Mittwoch, 17. Februar 2016

Noch ein Lied - Ombra ma fui


OMBRA MAI FU

Aus: Serse, deutsch Xerxes (HWV 40)
Oper von Georg Friedrich Händel in italienischer Sprache 

 Ich suche den Schatten, ich springe über meinen Schatten,
habe keinen Schatten,
 ich beschatte jemanden, ich schatte mich ab, 
Schattenwelt, schattig. "Du bist mein Schatten am Tage
und in der Nacht mein Licht." 
 
Wie kann ein Mensch so schön singen?


Xerxes, eine ungewöhnlich erfolglose Oper Händels, beginnt mit einem Liebeslied in F-Dur an einen Baum, eine Platane.

Ombra Mai Fù

Frondi tenere e belle
del mio platano amato
per voi risplenda il fato.
Tuoni, lampi, e procelle
non v'oltraggino mai la cara pace,
né giunga a profanarvi austro rapace.

Ombra mai fu
di vegetabile,
cara ed amabile,
soave più.


 Zarte und schöne Blätter
meiner geliebten Platane
Das Schicksal möge Dir lächeln
Mögen Donner, Blitz und Stürme
Nie Deinen süßen Frieden stören,
Noch sollen wehende Winde dich entweihen.

Nie war der Schatten
irgendeiner Pflanze
Teurer, lieblicher 
oder süßer. 

Am 24. Dezember 1906 oder 1909 sendete der kanadische Erfinder und Radio Pionier Reginald Fessenden an der Ostküste der USA das erste Radioprogramm, das mit einer Aufnahme von Ombra mai fu begann. Anschließend spielte er Heilige Nacht auf der Vioine und sang die letzte Strophe. Die Arie war also das erste Musikstück, das überhaupt im Radio gesendet wurde. Die Zuhörer bestanden aus einigen,wenigen Leuchtturmwärtern und Schiffskapitänen in der Nähe. (Wiki)


Ein Schatten ist der unbeleuchtete Raum hinter einem beleuchteten Körper. (auch Wiki)

Ein Kind erschrickt sich vor dem eigenen Schatten.
 



Die Borke einer Platane - Schichten über Schichten - Leben 
 
Die blassen Blätterschatten der Platane
gespenstern auf der schwach erhellten Mauer ...
Die blassen Blätterschatten der Platane ...

und strecken ihre geisterhafte Trauer
nach mir ... dass ich erschüttert Botschaft ahne ...
Die blassen Blätterschatten der Platane.


Christian Morgenstern Ich und Du 1911
 

Steckbrief

Name: Platane

Lateinischer Name: Platanus Anzahl der Arten: 10 Arten Verbreitungsgebiet: Europa, Nordamerika, Asien Früchte: braune, stachelige Kugeln Blütezeit: April - Mai Höhe: 20 - 50m Alter: 100 - 300 Jahre, Einzelexemplare deutlich älter Eigenschaften der Rinde: mehrfarbig (gelb, grau, hellbraun und grün) Eigenschaften des Holz: sehr hart Standorte des Baumes: sonnenreich, ansonsten relativ anspruchslos Blatt: drei zugespitzte Zacken, leicht mit dem Ahornblatt zu verwechseln
Interessantes über die Platane
Die Platanen bilden eine eigene, weltweit etwa zehn Arten umfassende Familie und sind als sogenannte Platanengewächse in vielen Ländern Europas, Amerikas und Asiens in der nördlichen Hemisphäre beheimatet. Diese immergrünen Bäume entwickeln eine breite und oft in ungewöhnlichen Formen erscheinende Baumkrone und können bis zu vierzig, selten auch fünfzig Meter hoch werden. Besonders auffallend ist die mehrfarbig gelb, grau, braun und grünlich gemusterte Borke, die sich in einzelnen größeren Platten ablöst. Die Blätter sind ungefähr handtellergroß und in mehrere dreieckige und ungleich große Lappen unterteilt. An der Oberseite erscheinen sie glänzend grün, an der Unterseite hingegen derber sowie filzig bis behaart. Die unscheinbaren, rötlich gefärbten Blüten sind kugelig und sitzen an langen Stielen. Daraus entwickeln sich die ebenfalls kugeligen Früchte, die den ganzen Winter über am Baum hängenbleiben und erst im folgenden Jahr zu Boden fallen.
Schon in der Antike wurde die Platane von den Römern und Griechen als heiliger Baum verehrt. Die älteste bekannte orientalische Platane, die als Heiligtum von Plataniotissa bekannt ist, steht im griechischen Kalavrita. Ihre Baumkrone weist einen Durchmesser von fast 25 Metern auf und soll bereits im Jahr 352 nach Christus gepflanzt worden sein.
In Europa ist die Ahornblättrige Platane der am weitesten verbreitete Vertreter seiner Gattung. Sie entwickelte sich im 17. Jahrhundert aus einer Kreuzung zwischen der Amerikanischen und der orientalischen Platane und avancierte in Europa wegen ihrer Robustheit und Frostunempfindlichkeit zu einem der beliebtesten Bäume in Alleen und öffentlichen Parkanalagen. Im 19. Jahrhundert wurde sie vor allem als Schattenspender entlang vieler Straßen gepflanzt.
 
 
 
 

Sonntag, 14. Februar 2016

Simon & Garfunkel - Like a bridge over troubled water - Wie eine Brücke über wildes Wasser

I’ll be your bridge over deep water if you trust in me.

Ich werde deine Brücke übers tiefe Wasser sein, 
wenn du mir vertraust.

Mary don`t you weep - Claude Jeter

1970. 
Zwei sehr junge Männer, gerade 15 geworden, Freunde, machen gemeinsam Musik, jüdische Jungs aus Queens, New York. Der eine ist ein musikalisches Genie, 
der andere hat eine Stimme, die so schön ist, dass man dahin schmelzen könnte .


Das Original
https://www.youtube.com/watch?v=H_a46WJ1viA 



Viele Jahre später, 2009 im Madison Square Garden, 
die beiden sind mittlerweile keine Freunde mehr.
https://www.youtube.com/watch?v=UVDg8fVC4EQ 
 
When you're weary
Feeling small
When tears are in your eyes
I will dry them all

I'm on your side
When times get rough
And friends just can't be found
Like a bridge over troubled water
I will lay me down

When you're down and out
When you're on the street
When evening falls so hard
I will comfort you

I'll take your part
When darkness comes
And pain is all around
Like a bridge over troubled water
I will lay me down


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Wenn du müde bist
Dich klein fühlst
Wenn du Tränen in den Augen hast
Werde ich sie trocknen

Ich bin auf deiner Seite
Wenn die Zeiten hart werden
Und Freunde nicht gefunden werden können
 Wie eine Brücke über wildes Wasser
Werde ich mich legen. 

Wenn du fertig und kaputt bist
Wenn du auf der Strasse bist
Wenn der Abend hart fällt
Werde ich dich trösten

Ich werde deine Rolle übernehmen
Wenn Dunkelheit kommt
Und Schmerz dich umgibt
Wie eine Brücke über wildes Wasser
Werde ich mich legen.

Freitag, 12. Februar 2016

ICH WOLLT ICH WÄR EIN HUHN

Gelegentlich, nicht sehr oft, nur wenn ich mich jemandem ganz und gar nicht
 verständlich machen kann, kommt mir dieses Lied in den Sinn. 
Wobei ich die Anstrengung, die es verlangt, ein Ei zu legen, 
wahrscheinlich unterschätze. 

Vor vielen Jahren habe ich in einem DEFA-Kinderfilm eine junge Mutter gespielt, die Hühnerzüchterin von Beruf war. Die mitspielenden Hühner, waren unfreiwillige Bewohner einer LPG-Legebatterie, die in diesem Film aufgefordert waren, Freilandhühner zu spielen und, nur zu verständlich, damit völlig überfordert waren. Kaum fähig selbstständig zu laufen, rissen sie sich nur gegenseitig die Federn aus. 
Erste Szene: längerer Dialog mit Huhn im Schoß. zeitgenau nach dem dritten Satz legte der verschreckte Vogel ein Ei in ebendiesen. Ich erlerne die Kunst der Hühnerhypnose. Da das Huhn ein äußerst kleines Gehirn hat, ist es mit der Konzentration auf mehr als eine Aufgabe überfordert. Eine Kreidelinie auf die der Kopf, und damit die Augen des Huhns gelenkt werden, beanspruchen seine volle Aufmerksamkeit. Es verfällt für etwa eine Minute in Trance. Die Szene kann ohne gelegtes Ei gedreht werden. Zu meiner Schande muß ich gestehen, dass ich während der gesamten Drehzeit aus purer rachsüchtiger Abneigung jeden Abend gegrilltes Huhn, das in jener Zeit "Broiler" genannt wurde, gegessen habe.


ICH WOLLT ICH WÄR' EIN HUHN

Ich wollt, ich wär ein Huhn
Ich hätt nicht viel zu tun
Ich legte vormittags ein Ei
Und abends wär ich frei


Mich lockte auf der Welt
Kein Ruhm mehr und kein Geld
Und fände ich das große Los
Dann fräße ich es bloß
Ich brauchte nie mehr ins Büro
Ich wäre dämlich, aber froh

Ich wollt, ich wär ein Huhn
Ich hätt nicht viel zu tun
Ich legte täglich nur ein Ei
Und sonntags auch mal zwei.


Der Mann hats auf der Welt nicht leicht
Das Kämpfen ist sein Zweck
Und hat er endlich was erreicht
Nimmt's eine Frau ihm weg.
Er lebt, wenn's hoch kommt, hundert Jahr
Und bringt's bei gutem Start
Und nur, wenn er sehr fleißig war
Zu einem Rauschebart

Ich wollt, ich wär ein Huhn
Ich hätt nicht viel zu tun
Mich lockte auf der Welt
Kein Ruhm mehr und kein Geld.


Ich brauchte nie mehr ins Büro
Und Du wärst dämlich, aber froh
Ich wollt, ich wär ein Huhn
Ich hätt nicht viel zu tun
Ich legte täglich nur ein Ei
Und sonntags auch mal zwei

Ich wollt, ich wär ein Hahn
Dann würde nichts getan
Ich legte überhaupt kein Ei
Und wär die ganze Woche frei.


Dann lockt mich auf der Welt
Kein Ruhm mehr und kein Geld
Ich setz mich in den Mist hinein
Und sing für mich allein
Ich ginge nie mehr ins Büro
Denn was ich brauchte, kriegt ich so

Ich wollt, ich wär ein Hahn
Dann würde nichts getan
Ich würd mit meinen Hühnern gehen
Das wäre wunderschön! 
Peter Kreuder / Fritz Beckmann
 © Michael Sowa
"Ich wollt', ich wär ein Huhn", "Good Bye, Jonny", "Ich brauche keine Millionen", "Nur nicht aus Liebe weinen" oder "Man müsste Klavierspielen können" - alle diese Ohrwürmer stammen von Hans Fritz Beckmann.


Montag, 8. Februar 2016

Konstanz - Fastnacht - Ho Narro!

HO NARRO!

13 Uhr an einem Sonntag im Februar, 83 Fastnachtsvereine veranstalten einen Umzug durch die Stadt Konstanz, alle Anwohner sind anwesend, als Teilnehmer oder Zuschauer, viele sind verkleidet, manche nicht. Das Wetter sonnig und kalt, die Stimmung freundlich.

Ho Narro! Das habe ich heute ungefähr 584 mal gerufen. Obwohl ich keine Ahnung hatte was das heißt, wahrscheinlich so etwas wie: Hey, Narren!. Hätte ich heute an den Initiationsriten eines südamerikanischen Stammes im Regenwald oder der Bar Mitzwa eines orthodoxen Juden in Brooklyn oder einer nigerianischen Hochzeitszeremonie teilgenommen, ich hätte mich nicht fremder fühlen können, dabei ist mein Beruf doch auch eng verbunden mit Verkleidung, Maskierung, Verstellung. In einer ostdeutschen, ddrischen Großstadt aufgewachsen, sind meine Bindungen an die alten Bräuche unserer Stämme sicher sowieso dünn, ich sage nur "Jahresendflügelfigur", aber meine preussische-jüdische Herkunft verhindert darüberhinaus jedes tiefere Verständnis für Karneval und Fastnacht. Aber zumindest habe ich heute erlebt, wie sehr sich Menschen damit verbunden fühlen können und meine Fremdheit hat meinem Vergnügen keinen Einhalt geboten.

Sitzengeblieben.

Eine Familie von Eulen.

Maus mit Mütze.

Zwei kleine Hexen.

Zwei kleine Hexen im Gespräch.

Tigerfamilie.

Tigerfamilie mit Bär vorne links.

Königlicher Hahn.

Hexe.

Leute mit Masken und welche ohne.

 Ganz in schwarz mit Zunge und Glocken.

Monster vorbeigehend.


 Strohritter.

Müder Geist.

Coole Kinder hinter Masken.

Startrooper nach Hause gehend in Konstanz.


Freitag, 5. Februar 2016

Schmutziger Donnerstag in Konstanz

DER SCHMUTZIGE DONNERSTAG

Zwei Berliner fahren neun Stunden in den Süden, nach Konstanz, es ist der Beginn der Fastnacht, bald beginnt für Katholiken die Fastenzeit und vorher wird nochmal richtig geschlemmt und gefeiert. Hier sind wir Fremde, irritiert und neugierig. Fast jeder ist verkleidet, aber zwischen den üblichen Piraten, Räubern, Prinzessinen, Vampiren, häßlichen Billigperrücken und hochindividuellen arbeitsintensiven Kostümierungen, tauchen andere beunruhigende Wesen auf, krass, aggressiv, alt. Die Züge grob, haarige Körper, Zähne wie Hauer. Da lebt noch ein Rest von etwas Altem, Ungezügelten. Spannend. 
Ich bin hier um den "Diener zweier Herren" zu inszenieren, Truffaldino, eine Variante des Harlekins, ist die Triebkraft des Stücks. Er hat Hunger, er ist frech, er ist sinnesfreudig, er ist so amoralisch, wie es auch seine Lebensumstände sind, aber da ist noch etwas Anderes, etwas Gefährliches in ihm. Die ursprüngliche Commedia Figur hatte eine Beule auf der Stirn, will da ein Teufelshorn heraus?



DER SCHMUTZIGE DONNERSTAG laut Wiki
Mit dem Schmotzigen Donnerstag (auch Schmotziger Dunschtich, 
Schmotziger Dauschtich, Schmotziga Dorschdich, Dicker Donnerstag, 
Unsinniger Donnerstag, Schmotziga Dauschteg, Gombiger Doschdig, 
Gumpiger Dunschtig, Glombiger Doschdig, Lumpiger Donnerstag 
oder einfach nur Schmotziga, in Südbaden und der Schweiz Schmutzige Dunschtig/Schmutziger Donnerstag) beginnt in der schwäbisch-alemannischen 
Fastnacht die eigentliche Fastnachtszeit. Er fällt auf den Donnerstag vor Aschermittwoch.
In vielen Fastnachtshochburgen werden Umzüge veranstaltet und Straßenfastnachten gefeiert, Kindergartenkinder oder Schüler befreien die Amtsgeschäfte und der Rathausschlüssel wird symbolisch vom Bürgermeister bis zum Fastnachtsdienstag an die Narren übergeben. Vielerorts (besonders im alemannischen Raum) ist der Tag ein gern gesehener Anlass, Fettgebackenes (Fasnetsküechle: Hefegebäck, z. B. Berliner oder Krapfen, aus Brandteig, z. B. Scherben, Nonnenfürzle oder aus Quark-Öl-Teig) 
zu vertilgen. Im Rheinland sind solche Gebäcke auch unter dem Namen Mutzen, 
anderorts auch als Quarkbällchen zu haben.




Blaskapellen an jeder Ecke. Bläser und Trommler. Alt und jung machen zusammen Musik. Ganz in Gold, kunterbunt, in schwarz, man könnte es auch dunkelblau-face nennen. Sie spielen wilde Varianten bekannter Popsongs. Ich hasse Blasmusik, aber hier tanze ich mit. Sie spielen mit Lust und Stolz. Sie spielen ohne Ironie, ohne Bezug zur Marschmusik, fast könnte man es Jazz nennen. Sie und ich haben Spaß.






Armer cooler Kerl, allein mit seinem Telephon.



Abgelegte Maske hinter einem Umzugswagen.



Netter älterer Herr setzte seine Maske auf meine Bitte hin nocheinmal auf. 
Die Augen leuchten elektrisch rot. Ich hab mich erschrocken.





Es ist spät geworden.




Engel im Gespräch.




Dinosaurier im Gespräch






Blueface.

Mittwoch, 3. Februar 2016

Die Lieblingsnichte ist ein Leckermaul

Heute, bevor es für sechs Wochen nach Konstanz geht, ein herrliches Abschiedsessen mit der Nichte in einem koreanischen Restaurant um die Ecke.

Meine Nichte ißt gern. Gott sei Dank. Alle in meiner Familie, verwandt, angeheiratet oder sonstwie eingemeindet, essen gerne. Nicht wirklich Gourmets, eher Gourmands. Gut muß es schmecken und es muß ausreichend davon geben. 

Manche von uns sind schlank, manche voll schlank. Tja. 

Als Gourmet wird in der deutschen Gastrosophie ein Feinschmecker bezeichnet, ein sachkundiger Genießer raffinierter Speisen und Getränke. Der ebenfalls aus dem Französischen entlehnte Gourmand wurde im Gegensatz dazu in der deutschen Sprache seit dem 18. Jahrhundert eher als Synonym für „Leckermaul“ oder „Vielfraß“ verwendet, der sich durch fehlende Mäßigung auszeichnet, sagt Wiki.

Vor Jahren war es meiner Mutter unter großen Anstrengungen gelungen, zwei Plätze in einem französichen Nouvelle Cuisine Restaurant mit vielen Sternen zu reservieren. Wir treten wohlgekleidet ein, sehen beim Gang zu unserem Tisch im Vorübergehen die ersten Teller: zwei Erbschen im Dialog mit einem Hauch von Karottenschaum an einer nahezu unsichtbaren Scheibe Rindfleisch, gelagert auf einem Löffelchen Trüffelpüree. Meine Mutter fingiert einen großartigen Ohnmachtsanfall, ich lehne das Angebot, einen Arzt zu rufen, ab, ein Taxi wird gerufen und wir beide fahren davon. Fünfzehn Minuten später sitzen wir beim Chinesen und löffeln, oder besser stäbchen Moo-Shu Pork. Himmlisch.

 Kräutersalat im Daemon

Meine Lieblingsnichte: Sie kostet. Sie schnuppert. Schnüffelt. Schmeckt. Schmatzt. Sie kaut. Ißt. Frißt. Sie genießt. Sie lächelt selig. Lehnt einige Geschmäcker entschieden ab. Entdeckt andere, neue. Ist verblüfft. Erfreut. Begeistert. Gierig. Es ist eine Lust ihr beim Essen zuzusehen! Und sie läßt mich immer kosten!

Von der Nachspeise, einem "koreanischen" Schokoladenkuchen, haben sie ihr einen Nachschlag gebracht, mit Schokosaucen-Smiley!


Was für ein dreifaches Glück. Weil die verfluchte Mauer weg ist, haben wir jetzt koreanische, chinesische, bulgarische, mexikanische, und und und Restaurants und wir können es uns leisten, immer mal wieder essen zu gehen, und meine Wundernichte ist ein wirklicher Genießer! Denn es funktioniert genauso mit guter Pizza und frischem Brot mit Schmalz.
 
http://dae-mon.com/
Daemon ist wirklich nicht billig. Aber sehr gut.

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Es war einmal ein Bäcker,
Der prunkte mit seinem Wanst,
Wie du ihn kühn und kecker
Dir schwerlich träumen kannst.
Er hat zum Weibe genommen
Ein würdiges Gegenstück;
Doch sie konnten zusammen nicht kommen
Sie waren viel zu dick.

Frank Wedekind

Ruth Klüger vor dem Bundestag

Rede von Ruth Klüger ZWANGSARBEITERINNEN 

 
Es gilt das gesprochene Wort
Der Winter von 1944/45 war der kälteste Winter meines Lebens und blieb sicher unvergesslich für alle, die ihn damals in Europa erlebten. Ich bin jetzt 84 Jahre alt und hatte zwar noch nicht viele Winter hinter mir, ich war gerade erst 13 Jahre alt geworden, aber auch die vielen anderen, die noch folgen sollten, waren für mich nie wieder so kalt wie dieser letzte Kriegswinter. Kälte, der man hilflos ausgesetzt ist, bleibt für mich auf immer verbunden mit Zwangsarbeit im Frauenlager Christianstadt, ein Auβenlager des KZs Groβrosen in Niederschlesien, wie es damals hieβ. Heute liegt der Ort in Polen.
Bei Zwangsarbeitern denkt man an erwachsene Männer, nicht an unterernährte kleine Mädchen. Aber ich war keineswegs bemitleidenswert, im Gegenteil, ich hatte groβes Glück gehabt und war stolz darauf. Denn es war mir gelungen, mich im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau im Sommer 1944 -- das war eine Saison, in der die Gaskammern und Kamine im Lager auf Hochbetrieb liefen--, mich in eine Selektion einzuschmuggeln, die arbeitsfähige Frauen im Alter von 15 bis 45 Jahren zum Kriegsdienst auswählte. Da hatte ich mich in eine Warteschlange gestellt, und auf die Frage des amtierenden SS-Manns mein Alter, damals noch zwölf Jahre, als fünfzehn angegeben, eine sehr unwahrscheinliche Lüge, denn ich war nach fast zwei Jahren Theresienstadt unterernährt und unentwickelt. Die Lüge war mir von einer freundlichen Schreiberin, ein Häftling wie ich, zwei Minuten früher eingeflüstert worden und ich hatte sie tapfer wiederholt. Der SS-Mann betrachtete mich und meinte, ich sei aber sehr klein. Die Schreiberin behauptete kühn, ich hätte starke Beine, "Sehen Sie doch nur, die kann arbeiten"; er zuckte die Achseln und lieβ es gelten. Einem Zufall von wenigen Minuten und einer gütigen jungen Frau, die ich nur einmal im Leben gesehen habe, verdankte und verdanke ich mein Weiterleben, denn der Rest des Transports von Theresienstadt, mit dem ich gekommen war, wurde in den nächsten Tagen vergast. Wir Ausgewählten wurden in Waggone verfrachtet und ins Arbeitslager verschickt.
Die ersten Tage in Christianstadt waren für mich der Inbegriff von Erleichterung, um nicht zu sagen Glück. Es war warm, es gab Gras und Bäume im Wald, die Luft war klar, eine Wohltat nach dem kadaverartigen Dunst, der in Auschwitz, von den Kaminen ausgehend, über dem Lager hing. Vor allem war die erdrückende Todesangst vorbei.
Die positiven Gefühle dauerten nicht lange. Es wurde nass, dann sehr kalt. Wir wurden morgens durch eine Sirene oder Pfeife geweckt und standen im Dunkel Appell. Stehen, enfach stehen, ist mir noch heute so widerlich, dass ich manchmal aus einer Schlange ausscheide und weggehe, wenn ich schon fast dran bin, einfach weil ich keinen Augenblick länger in einer Reihe bleiben möchte. Wir bekamen eine schwarze, kaffeeartige Brühe zu trinken, eine Portion Brot zum Mitnehmen und marschierten in Dreierreihen zur Arbeit. Neben uns lief eine Aufseherin, die uns mit ihrer Pfeife im Gleichschritt halten wollte. Alles Pfeifen nützte nichts, den Gleichschritt haben wir trotz des Ärgers der Aufseherinnen nicht gelernt. Es freute mich in meinem kindlichen vorfeministischen Widerstandstrotz, dass man jüdische Hausfrauen nicht veranlassen konnte, im Schritt zu gehen. Wir waren nicht aufs Marschieren gedrillt worden. Männer konnte man leichter dazu trainieren.
Die Arbeit war Männerarbeit, wir haben den Wald gerodet, die Stümpfe schon gefällter Bäume ausgegraben und weggebracht; auch Holz gehackt und Schienen getragen. Da sollte wohl etwas gebaut werden, was es war, wurde uns natürlich nicht gesagt und hat mich auch nicht interessiert. Es liegt im Wesen der Zwangsarbeit, dass die Arbeiter den Sinn ihrer Arbeit entweder nicht kennen oder ihn verabscheuen. Marx hätte seine Freude, und hoffentlich auch sein Entsetzen, an dieser Probe aufs Exempel gehabt Einer körperlichen Arbeit, die etwas Auferlegtes, Nichtgewähltes ist, stellt sich die Lethargie als Defensivmechanismus entgegen. Ich habe damals soviel Sabotage wie möglich getrieben, indem ich mir auswendig gelernte Gedichte aufsagte, aus Schwäche, aus Langweile, aber auch aus Überzeugung. Was immer in Christianstadt entstehen sollte, es kam nicht rechtzeitig zustande.

Manchmal hat man einige von uns an die Zivilbevölkerung ausgeliehen, dann saβen wir auf Dachböden und haben zum Beispiel Zwiebel zum Aufhängen auf Schnüre gereiht. Das war besser als im Freien arbeiten, nicht so anstrengend und vor allem weniger kalt. Die Dorfbewohner haben uns angestarrt, als seien wir Wilde. Wenn ihnen damals ein Licht aufging, was es mit den zerlumpten Häftlingen im benachbarten Arbeitslager auf sich hatte, so haben sie's nach Kriegsende verdrängt, denn da wollte niemand gewusst haben, was in den Lagern vor sich ging, noch weniger, dass man im Dorf gelegentlich davon profitiert hatte.
Manchmal mussten ich und meine Freundin Susi, eine Sechzehnjährige, in den Steinbruch, den ältesten Arbeitsplatz in Groβ-Rosen, um dessentwillen dieses KZ dort überhaupt errichtet worden war. Im Steinbruch war es zum Verrecken kalt. Wir klammerten uns aneinander, aber das nützte nicht viel. Man konnte sich so gar nicht gegen die Kälte schützen, unsere Kleidung war viel zu dünn, an den Füβen hatten wir Zeitungspapier, das half, aber nicht genug. und wir hatten vereiterte Wunden an den Beinen, denn es heilte alles so schlecht. Wir sehnten uns nach der nächsten Pause, Mittagspause, dann Feierabend. Zweifel der an Verzweiflung grenzt: wie lange halte ich das noch aus? Hoffnung: morgen zum Lagerdienst im Lager bleiben zu dürfen, um dort sauber zu machen. Aber das war ein seltenes Privileg.
Etwa zwölf Jahre später schaue ich Susi, die meine lebenslange Wahlschwester wurde, in Kalifornien zu, wie sie mit ihren zwei kleinen Kindern im warmen Sand spielt. Die beschwichtigende, überlegene Stimme, 'mach dies oder jenes'. Plötzlich sehe ich uns wie damals, wir hocken beieinander im Steinbruch in der Kälte. Susi legt einen Arm um mich, ich wende mich weg, denn der Sand erstarrt zu schlesischem Granit, und das Kinderspiel ist düster geworden. Vom Steinbruch träum ich noch manchmal. Es ist ganz öde, ich möchte mich irgendwo wärmen, aber wo denn?
Über diese traumhafte und gestaltlose Öde habe ich später ein Gedicht verfaβt, ein "Landschadftsgedicht", nannte ich es. Es sind zusammenhanglose Traumbilder, Eindrücke eines Zustands, der Inbegriff des Arbeitslagers, wie ich es erlebte. Ich lese es vor:
Auf dunklem Abhang steht ein lichtes Haus.

Im Steinbruch frieren Kinder. Eines hascht
nach einer Eidechse, die ihm entwischt.

Ein Gesichtsloser
sucht sich zum Graben hinunterzuwälzen.

Das Mädchen,
die tuchbedeckte Schüssel krampfhaft haltend,
läuft schluchzend ins lichte Haus.

Im Steinbruch frieren Kinder in der rostigen Luft.
Unter eisernen Bäumen bücken sich wortlose Paare
und sammeln metallene Frucht.


Die Mehrzahl der Frauen, darunter auch meine Mutter, arbeiteten in einer Munitionsfabrik, zusammen mit verschleppten Franzosen, Männern, die besser ernährt wurden als wir, weil sie für diese Arbeit besser ausgebildet und daher wertvoller waren. Dafür konnten sie auch besser Sabotage treiben. Wenn sie grinsend zu den Frauen geschlendert kamen mit den Worten: "Plus de travail, les filles", so konnte man sich darauf verlassen, dass sie eine Maschine stillgelegt hatten, indem sie die richtigen Schrauben lockerten oder sonstwas Unauffälliges anstellten, das die Deutschen erst finden und richten muβten. Sklaven- oder Zwangsarbeit hat ihre Tücken, und für die Nazis ist wohl oft weniger dabei herausgesprungen als sie ursprünglich am Reiβbrett errechneten. Leider immer noch zuviel.
Genau gesehen ist Zwangsarbeit insofern schlimmer als Sklavenarbeit, weil der leibeigene Sklave einen Geldwert für seinen Besitzer hat, den dieser verliert, wenn er den Sklaven verhungern oder erfrieren läβt. Die Zwangsarbeiter der Nazis waren wertlos, die Ausbeuter konnten sich immer noch neue verschaffen. Sie hatten ja so viel "Menschenmaterial", wie sie es nannten, dass sie es wortwörtlich verbrennen konnten. Und erst die Frauen! Die konnten ja nicht einmal so gut arbeiten wie die Männer. Manche Männer, wie die eben erwähnten Franzosen, waren ausgebildet in Berufen die für den Kriegseinsatz brauchbar waren. Doch die Frauen? Man konnte sie ruhig bis zum Verhungern ausnützen. Fast niemand im Lager menstruierte, dazu braucht's ein gesünderes Leben. Sie waren vor allem Hausfrauen gewesen. Das war die Generation, die nur selten Berufe ausserhalb des Haushalts ausübte. Sie waren Menschen der Mittelklasse, die Generation meiner Mutter, um die Jahrhundertwende geboren, die erzogen wurden und damit gerechnet hatten,dass die Männer in der Familie sie zeit ihres Lebens ernähren und beschützen würden. Sie hatten fast nichts zu bieten als ihre beschränkte Geschicklichkeit und die verminderte Körperkraft der Hungernden.

Ich sage "fast", denn etwas können Frauen doch ausüben, was man als einen weiblichen Beruf bezeichnet hat, nämlich die Prostitution. In manchen Konzentrationslagern für Männer, darunter Mauthausen, das einzige KZ in meinem Geburtsland Österreich, gab es sogenannte "Sonderbaracken", wo Frauen, hauptsächlich im Frauenlager Ravensbrück rekrutiert, gewissen KZ Insassen zur Verfügung standen. Dort, in der Sprache von Heinrich Himmlers unnachahmlich arroganter Menschenverachtung [Zitat] "sollen den fleißig arbeitenden Gefangenen Weiber in Bordellen zugeführt werden ". Ende Zitat. Der Kulturwissenschaftler Robert Sommer nennt diese Situation ganz korrekt "sexuelle Zwangsarbeit", wobei der Nachdruck auf den Zwang fallen muss. Nach dem Krieg gab's sofort, und gibt's vielleicht heute noch immer, zahlreiche pornografische Bücher und Bändchen, die, oft bilderreich, vorgaben, die Prostitution im KZ darzustellen. Sie waren natürlich erfunden. Auf dieser Ebene, nämlich der einer zweifelhaften Unterhaltungsliteratur, war's ein Geschäft und fand Leser und Abnehmer. Die Wirklichkeit war Lagerwirklichkeit und nicht so erotisch aufreizend. Die Frauen waren in ständiger Gefahr geschlechtskrank oder schwanger zu werden, durch einen serienmäβigen Geschlechtsverkehr, der je höchstens 20 Minuten dauern durfte, während draussen vor der Baracke schon eine Schlange wartender Männer stand. Das ist nicht eine "Arbeit", die man sich freiwillig aussucht, wie den miβbrauchten Frauen nach dem Krieg manchmal zynisch vorgeworfen wurde. Die Prostituierten wurden später auch nicht als Zwangsarbeiter eingestuft, und die Überlebenden hatten keinen Anspruch auf Restitution -- die sogenannte Wiedergutmachung -- oder erhoben keinen solchen Anspruch. Noch weniger ihre Familien, die sich ihrer schämten. Der Respekt, den man den Überlebenden der Lager entgegenbrachte, wenn nicht immer, so doch oft, galt für sie nicht. Erst in letzter Zeit ist ihr Schicksal genauer erforscht worden. Eine solche Diskriminierung und Vertuschung geht natürlich auf uralte Vorurteile zurück, laut denen der Geschlechtsverkehr die Frau entehrt,den Mann aber stärkt. Und doch haben gerade diese gefangenen Frauen weniger für den Nazikrieg geleistet als alle anderen Zwangsarbeiter. Sie haben nur sich selbst geschadet, körperlich und seelisch. Wenn wir heute der Zwangsarbeiterinnen von damals gedenken, so müssen wir sie miteinschlieβen. (Übrigens waren weder diese "fleiβig arbeitenden" Privilegierten" noch "die Weiber" jüdischer Herkunft. Das wäre ja Rassenschande gewesen.)
Zurück zu meiner eigenen Geschichte. Beim Roden und Schienenlegen hatten wir öfters Kontakt mit deutschen Zivilisten, die auch unsere Vorarbeiter waren. Einmal saβ ich in einer Pause auf einem Baumstamm neben einem dicken, vierschrötigen Mann, der mich angesprochen haben muss, denn aus eigenem Antrieb hätte ich mich nicht neben ihn gesetzt. Er war neugierig, es war klar, dass ich nicht in die Vorstellungen passte, die man sich von Zwangsarbeitern machte. Ein dunkelhaaiges, vehungertes Sträflingskind, das aber einwandfreies Deutsch sprach, noch dazu ein Mädchen, ungeeignet für diese Arbeit, eine die in die Schule gehörte. Wie alt ich denn sei, fragte er. Ich überlegte, ob hier die Wahrheit am Platz sei. Vorsicht war geboten, denn die drei Jahre Altersunterschied, die ich mir angedichtet hatte, waren erst kürzlich meine Überlebensstrategie gewesen. Ich weiβ nicht mehr, was ich ihm antwortete, doch ich weiβ, dass ich nur eine Absicht hatte: Ich hätte ihn gern dazu gebracht, mir sein Schmalzbrot zu schenken Das war nicht nur eine Frage des Hungers, sondern, abgeleitet vom Hunger, wäre es auch eine Leistung gewesen, wenn ich eine solche Köstlichkeit, die es im Lager selbstverständlich nicht gab, mit meiner Mutter und mit Susi hätte teilen können. Ich weiss nicht mehr, wie ich mich entschied, nur dass er mir das Schmalzbrot nicht gegeben hat. Er schnitt mir zwar einen Bissen davon ab, aber den konnte ich ja nur dankbar und sofort aufessen.
Ich beantwortete also seine Fragen mit äuβerster Zurückhaltung, denn nichts lag mir ferner als mich mit einem fremden Deutschen aufs Glatteis zu begeben. Er hingegen erzählte mir, auch die deutschen Kinder gingen jetzt nicht mehr zur Schule, die würden jetzt alle eingezogen. Er fraβ mit Genuβ, während er mir vom hungernden Deutschland berichtete.
In seiner Erinnerung, stelle ich mir vor, war ich auch später, als der Krieg vorbei war, eine kleine Jüdin, der es gar nicht so schlecht ging, denn sie hat keine Schauermärchen erzählt, obwohl er ihr in seiner aufmunternden Art Gelegenheit dazu gab, ja sie geradezu aufforderte, über ihr Leben zu plaudern. Und Angst hatte sie auch keine, sonst hätte sie nicht so frisch von der Leber weg geredet. Und vielleicht benutzt er unsere Begegnung als einen Beweis, dass es den Juden im Krieg nicht schlechter ging als anderen Leuten auch.
Das nächste Mal, als ich versuchte, etwas Essbares zu ergattern,war ich noch erfolgloser. Das war kurz vor Auflösung des Lagers, als wir schon die Geschütze der Sowjetarmee hörten und die Arbeit eingestellt worden war. Es gab jetzt so wenig zu essen, dass ich an nichts anderes mehr denken konnte als an Nahrung. Wenn ich meine Tagesration bekam, schlug ich die Zähne ins Brot, als müβte ich mir das ganze Stück auf einmal in den Mund stopfen. Ganz selten sah ich mich wie von auβen und schämte mich.
Eines Abends hörte ich von Susi, dass an der Hintertür der Küchenbaracke irgenewelche Abfälle verschenkt würden, die die Köchinnen ausdrücklich den Kindern geben wollten. Ich lief hin, es kamen noch ein paar andere Frauen, ich wurde ungeduldig, stieg die paar Stufen zum Barackeneingang hinauf, die anderen hinter mir, und laufe den beleuchteten Gang entlang, der zur Hintertür der Küche führte. Da öffnete sich eine Seitentür, ein langer SS-Mann kam heraus, der ruft mich, ich steh' vor ihm, Essgeschirr in der Hand, er fragt, was ich will, ich sag's ihm, es soll hier noch Reste zum Verteilen geben, er sagt sowas wie: "Jetzt geben Sie man acht!", (mit unvergesslich preussischer Aussprache, für mein österreichisches Ohr), ich denke noch immer, er lässt mich passieren, denn er wird doch nicht wollen, dass man etwaige Reste wegwirft, doch nicht bei dieser Hungersnot, und da schlägt er mir schon mit voller Wucht ins Gesicht. Ich taumle nach hinten, den ganzen Gang entlang, schlage mit dem Kopf auf, die Holzpantinen fallen mir von den Füβen, das Essgeschirr aus den Händen. Susi hilft mir auf, wir gehen zurück zu unserer Baracke, auf dem Weg schimpfe ich wie ein Rohrspatz: "Es wird ihn schon noch erwischen, den Kerl, der mich geschlagen hat, früher oder später erwischt's ihn." -- Jahrzehnte später in Göttingen höre ich einem Mann im Rentneralter zu, wie er in Schmidts Drogerie-Markt sich gegenüber einer Verkäuferin den Mund über die schmarotzenden Ausländer aus Polen zerreiβt. "Die Ausländer, die sollt' man vergasen und die Politiker gleich dazu," meinte er. Ich schau hin zu ihm, schätze sein Alter, ja der ist alt genug, der könnt's gewesen sein. "Solche Sprüche," sag ich beklommen zu ihm, wir sehen uns in die Augen, Freunderl, wir kennen uns. Da sagt er mit festem höhnischem Blick: "Ja, ja, Sie haben schon richtig gehört."
Das Lager Christianstadt wurde Anfang 1945 aufgelöst und die Häftlinge in ein weiteres, nämlich nach Bergen-Belsen überführt. In den ersten paar Tagen ging der Transport zu Fuβ, dann wurde er in einen Zug verladen, wie ich nach dem Krieg erfuhr. Aber da waren wir nicht mehr dabei. Meine Mutter, Susi und ich sind am zweiten Abend geflohen -- und haben überlebt. Aber das ist schon eine andere Geschichte.

Wenn die deutsche Zivilbevölkerung später beteuerte, sie hätte nichts über den Massenmord gewusst, so kann man sich darüber streiten, ob das stimmt, doch die massenhafte Ausbeutung durch Zwangsarbeit war sehr wohl bekannt. Viele Jahre später, als ich oft in Deutschland war und auch wieder viele Freunde hier hatte (und noch habe), stieβ ich gelegentlich auf Menschen, deren Familien Zwangsarbeiter während der Nazizeit im Hause hatten. Meine Freunde erinnerten sich an diese verschleppten Menschen mit Behagen, oft auch mit Zuneigung. Die hatten es gut bei uns. Die haben mit uns Kindern gespielt und gelacht und gesungen. Die wohlmeinenden Erzähler wussten nicht, oder wollten nichts wissen, von der wachen Zurückhaltung, dem Miβtrauen, der Verachtung oder dem Neid, der Über- oder Unterschätzung des Feindes, die in diesen unbezahlten Haushaltshilfen gesteckt haben muss. Und wenn es einigen von denen doch manchmal im Feindesland gemütlich wurde und sie mit den Feinden sympathisierten, so hatte der Feind sie ja untergekriegt und sie hatten ein Stück ihrer Identität aufgegeben. Wenn die damaligen deutschen Kinder, inzwischen Erwachsene, die für mich diese Erinnerungen auskramten, diesen Konflikt nicht wahrhatten, so kommt das daher, dass keiner sich so ohne weiteres als Feind sieht. Der Feind ist immer der andere, wie könnte man selber ein Feind sein, besonders wenn man lieb zu Fremden und der Augapfel der Eltern ist. Man vermied das Wort Zwangsarbeiter, wenn man von ihnen sprach und man zuckte zusammen, wenn ich mich nicht scheute, das Wort Sklavenarbeit in den Mund zu nehmen.
Zum Beispiel, in Oldenburg, da hielt ich einen Vortrag an der Universität über ein literarisches Thema (ich glaube es war über Kleist und den Sklavenaufstand im heutigen Haiti, in San Domingo, eine seiner groβen Novellen). Nachher beim Wein, erzählt eine pensionierte Studienrätin, Gastarbeiter hätten während des Kriegs auf dem Bauernhof, wo sie aufwuchs, gearbeitet. "Die waren nicht zu Gast," sage ich stur, "die waren Zwangsarbeiter". "Ja, ja," erwidert sie, in Erinnerung versunken, "Kriegsgefangene waren das, Polen." Ich lass nicht so leicht locker. Auch keine Kriegsgefangenen, sage ich, der Krieg mit Polen war längst zuende, der hat nicht lange gedauert, Zivilisten waren das, Verschleppte, auch Frauen, die zu Hause ihre eigenen Familien hatten. Sie sieht mich ernst an, und ich denke noch, die ist ein gutmütigerer Mensch als ich es bin, denn sie ist nicht so aggressiv verbissen wie ich. "Ja, ja, Zwangsarbeiter," sagt sie, "wie traurig,ein Pole und eine Polin." Aber der Mann, der Pole, der sei gar nicht hasserfüllt gewesen, sondern hätte ihnen ein Pferd, das polnische Banden gestohlen hatten, wieder besorgt. Versöhnlich sei er gewesen. -- Immerhin, ich hab' sie dazu gebracht, zuzugeben, dass es da etwas zum Versöhnen gab.

Meine Herren und Damen, ich habe jetzt eine ganze Weile
über moderne Versklavung als Zwangsarbeit in Nazi-Europa gesprochen und Beispiele aus dem Verdrängungsprozess zitiert, wie er im Nachkriegsdeutschland stattfand. Aber eine neue Generation, nein, zwei oder sogar drei Generationen sind seither hier aufgewachsen, und dieses Land, das vor achtzig Jahren für die schlimmsten Verbrechen des Jahrhunderts verantwortlich war, hat heute den Beifall der Welt gewonnen, dank seiner geöffneten Grenzen und der Groβherzigkeit, mit der Sie die Flut von syrischen und anderen Flüchtlingen aufgenommen haben und noch aufnehmen. Ich bin eine von den vielen Auβenstehenden, die von Verwunderung zu Bewunderung übergegangen sind. Das war der Hauptgrund, warum ich mit groβer Freude Ihre Einladung angenommen und die Gelegenheit wahrgenommen habe, in diesem Rahmen, in Ihrer Hauptstadt, über die früheren Untaten sprechen zu dürfen, hier, wo ein gegensätzliches Vorbild entstanden ist und entsteht, mit dem bescheiden anmutendem und dabei heroischem Wahlwort: Wir schaffen das.


Ich danke Ihnen für diese Einladung.

https://www.youtube.com/watch?v=-K02wZPcrLM

Dienstag, 2. Februar 2016

Theater hat ganz unterschiedliche Premieren - Regisseure sind auch arm dran


 SCHLÜSSELWÖRTER sind schwierig

Meine Lieblingsnichte mußte im Auftrag ihrer Deutschlehrerin einen Text auf seine Schlüsselwörter untersuchen. Der Text war blöd und öd. Das Schlüsselwortsuchen entsprechend mühsam. Deshalb habe ich beschlossen, heute einen nicht ganz so öden Schlüsselworttext zu schreiben.

Schlüsselwort meint hier nicht "Sesam öffne Dich!" oder ein Wort, das eigentlich ein anderes meint, sondern nur ein Wort, das den Rest des Satzes vorwegnimmt, zusammenfaßt. 

KEINE PREMIERE IST WIE DIE ANDERE

Das sechzigste Lebensjahr winkt einladend aus nicht allzu weiter Ferne und es waren alles in allem sicher schon mehr als einhundert Premieren bisher, ABER jede, wirklich jede war anders und jede auf ihre Weise aufregend, nervenaufreibend und/oder beglückend, erschöpfend. 
Die Proben liefen gut, die Proben liefen schlecht, es gab überhaupt Proben; 
ein, zwei Spieler waren renitent, trödelig, unbegabt, ein, zwei Spieler waren überraschend, atemberaubend, brillant, wild, toll; 
der Regisseur, das meint mich, war wach, scharf, empathisch oder gerademal soso oder kurz vorm Kollaps oder auf den Punkt;
die Probenbedingungen waren herrlich oder nur fast noch zu ertragen, Darsteller waren anwesend oder nicht, Krankheitsüberfälle, entnervende Gastspiele, innerbetrieblicher Liebeskummer, unangemessene Außentemperaturen, mangelhafte Heizungsleistung in der Probenbühne spielten eine entscheidende Rolle oder auch nicht;
die Welt mischte sich ein, amerikanische Hochhäuser wurden zusammengeschossen , Kinder wurden gezeugt, ersehnt oder abgetrieben, ganze Staaten vergingen, Ehen zerbrachen, Intendanten stürzten in die Midlifekrise, Kinderdarsteller verhauten ihre Matheprüfung ;
das Stück war willig, störrisch, einladend, ungreifbar oder liebesdurstig.



Anika Mauer in "Ein Gespräch im Hause Stein über den abwesenden Herrn von Goethe"
© Anna Olthoff

Und eines Tages stehst Du dann da und andere, eine, zwei oder viele spielen und Du bist draußen. Sie spielen wunderbar, meistens, manchmal aber auch nicht. Aber Du bist in jedem Fall hilflos, keinem eine Hilfe und doch beteiligt.

WHAT THE FUCK? 

Noch einen Tag vorher warst Du einflußreich. Hast mit Wirkung zustimmend gelächelt, besorgt beschrieben, empört gebrüllt. Und nun am Tag der Geburt bist Du unwichtig. was für ein Absturz

Sonntag, 31. Januar 2016

Das Bild einer Landschaft - Anton Corbijn - Miles Davis


MILES DAVIS

If you understood everything I said, you’d be me.





 © Anton Corbijn

Als Shirley Horn 1990 darauf bestand, dass Davis überlegen sollte, seine zarten Balladen der "Kind of Blue" Phase noch einmal zu spielen, lehnte er ab: "Nee, das tut meiner Lippe weh."

Wiki schreibt:

So What ist eines der bekanntesten Beispiele für modalen Jazz, gesetzt im dorischen Modus. Es ist denkbar einfach aufgebaut: „Einer riffartigen Melodie vom Kontrabass antworten Bläser und Klavier mit zwei Akkorden – dies insgesamt sechzehnmal.“ Die Bläserakkorde lassen sich als Antwort (Call and Response) interpretieren. Die Komposition hat keine Durchgangsharmonien, sondern hat stehende Skalen (Modi); sie besteht aus 16 Takten D-dorisch, acht Takten Es-dorisch und acht Takten D-dorisch. Mit seiner Liedform AABA und seinen zweiunddreißig Takten entspricht es formal dem Aufbau des amerikanischen populären Lieds. Die Klavier- und Bass-Einleitung für das Stück wurde von Gil Evans für Bill Evans und Paul Chambers für Kind of Blue geschrieben. Die markante Intonation von Bill Evans für die Akkorde, ein fünftöniger Akkord mit drei übereinander geschichteten Quarten und einer Terz darüber, wurde durch den Theoretiker Mark Levine als „So-What-Akkord“ bezeichnet.



Ich, Auch

Auch ich besinge Amerika.

Ich bin der dunklere Bruder.
Man schickt mich zum Essen in die Küche
Wenn Gäste kommen,
Aber ich lache
Und esse mich satt
Und werde stark.

Morgen,
Werde ich am Tisch sitzen
Wenn die Gäste kommen.
Niemand wird wagen
Mir zu befehlen:
"Iss in der Küche",
Dann.

Ausserdem
Wird man merken, wie schön ich bin
Und man wird sich schämen -

Auch ich bin Amerika.

Aus dem Amerikanischen von Ruth Klüger.

***

I, Too

I, too, sing America.

I am the darker brother.
They send me to eat in the kitchen
When company comes,
But I laugh,
And eat well,
And grow strong.

Tomorrow,
I'll sit at the table
When company comes.
Nobody'll dare
Say to me,
"Eat in the kitchen,"
Then.

Besides,
They'll see how beautiful I am
And be ashamed -

I, too, am America.

The Collected Poems of Langston Hughes, 
published by Knopf and Vintage Books. 
Copyright © 1994 by the Estate of Langston Hughes.