter Aufzug, Erste Szene:
Und was hat er für Grund! Ich bin ein Jude. Hat nicht ein Jude Augen? Hat nicht ein Jude Hände, Gliedmaßen, Werkzeuge, Sinne, Neigungen, Leidenschaften? Mit derselben Speise genährt, mit denselben Waffen verletzt, denselben Krankheiten unterworfen, mit denselben Mitteln geheilt, gewärmt und gekältet von eben dem Winter und Sommer als ein Christ? Wenn ihr uns stecht, bluten wir nicht? Wenn ihr uns kitzelt, lachen wir nicht? Wenn ihr uns vergiftet, sterben wir nicht? Und wenn ihr uns beleidigt, sollen wir uns nicht rächen?
Für das "Monument" hat der Deutsch-Syrier Manaf Halbouni drei ausrangierte Buswracks hochkant aufgestellt, und das in Sichtweite der Frauenkirche, welch eine unglaubliche Frechheit.
Die riesige Skulptur soll Teil des Gedenkens an die Dresdner Bombennacht 1945 sein, aber eben auch einen neuen Bezug enthalten: In den Häuserschluchten Aleppos schützten so aufgestellte Busse die Menschen vor Bomben und Granatsplittern. "Hier wurde vor 72 Jahren alles zerstört. Das wurde zwar überwunden, aber der Prozess ist immer noch nicht vorbei. So wie in Aleppo", erklärte der 32-jährige Künstler seinen Ansatz. Manaf Halbouni lebt seit neun Jahren in Dresden, seine Mutter ist Deutsche, sein Vater Syrer, schreibt der STERN.
VIDEO
Einer gemahnt an die Schrecken von Bombenangriffen und wagt es Dresden 1945 und Aleppo gleichzusetzen, besser in Bezug aufeinander zu stellen, und die empörte Volksseele rast, rastet aus. Habt ihr völlig jedes Mitgefühl verloren? Seid ihr taub und blind für jeden Kummer, wenn es nicht eurer ist? Wer seid ihr? Bin ich, wie ihr? Ohne Scham? Ohne Gehirn? Ohne Anstand?
Schämt euch. Ich schäme mich.
Dresden/Lokales
Der kluge Herr Shakespeare hat es vor vielen Jahren auf den Punkt gebracht: Im Kaufmann von Venedig, Dritter Aufzug, Erste Szene:
Und was hat er für Grund! Ich bin ein Jude. Hat nicht ein Jude Augen? Hat nicht ein Jude Hände, Gliedmaßen, Werkzeuge, Sinne, Neigungen, Leidenschaften? Mit derselben Speise genährt, mit denselben Waffen verletzt, denselben Krankheiten unterworfen, mit denselben Mitteln geheilt, gewärmt und gekältet von eben dem Winter und Sommer als ein Christ? Wenn ihr uns stecht, bluten wir nicht? Wenn ihr uns kitzelt, lachen wir nicht? Wenn ihr uns vergiftet, sterben wir nicht? Und wenn ihr uns beleidigt, sollen wir uns nicht rächen?
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