Dienstag, 7. April 2015

Hugo von Hofmannsthal - Ein Brief



Euer Brief
Ist uns süße Rhetorik, ein Zwiegespräch unter Toten, ein Trost
Durs Grünbein in seinem Antwort-Fax an Lord Chandos

Hugo von Hofmannsthal 1902


EIN BRIEF

Brief des Lord Chandos an Francis Bacon

Dies ist der Brief, den Philip Lord Chandos, jüngerer Sohn des Earl of Bath, an Francis Bacon, später Lord Verulam und Viscount St. Albans, schrieb, um sich bei diesem Freunde wegen des gänzlichen Verzichtes auf literarische Betätigung zu entschuldigen.

Es ist gütig von Ihnen, mein hochverehrter Freund, mein zweijähriges Stillschweigen zu übersehen und so an mich zu schreiben. Es ist mehr als gütig, Ihrer Besorgnis um mich, Ihrer Befremdung über die geistige Starrnis, in der ich Ihnen zu versinken scheine, den Ausdruck der Leichtigkeit und des Scherzes zu geben, den nur große Menschen, die von der Gefährlichkeit des Lebens durchdrungen und dennoch nicht entmutigt sind, in ihrer Gewalt haben.
Sie schließen mit dem Aphorisma des Hippokrates: »Qui gravi morbo correpti dolores non sentiunt, iis mens aegrotat« * und meinen, ich bedürfe der Medizin nicht nur, um mein Übel zu bändigen, sondern noch mehr, um meinen Sinn für den Zustand meines Innern zu schärfen. Ich möchte Ihnen so antworten, wie Sie es um mich verdienen, möchte mich Ihnen ganz aufschließen, und weiß nicht, wie ich mich dazu nehmen soll. Kaum weiß ich, ob ich noch derselbe bin, an den Ihr kostbarer Brief sich wendet; bin denn ich's, der nun Sechsundzwanzigjährige, der mit neunzehn jenen »neuen Paris«, jenen »Traum der Daphne«, jenes »Epithalamium« hinschrieb, diese unter dem Prunk ihrer Worte hintaumelnden Schäferspiele, deren eine himmlische Königin und einige allzu nachsichtige Lords und Herren sich noch zu entsinnen gnädig genug sind?

Und bin ich's wiederum, der mit dreiundzwanzig unter den steinernen Lauben des großen Platzes von Venedig in sich jenes Gefüge lateinischer Perioden fand, dessen geistiger Grundriß und Aufbau ihn im Innern mehr entzückte als die aus dem Meer auftauchenden Bauten des Palladio und Sansovin? Und konnte ich, wenn ich anders derselbe bin, alle Spuren und Narben dieser Ausgeburt meines angespanntesten Denkens so völlig aus meinem unbegreiflichen Inneren verlieren, daß mich in Ihrem Brief, der vor mir liegt, der Titel jenes kleinen Traktates fremd und kalt anstarrt, ja daß ich ihn nicht als ein geläufiges Bild zusammengefaßter Worte sogleich auffassen, sondern nur Wort für Wort verstehen konnte, als träten mir diese lateinischen Wörter, so verbunden, zum ersten Mal vors Auge?
Allein ich bin es ja doch, und es ist Rhetorik in diesen Fragen, Rhetorik, die gut ist für Frauen oder für das Haus der Gemeinen, deren von unsrer Zeit so überschätzte Machtmittel aber nicht hinreichen, ins Innere der Dinge zu dringen.

Mein Innres aber muß ich Ihnen darlegen, eine Sonderbarkeit, eine Unart, wenn Sie wollen eine Krankheit meines Geistes, wenn Sie begreifen sollen, daß mich ein ebensolcher brückenloser Abgrund von den scheinbar vor mir liegenden literarischen Arbeiten trennt, als von denen, die hinter mir sind und die ich, so fremd sprechen sie mich an, mein Eigentum zu nennen zögere.

Ich weiß nicht, ob ich mehr die Eindringlichkeit Ihres Wohlwollens oder die unglaubliche Schärfe Ihres Gedächtnisses bewundern soll, wenn Sie mir die verschiedenen kleinen Pläne wieder hervorrufen, mit denen ich mich in den gemeinsamen Tagen schöner Begeisterung trug. Wirklich, ich wollte die ersten Regierungsjahre unseres verstorbenen glorreichen Souveräns, des achten Heinrich, darstellen!
Die hinterlassenen Aufzeichnungen meines Großvaters, des Herzogs von Exeter, über seine Negoziationen mit Frankreich und Portugal gaben mir eine Art von Grundlage. Und aus dem Sallust floß in jenen glücklichen belebten Tagen wie durch nie verstopfte Röhren die Erkenntnis der Form in mich herüber, jener tiefen wahren inneren Form, die jenseits des Geheges der rhetorischen Kunststücke erst geahnt werden kann, die, von welcher man nicht mehr sagen kann, daß sie das Stoffliche anordne, denn sie durchdringt es, sie hebt es auf und schafft Dichtung und Wahrheit zugleich, ein Widerspiel ewiger Kräfte, ein Ding, herrlich wie Musik und Algebra. Dies war mein Lieblingsplan.
Was ist der Mensch, daß er Pläne macht!

Ich spielte auch mit anderen Plänen. Ihr gütiger Brief läßt auch diese heraufschweben. Jedweder vollgesogen mit einem Tropfen meines Blutes, tanzen sie vor mir wie traurige Mücken an einer düsteren Mauer, auf der nicht mehr die grelle Sonne der glücklichen Tage liegt.
Ich wollte die Fabeln und mythischen Erzählungen, welche die Alten uns hinterlassen haben, und an denen die Maler und Bildhauer ein endloses und gedankenloses Gefallen finden, aufschließen als die Hieroglyphen einer geheimen, unerschöpflichen Weisheit, deren Anhauch ich manchmal, wie hinter einem Schleier zu spüren meinte.
Ich entsinne mich dieses Planes. Es lag ihm ich weiß nicht welche sinnliche und geistige Lust zugrunde: wie der gehetzte Hirsch ins Wasser, sehnte ich mich hinein in diese nackten glänzenden Leiber, in diese Sirenen und Dryaden, diesen Narcissus und Proteus, Perseus und Actäon: verschwinden wollte ich in ihnen, und aus ihnen heraus mit Zungen reden. Ich wollte. Ich wollte noch vielerlei. Ich gedachte eine Sammlung »Apophthegmata« anzulegen, wie deren eine Julius Caesar verfaßt hat: Sie erinnern die Erwähnung in einem Brief des Cicero.
Hier gedachte ich die merkwürdigsten Aussprüche nebeneinander zu setzen, welche mir im Verkehr mit den gelehrten Männern und den geistreichen Frauen unserer Zeit, oder mit besonderen Leuten aus dem Volk, oder mit gebildeten und ausgezeichneten Personen auf meinen Reisen zu sammeln gelungen wäre; damit wollte ich schöne Sentenzen und Reflexionen aus den Werken der Alten und der Italiener vereinigen und was mir sonst an geistigem Zierathen in Büchern, Handschriften oder Gesprächen entgegenträte; ferner die Anordnung besonders schöner Feste und Aufzüge, merkwürdige Verbrechen und Fälle von Raserei, die Beschreibung der größten und eigentümlichsten Bauwerke in den Niederlanden, in Frankreich und Italien und noch vieles andere. Das ganze Werk aber sollte den Titel 'Nosce te ipsum' * * führen.

Um mich kurz zu fassen: Mir erschien damals in einer Art von andauernder Trunkenheit das ganze Dasein als eine große Einheit: geistige und körperliche Welt schien mir keinen Gegensatz zu bilden, ebensowenig höfisches und tierisches Wesen, Kunst und Unkunst, Einsamkeit und Gesellschaft; in allem fühlte ich Natur, in den Verirrungen des Wahnsinns ebensowohl wie in den äußersten Verfeinerungen eines spanischen Zeremoniells; in den Tölpelhaftigkeiten junger Bauern nicht minder als in den süßesten Allegorien; und in aller Natur fühlte ich mich selber; wenn ich auf meiner Jagdhütte die schäumende laue Milch in mich hineintrank, die ein struppiges Mensch einer schönen sanftäugigen Kuh aus dem strotzenden Euter in einen Holzeimer niedermolk, so war mir das nichts anderes, als wenn ich, in der dem Fenster eingebauten Bank meines studio sitzend, aus einem Folianten süße und schäumende Nahrung des Geistes in mich sog.
Das eine war wie das andere; keines gab dem andern weder an traumhafter überirdischer Natur, noch an leiblicher Gewalt nach, und so gings fort durch die ganze Breite des Lebens, rechter und linker Hand; überall war ich mitten drinnen, wurde nie ein Scheinhaftes gewahr: Oder es ahnte mir, alles wäre Gleichnis und jede Kreatur ein Schlüssel der anderen, und ich fühlte mich wohl den, der im Stande wäre, eine nach der andern bei der Krone zu packen und mit ihr so viele der andern aufzusperren, als sie aufsperren könnte. Soweit erklärt sich der Titel, den ich jenem enzyklopädischen Buch zu geben gedachte.

Es möchte dem, der solchen Gesinnungen zugänglich ist, als der wohlangelegte Plan einer göttlichen Vorsehung erscheinen, daß mein Geist aus einer so aufgeschwollenen Anmaßung in dieses Äußerste von Kleinmuth und Kraftlosigkeit zusammensinken mußte, welches nun die bleibende Verfassung meines Inneren ist. Aber dergleichen religiöse Auffassungen haben keine Kraft über mich; sie gehören zu den Spinnennetzen, durch welche meine Gedanken durchschießen, hinaus ins Leere, während so viele ihrer Gefährten dort hangen bleiben und zu einer Ruhe kommen. Mir haben sich die Geheimnisse des Glaubens zu einer erhabenen Allegorie verdichtet, die über den Feldern meines Lebens steht wie ein leuchtender Regenbogen, in einer stetigen Ferne, immer bereit, zurückzuweichen, wenn ich mir einfallen ließe, hinzueilen und mich in den Saum meines Mantels hüllen zu wollen.

Aber, mein verehrter Freund, auch die irdischen Begriffe entziehen sich mir in der gleichen Weise. Wie soll ich es versuchen, Ihnen diese seltsamen geistigen Qualen zu schildern, dies Emporschnellen der Fruchtzweige über meinen ausgereckten Händen, dies Zurückweichen des murmelnden Wassers vor meinen dürstenden Lippen?
Mein Fall ist, in Kürze, dieser: Es ist mir völlig die Fähigkeit abhanden gekommen, über irgend etwas zusammenhängend zu denken oder zu sprechen.
 
Zuerst wurde es mir allmählich unmöglich, ein höheres oder allgemeineres Thema zu besprechen und dabei jene Worte in den Mund zu nehmen, deren sich doch alle Menschen ohne Bedenken geläufig zu bedienen pflegen. Ich empfand ein unerklärliches Unbehagen, die Worte »Geist«, »Seele« oder »Körper« nur auszusprechen. Ich fand es innerlich unmöglich, über die Angelegenheiten des Hofes, die Vorkommnisse im Parlament oder was Sie sonst wollen, ein Urtheil herauszubringen. Und dies nicht etwa aus Rücksichten irgendwelcher Art, denn Sie kennen meinen bis zur Leichtfertigkeit gehenden Freimut: sondern die abstrakten Worte, deren sich doch die Zunge naturgemäß bedienen muß, um irgendwelches Urtheil an den Tag zu geben, zerfielen mir im Munde wie modrige Pilze.
 
Es begegnete mir, daß ich meiner vierjährigen Tochter Catarina Pompilia eine kindische Lüge, deren sie sich schuldig gemacht hatte, verweisen und sie auf die Notwendigkeit, immer wahr zu sein, hinführen wollte, und dabei die mir im Munde zuströmenden Begriffe plötzlich eine solche schillernde Färbung annahmen und so ineinander überflossen, daß ich, den Satz, so gut es ging, zu Ende haspelnd, so wie wenn mir unwohl geworden wäre und auch tatsächlich bleich im Gesicht und mit einem heftigen Druck auf der Stirn, das Kind allein ließ, die Tür hinter mir zuschlug und mich erst zu Pferde, auf der einsamen Hutweide einen guten Galopp nehmend, wieder einigermaßen herstellte.
 
Allmählich aber breitete sich diese Anfechtung aus wie ein um sich fressender Rost. Es wurden mir auch im familiären und hausbackenen Gespräch alle die Urtheile, die leichthin und mit schlafwandelnder Sicherheit abgegeben zu werden pflegen, so bedenklich, daß ich aufhören mußte, an solchen Gesprächen irgend teilzunehmen.
 
Mit einem unerklärlichen Zorn, den ich nur mit Mühe notdürftig verbarg, erfüllte es mich, dergleichen zu hören wie: diese Sache ist für den oder jenen gut oder schlecht ausgegangen; Sheriff N. ist ein böser, Prediger T. ein guter Mensch; Pächter M. ist zu bedauern, seine Söhne sind Verschwender; ein anderer ist zu beneiden, weil seine Töchter haushälterisch sind; eine Familie kommt in die Höhe, eine andere ist am Hinabsinken. Dies alles erschien mir so unbeweisbar, so lügenhaft, so löcherig wie nur möglich. Mein Geist zwang mich, alle Dinge, die in einem solchen Gespräch vorkamen, in einer unheimlichen Nähe zu sehen: so wie ich einmal in einem Vergößerungsglas ein Stück von der Haut meines kleinen Fingers gesehen hatte, das einem Blachfeld mit Furchen und Höhlen glich, so ging es mir nun mit den Menschen und Handlungen.
 
Es gelang mir nicht mehr, sie mit dem vereinfachenden Blick der Gewohnheit zu erfassen. Es zerfiel mir alles in Teile, die Teile wieder in Teile und nichts mehr ließ sich mit einem Begriff umspannen. Die einzelnen Worte schwammen um mich; sie gerannen zu Augen die mich anstarrten und in die ich wieder hineinstarren muß: Wirbel sind sie, in die hinabzusehen mich schwindelt, die sich unaufhaltsam drehen und durch die hindurch man ins Leere kommt.
 
Ich machte einen Versuch, mich aus diesem Zustand in die geistige Welt der Alten hinüberzuretten. Platon vermied ich, denn mir graute vor der Gefährlichkeit seines bildlichen Fluges. Am meisten gedachte ich mich an Seneca und Cicero zu halten. An dieser Harmonie begrenzter und geordneter Begriffe hoffte ich zu gesunden. Aber ich konnte nicht zu ihnen hinüber. Diese Begriffe, ich verstand sie wohl: ich sah ihr wundervolles Verhältnisspiel vor mir aufsteigen wie herrliche Wasserkünste, die mit goldenen Bällen spielen. Ich konnte sie umschweben und sehen wie sie zueinander spielten; aber sie hatten es nur miteinander zu tun und das Tiefste, das persönliche meines Denkens blieb von ihrem Reigen ausgeschlossen. Es überkam mich unter ihnen das Gefühl furchtbarer Einsamkeit; mir war zumuth wie einem, der in einem Garten mit lauter augenlosen Statuen eingesperrt wäre; ich flüchtete wieder ins Freie.
 
Seither führe ich ein Dasein, das Sie, fürchte ich, kaum begreifen können, so geistlos, ja gedankenlos fließt es dahin; ein Dasein, das sich freilich von dem meiner Nachbarn, meiner Verwandten und der meisten landbesitzenden Edelleute dieses Königreiches kaum unterscheidet, und das nicht ganz ohne freudige und belebende Augenblicke ist. Es wird mir nicht leicht, Ihnen anzudeuten, worin diese guten Augenblicke bestehen; die Worte lassen mich wiederum im Stich. Denn es ist ja etwas völlig Unbenanntes, und auch wohl kaum Benennbares, das in solchen Augenblicken, irgendeine Erscheinung meiner alltäglichen Umgebung mit einer überschwellenden Flut höheren Leben wie ein Gefäß erfüllend, mir sich ankündet.
 
Ich kann nicht erwarten, daß Sie mich ohne Beispiel verstehen, und ich muß Sie um Nachsicht für die Kläglichkeit meiner Beispiele bitten. Eine Gießkanne, eine auf dem Feld verlassene Egge, ein Hund in der Sonne, ein ärmlicher Kirchhof, ein Krüppel, ein kleines Bauernhaus, alles dies kann das Gefäß meiner Offenbarung werden. Jeder dieser Gegenstände und die tausend anderen ähnlichen, über die sonst ein Auge mit selbstverständlicher Gleichgültigkeit hinweggleitet, kann für mich plötzlich in irgendeinem Moment, den herbeizuführen auf keine Weise in meiner Gewalt steht, ein erhabenes und rührendes Gepräge annehmen, das auszudrücken mir alle Worte zu arm scheinen.
Ja, es kann auch die bestimmte Vorstellung eines abwesenden Gegenstandes sein, der die unbegreifliche Auserwählung zu Theil wird, mit jener sanft oder jäh steigenden Flut göttlichen Gefühles bis an den Rand gefüllt zu werden. So hatte ich unlängst den Auftrag gegeben, den Ratten in den Milchkellern eines meiner Meierhöfe ausgiebig Gift zu streuen. Ich ritt gegen Abend aus und dachte, wie Sie vermuten können, nicht weiter an diese Sache. Da, wie ich im tiefen aufgeworfenen Ackerboden Schritt reite, nichts Schlimmeres in meiner Nähe als eine aufgescheuchte Wachtelbrut und in der Ferne über den welligen Feldern die große sinkende Sonne, tut sich mir im Innern plötzlich dieser Keller auf, erfüllt mit dem Todeskampf dieses Volks von Ratten.
Alles war in mir: die mit dem süßlich scharfen Geruch des Giftes angefüllte kühl-dumpfe Kellerluft und das Gellen der Todesschreie, die sich an modrigen Mauern brachen; diese ineinander geknäulten Krämpfe der Ohnmacht, durcheinander hinjagenden Verzweiflungen; das wahnwitzige Suchen der Ausgänge; der kalte Blick der Wut, wenn zwei einander an der verstopften Ritze begegnen. Aber was versuche ich wiederum Worte, die ich verschworen habe!
 
Sie entsinnen sich, mein Freund, der wundervollen Schilderung von den Stunden, die der Zerstörung von Alba Longa vorhergehen, aus dem Livius? Wie sie die Straßen durchirren, die sie nicht mehr sehen sollen ... wie sie von den Steinen des Bodens Abschied nehmen ... Ich sage Ihnen, mein Freund, dieses trug ich in mir und das brennende Karthago zugleich; aber es war mehr, es war göttlicher, tierischer; und es war Gegenwart, die vollste erhabenste Gegenwart.
 
Da war eine Mutter, die ihre sterbenden Jungen um sich zucken hatte und nicht auf die Verendenden, nicht auf die unerbittlichen steinernen Mauern, sondern in die leere Luft, oder durch die Luft ins Unendliche hin Blicke schickte, und diese Blicke mit einem Knirschen begleitete! - wenn ein dienender Sklave voll ohnmächtigen Schauders in der Nähe der erstarrenden Niobe stand, der muß das durchgemacht haben, was ich durchmachte, als in mir die Seele dieses Tieres gegen das ungeheure Verhängnis die Zähne bleckte.
 
Vergeben Sie mir diese Schilderung, aber denken Sie nicht, daß es Mitleid war, was mich erfüllte. Das dürfen Sie ja nicht denken, sonst hätte ich mein Beispiel ungeschickt gewählt. Es war viel mehr und viel weniger als Mitleid: ein ungeheures Anteilnehmen, ein Hinüberfließen in jene Geschöpfe oder ein Fühlen, daß ein Fluidum des Lebens und Todes, des Traumes und Wachens für einen Augenblick in sie hinübergeflossen ist - von woher? Denn was hätte es mit Mitleid zu tun, was mit begreiflicher menschlicher Gedankenverknüpfung, wenn ich an einem anderen Abend unter einem Nußbaum eine halbvolle Gießkanne finde, die ein Gärtnerbursche dort vergessen hat, und wenn mich diese Gießkanne und das Wasser in ihr, das vom Schatten des Baumes finster ist, und ein Schwimmkäfer, der auf dem Spiegel dieses Wassers von einem dunklen Ufer zum andern rudert, wenn diese Zusammensetzung von Nichtigkeiten mich mit einer solchen Gegenwart des Unendlichen durchschauert, von den Wurzeln der Haare bis ins Mark der Fersen mich durchschauert, daß ich in Worte ausbrechen möchte, von denen ich weiß, fände ich sie, so würden sie jene Cherubim, an die ich nicht glaube, niederzwingen, und daß ich dann von jener Stelle schweigend mich wegkehre, und nun nach Wochen, wenn ich dieses Nußbaums ansichtig werde, mit scheuem seitlichen Blick daran vorübergehe, weil ich das Nachgefühl des Wundervollen, das dort um den Stamm weht, nicht verscheuchen will, nicht vertreiben die mehr als irdischen Schauer, die um das Buschwerk in jener Nähe immer noch nachwogen.
 
In diesen Augenblicken wird eine nichtige Kreatur, ein Hund, eine Ratte, ein Käfer, ein verkrümmter Apfelbaum, ein sich über den Hügel schlängelnder Karrenweg, ein moosbewachsener Stein mir mehr als die schönste hingebendste Geliebte der glücklichsten Nacht mir je gewesen ist. Diese stummen und manchmal unbelebten Kreaturen heben sich mir mit einer solchen Fülle, einer solchen Gegenwart der Liebe entgegen, daß mein beglücktes Auge auch ringsum auf keinen toten Fleck zu fallen vermag.
Es erscheint mir alles, was es gibt, alles, dessen ich mich entsinne, alles, was meine verworrensten Gedanken berühren, etwas zu sein. Auch die eigene Schwere, die sonstige Dumpfheit meines Hirnes erscheint mir als etwas; ich fühle ein entzückendes, schlechthin unendliches Widerspiel in mir und um mich, und es gibt unter den gegeneinander spielenden Materien keine, in die ich nicht hinüberzufließen vermöchte.
Es ist mir dann, als bestünde mein Körper aus lauter Chiffern, die mir alles aufschließen. Oder als könnten wir in ein neues, ahnungsvolles Verhältnis zum ganzen Dasein treten, wenn wir anfingen, mit dem Herzen zu denken. Fällt aber diese sonderbare Bezauberung von mir ab, so weiß ich nichts darüber auszusagen; ich könnte dann ebensowenig in vernünftigen Worten darstellen, worin diese mich und die ganze Welt durchwebende Harmonie bestanden und wie sie sich mir fühlbar gemacht habe, als ich ein Genaueres über die inneren Bewegungen meiner Eingeweide oder die Stauungen meines Blutes anzugeben vermöchte.
 
Von diesen sonderbaren Zufällen abgesehen, von denen ich übrigens kaum weiß, ob ich sie dem Geist oder dem Körper zurechnen soll, lebe ich ein Leben von kaum glaublicher innerer Leere und habe Mühe, die Starre meines Innern vor meiner Frau und vor meinen Leuten die Gleichgültigkeit zu verbergen, welche mir die Angelegenheiten des Besitzes einflößen. Die gute und strenge Erziehung, welche ich meinem seligen Vater verdanke, und die frühzeitige Gewöhnung, keine Stunde des Tages unausgefüllt zu lassen, sind es, scheint mir, allein, welche meinem Leben nach außen hin einen genügenden Halt und den meinem Stande und meiner Person angemessenen Anschein bewahren.
Ich baue einen Flügel meines Hauses um und bringe es zustande, mich mit dem Architekten hie und da über die Fortschritte seiner Arbeit zu unterhalten; ich bewirtschafte meine Güter, und meine Pächter und Beamten werden mich wohl etwas wortkarger, aber nicht ungütiger als früher finden. Keiner von ihnen, der mit abgezogener Mütze vor seiner Haustür steht, wenn ich abends vorüberreite, wird eine Ahnung haben, daß mein Blick, den er respektvoll aufzufangen gewohnt ist, mit stiller Sehnsucht über die morschen Bretter hinstreicht, unter denen er nach Regenwürmern zum Angeln zu suchen pflegt, durchs enge vergitterte Fenster in die dumpfe Stube taucht, wo in der Ecke das niedrige Bett mit bunten Laken immer auf einen zu warten scheint, der sterben will, oder auf einen, der geboren werden soll; daß mein Auge lange an den häßlichen jungen Hunden hängt oder an der Katze, die geschmeidig zwischen Blumenscherben durchkriecht, und daß es unter allen den ärmlichen und plumpen Gegenständen einer bäurischen Lebensweise nach jenem einen sucht, dessen unscheinbare Form, dessen von niemand beachtetes Daliegen oder -lehnen, dessen stumme Wesenheit zur Quelle jenes rätselhaften, wortlosen, schrankenlosen Entzückens werden kann.
 
Denn mein unbenanntes seliges Gefühl wird eher aus einem fernen einsamen Hirtenfeuer mir hervorbrechen als aus dem Anblick des gestirnten Himmels; eher aus dem Zirpen einer letzten, dem Tode nahen Grille, wenn schon der Herbstwind winterliche Wolken über die öden Felder hintreibt, als aus dem majestätischen Dröhnen der Orgel. Und ich vergleiche mich manchmal in Gedanken mit jenem Crassus, dem Redner, von dem berichtet wird, daß er eine zahme Muräne, einen dumpfen, rotäugigen, stummen Fisch seines Zierteiches, so über alle Maßen lieb gewann, daß es zum Stadtgespräch wurde; und als ihm einmal im Senat Domitius vorwarf, er habe über den Tod dieses Fisches Tränen vergossen, und ihn dadurch als einen halben Narren hinstellen wollte, gab ihm Crassus zur Antwort: »So habe ich beim Tod meines Fisches getan, was Ihr weder bei Eurer ersten noch Eurer zweiten Frau Tod getan habt.«
Ich weiß nicht wie oft mir dieser Crassus mit seiner Muräne als ein Spiegelbild meiner Selbst, über den Abgrund der Jahrhunderte hergeworfen, in den Sinn kommt. Nicht aber wegen dieser Antwort, die er dem Domitius gab. Die Antwort brachte die Lacher auf seine Seite, so daß die Sache in einen Witz aufgelöst war. Mir aber geht die Sache nahe, die Sache, welche dieselbe geblieben wäre, auch wenn Domitius um seine Frauen blutige Tränen des aufrichtigsten Schmerzes geweint hätte. Dann stünde ihm noch immer Crassus gegenüber, mit seinen Tränen um die Muräne.
Und über diese Figur, deren Lächerlichkeit und Verächtlichkeit mitten in einem die erhabensten Dinge beratenden, weltbeherrschenden Senat so ganz ins Auge springt, über diese Figur zwingt mich ein unnennbares Etwas, in einer Weise zu denken, die mir vollkommen töricht erscheint, im Augenblick, wo ich versuche, sie in Worten auszudrücken.
 
Das Bild dieses Crassus ist zuweilen nachts in meinem Hirn, wie ein eingeschlagener Nagel, um den herum alles schwärt, pulst und kocht. Es ist mir dann, als geriete ich selber in Gärung, würfe Blasen auf, wallte und funkelte. Und das Ganze ist eine Art fieberisches Denken, aber Denken in einem Material, das unmittelbarer, flüssiger, glühender ist als Worte. Es sind gleichfalls Wirbel, aber solche, die nicht wie die Worte der Sprache ins Bodenlose zu führen scheinen, sondern irgendwie in mich selber, und in den tiefsten Schoß des Friedens.
 
Ich habe Sie, mein verehrter Freund, mit dieser ausgebreiteten Schilderung eines unerklärlichen Zustandes, der gewöhnlich in mir verschlossen bleibt, über Gebühr belästigt.
Sie waren so gütig, Ihre Unzufriedenheit darüber zu äußern, daß kein von mir verfaßtes Buch mehr zu Ihnen kommt, »Sie für das Entbehren meines Umgangs zu entschädigen«. Ich fühlte in diesem Augenblick mit einer Bestimmtheit, die nicht ganz ohne ein schmerzliches Beigefühl war, daß ich auch im kommenden und im folgenden und in allen Jahren dieses meines Lebens kein englisches und kein lateinisches Buch schreiben werde: und dies aus dem einen Grund, dessen mir peinliche Seltsamkeit mit ungeblendetem Blick dem vor Ihnen harmonisch ausgebreiteten Reiche der geistigen und leiblichen Erscheinungen an seiner Stelle einzuordnen ich Ihrer unendlichen geistigen Überlegenheit überlasse: nämlich weil die Sprache, in welcher nicht nur zu schreiben, sondern auch zu denken mir vielleicht gegeben wäre, weder die lateinische noch die englische, noch die italienische oder spanische ist, sondern eine Sprache, in welcher die stummen Dinge zuweilen zu mir sprechen, und in welcher ich vielleicht einst im Grabe vor einem unbekannten Richter mich verantworten werde.
 
Ich wollte, es wäre mir gegeben, in die letzten Worte dieses voraussichtlich letzten Briefes, den ich an Francis Bacon schreibe, alle die Liebe und Dankbarkeit, alle die ungemessene Bewunderung zusammenzupressen, die ich für den größten Wohltäter meines Geistes, für den ersten Engländer meiner Zeit im Herzen hege und darin hegen werde, bis der Tod es bersten macht.


A.D. 1603, diesen 22ten August.

* Qui gravi morbo correpti dolores non sentiunt, iis mens aegrotat.
Diejenigen, die (= qui) von einer schweren Krankheit erfasst die Schmerzen nicht fühlen/spüren,
denen ist der Geist krank ~ die haben einen Kranken Geist

* * Nosce te ipsum.
Erkenne dich selbst.
http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/rezensionen/belletristik/ein-brief-und-ein-fax-1119564.html 

Heiner Müller
Ajax zum Beispiel


...
Ich Dinosaurier nicht von Spielberg sitze
Nachdenkend über die Möglichkeit
Eine Tragödie zu schreiben Heilige Einfalt
Im Hotel in Berlin unwirklicher Hauptstadt
Mein Blick aus dem Fenster fällt
Auf den Mercedesstern
Der sich im Nachthimmel dreht melancholisch
Über dem Zahngold von Auschwitz und andere Filialen
Der Deutschen Bank auf dem Europacenter
Europa Der Stier ist geschlachtet das Fleisch
Fault auf der Zunge der Fortschritt läßt keine Kuh aus

... 

oder

ALLEIN MIT DIESEN LEIBERN
Staaten Utopien
Gras wächst
Auf den Gleisen
Die Wörter verfaulen
Auf dem Papier
Die Augen der Frauen
Werden kälter
Abschied von morgen
STATUS QUO



http://www.berliner-zeitung.de/archiv/30-autoren-schreiben--faxen--mailen-an-den-jungen-lord-chandos--sein-pferd--an-hugo-von-hofmannsthal-oder-an-jemand-ganz-anderen-sprachkrise-ist-bloed,10810590,10083976.html 

Freitag, 3. April 2015

Ein Zimt-Apfel-Brot für MICH


Ein Zimt-Apfel-Brot für Johanna 

Nimm für den Teig: 

450 g Mehl 
1/2 Würfel frische Hefe 
150 ml Buttermilch 
60 g zerlassene Butter 
50 g Zucker 
2 Eier 
Prise Salz und eine ordentliche Prise Muskat 
zwei, drei Löffelchen angewärmte Milch Mehl zum Ausrollen 

Für die Füllung: 

2 Bosköppe 
100 g zerlassene Butter 
3-4 Esslöffel Zimtzuckermischung (Kann auch mehr werden) 
Wer mag, weicht noch eine Handvoll Rosinen ein. 

Außerdem: 
Backpapier, Butter und ne Kastenform 

Ran an den Sarch und mitjeweent, wir legen los:
Für einen guten Hefeteig sollten die Zutaten unbedingt Zimmertemperatur haben, 
sonst wird das nie richtig geschmeidig. In einer Schüssel baust du einen Berg Mehl 
und drückst eine Mulde hinein, in die du den Zucker und die zerkrümelte Hefe gibst. 
Gieße vorsichtig die angewärmte Milch dazu, lege ein Handtuch darüber und 
 lasse es ein bisschen ruhen. 
Nach einer Viertelstunde kannst du die restlichen Zutaten mit unterrühren. 

Der Teig muss es schön warm haben. Am liebsten mag er es, wenn er 
warme Füßchen bekommt, indem man die Schüssel in ein warmes Bad stellt. 
Vulgo: stells ins Waschbecken und deck ein Tuch drüber. 
 Dann kannst du dich erst einmal von der schweren Arbeit ausruhen 
und eine halbe Folge House of cards gucken. 

Wenn Frank Underwood grade fies in die Kamera kiekt, stoppst du den stream, 
wäschst dir penibel die Finger und gehst kneten. Dieser Teig ist flauschig und 
macht es einem nicht schwer. Knete ihn ordentlich durch und leg ihn dann in 
die Schüssel und sein Fußbad zurück. 
Jetzt schaffst du den Rest der Folge und gleich noch eine dazu. 


Buttere die Kastenform, lege sie mit Backpapier aus 
und buttere das Papier auch innen. 
Schäl die Äpfel und schneide sie in dünne Schnitze, 
zerlasse die Butter 
 und stell die Zimtzuckermischung bereit. 
Klingt wie Zimtzicke. Ist auch perfekt, um Zimtzicken zum Zittern zu bringen. 

Knete den Teig noch einmal durch und rolle ihn dünn aus. Schneide einen breiten 
langen Streifen mit einem scharfen Messer und lege ihn in den Boden der Form. 
Pinsle den Teigstreifen mit der flüssigen Butter ein und streue eine ordentliche 
Portion Zimtzucker darauf. Lege ein paar Apfelschnitze drauf und, wie gesagt, 
wenn du magst, auch ein paar Rosinchen. Jetzt den nächsten Teigstreifen in voller 
Länge buttern, zimtzuckern, veräppeln und immer so fort, bis die Form voll ist. 
Auf die oberste Schicht kommen keine Äpfel mehr, jedoch kannst du aus Teigresten 
lustige Schnörkelchen draufsetzen und behaupten, es wären dothrakische Formeln. 

Leg ein Handtuch drauf und gib dem Brot noch mal ne halbe Stunde frei. 
Dann jedoch gehts ab in die Röhre und zwar bei 175 Grad für ca 30 Minuten. 
Statt sich ne Kippe anzuzünden, piekst du mit dem Streichholz mal probehalber hinein, schätzungsweise bleibt dann aber nichts mehr hängen und das Zimt-Apfel-Brot 
ist fertig und kann, entgegen meiner sonstigen Empfehlung, sofort brühwarm 
gegessen werden. 
Aber ein wirklich guter Hefekuchen schmeckt selbst nach Tagen noch. 
Nur: welcher wirklich gute Hefeteig erlebt schon solch hohes Alter?

Gespendet & verfasst
von der Sängerin, Bäckerin & Gastautorin 
Pascal von Wroblewsky
 


Mittwoch, 1. April 2015

Das Volkstheater Rostock - Es geht immer noch schlimmer.


Wir werden dafür Sorge tragen, dass das Volkstheater in sicherem Fahrwasser bleibt.

Roland Methling, Oberbürgermeister der Hansestadt Rostock, parteilos, charakterlos und, wenn alles klappt, wie er es erhofft, bald theaterlos.

Heute Abend ist der Intendant des Volkstheaters Rostock, Sewan Latchinian,
in einer außerordentlichen Sitzung des Hauptausschusses der Rostocker Bürgerschaft 
mit 6 zu 5 Stimmen fristlos gekündigt worden, die möglichen Kosten seiner Abfindung 
soll das Theater tragen, Herr Latchinian war seit einem halben Jahr im Amt.



Er war der zwölfte Intendant des VTR seit dem Ende der DDR, der dritte in der Amtszeit von Herrn Methling, die 2005 begann. 

Satirische, vielleicht zynische Vergleiche zwischen ISIS und Rostocker Politikern, wurden zu Kündigungsgründen umfunktioniert, nicht realisierbare Sparbeschlüsse durften nicht als nichtrealisierbar bezeichnet werden, der Kaiser ist NICHT nackt! Und wenn er doch nackt ist, dann nennen wir es einfach 2+2 Sparten. 

Eine Bemerkung am Rande: Wahrscheinlich könnte mit der Summe der Abfindungen das ganz wunderbare Tanztheater über viele Jahre in Saus und Braus großartige Arbeit leisten.


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Steffen Piontek - Intendant von 2002 bis 2008 - noch 2005 wurde sein Vertrag um fünf Jahre verlängert - 2007 erster Kündigungsversuch durch Roland Methling - 2008 fristlose Kündigung - Einsetzung eines kaufmännischen Leiters namens Kay-Uwe Nissen, der es bis 2010 schaffte - Peter Leonard, erfolgloser Generalmusikdirektor, wurde auf Initiative von Roland Methling 2008 Intendant und ging 2014. Während seiner Amtszeit wurde das Große Haus ganz "plötzlich", wegen Brandschutzproblemen, für mehr als ein Jahr geschlossen und das Kleine Haus, wegen Unfinanzierbarkeit, völlig aufgegeben - 2011 wurde ein neuer kaufmännischer Geschäftsführer bestellt, Stefan Rosinski, er hat, wenn auch hart angegriffen bisher noch überlebt. Somit stellt Sewan Latchinians sechs monatige Amtszeit einen Rekord da. Kürzer geht nicht.

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Wiki sagt: Die Sorgfaltspflicht bezeichnet die Verpflichtung, sich umsichtig zu verhalten und der nötigen Sorgfalt Genüge zu tun. Der Zweck der Sorgfaltspflicht ist die Vermeidung unnötiger Risiken für andere und die verbindliche Haftung für Fahrlässigkeit.
Wird die erforderliche Sorgfalt nicht beachtet, so liegt im juristischen Sinne eine Fahrlässigkeit vor. (Wiki)

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Theater um das Theater. Ein Rückblick 2005 - heute von Sibylle Bachmann
https://ob2019.files.wordpress.com/2011/12/12-10-24-theater-ums-theater-chronologie-2005-121.pdf

http://www.nachtkritik.de/index.php?option=com_content&view=article&id=10757%3Arostocker-intendant-sewan-latchinian-fristlos-entlassen&catid=126%3Ameldungen-k&Itemid=100089

http://de.wikipedia.org/wiki/Volkstheater_Rostock

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Aufruf von Matthias Brenner,
Intendant des Theaters Halle:

Alle Fördervereine! Zuschauervereinigungen,Theaterensembles! Lasst uns eine Sternenfahrt nach Rostock zu einem gewaltigen Happening gegen den Antikultur-und Bildungswahn wagen!
Rostocker Menschen! Empfangt uns - bringt uns unter in eurer Stadt und feiert mit uns die Sehnsucht nach Kultur, Bildung, Auseinandersetzung!!!!!
Wir brauchen uns alle gegenseitig deutschland- und europaweit!!!! Lasst uns gemeinsam kämpfen!
 

Beamte und Ämter kommen und gehen! Die Kunst bleibet bestehen! - Majakowski

Montag, 30. März 2015

Leigh Bowery 2 - Personae



  LEIGH BOWERY 

1961 - 1994

2


Ich sehe mich selbst als eine Leinwand.
I think of myself as a canvas.

Leigh Bowery


Leigh Bowery 
#1969 ©Werner Pawlok 

Etabliere Dich in der Welt der Kunst, der Literatur
oder der Literatur. Trage jeden Tag Make-up. 

Become established in the world of art, fashion, 
or literature. Wear make-up everyday.
Leigh Bowery Silvester 1980/81   
 
 
Leigh Bowery 
#1972 ©Werner Pawlok

Wiki schreibt: Leigh Bowery,
geboren am 26. März 1961 in Sunshine, Australien; 
gestorben am 31. Dezember 1994 in London.
Er war ein Performer, Modedesigner, Nachtclubbetreiber und Model. 
Bowery zählte in den 1980er und 1990er Jahren zu den inspirierendsten Personen 
der Londoner und New Yorker Modewelt und Nachtclubszene.
Er entwarf Kostüme und Bühnenoutfits u.a. für David Bowie, Boy George, 
The Fall oder die Michael Clark Company.

Mrs. Peanut in New York 
Kurzfilm von Charles Atlas

 The Metropolitan by Leigh Bower
1988 © Leigh Bowery Estate

Leigh Bowery - Session IV, Look 22, 
August 1991 © Fergus Greer

Ich legte die Maske ab und besah mich im Spiegel.
Wieder war ich das Kind von einst.
Ich hatte mich nicht verändert...
Das ist der Vorteil, wenn man die Maske ablegen kann.
Man ist immer das Kind
und die Vergangenheit,
die das Kind erlebt.
Ich legte die Maske ab und setzte sie wieder auf.
So ist es besser,
so ohne Maske.
Ich kehre zurück zur Persönlichkeit wie zur Endstation.
 
FERNANDO PESSOA
 
Leigh Bowery - Session VII, Look 38, June 1994
August 1991 © Fergus Greer 

Alle Menschen, welche leben,
Alle, wie sie sich auch geben,
Tragen Masken bis zum Grab;
Nur in tollen Faschingstagen,
Wenn sie Narrenmasken tragen,
Da nur fällt die Maske ab.
 
Aus den »Fliegenden Blättern«, erschienen 1845-1928 bei Braun & Schneider, München

  Leigh Bowery © Fergus Greer 

Ich habe eine Dame getroffen, auf deren Hut zwanzig Vögel: Zeisige, Stieglitze, Rotkehlchen, am Fuß durch einen Faden gehalten, aus vollem Halse und mit Flügeln schlagend, sangen. Auf dem letzten Fest in Neuilly bestand die Frisur einer Botschafterin aus dreißig Nattern. [...] am letzten Mittwoch habe ich auf den Boulevards eine alte Schachtel gesehen, ganz in kleine Spiegel gekleidet, die auf einem Gewebe angebracht und angeklebt waren. Die Wirkung war in der Sonne prachtvoll. Man war versucht zu sagen: eine promenierende Goldmine.

Guillaume Apollinaire: Der gemordete Dichter 1916
 

   Leigh Bowery mit Assistentin Nicola Bateman © Fergus Greer 


Horror ist das Absetzen der Masken.
Horror is the removal of masks.
Robert Bloch

 Leigh Bowery © Fergus Greer 

Zum Probenbeginn eines Stückes über Goethe und die Frau von Stein



Manchmal findet man politisch - literarische Grässlichkeiten, die man nicht glauben möchte, aber die doch existieren.

Alle abscheulichen Stücke schrieb Heiner Müller bereits, alle erhabenen ich. Peter Hacks

Das Vaterland

So wie das Einhorn vor den Geistern allen
Hervorsticht durch Empfindsamkeit und Wissen,
Wie der Demant vor minderen Kristallen,
Der Kaviar vor sonstigen Leckerbissen,
So wie der Panther vor den Waldnaturen
Und Greta Garbo vor den andern Huren, 


So stach einmal mein liebes Vaterland
Unter den Reichen dieser Welt hervor.
Das Land, wo keiner darbte, keiner fror.
Das Land, wo jeder Dach und Arbeit fand.
Wie lob ich es? Wie enden, wie beginnen?
Ich sage, es war ganz und gar bei Sinnen.


Wer reifen wollte, war befugt zu hoffen.
Die Seelen nahmen Form an und die Leiber.
Dem Ärmsten stand die höchste Stelle offen.
Was Männer durften, durften auch die Weiber.
Und weder Aberglauben, weder Schulden
Fand sich sein stolzes Herz bereit zu dulden.


Und keine Krankheit, wenn sie heilbar war,
Blieb von der Kunst der Ärzte ungeheilt.
Und kein Verdruß, sofern er teilbar war,
Ward redlich nicht von Fürst und Volk geteilt.
Kein Eigentümer konnte uns befehlen,
Zu seinem Vorteil selbst uns zu bestehlen.


Wie aufgeklärt hier alles. Wie durchheitert.
Wie voller Frische, voller Ahnungen.
Ins Morgen ward die Gegenwart erweitert
Des Vaterlands durch seine Planungen.
Es ist ein Hochgenuß, von ihm zu sprechen.
Es war ein Staat und scheute das Verbrechen.


Wer kann die Pyramiden überstrahlen?
Den Kreml, Sanssouci, Versailles, den Tower?
Von allen Schlössern, Burgen, Kathedralen
Der Erdenwunder schönstes war die Mauer.
Mit ihren schmucken Türmen, festen Toren.
Ich glaub, ich hab mein Herz an sie verloren.


Das war das Land, in dem ich nicht geboren,
Das Land, in dem ich nicht erzogen bin.
Das ich mir frei zum Vaterland erkoren,
Daß bis zum Grab ich atmete darin.
Das mit dem Grab hat sich nun auch zerschlagen.
Doch war das Glück mit meinen Mannestagen.


In dieser Hundewelt geht vieles ohne
Ideen, aber nichts ohne Spione.
Schuld, daß ich alles deutlich offenbare,
Schuld trug das KGB. Wohl zwanzig Jahre
Hat insgeheim mit Langley oder Harvard
Es über unsern Untergang palavert.


Die Sowjetmacht, sie schenkte uns das Leben.
Sie hat uns auch den Todesstoß gegeben.
Nur täuscht euch nicht. Rußland und wir, wir beiden,
Sind niemals, auch nicht durch Verrat, zu scheiden.
So viel für jetzt. So viel zum künftig schwierigen
Verhältnis zwischen Preußen und Sibirien.


Fremd ist die Sonne, die mir heute leuchtet.
Und bloß im sich versenkenden Gemüte
Seh ich die Landschaft, die hier vormals blühte.
Nicht immer bleibt mein Auge unbefeuchtet.
Man weint um Hellas. Sonst geschieht es selten,
Daß einer Staatseinrichtung Tränen gelten.


Und derer laßt mich denken, die es schufen,
Das Vaterland, ihm Hirn und Willen liehen,
Es kräftigend zu menschlichsten Behufen.
Kaum einer ist mehr. Laßt mich nicht verziehen,
Als Greis dem Sterbenden mich mitzuteilen.
 

Für Alfred Neumann schrieb ich diese Zeilen. 

Peter Hacks  

Nachdruck/Vervielfältigung nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Rechteinhabers. 
© Eulenspiegel Verlag, Berlin

http://de.wikipedia.org/wiki/Alfred_Neumann_%28Minister%29 


Samstag, 28. März 2015

Leigh Bowery 1 - Lucian Freuds Muse


LEIGH BOWERY 
1961 - 1994
1

Ich will, dass Farbe Fleisch wird.
Lukian Freud

Wir beginnen mit seinem nackten Körper, Leigh Bowery, Meister der Ganzkörpermaskierung, 
Künstler und eigenes Kunstobjekt zugleich, Mensch, Mann & Frau & Lebewesen, gemalt
von Lukian Freud. Ein Körper als Landschaft. Fleisch als Heimat und Biographie.

Bowery war ein Hüne, fast 2 Meter groß und in guten Zeiten weit über 100 Kilogramm schwer.

Von 1990 bis zu seinem Tod 1994 stellte sich Bowery "pünktlich, ausdauernd und nachtaktiv", 
wie Freud es bezeichnete, dem Maler unzählige Male als Modell zur Verfügung.


Leigh Bowery Rückenansicht
1993 Purchase, Lila Acheson Wallace Gift

Leigh Bowery mit einem Bein oben
1992 Hirshhorn Museum, Smithsonian Institution, Washington


Leigh Bowery 1991 
©The Lucian Freud Archive/Bridgeman Images


Lucian Freud and Leigh Bowery imitieren die Posen von Künstler & Modell 
in Gustave Courbets ‘Das Atelier des Malers’ 1855. 
Photographie Bruce Bernard
1992 © Estate of Bruce Bernard (Virginia Verran)

 Ausschnitt

Leigh Bowery unter dem Dachfenster 1994
© The Estate of Bruce Bernard 

An sich selbst

Mir grauet vor mir selbst, mir zittern alle Glieder,
Wenn ich die Lipp und Nas und beider Augen Kluft,
Die blind vom Wachen sind, des Atems schwere Luft
Betracht und die nun schon erstorbnen Augenlider.

Die Zunge, schwarz vom Brand, fällt mit den Worten nieder
Und lallt, ich weiß nicht was; die müde Seele ruft
Dem großen Tröster zu; das Fleisch ruft nach der Gruft;
Die Ärzte lassen mich, die Schmerzen kommen wieder.
 
Mein Körper ist nicht mehr als Adern, Fell und Bein.
Das Sitzen ist mein Tod, das Liegen meine Pein.
Die Schenkel haben selbst nun Träger wohl vonnöten.

Was ist der hohe Ruhm, und Jugend, Ehr und Kunst?
Wenn diese Stunde kommt, wird alles Rauch und Dunst,
Und eine Not muss uns mit allem Vorsatz töten.

Andreas Gryphius
Aus: Deutsche Gedichte. 
Ausgewählt und eingeleitet von Karl Krolow. 
Bd. 1. 5. Auflage Frankfurt am Main 1987

Freitag, 27. März 2015

Da wir nur Menschen sind - Dylan Thomas


Leider kann ich das englische Original nirgends finden, bin daher auch nicht sicher, ob das Gedicht wirklich von Dylan Thomas geschrieben wurde, aber es ist so schön, dass ich es ungeachtet seiner ungesicherten Herkunft poste.
Da wir nur Menschen sind...

Da wir nur Menschen sind

Da wir nur Menschen sind, schritten wir in den Wald,
Furchtsam, und achteten auf leise Silben,
Aus Angst, die Raben aufzuwecken,
Aus Angst, geräuschlos
Einzugehen in eine Welt aus Flügeln und Gekreisch.

Wären wir Kinder, stiegen wir hinauf
Und fingen, ohne einen Zweig zu brechen, die Raben im Schlaf,
und nach dem leisen Aufstieg
Streckten wir unsre Köpfe oben aus den Ästen
Um die unweigerlichen Sterne zu bestaunen.

Aus der Verwirrung, wie's so geht,
und aus dem menschvertrauten Staunen,
Aus diesem Chaos wüchse Glück.
Das also, sagten wir, ist Schönheit,
Kinder, die staunend in die Sterne schaun,
Ist Ziel und Zweck.

Da wir nur Menschen sind, schritten wir in den Wald.

vermutlich aus den Collected Poems 1934-53

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