Samstag, 11. Februar 2017

AngstessenSeeleauf










 
Rainer Werner Fassbinder über seinen Film 
ANGST ESSEN SEELE AUF

Aus einem Gespräch mit Hans Günther Pflaum

Herr Fassbinder, Sie haben hier eine provozierend einfache, vereinfachte Geschichte erzählt. Besteht in der Reduzierung der Konflikte ein didaktisches Programm?

Ich finde, dass Geschichten, je einfacher sie sind, auch um so wahrer sind; der gemeinsame Nenner für viele Geschichten ist dann eine Geschichte, die so einfach ist. Wenn wir die Figur des Ali noch komplizierter gemacht hätten, dann hätten es die Zuschauer noch schwerer gehabt, mit dieser Geschichte fertig zu werden. Wäre diese Figur noch komplexer geworden, so hätte es der einen Seite, der Kindlichkeit dieser Beziehung zwischen Ali und Emmi, sehr geschadet – während jetzt die Geschichte so naiv ist wie die beiden Menschen, um die es geht. Obwohl die Beziehungen natürlich viel komplexer sind, das ist mir schon klar. Aber da bin ich der Ansicht, dass jeder Zuschauer sie selbst mit seiner eigenen Realität auffüllen müsste. Und die Möglichkeit hat er halt auch, wenn eine Geschichte so einfach ist. Ich finde, die Leute müssen ihre eigenen Veränderungsmöglichkeiten finden – sicher, man kann auch streng ideologisch vorgehen, aber das finde ich für das große Publikum nicht so relevant.

Könnte die Einfachheit dieses Films nicht den Zuschauern die Möglichkeit bieten, sich dieser Geschichte doch wieder zu entziehen, indem sie sagen: „Das ist in Wirklichkeit ja alles gar nicht so einfach“?

Sie haben die Möglichkeit, oder sie sind sogar gezwungen, sich dieser Geschichte zu entziehen, aber nicht zuungunsten des Films, sondern zugunsten ihrer eigenen Realität – das halte ich für das Wesentliche. Filme müssen irgendwann einmal aufhören, Filme zu sein, müssen aufhören, Geschichten zu sein, und anfangen, lebendig zu werden, dass man fragt, wie sieht das eigentlich mit mir und meinem Leben aus. Ich glaube, bei diesem Film ist jeder gezwungen – weil ihm die Liebe der beiden klar und rein entgegenkommt –, seine Beziehungen zu dunkelhäutigen und auch zu älteren Menschen zu überprüfen. Das halte ich schon für etwas sehr Wesentliches. Da kann man gar nicht einfach genug sein.


Andererseits wirkt diese Einfachheit unglaublich provozierend: wenn etwa Ali in Emmis Wohnung sitzt, man sieht die große, einsame, leere Wohnung und eine kleine, einsame Frau, er erzählt von seinem Zimmer, in dem sie zu sechs hausen – man fragt sich ganz spontan, ob Ali nicht zu Emmi ziehen sollte.

Ja, wir wollten auch versuchen, das so simpel durchzuhalten, dass man immer sagt: Eigentlich wären viele Dinge möglich. Ich halte den Menschen nicht für veränderbar. Das ist schon auch in der Struktur des Films drin, dass man sagt, ja, so ein bisschen anders, das geht schon besser. Und wenn man da weiter denkt, geht’s immer noch ein bisschen besser. Zu dem großen ideologischen Entwurf bin ich nicht fähig, das ist auch nicht meine Aufgabe, dazu sind andere Leute geschulter und auch richtiger. Mich interessieren halt diese kleinen Möglichkeiten, weil ich davon eine Ahnung habe und die auch spannend finde.

Wie weit stecken in ANGST ESSEN SEELE AUF auch die Erfahrungen mit anderen Filmen? Ich meine natürlich vor allem die Filme von Douglas Sirk.

Ja, eigentlich ist der Sirk, seit ich Filme von ihm gesehen habe und versucht habe, darüber zu schreiben, in allem drin, was ich seither gemacht habe. Nicht Sirk selbst, sondern das, was ich dabei gelernt habe. Sirk hat mir gesagt, was die Studiobosse in Hollywood ihm gesagt haben: Filme müssen in Garmisch-Partenkirchen, in Okinawa und in Chicago ankommen – und jetzt überleg dir, was für alle diese Leute der gemeinsame Nenner sein könnte. Wichtig war für Sirk dann noch, was viele andere in Hollywood nicht mehr gemacht haben – das dann noch mit sich selbst, mit der eigenen Persönlichkeit in Einklang zu bringen, also nicht nur so „für das Publikum“ zu produzieren, wie das hierzulande oft getan wird in den Filmen, die wir alle nicht mögen: jene Sex- und Unterhaltungsfilme, von denen die Produzenten denken, dass das Publikum sie mag und die sie selber gar nicht mögen. Das ist dann der Unterschied zwischen Sirkscher Dutzendware und Vohrerscher2 Dutzendware. Sirk hat wenig gemacht, für das er sich geschämt hat, und das hat mir sehr imponiert.

Mich hat auch die dramaturgische Aufteilung der Geschichte von ANGST ESSEN SEELE AUF an Sirk erinnert: In der ersten Hälfte des Films kämpft das Paar mit den Problemen, die von außen kommen und nach innen eher eine stabilisierende Wirkung haben. Erst in dem Moment, in dem dieser Druck von außen aufhört, befassen sich Ihre Protagonisten (und damit auch der Film) mit den Konflikten, die das Paar logischerweise innen, miteinander haben muss.

Ja, das ist aber nicht Sirk, so ist das Leben. Bei Minderheiten, Außenseitern etc. ist das tatsächlich so, dass sie, solange sie den Druck von außen spüren, nicht zu ihren eigentlichen Problemen kommen, weil sie vollauf damit beschäftigt sind, sich nach außen abzuschirmen und sich so ’ner Solidarität zu versichern. Es war für mich beim Schreiben schwer, dann davon wegzukommen, ich habe mich gefragt, wie kann es eigentlich passieren, dass die Leute alle nicht mehr so viel Druck auf die beiden ausüben.

...

Wie lange haben Sie an dem Film gedreht?

Wir haben achtzehn Drehtage gebraucht, also etwa vier Arbeitswochen.

Hat sich Ihr Hauptdarsteller mit seiner Rolle identifiziert?

Ja, er hat sich doch weitgehend identifiziert; sehr stark hat sich auch Brigitte Mira mit ihrer Rolle identifiziert, denn sie hat in Wirklichkeit vergleichbare Beziehungen zu einem jüngeren Mann. Sie spürt da, wie ihr die Leute begegnen.


Bei Brigitte Mira hatte ich den Eindruck, dass hier gerade mit Schauspielern wieder was Neues in Gang kommt.

Ja, das waren auch die Beziehungen zwischen der Mira und mir und der Sache. Die Mira hat sich dafür aus ganz persönlichen Gründen engagiert – sie ist aber eben nicht jemand, der sowieso meint, er muss sich für alles engagieren, was er macht. Sie macht halt auch viele Sachen, die ihr völlig gleichgültig sind, wobei sie halt mehr verdient. Hier hatte sie nun etwas, wofür sie sich über Gage und Ruhm hinaus engagieren konnte. Dadurch wurde sie auf eine ganz eigenartige Weise auch für mich interessant, und ich habe noch nie mit Filmschauspielern so gearbeitet wie mit den beiden in ANGST ESSEN SEELE AUF. Ich habe fast jede Einstellung zehn-, fünfzehn oder zwanzigmal gedreht, was ich früher nie gemacht hätte; diesmal wollte ich wirklich das im Moment Maximale herausholen.

Film-Korrespondenz, Februar 1974



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