Mittwoch, 19. August 2015

Nachtrag zu: Die Straße, die man nicht geht - Robert Frost


Der Vollstädigkeit halber - heute gefunden, noch eine Übersetzung von Lars Vollert:

Der nicht genommene Weg

Zwei Wege trennten sich im gelben Wald,
und weil ich leider nicht auf beiden gehn
und Einer bleiben konnte, stand ich lang
und sah, so weit es ging, dem einen nach
bis dort, wo in der Dickung er verschwand.

Ich nahm den andern dann, auch der war schön
und hatte wohl noch eher Anspruch drauf:
Er war voll Gras und wollt begangen sein.
Was das betraf, so schiens's, dass beide schon
vom Wandern ähnlich ausgetreten waren,

und beide lagen an dem Morgen gleich
in Laub, das noch nicht schwarz von Tritten war.
Ich ließ den ersten für ein andermal!
Wiewohl: Ein Weg führt in den nächsten Weg;
ich hatte Zweifel je zurückzukehren.

Mit Seufzen sprech ich sicher einst davon
nach langer, langer Zeit und irgendwo:
Zwei Wege trennten sich im Wald, und ich -
ich nahm den Weg, der kaum begangen war,
das hat den ganzen Unterschied gemacht.

Dienstag, 18. August 2015

Eloge auf das Internet


Da fällt mir ein, dass ich im nächsten Jahr "Diener zweier Herren" machen werde und gern nochmal die uralte Übersetzung von Justus Heinrich Saal lesen würde. Nur liegt die als verblasste Ormigkopie, violet auf gelblichem Papier, im Container in Rostock inmitten meiner Möbel. Also auf ins Internet. Saal, Goldoni ergibt auf Google wenig, zeno.org, Gutenberg - nix. Auf ZVAB, der Antiquariatseite, ein Treffer, "Des Herrn Carl Goldoni Sämmtliche Lustspiele; mit Kupfern, Neunter Theil, Mit Churfürstl. Sächß. gnädigstem Privilegio. Leipzig, Gedruckt und zu binden bey Zacharias Heinrich Eisfeld, 1771" für nur 157 Euro. Nö. Aber jetzt weiß ich wenigstens nach was genau ich suchen muß. Freundin anrufen, mich beraten lassen. Auf google.book.com kann man ein Faksimile online lesen, aber nicht drucken. Aber in der Bayrischen Staatsbibliothek gibt es die Möglichkeit eine pdf Datei runterzuladen und die kann man drucken. Juchuh!

Ist das nicht großartig? Ein 244 Jahre altes Buch, eingescannt, ins Netz gesetzt und zugänglich für jeden, ohne Reise, ohne Bürokratie, für den Preis von Papier und Druckertinte.
Letztens habe ich ein Soldatenlied über die Schlacht von Agincourt gesucht und - gefunden.
Übersetzungvarianten von Gedichten? Wißt ihr wie viele Menschen sich hinsetzen und Poesiebearbeitungen für ihre Blogs eigenhändig tippen? Viele.
Wörterbücher, Lexika, Historiensammlungen. Alles da. Fachleute für Kosmologie, TED-talks zu praktisch jedem interessant und idiotischen Thema, Claude Monet 1915 beim Malen am Seerosenteich gefilmt!
https://www.youtube.com/watch?v=BJE4QUNgaeg

Buster Keatons Filme vollständig auf youtube. Und Vimeo gibt es auch noch. Und...

Pierer's Universal-Lexikon« in 19 Bänden 4. Auflage von 1857 und 1865
Seiner Hoheit Dem gnädigsten Herzog und Herrn Ernst, regierendem Herzog von Sachsen-Altenburg meinem gnädigsten Fürsten und Herrn, in tiefster Ehrfurcht und Unterthänigkeit gewidmet von Eugen Pierer.
Der Link zum Text über die Runkelrübe:

Hier kann man sowjetische, bzw. russische Filme gucken

https://www.youtube.com/user/mosfilm#p/f/28/JYEfJhkPK7o

Und da ist das Archiv der BBC
http://www.bbc.co.uk/archive/

Alles legal! Natürlich gibt es auch anderes. Aber... Und dann gibt es auch eine Menge Müll. Und gefährliche Ablenkung. Und unterhaltsame.

Die Straße, die man nicht geht - Robert Frost

 
Poetry is what gets lost in translation.
Poesie ist, was in der Übersetzung verloren geht.
 
In Amerika ist dies eines der Gedichte, die zu Kalenderweisheiten herunterzitiert worden sind. Großmutter an Enkel, Vater zu Sohn, Poesiealbenkitsch. Schön ist es aber trotzdem. Zwei der Übersetzer haben sich gegen die Reime zu Gunsten der Worte entschieden. Ein Titel gibt schon eine Entscheidung vor, was schade ist, denn das "Was wäre wenn..." braucht Unsicherheit.
 
  
 
THE ROAD NOT TAKEN

Two roads diverged in a yellow wood,
And sorry I could not travel both
And be one traveler, long I stood
And looked down one as far as I could
To where it bent in the undergrowth;

Then took the other, as just as fair,
And having perhaps the better claim,
Because it was grassy and wanted wear;
Though as for that the passing there
Had worn them really about the same,

And both that morning equally lay
In leaves no step had trodden black.
Oh, I kept the first for another day!
Yet knowing how way leads on to way,
I doubted if I should ever come back.

I shall be telling this with a sigh
Somewhere ages and ages hence:
Two roads diverged in a wood, and I –
I took the one less traveled by,
And that has made all the difference.

 
DER UNBEGANGENE WEG

In einem gelben Wald, da lief die Straße auseinander,
und ich, betrübt, daß ich, ein Wandrer bleibend, nicht
die beiden Wege gehen konnte, stand
und sah dem einen nach so weit es ging:
bis dorthin, wo er sich im Unterholz verlor.

Und schlug den andern ein, nicht minder schön als jener,
und schritt damit auf dem vielleicht, der höher galt,
denn er war grasig und er wollt begangen sein,
obgleich, was dies betraf, die dort zu gehen pflegten,
sie beide, den und jenen, gleich begangen hatten.

Und beide lagen sie an jenem Morgen gleicherweise
voll Laubes, das kein Schritt noch schwarzgetreten hatte.
Oh, für ein andermal hob ich mir jenen ersten auf!
Doch wissend, wie’s mit Wegen ist, wie Weg zu Weg führt,
erschien mir zweifelhaft, daß ich je wiederkommen würde.

Dies alles sage ich, mit einem Ach darin, dereinst
und irgendwo nach Jahr und Jahr und Jahr:
Im Wald, da war ein Weg, der Weg lief auseinander,
und ich – ich schlug den einen ein, den weniger begangnen,
und dieses war der ganze Unterschied.
 
Übersetzung von Paul Celan


Was wäre, wenn jede unserer Entscheidungen und alle die, die auch möglich gewesen wären, in unzählig vielen Universen nebeneinander existierten?
 
 
 
DIE VERPASSTE STRASSE

Zwei Straßen gingen ab im gelben Wald,
Und leider konnte ich nicht beide reisen,
Da ich nur einer war; ich stand noch lang
Und sah noch nach, so weit es ging, der einen
Bis sie im Unterholz verschwand;

Und nahm die andre, grad so schön gelegen,
Die vielleicht einen bessern Weg versprach,
Denn grasbewachsen kam sie mir entgegen;
Jedoch, so weit es den Verkehr betraf,
So schienen beide gleichsam ausgetreten,

An jenem Morgen lagen beide da
Mit frischen Blättern, noch nicht schwarz getreten.
Hob mir die eine auf für’n andern Tag!
Doch wusste ich, wie’s meist so geht mit Wegen,
Ob ich je wiederkäm, war zweifelhaft.

Es könnte sein, dass ich dies seufzend sag,
Wenn Jahre und Jahrzehnte fortgeschritten:
Zwei Straßen gingen ab im Wald, und da –
Wählt‘ ich jene, die nicht oft beschritten,
Und das hat allen Unterschied gemacht.

 Übersetzung von Eric Boerner


DER NICHTGEGANGENE WEG
 
Zwei Wege trennten sich im fahlen Wald
und, weil ich nicht auf beiden konnte gehn
und einer bleiben, macht’ ich lange Halt
und schaute auf des einen Wegs Gestalt,
soweit ich durch die Büsche konnte sehn.

Ging dann den andern – der, genauso schön,
den grösser’n Anspruch hatte auf Gebrauch,
denn Gras wuchs drauf und brauchte Drübergehn –
obgleich die Wand’rer, muss ich schon gestehn,
gebrauchten einen wie den andern auch.

Sie lagen vor mir, beide gleich, zuhauf
mit Blättern, die kein Tritt noch aufgestört.
Ich hob mir einen Weg für später auf!
Doch Wege führ’n zu and’rer Wege Lauf:
Ich wußte wohl, dass keiner wiederkehrt.

Und seufzend werd’ ich einmal sicherlich
es dort erzählen, wo die Zeit verweht:
Zwei Waldeswege trennten sich und ich –
ich ging und wählt’ den stilleren für mich –
und das hat all mein Leben umgedreht. 

Übersetzung von Walter A. Aue


Happiness makes up in height for what it lacks in length. 
 Glück macht durch Höhe wett, was ihm an Länge fehlt.
 

Montag, 17. August 2015

Ulkig? Lustig? Witzig? Komisch?

Der Herr lacht über seine Feinde, er weiß: Der Tag der Abrechnung kommt. (Psalm 37,4)

Ulk, Ulknudel, verulken, ulkig 

Ulk m. ‘lärmender Spaß, lustiger Unfug’, seit dem 17. Jh. bezeugtes, in nd. und md. Mundarten heimisches, dann durch die Studentensprache im 19. Jh. im oben angeführten Sinne bekannt gewordenes Substantiv, vgl. mnd. ulk ‘Lärm, Unruhe, Händel’. Es ist, wie vielleicht auch norw. (mundartlich) alka ‘Händel anfangen’, schwed. (mundartlich) ulka ‘girren, keifen’, eine Bildung lautnachahmenden Ursprungs. – ulken Vb. ‘Ulk machen, spaßen’, verulken Vb. ‘verspotten, veralbern’ (beide 19. Jh.). ulkig Adj. ‘spaßig, komisch, lustig, seltsam’ (2. Hälfte 19. Jh.). 
Etymologisches Wörterbuch nach Pfeifer

Synonyme? 

Lustig, witzig, amüsant, erheiternd, spaßig, komisch,  belustigend, drollig, possierlich, drollig, närrisch, humorvoll, kurzweilig, vergnüglich, amüsant, ironisch, satirisch, grotesk, spritzig, originell, wonnig, schelmisch, possierlich, lachhaft, albern, lächerlich, närrisch

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Ein Witz wird erzählt mit Gesten, Gesichtern, Tonfällen, Atmern, Pausen, wichtig Pausen, wegen des Zeit - Timings. So wenig Worte wie möglich, aber auch keins zu wenig. Witze gibt's von grob bis philosophisch mit vielen Schattierungen dazwischen. 

Die besten politischen Witze entstehen in Diktaturen, und das sage ich ohne jede Retro-Sentimentalität. Die Absurdität und Gewalt einer Tyrannei gebiert den irrsten Humor.

Dreckige, schweinische Witze können herrlich sein oder einen unangenehm kleberig hinterlassen, hängt vom Witze-Erzähler ab. 

Einen Abend lang Witze erzählen mit einem guten Partner und einem kleinen feinen Publikum kann ein fröhliches Fest sein. 

Pointen sitzen. Wenn sie stehen, keine Lacher.

Narren erzählen keine Witze. Monty Python machen keine Witze. Clowns auch nicht. Sie sind komisch, was auch seltsam, fremd, anders heißen kann. "Die sind aber komisch!"

MP - Das Ministerium der komischen Gänge, leider mit Lachband:
https://www.youtube.com/watch?v=iV2ViNJFZC8 

Der Gott der Bibel lacht selten und wenn, dann über uns.
Grimmig toben Völker und Nationen, Könige und Fürsten gegen den Herrn und seinen Gesalbten, aber der im Himmel thront, lacht, der Herr spottet ihrer. (Psalm 2) 
Ein billiges Lachen, er ist unverwundbar, kann also gar keinen Humor haben, denn Humor ist Abwehr von Bedrohung, Kleinmachen der Angst, das erleichternde Wissen nochmal davon gekommen zu sein, nicht der zu sein, über den gelacht wird. Oder wie im Wettrennen von Igel und Hase: "Ick bün all hier." Wen ich über mich lache, bin ich den anderen, die sich vielleicht über mich lustig machen wollen voraus. Erster!

"Ich schlage dich bis Du lachst!"


Wir können über uns selbst lachen, über andere, mit anderen und trotz anderen, dass ist dann Galgenhumor.

Die Agentur Reuters behauptet, der älteste Witz der Welt sei für das Jahr 1900 vor unserer Zeitrechnung festzustellen. Er stammt aus dem Reich Sumer: "Etwas, was seit Urzeiten nie passiert ist: eine junge Frau, die nicht im Schoß ihres Ehemannes gefurzt hat."  Hm. Sumerischer Humor. In Keilschrift ist das sicher komischer.

Ein Gag wird inszeniert. Die falschrichtige Bemerkung zum perfekten Zeitpunkt, eine physische Verschiebung der Erwartung, eine Überraschung in der geraden Linie.

Ein Ulk ist lustik. Anke Engelke war einst ein Witzbold und ist jetzt eine Ulknudel. Ein Spaßvogel. 

Und dann gibt es ulkig in der Bedeutung von merkwürdig, nicht stimmig, da ist was faul. "Das ist ja ulkig?"

Deutscher Humor - via Dylan Moran: Nach einem längeren Monolog über bigotte Engländer, beginnt er einen Vernichtungsschlag gegen Deutschland. was immer einer freundlicher Deutscher ihm erzählt, sein Hirn hämmert "Hitler, Hitler, Hitler..." Er macht genauso fiese Witze über Iren und Engländer. Dann beklagt sich ein Deutscher bei ihm über den Mangel an deutschen Komikern - "Vielleicht habt ihr alle umgebracht?" ist die Antwort, die er denkt, aber nicht spricht.


© Eolo Perfido

Sonntag, 16. August 2015

Das Geheul - Allan Ginsberg


The weight of the world is love.
Under the burden of solitude,
under the burden of dissatisfaction
the weight, the weight we carry is love.


Das Gewicht der Welt ist Liebe.
Unter der Last der Einsamkeit,
unter der Last der Unbefriedigtkeit/Unzufriedenheit
Die Last, die Last die wir tragen, ist Liebe

Habe heute zwei Filme gesehen: Kill Your Darlings, über Allan Ginsberg, William S. Burroughs, Jack Kerouac und Lucien Carr, die Begründer der Beat-Generation. Braver Film mit Daniel Radcliffe als Ginsberg. Wahrhafte Naivität ist teuflisch schwer darstellbar. Kontrollverlust noch schwerer. Ein netter Versuch. Harmlos. Thema verfehlt. 

Danach "Howl", ein Film über ein Gedicht, diesesmal mit James Franco als Allan Ginsberg. Wirr, verwoben, abrupt. Die Traumsequenzen sind albern. Hinreißend zauberhaft, wie es Franco gelingt, einen zutiefst schüchternen Dichter darzustellen, der öffentlich eigene Gedichte verliest. Ungelenk, ernsthaft, belehrend und verliebt in seine Sprache. Als ob sie ihn selbst überraschen, die Worte. Und sie werden ihm zu Musik, Jazz, Rhythmus, zur Befreiung des Dichters und damit zu unserer. 

Immer wieder in unserer Geschichte, der Geschichte der Menschheit, haben einzelne Personen ihr Unglück, ihren Zorn, ihr "Nichtmehrertragenkönnen" in Kunst verwandelt. Sie haben niemanden getötet, keine Häuser in Brand gesetzt, sie haben Wörter aneinander gereiht, um nicht verrückt zu werden.

We're all golden sunflowers inside. - Innen sind wir alle goldene Sonnenblumen 
Allan Ginsberg

Anklage gegen ein Gedicht wegen Obszönität
 
1957 beschlagnahmte die Polizei 520 Exemplare des Buches Howl and other poems, in dem das Gedicht veröffentlicht worden war. Gegen den Verleger Lawrence Ferlinghetti wurde Anklage erhoben. Insbesondere die Zeile
who let themselves be fucked in the ass by saintly motorcyclists, and screamed with joy
die sich in den Arsch ficken ließen von heiligen Motorradfahrern und vor Freude schrien
galt als obszön. Ferlinghetti wurde von der American Civil Liberties Union unterstützt, und nach dem Anhören mehrerer Literaturwissenschaftler sprach das Gericht Ferlinghetti frei und billigte dem Gedicht eine herausragende gesellschaftliche Bedeutung zu.
Wiki 
 
Redeeming social importance - ausgleichende soziale Bedeutung - wurde dem Gedicht bescheinigt. Freispruch. Obszönität ist erlaubt, wenn sie uns hilft, zu überleben. Amen.


Das Geheul

Von Allen Ginsberg
für Carl Solomon


I 1. Ich sah die besten Köpfe meiner Generation vom Wahnsinn zerstört, verhungernd hysterisch nackt, wie sie sich durch die Negerstraßen schleppten im Morgengrauen, auf der Suche nach einer letzten Spritze, 2. engelköpfige Freaks, gierig nach der alten himmlischen Verbindung zum Stern-Dynamo in der Maschinerie der Nacht, 3. die armselig und verwahrlost und hohläugig und high in der übernatürlichen Finsternis ihrer über den Städten schwebenden Kaltwasserbuden hockten und kifften und Jazz meditierten, 4. die dem Himmel ihre Gehirne entblößten unter der Hochbahn und mohammedanische Engel taumeln sahen auf den Dächern erleuchteter Mietskasernen, 5. die durch Universitäten strichen mit strahlenden kühlen Augen und Arkansas halluzinierten und düstere Blake-Tragödien zwischen den Magistern des Krieges, 6. die wegen Wahnsinns der Akademien verwiesen wurden, weil sie an die Fenster des Totenschädels obszöne Oden geschmiert hatten, 7. die in Unterwäsche kauerten in unrasierten Buden, ihr Geld in Papierkörben verbrannten und dem Terror lauschten, der durch die Wand kam, 8. die mit ihren Schamhaar-Bärten an der Grenze bei Laredo hochgenommen wurden mit einem Gürtel Marijuana für New York, 9. die Feuer frassen in Absteigen oder Terpentin schluckten in Paradise Alley und daran verreckten und ihre Rümpfe im Fegefeuer quälten Nacht für Nacht, 10. mit Träumen, mit Drogen, mit Nachtmahren bei offenen Augen und Alkohol und Schwänzen und endlosen Ficks, 11. unvergleichlich blinde Strassen mit schaudernden Wolken und Blitzen im Kopf, die übersprangen auf Telegraphenmasten von Kanada & Paterson und die ganze reglose Welt der Zeit dazwischen mit Licht übergossen 12. Meskalinversteinerte Hausflure, hinterhof-baumgrüne Friedhofsdämmerungen, Weinräusche über den Dächern, ekstatische bekiffte Fahrten durch Einkaufsviertel und neonblinkende Ampeln, Sonne und Mond und Baumvibrationen in den brüllenden Winterdämmerungen von Brooklyn, Predigten zwischen Mülltonnen und das sanfte Königslicht des Geistes, 13. die sich auf Benzedrin an U-Bahnen ketteten zur endlosen Fahrt von Battery Park zur heiligen Bronx, bis der Lärm der Räder und Kinder sie runterbrachte, zitternd, sabbernd, zerschlagen, mit stumpfen glanzlosen Hirnen im traurigen Licht des Zoos, 14. die nachts im Unterwasserlicht von Bickford's versanken, hinaustrieben und die schalen Biernachmittage abhockten im öden Fugazzi's, wo sie aus der Wasserstoff-Jukebox die Posaunen des Jüngsten Gerichts hörten, 15. die ohne Aufhören siebzig Stunden lang redeten, zwischen Park und Bude und Bar und Bellevue und Museum und Brooklyn Bridge, 16. ein verlorener Haufen platonischer Schwätzer, die von der Veranda sprangen, von Feuerleitern, von Fensterbrettern, vom Empire State Building, vom Mond, 17. und Tatsachen und Erinnerungen und Anekdoten und visuelle Kicks und Schocks aus Krankenhäusern und Knästen und Kriegen herplapperten, herausschrien, auskotzten, vor sich hinflüsterten, 18. ganze Verstandesgebäude, mit glänzenden Augen herausgewürgt in sieben Tagen und Nächten im Sturm der Erinnerung, Fleisch für die Synagoge, auf die Straße geworfen, 19. die ins Nirgendwo eines Zen-New-Jersey verschwanden und nichts hinterließen als eine Spur zweideutiger Ansichtskarten von Atlantic City Hall, 20. die in Newark in trostlosen möblierten Zimmern auf Entzug gingen und asiatische Schweißausbrüche durchlitten und Gliederschmerzen aus Tanger und Migränen aus China, 21. die um Mitternacht auf dem Güterbahnhof hin- und herwanderten und überlegten, wohin sie fahren sollten, und dann fuhren sie und niemand trauerte ihnen nach, 22. die Zigaretten rauchten in Güterwaggons Güterwaggons Güterwaggons auf der ratternden Fahrt durch den Schnee, einsamen Farmen entgegen in der großväterlichen Nacht, 23. die Plotin lasen und Poe und Johannes vom Kreuz und sich mit Telepathie beschäftigten und der Kabbala des Bebop, weil sie fühlten, wie der Kosmos unter ihren Füßen vibriert hatte in Kansas, 24. die einsam durch die Strassen von Idaho irrten auf der Suche nach visionären indischen Engeln, die visionäre indische Engel waren, 25. die dachten, dass sie einfach verrückt seien, als Baltimore in übernatürlicher Ekstase erstrahlte, 26. die in Limousinen sprangen mit dem Chinesen von Oklahoma, einfach so, weil Winter war, Mitternacht, Strassenlaternen, Kleinstadt, und es regnete, 27. die ausgehungert und vereinsamt durch Houston lungerten, auf der Suche nach Jazz oder Sex oder einer Suppe, und mit dem brillanten Spanier loszogen, um über Amerika und die Ewigkeit zu reden, ein hoffnungsloses Unterfangen, und sich dann nach Afrika einschifften, 28. die in den Vulkanen von Mexico verschwanden und nichts hinterließen als den Schatten ihrer Arbeitsklamotten und die Lava und Asche verbrannter Dichtungen im Feuerofen von Chicago, 29. die an der Westküste wieder auftauchten und gegen das FBI ermittelten, bärtig, in Shorts, mit großen pazifistischen Augen, sexy und braungebrannt, und unverständliche Flugblätter austeilten, 30. die mit Zigaretten Löcher brannten in ihre Arme aus Protest gegen die betäubenden Tabakschwaden des Kapitalismus, 31. die auf dem Union Square superkommunistische Pamphlete austeilten und weinten und sich auszogen, während die Sirenen von Los Alamos sie in Grund und Boden heulten und die Wall Street entlangheulten, und die Fähre nach Staten Island heulte auch, 32. die schluchzend zusammenbrachen in weißen Turnhallen, nackt und zitternd vor der Maschinerie anderer Skelette, 33. die Polizisten in den Nacken bissen und in den Streifenwagen kreischten vor Vergnügen, weil sie nichts auf dem Kerbholz hatten als ihr wildes blühendes Schwulsein und ihre Räusche, 34. die in der U-Bahn auf die Knie gingen und schrien und vom Dach gezerrt wurden und Genitalien und Manuskripte schwenkten, 35. die sich von frommen Motorradfahrern in den Arsch ficken ließen und schrien vor Freude, 36. die den Matrosen einen bliesen, diesen Seraphen in Menschengestalt, und sich von ihnen einen blasen ließen, atlantische Zärtlichkeiten und karibische Liebe, 37. die morgens und abends in Rosengärten herumfickten und im Gras der öffentlichen Parkanlagen und Friedhöfe und ihren Samen großzügig verschleuderten an jeden, der vorüberkam, 38. die endlosen Schluckauf hatten und zu kichern versuchten und dann hinter einer Trennwand in einem türkischen Bad nur noch schluchzten, als der blonde & nackte Engel erschien, um sie mit einem Schwert zu durchbohren, 39. die ihre Loverboys an die drei alten Parzen des Schicksals verloren: die einäugige Parze des heterosexuellen Dollars, die einäugige Parze, die mit den Schamlippen zwinkert und die einäugige Parze, die nur auf Ihrem Arsch sitzt und die intellektuellen Goldfäden am Webstuhl des Künstlers durchschnipst, 40. die ekstatisch und unersättlich kopulierten mit einer Bierflasche, mit einem Sweetheart, mit einer Schachtel Zigaretten, mit einer Kerze und vom Bett fielen und auf dem Boden weiterfickten bis in den Hausflur und schließlich an einer Wand ohnmächtig wurden mit einer Vision der ultimativen Möse und des absoluten Orgasmus, mit dem sie den letzten Zuckungen des Bewusstseins entkommen würden, 41. die eine Million im Abendlicht zitternder Girls nass machten zwischen den Beinen und am Morgen blutunterlaufene Augen hatten, aber bereit waren, auch die Sonne nass zu machen, indem sie ihr mit blanken Arschbacken zuwinkten unter Scheunendächern und nackt im See, 42. die auszogen und in Myriaden gestohlener Autos nachts durch Colorado hurten, N.(eal) C.(assady), geheimer Held dieser Gedichte, Schwanzträger und Adonis von Denver - mit Freude gedenken wir seiner unzähligen Ficks auf leeren Grundstücken & Diner-Hinterhöfen, in wackligen Kino-Sitzreihen, auf Bergspitzen in Höhlen oder mit hageren Kellnerinnen, denen er an vertrauten Straßenrändern den einsamen Petticoat hob, und besonders beim heimlichen Fürsichsein auf Tankstellen-Klos & in den Gassen seiner Heimatstadt auch, 43. die in endlosen ekelerregenden Filmen das Bewußtsein verloren, in Träumen umhertrieben, plötzlich in Manhattan erwachten und aus Kellern herauskrochen, verkatert von herzlosem Süßwein und gusseisernen Alpträumen der Third Avenue & zum nächsten Arbeitsamt stolperten, 44. die nächtelang mit Schuhen voll Blut über die verschneiten Docks wanderten und darauf warteten, daß sich im East River eine Tür auftat zu einem Raum voll Sauna-Dampf und Opium, 45. die großartige Selbstmord-Dramen abzogen auf den Apartment-Klippen des Hudson unter dem wie im Krieg verdunkelten blauen Flutlich des Mondes & ihre Häupter sollen gekrönt werden mit Lorbeer bis sie dem Vergessen anheimfallen, 46. die das Lammfleisch der Vorstellungskraft aßen oder die Filzläuse verdauten auf dem schlammigen Grund der Flüsse der Bowery, 47. die die Romantik der Straßen beweinten mit ihren Schubkarren voller Zwiebeln und schlechter Musik, 48. die in Pappkartons in der Dunkelheit unter der Brücke saßen und atmeten und sich dann erhoben, um Cembalos zu bauen in ihren Lofts. 49. die in Harlem husteten im sechsten Stock, flammengekrönt unter dem tuberkulösen Himmel, umgeben von Orangenkisten voll Theologie, 50. die nächtelang in Trance erhabene Hymnen hinkritzelten und in der gelben Morgendämmerung war es dann nur leeres Gestammel, 51. die sich Borschtsch kochten aus angefaulten Tierkadavern Lungen Herzen Füßen und Schwänzen und sich Tortillas buken und dabei träumten vom reinen Königreich des Gemüses, 52. die unter Fleischerwagen robbten auf der Suche nach einem Ei, 53. die ihre Armbanduhren vom Dach warfen, um ihre Stimme abzugeben für eine Ewigkeit jenseits der Zeit, und während der nächsten zehn Jahre fiel ihnen jeden Tag ein Wecker auf den Kopf, 54. die sich dreimal hintereinander die Pulsadern aufschnitten, ohne Erfolg, und dann aufgaben und Antiquitätenläden aufmachen mussten, in denen sie sich alt vorkamen und weinten, 55. die bei lebendigem Leibe verbrannt wurden in ihren unschuldigen Flanellanzügen auf der Madison Avenue, unter schwerem Beschuss bleierner Verse & dem Panzergerassel eiserner Moderegimenter & den spitzen Nitroglyzerinschreien schwuler Werbefritzen & dem Senfgas der finsteren Intelligenz von Verlegern oder sie wurden einfach über den Haufen gefahren von den trunkenen Droschken der Absoluten Wirklichkeit, 56. die von der Brooklyn Bridge sprangen, das ist wirklich passiert, und unerkannt und vergessen verschwanden in die gespenstische Umnachtung der Suppengassen und Feuerwehrlöschzüge von Chinatown, nicht ein Bier umsonst, 57. die aus ihren Fenstern sangen voller Verzweiflung, aus dem U-Bahn-Fenster kippten, in den vermüllten Passaic sprangen, Neger anfielen, auf der Straße lauthals weinten, barfuß auf zerbrochenen Weingläsern tanzten, Schallplatten zerbrachen mit nostalgischem europäischem 30er-Jahre-Jazz aus Deutschland, dann den Whisky austranken und stöhnend in die blutige Kloschüssel kotzten, Gewinsel in den Ohren und das Dröhnen kolossaler Dampfpfeifen, 58. die über die Highways der Vergangenheit bretterten, unterwegs zu ihren Straßenrennen-Golgathas, ihren Gefängnis-Gethsemanes und ihren Jazz-Inkarnationen in Birmingham, 59. die zweiundsiebzig Stunden quer durch das Land fuhren, um herauszufinden, ob ich eine Vision hatte oder du eine Vision hattest oder er eine Vision hatte vom Weg in die Ewigkeit, 60. die nach Denver reisten, die in Denver starben, die zurückkamen nach Denver & vergeblich warteten, die wachten über Denver & in Denver grübelten & vereinsamten und schließlich abhauten, um herauszufinden, was die Uhr geschlagen hatte & nun ist Denver einsam und sehnt sich nach seinen Helden, 61. die in die Knie brachen in hoffnungslosen Kathedralen und füreinander beteten, um Erlösung und Licht und Brüste, bis die Seele ihr Haar für einen Augenblick erleuchtete, 62. die durchdrehten im Knast in Erwartung unerträglicher Krimineller mit goldenen Häuptern und dem Zauber der Wirklichkeit in ihren Herzen, mit sanften Blues-Songs für Alcatraz, 63. die sich nach Mexico zurückzogen, um in Ruhe zu fixen oder nach Rocky Mount, um sich dem Buddha anzudienen oder nach Tanger wegen der Jungs dort oder zur Southern Pacific und ihrer schwarzen Lokomotive oder nach Harvard zu Narziss oder nach Woodlawn zum Gruppenfick oder ins Grab, 64. die Untersuchungen des öffentlichen Geisteszustandes forderten und dem Rundfunk hypnotische Praktiken vorwarfen & und am Ende dastanden mit ihrer Geisteskrankheit & ihren Händen & und einer uneinigen Jury, 65. die am City College von New York die Dadaismus-Dozenten mit Kartoffelsalat bewarfen und sich anschließend mit geschorenen Köpfen und clownesken Selbstmordreden auf den Granittreppen der Irrenanstalt präsentierten und sofortige Lobotomie verlangten, 66. und denen man stattdessen die betonharte Leere von Insulin verabreichte und Metasol Elektroschocks Hydrotherapie Psychotherapie Tischtennis & Gedächtnisverlust, 67. die in humorlosem Protest nur eine symbolische Tischtennisplatte umwarfen und sich kurz ausruhten in Katatonie, 68. um Jahre später zurückzukehren, jetzt wirklich kahlköpfig, bis auf eine Perücke aus Blut und Tränen und Fingern, in das unausweichliche Irrenschicksal in den geschlossenen Abteilungen der Irrenstädte des Ostens, 69. in die von Verwesungsgeruch stinkenden Hallen von Rocklands Pilgrim State Hospital und Greystone, flackernd von den Echos der Seele, rollend und zuckend in den Liebesgräbern der mitternächtlichen Anschnalltische, der Traum vom Leben ein Alptraum, die Körper versteinert und schwer wie der Mond, 70. mit Mutter schließlich ***** und das letzte phantastische Buch aus dem Fenster geschleudert und die letzte Tür um vier Uhr morgens verschlossen und das letzte Telephon als Antwort an die Wand gefeuert und das letzte möblierte Zimmer ausgeleert bis auf das letzte Stück der geistigen Einrichtung, eine gelbe Rose aus Papier, um einen Drahtbügel im Wandschrank gewunden, und selbst das ist nur Einbildung, nichts als ein hoffnungsvolles kleines bisschen Halluzination - 71. ah, Carl, solange du nicht in Sicherheit bist, bin ich es auch nicht, und jetzt bist du wirklich in der totalen tierischen Suppe der Zeit - 72. und die deshalb durch die eisigen Straßen rannten, besessen von plötzlicher Einsicht in den alchemistischen Gebrauch des Ellipsen-Kataloges der variablen Maße und der vibrierenden Fläche, 73. die träumten und durch Bilder nebeneinandergestellt leibhaftige Löcher in Zeit & Raum schufen und den Erzengel der Seele zwischen zwei Bildvorstellungen einfingen und die elementaren Verben verbanden und das Nomen und den Bindestrich des Bewusstseins zusammenfügten und herumsprangen mit dem Allmachtsgefühl des Pater Omnipotens Aeterne Deus 74. um Syntax und Rhythmus der ärmlichen menschlichen Prosa neu zu erschaffen und vor euch zu stehen, sprachlos und intelligent und zitternd vor Scham, zurückgewiesen, doch frei die Seele bekennend im Einklang mit dem Rhythmus der Gedanken in seinem nackten und unendlichen Kopf, 75. der wahnsinnige Penner und Engel, geschlagen in der Zeit, unbekannt, aber hier um festzuhalten, was vielleicht noch zu sagen bleibt in der Zeit nach dem Tod, 76. und die auferstanden, wiedergeboren in den geisterhaften Gewändern des Jazz im Goldhornschatten der Band und die Sehnsucht der nackten amerikanischen Seele nach Liebe hinausröhrten in einem eli eli lama lama sabachtani Saxophonschrei, der die Städte bis ins letzte Radio erzittern ließ 77. mit dem absoluten Herzen des Gedichts des Lebens, herausgerissen aus ihren eigenen Leibern, Nahrung genug für tausend Jahre.
II
1. Welche Sphinx aus Zement und Aluminium zertrümmerte ihnen die Schädel und fraß ihre Gehirne und ihre Phantasie? 2. Moloch! Einsamkeit! Dreck! Hässlichkeit! Mülleimer und unerschwingliche Dollars! Angstschreie von Kindern unter den Treppen! Schluchzende Jungs in der Armee! Alte Männer, weinend in den Parks! 3. Moloch! Moloch! Alptraum des Moloch! Moloch der Lieblose! Moloch des Denkens! Moloch der harte Richter über die Menschen! 4. Moloch, das unbegreifliche Gefängnis! Moloch, das totenköpfige seelenlose Zuchthaus, der Kongress der Ängste! Moloch, dessen Gebäude uns richten! Moloch, der riesige Stein des Krieges! Moloch, die gelähmten Regierungen! 5. Moloch, dessen Bewusstsein eine reine Maschine ist! Moloch, in dessen Adern Geld fließt! Moloch, dessen Finger zehn Armeen sind! Moloch, dessen Brust ein Kannibalen-Dynamo! Moloch, dessen Ohr ein rauchendes Grab! 6. Moloch, dessen Augen tausend blinde Fenster sind! Moloch, dessen Wolkenkratzer an den Alleen wie endlose Jehovas! Moloch, dessen Fabriken qualmen und röcheln im Smog! Moloch, dessen Schornsteine und Antennen die Krone der Städte sind! 7. Moloch, dessen Liebe ein Ozean von Öl und Stein ist! Moloch, dessen Seele Elektrizität ist und Banken! Moloch, dessen Armut das Gespenst des Genies ist! Moloch, dessen Schicksal eine Wolke geschlechtslosen Wasserstoffs ist! Moloch, dessen Name das Denken ist! 8. Moloch, in dem ich einsam sitze! Moloch, in dem ich Engel erträume! Verrückt in Moloch! Schwanzlutscher in Moloch! Ohne Liebe und Freundschaft in Moloch! 9. Moloch, der mir früh in die Seele drang! Moloch, in dem ich ein Bewusstsein bin ohne Körper! Moloch, der mich aus meiner natürlichen Ekstase schreckte! Moloch, von dem ich mich lossage! Erwachen in Moloch! Licht, das vom Himmel strömt! 10. Moloch! Moloch! Roboter-Apartments! unsichtbare Vorstädte! Tresore voll von Skeletten! blinde Hauptstädte! dämonische Industrien! Gespenstische Nationen! Unüberwindliche Irrenhäuser! Granitschwänze! monströse Bomben! 11. Sie brachen sich das Kreuz, als sie Moloch zum Himmel erhoben! Straßenpflaster, Bäume, Radios tonnenschwer! Sie hoben die Stadt in den Himmel, der existiert und uns von allen Seiten umgibt! 12. Visionen! Omen! Halluzinationen! Wunder! Ekstasen! Alles den amerikanischen Bach runter! 13. Träume! Anbetungen! Erleuchtungen! Religionen! die ganze Schiffsladung empfindsamer Scheisse!
14. Durchbrüche! über den Fluss! ausgeflippt und gekreuzigt! fortgespült mit der Flut! Räusche! Offenbarungen! Verzweiflungen! Zehn Jahre anhaltende tierische Schreie und Selbstmorde! Geister! Neue Liebschaften! Irrsinnige Generation! gestrandet auf den Felsen der Zeit!
15. Echtes heiliges Gelächter im Fluss! Sie sahen es alle! die wilden Augen! die heiligen Schreie! Sie verabschiedeten sich! Sie sprangen vom Dach! in die Einsamkeit! winkend! mit Blumen in den Händen! Hinunter zum Fluss! Hinaus auf die Straße!
III
1. Carl Solomon! Ich bin bei dir in Rockland
wo du wahnsinniger bist als ich
2. Ich bin bei dir in Rockland
wo du dir sehr seltsam vorkommen musst
3. Ich bin bei dir in Rockland
wo du den Geist meiner Mutter nachspielst
4. Ich bin bei dir in Rockland
wo du deine zwölf Sekretäre umgebracht hast
5. Ich bin bei dir in Rockland
wo du lachst über diesen unsichtbaren Humor
6. Ich bin bei dir in Rockland
wo wir große Schriftsteller sind an derselben entsetzlichen Schreibmaschine
7. Ich bin bei dir in Rockland
wo dein Zustand ernst geworden ist und im Radio durchgegeben wird
8. Ich bin bei dir in Rockland
wo die Fähigkeiten des Schädels sich den Würmern der Sinne verweigern
9. Ich bin bei dir in Rockland
wo du den Tee aus den Brüsten der alten Jungfern von Utica trinkst
10. Ich bin bei dir in Rockland
wo du die Leiber deiner Krankenschwestern mit den Harpyien der Bronx vergleichst
11. Ich bin bei dir in Rockland
wo du in der Zwangsjacke schreist, dass du das alles entscheidende Pingpongspiel mit dem Abgrund verlierst
12. Ich bin bei dir in Rockland
wo du auf dem katatonischen Piano hämmerst die Seele ist unschuldig und unsterblich und sollte nicht gottlos in einem gepanzerten Irrenhaus sterben
13. Ich bin bei dir in Rockland
wo auch fünfzig weitere Elektroschocks deine Seele nicht mehr in den Körper zurückholen werden von ihrer Pilgerfahrt zu einem Kreuz in der Leere
14. Ich bin bei dir in Rockland
wo du deine Ärzte des Wahnsinns bezichtigst und die hebräisch-sozialistische Revolution gegen das national-faschistische Golgatha planst
15. Ich bin bei dir in Rockland
wo du die Himmel über Long Island aufreissen wirst und wiederauferwecken deinen
lebendigen menschlichen Jesus aus dem übermenschlichen Grab
16. Ich bin bei dir in Rockland
wo fünfundzwanzigtausend geisteskranke Genossen gemeinsam die letzten Strophen der Internationale singen
17. Ich bin bei dir in Rockland
wo wir unter den Bettdecken die Vereinigten Staaten drücken und küssen, die Vereinigten Staaten, die die ganze Nacht husten und uns nicht schlafen lassen
18. Ich bin bei dir in Rockland
wo wir elektrisiert aus dem Koma erwachen vom Donner der Flugzeuge unsrer eigenen Seelen über dem Dach sie sind gekommen, um angelische Bomben zu werfen das Hospital erstrahlt im Licht imaginäre Wände fallen Oh knochige Legionen, rennt ins Freie Oh Sternenbanner-Schock der Gnade, der ewige Krieg ist ausgebrochen Oh Sieg vergiss deine Unterwäsche wir sind frei
19. Ich bin bei dir in Rockland
In meinen Träumen kommst du triefend von einer Seereise auf dem Highway durch Amerika, in Tränen aufgelöst, zur Tür meiner Hütte in der westlichen Nacht
San Francisco 1955/56

Samstag, 15. August 2015

GOTT konnte es, daher machte er es.


Denn Engel kommen nicht zu solchen Betern,
und Nächte werden nicht um solche groß.
Die Sich-Verlierenden läßt alles los,
und die sind preisgegeben von den Vätern
und ausgeschlossen aus der Mütter Schoß.
Rainer Maria Rilke

Maria, jüdische Tochter jüdischer Eltern, wurde am Tage ihrer Empfängnis durch ihre Mutter, in genau diesem Moment, durch den Willen Gottes von der uns allen eigenen Erbsünde befreit, als Gegenleistung für künftige Verdienste und die einkalkulierten Leiden Jesu – sozusagen im Voraus. Ei trifft Sperma, Heiliger Geist schüttet, Gott gibt Freibrief. Eine Bezahlung in Erwartung einer zu erbringenden Leistung. Leihmutterhonorar. WTF?

Zur Ehre der Heiligen und ungeteilten Dreifaltigkeit, zur Zierde und Verherrlichung der jungfräulichen Gottesgebärerin, zur Erhöhung des katholischen Glaubens und zum Wachstum der christlichen Religion, in der Autorität unseres Herrn Jesus Christus, der seligen Apostel Petrus und Paulus und der Unseren erklären, verkünden und bestimmen Wir in Vollmacht unseres Herrn Jesus Christus, der seligen Apostel Petrus und Paulus und in Unserer eigenen: Die Lehre, dass die seligste Jungfrau Maria im ersten Augenblick ihrer Empfängnis durch einzigartiges Gnadengeschenk und Vorrecht des allmächtigen Gottes, im Hinblick auf die Verdienste Christi Jesu, des Erlösers des Menschengeschlechts, von jedem Fehl der Erbsünde rein bewahrt blieb, ist von Gott geoffenbart und deshalb von allen Gläubigen fest und standhaft zu glauben. Wenn sich deshalb jemand, was Gott verhüte, anmaßt, anders zu denken, als es von Uns bestimmt wurde, so soll er klar wissen, dass er durch eigenen Urteilsspruch verurteilt ist, dass er an seinem Glauben Schiffbruch litt und von der Einheit der Kirche abfiel, ferner, dass er sich ohne weiteres die rechtlich festgesetzten Strafen zuzieht, wenn er in Wort oder Schrift oder sonstwie seine Auffassung äußerlich kundzugeben wagt.
Glaubenssatz 325 in: Josef Neuner S.J. und Heinrich Roos S.J.: Der Glaube der Kirche in den Urkunden der Lehrverkündigung.

Katholischer Stalinismus pur. Wir entscheiden was Wahrheit ist und wenn Du uns nicht glaubst, dann... 

Maria, Tochter des Joachim und der Anna, Ehefrau des Josef, Gefäß Gottes und Mutter Jesu, und, wenn ich es richtig lese, auch Mutter einiger anderer Kinder. Ist er nicht des Zimmermanns Sohn? Heißt nicht seine Mutter Maria? Und seine Brüder Jakobus, Josef, Simon und Judas? Matthäus 13
Nie sie selbst, immer Objekt anderer. Gott fragt sie nicht, setzt ihr Einverständnis voraus, ihr Mann verdächtigt sie, aus verständlichen Gründen, der Untreue und wird von einem Engel daran gehindert, sie zu verlassen. (Nebenbei, Juden behaupten, dass sie ein Verhältnis mit einem römischen Söldner namens Panthera hatte.) Später begegnet der Sohn ihr äußerst harsch. Frau, was habe ich mit dir zu schaffen? Johannes 2,4
Manche sagen, sie wäre bei der Kreuzigung Jesu anwesend gewesen, manche, dass sie seiner Auferstehung beigewohnt hätte. Keiner, der offiziell Anerkannten, erwähnt, was sie tat, wie sie lebte, nachdem er gestorben und auferstanden war. Ist sie nach Indien oder mit dem Lieblingsjünger ihres Sohnes Johannes nach Ephesus gewandert oder blieb sie in Jerusalem? 
"Nachdem sie ihren irdischen Lebenslauf vollendet hatte..."

 Caravaggio - Tod Mariä - 1604-06
Der Auftraggeber war Laertino Cherubini, urspr. für den Altar der Kapelle der Karmeliterkirche Santa Maria della Scala in Rom, das Gemälde wurde von Karmelitern als »der Maria unwürdig« zurückgewiesen.


Auch wenn umgangssprachlich im Deutschen der Ausdruck Mariä Himmelfahrt geläufig ist, ist das Festgeheimnis der Aufnahme Mariens in den Himmel von dem der Himmelfahrt Christi zu unterscheiden. In vielen Sprachen werden daher zwei verschiedene Bezeichnungen benutzt, etwa im Lateinischen: Ascensio Domini 'Auffahrt des Herrn', aber Assumptio Mariae 'Aufnahme Mariens'. Wiki

Das einsame Vehikel, die unbefragt gemietete Gebärmutter, stirbt am 15. August, vielleicht im Jahr 48. Und jetzt? Man muß sie irgendwie loswerden. Wenn sie auffährt wie ihr gottgezeugter Sohn, mindert das die Einzigartigkeit seiner Auferstehung. Also muß etwas Neues her. Die Aufnahme. Maria stirbt. Woran? Keiner schreibt darüber. Sie stirbt und ein Engel verkündet ihren Tod. Sie hatte angeblich darum gebeten, dass die Apostel an ihrem Todbett anwesend sein sollten und diese wurden auch prompt von Wolken an ihr Sterbett getragen. Der auferstandene Jesus nimmt sie in seine Arme und hindert die Hohepriester, wahrscheinlich böse Juden, daran den Leichnam zu verbrennen.
In dem schrecklichen, antihumanistischen Film Mel Gibsons über den Leidensweg Jesu gibt es eine einzige gute Szene: der junge Tischler Jesus baut einen Tisch. Maria, die daran gewöhnt ist. ihr Essen am Boden sitzend einzunehmen, betrachtet sein Gesellenstück und bemerkt: "Das wird sich nie durchsetzen!" Wir, die wir an Tischen sitzen, wissen es besser.

Freitag, 14. August 2015

ImEx in der Alten Nationalgalerie


Ist es nicht großartig, dass Menschen stundenlang anstehen, um Bilder ansehen zu können?
(Ich war um halb Zehn da und war um zehn nach Zehn schon drin, fand ich auch großartig.)
Sie stehen an fürs neue iPhone und für Justin Bieber, aber eben auch für Kunst. Und nicht nur ältere Herrschaften! Warum schaffen das Theater nicht? Jedenfalls hier nur selten. In England kehren die Filmstars zwischendurch immer wieder brav zum Theater zurück und ihre Fans wagen ihretwegen das für sie fremde Abenteuer Theater. Aber wer will schon Till Schweiger als Hamlet sehen? So viele Worte mit der Quieksstimme und scharf denken müsste er auch noch.
 
 Lesser Ury
Im Café - Frau in Rot
1911
Ury soll eines Tages in Liebermanns Atelier gestanden und an einem dessen Bilder herumgekrittelt haben. Später verbreitete er, er habe Liebermanns letztes Bild fertiggestellt: „Det darf er", soll Liebermann darauf geantwortet haben und setzte nach: „Wenn er allerdings behauptet, eines seiner Bilder sei von mir, dann verklag´ ich ihn."
Wiki 

Impressionismus & Expressionismus, Frankreich & Deutschland - die Ausstellung sortiert aber eben gerade nicht nach diesen erwartbaren Prinzipien, sondern nach Themen, Inhalten, Sujets. Die Bilder hängen eng, sehr eng, bedrängen sich fast und nehmen sich doch nicht die Luft. Manche kennt man schon fast so gut wie alte Bekannte, manchen sieht man die Bemühung um Neuartigkeit an, manche übersieht man, manche reißen einem ein Lachen ins Gesicht. 

Karl Schmidt-Rotluff
Bildnis Rosa Schapire
1911

Oder das.


 Ernst Ludwig Kirchner
Potsdamer Platz
1914

Unverschämt. Notwendig. Dringlich. Ob sie sich ins Licht versenkten oder das Innere nach außen zerren wollten, schien mir nicht wichtig, weil sie suchten, nach dem, was nicht greifbar ist, dieser Verbindung zwischen Innen und Außen, der dünnen Schicht Wahrheit zwischen Maske und Chaos, der Wahrheit. Ein großes Wort. "Die Wahrheit liegt zwischendrin", hat Ionesco gesagt. Dieses Zwischendrin, nicht Im, nicht Ex, habe ich heute manchmal erahnt.

Max Slevogt
Selbstbildnis mit Pinsel und Palette
1895

Max Beckmann
Doppelbildnis Max Beckmann und Minna Beckmann Tube
1909


Henri de Toulouse-Lautrec
Clown
1886/87



Edgar Degas
Die Unterhaltung
1884

Cezannes "Junger Mann mit roter Weste" sollte von der Düsseldorfer Kunsthalle angekauft werden. Daraus wurde nichts, weil der Kritiker Eduard von Gebhardt protestierte; ihm gefiel nicht, daß der rechte Arm des jungen Mannes länger geraten war, als die Anatomielehre gestattete. Das Bild wurde aber ausgestellt, und eines Tages trafen sich vor ihm Eduard von Gebhardt und Max Liebermann. Ein Meinungsstreit entbrannte, in dem Liebermann die Komposition und Farbstimmung des Gemäldes lobte. Darauf erwiderte Gebhardt erregt: Und was sagen Sie zu dem unendlich langen Arm?
Der Arm ist so schön, sagte Max Liebermann, der kann gar nicht lang genug sein.
Aus einer Liebermann-Anekdoten-Sammlung

http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/kunst/imex-in-berlin-zwischen-impressionismus-und-expressionismus-13605463.html

http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/impressionismus-expressionismus-in-der-alten-nationalgalerie-a-1034865.html 

http://www.zeit.de/2015/16/impressionismus-paul-durant-ruel-ausstellung-london

Habe mir zum ersten Mal den Entwurf zur Neugestaltung der Museumsinsel angesehen, er stammt von David Chipperfield, dem ich sehr vertraue, denn was er für die Restaurierung des Neuen Museums ersonnen hat, ist mehr als wunderschön. Aber für Alt-Berliner wird es trotzdem sicher der Gewöhnung bedürfen, die grau verramschten Fassaden so umbaut zu sehen, aber da es eine von der Stadt Berlin finanzierte Bauunternehmung ist, haben wir dafür sicher reichlich Zeit.




 Nur das schöne olle Bodemuseum bleibt allein und unverbunden, wie es scheint, da liegt halt die S-Bahn dazwischen.