Mittwoch, 20. März 2013

FRÜHLINGSANFANG


FRÜHLINGSANFANG ???!

Der neue Papst spricht über eine arme Kirche.

©AFP/Reuters

Frau Holle ist in der manischen Phase.



Ich hatte gestern, zum ersten Mal in 14 Tagen, alle Schauspieler auf der Probe.



Montag, 18. März 2013

Wie wir uns Menschen basteln und uns selbst belügen


Und Gott sprach: Laßt uns Menschen machen, ein Bild, das uns gleich sei...
...Und Gott schuf den Menschen ihm zum Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn...
1 Moses 1

Ein Gegrübel

Nur sehr selten erfahren wir, wie uns andere sehen. 

Wenn wir überhaupt darüber sprechen, verhindern vorauseilende Höflichkeit, anerzogener Takt, die weitverbreitete Unwilligkeit sich unbeliebt zu machen, und, natürlich, gewöhnliche Verlogenheit, meist wirklichen Erkenntnisgewinn. 
Und dass Kinder und Betrunkene die Wahrheit sagen, halte ich in Erinnerung an die von mir geäußerten kindlichen Grundsatzurteile und selbstverteidigenden Gemeinheiten, für eine ungenaue Platitüde.
Der liebende Blick ist ein Spezialfall, im besten Fall sieht der andere uns in unserer schönsten Möglichkeit, im schlimmsten sieht er, nur das was er selbst braucht und wird, bei dem Versuch uns dafür nutzbar zu machen, niedermetzeln, was dem im Wege steht. Und das "zu unserem Besten". Ob das Letztere Liebe zu nennen sei, ist zu bezweifeln.

Die Verwendung der Wörter "immer" und "nie" scheint mir ein deutliches Warnzeichen für versuchte 'Selbst'-Verletzung durch einen Anderen.
Ich habe über die Jahre gehört, dass ich, wenn ich bei den mittelschweren Vorwürfen bleibe, zu kühl, zu selbstbewusst, sogar arrogant, besserwisserisch, verschlossen und überhaupt rechthaberisch bin. Was alles irgendwie stimmt und andererseits auch nicht.
Manchmal bin ich so und manchesmal auch das genaue Gegenteil. 
Unser Selbstbild wankelig, idealisiert beschönigend oder selbstzerfleischend, je nach Zustand, begnügt sich deshalb meist mit dem imaginierten Fremdbild. "Zu fett" ist gleichzeitig eigentlich eines der harmlosesten, aber auch weitverbreitetsten Urteile, das wir anderen unterstellen. Oder warum vergesse ich gute Kritiken in Windeseile, während Verrisse oft jahrelang wortwörtlich in den Tiefen meines Gehirns herumwabern?  


Und da leben wir, kennen uns eigentlich, wollen, können aber vieles von dem was wir da sehen, ahnen, nicht ertragen, denn ungeschminkt und ungewaschen blickt uns ein unerwartetes, anderes Gesicht entgegen. Anders als erhofft, anders als genehm, anders als was gemeinhin hübsch genannt wird. Aber es ist halt unseres.

Manchmal erblicken wir in den verletztenden Worten, die uns jemand über uns entgegenschleudert, für Sekunden nur die verzweifelte Fratze unseres Gegenüber, der selbst im heftigen Kampf mit sich gefangen, uns einen Teil seiner Not überhelfen möchte.

Und manchmal sagt jemand einen scheinbar lapidaren Halbsatz, und auch wenn es eine schmerzhafte Wahrheit seien mag, die da ausgesprochen wurde, geht es uns doch besser, denn wir sind gesehen worden, erkannt.


Ich bin und weiß nicht wer.
Ich komm' und weiß nicht woher.
Ich geh', ich weiß nicht wohin.
Mich wundert, dass ich fröhlich bin!

Wenn ich wüsste, wer ich bin.
Wenn ich ging und wüsste wohin.
Wenn ich käm und wüsste woher.
Ob ich dann wohl traurig wär? 

Ich leb und weiß nicht wie lang / ich sterb und weiß nicht wan / ich fahr und weiß nicht wahin / mich nimmt wunder daß ich so frelich bin / wan ich bedenk den dot und di ewige pein / so mecht ich nicht so frelich sein.
15. Jh., Autor unbekannt 


Egon Schiele Doppel-Selbstportrait 1915

Da sprach Gott zu Mose: "Ich bin, der ich bin." Dann sprach er: So sollst du zu den Söhnen Israel sagen: Der "Ich bin" hat mich zu euch gesandt.
oder
Gott sprach zu Mose: ICH WERDE SEIN, DER ICH SEIN WERDE. Und sprach: Also sollst du den Kindern Israel sagen: ICH WERDE SEIN hat mich zu euch gesandt. 
Numeri 3.14

I AM WHAT I AM - ICH BIN WAS ICH BIN


Ich bin, was ich bin
Ich bin meine eigene spezielle Kreation
Also komm, schau mich an
geh weg oder gib mir Applaus
Es ist meine Welt
auf die ich stolz sein möchte
Meine Welt
und es ist nicht ein Platz an dem ich mich verstecken muss
das Leben ist nichts wert
Bis du sagen kannst
Ich bin, was ich bin

Ich bin, was ich bin
ich möchte kein Lob, ich möchte kein Mitleid
Ich schlage meine eigene Trommel
Einige denken es ist Krach, ich denke es ist schön
also was, wenn ich jedes Funkeln und jedes Armband liebe
warum nicht versuchen das Leben von einem anderen Standpunkt zu sehn?
dein Leben ist nur ein schwindel
bis du schreien kannst
Ich bin, was ich bin

Ich bin, was ich bin
und dafür brauch ich mich nicht zu entschuldigen
ich teile mein eigenes Spiel aus
Manchmal die Asse manchmal die Zweien
es ist ein Leben und es gibt es kein Zurück und kein Pfand
ein Leben, also ist es Zeit die Tür zu öffnen
das Leben ist nichts wert
bis du schreien kannst
Ich bin, was ich bin

Ich bin, was ich bin
Ich bin, was ich bin
Ich bin, ich bin, ich bin gut
Ich bin, ich bin, ich bin stark
Ich bin, ich bin, ich bin würdig
Ich bin, ich bin, ich gehöre hierher

Ich bin
Ich bin
bin ich
Ich bin, ich bin, ich bin nützlich
Ich bin, ich bin, ich bin ehrlich
Ich bin, ich bin jemand
Ich bin so gut wie Du

Ich bin, ich bin, ich bin

Shirley Bassey "I am what I am"
https://www.youtube.com/watch?v=BjcquP0sKjs

Sonntag, 17. März 2013

Die Erfindung der Mode - Josefs bunter Mantel


     Mir ist so nach Farbe heute, denn es ist hier so 

   grau. 
   Bunte Farben sind Farben mit Buntwirkung, also jeglicher vom neutralen
    Grau abweichenden Farbigkeit - sagt Wiki.


     Erstes Buch Moses 
     Kapitel 37

      ...Israel aber hatte Joseph lieber als alle seine Kinder, darum daß er ihn 
      im Alter gezeugt hatte; und machte ihm einen bunten Rock. Da nun seine  
      Brüder sahen, daß ihn ihr Vater lieber hatte als alle seine Brüder, waren 
      sie ihm feind und konnten ihm kein freundlich Wort zusprechen.

       ...Da nahmen sie Josephs Rock und schlachteten einen Ziegenbock und 

       tauchten den Rock ins Blut und schickten den bunten Rock hin und ließen
       ihn ihrem Vater bringen  und sagen: Diesen haben wir gefunden; sieh, 
       ob's deines Sohnes Rock sei oder nicht. Er erkannte ihn aber und sprach:
       Es ist meines Sohnes Rock; ein böses Tier hat ihn gefressen, ein reißendes
       Tier hat Joseph zerrissen. Und Jakob zerriß sein Kleider und legte einen
       Sack um seine Lenden und trug Leid um seinen Sohn lange Zeit.
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    Im Englischen heißt der bunte Mantel: a coat of many colors, dass klingt 
      noch viel farbenfreudiger.


Der gemalte Ammer - the painted bunting
©Wiki Dan Pancamo

Seidentücher auf dem Chatuchak-Markt in Bangok 
©Beezy 

KUNTERBUNT
   Die Geschichte von "kunterbunt" ist selbst auch ein wenig "kunterbunt". 
     Seine Herkunft hat jedenfalls nichts mit Farben zu tun. Es stammt ab 
     von dem musikalischen Begriff "Kontrapunkt", der etwa mit 
     "Vielstimmigkeit" wiedergegeben werden kann (mehrere Stimmen werden 
     gleichberechtigt nebeneinander her geführt). Über das mhd. "contrabund" 
     geht er weiter zurück auf lat. "contrapunctum" bzw. "punctus contra 
     punctum" = "Note gegen Note" (lat. "punctus" = "Note"). Irgendwie 
     machten (wahrscheinlich) musikalische Banausen, die dem 
     "Durcheinander" an Stimmen nichts abgewinnen konnten, daraus die 
     Bezeichnung "kunterbunt" für "durcheinander". Und so wurde aus 
     "kontra" "konter" (vergl. "Kontermutter") und schließlich "kunter" und 
     "bunt" passte ja ganz gut dazu.  


Jemenitische Frauen
©


Joseph.


Die Winde spielten müde mit den Palmen noch

So dunkel war es schon um Mittag in der Wüste,

Und Joseph sah den Engel nicht, der ihn vom Himmel grüßte

Und weinte, da er für des Vaters Liebe büßte

Und suchte nach dem Cocos seines schattigen Herzens doch.


Der bunte Brüderschwarm zog wieder nach Gottosten

Und er bereute seine schwere Untat schon

Und auf den Sandweg fiel der schnöde Silberlohn.

Die fremden Männer aber ketteten des Jakobs Sohn

Bis ihm die Häute drohten mit dem Eisen zu verrosten.


So oft sprach Jakob inbrünstig zu seinem Herrn,

Sie trugen gleiche Bärte, Schaum von einer Eselin gemolken

Und Joseph glaubte jedesmal sein Vater blicke aus den Wolken

Und eilte über heilige Bergeshöhn, ihm nachzufolgen

Bis er dann ratlos einschlief unter einem Stern.


Die Käufer lauschten dem entrückten Knaben,

Des Vaters Andacht atmete aus seinem Haare;

Und sie entfesselten die edelblütige Ware

Und drängten sich zu tragen, Canaans Prophet in einer Bahre,

Wie die bebürdeten Kameele durch den Sand zu traben.


Egypten glänzte feierlich in goldenen Mantelfarben

Da dieses Jahr die Ernte auf den Salbtag fiel.

Die kleine Karawane, endlich nahte sie dem Ziel.

Sie trugen Joseph in das Haus des Potiphars am Nil.

An seinem Traume hingen aller Deutung Garben.

Else Lasker-Schüler

Freitag, 15. März 2013

Schwarze Katze


    
    Von links nach rechts macht's schlechts, von rechts 
   nach links Glück bringt's.

    Ich habe 20 Jahre lang mit einer schwarzen Katze zusammengelebt, sie hieß Emma 
    und war sehr intelligent und ist, wenn sie nicht malerisch herumlag und schlief,
    viel von links nach rechts und rechts nach links herumgeschlichen und gerannt und
    auch viel hoch- und runter gesprungen, aber eine Verbindung zu meinen jeweiligen  
    Glücks- oder Unglücksmengen habe ich nicht feststellen können. 
    Doch irgendwie sind in unseren Gegenden diese Mäusefänger und Individualisten im 
    Mittelalter in Verruf geraten. Vielleicht weil sie Teil des alten heidnischen 
    Götterpantheons waren, vielleicht weil sie sich nicht dankbar anhänglich und kritiklos 
    servil wie Hunde verhalten mögen. Dazu noch die dunkleschimmernde Fellfarbe, die 
    mysteriös wirkenden elliptischen Augen und diese erotische Art der Bewegung zwischen
    völliger wohliger Entspanntheit und plötzlicher vibrierender Konzentration. 
    Unabhängig, arrogant, gutaussehend und sich dessen bewusst, gute Kämpfer und gute
    Geniesser - kein Wunder vielleicht, dass man ihnen so viel Schlechtes nachsagt.   
    Erstklassige Hexengefährten halt. 
 
Martin Munkacsi - Black Cat circa 1931

Der König der Katzen

In diesem englischen Märchen kommt ein Mann nach Haus und erzählt seiner
Frau, dass er unterwegs neun schwarze Katzen mit weißen Flecken auf der Brust getroffen habe, die einen kleinen Sarg mit einer Krone drauf trugen. Und eine der Katzen hatte ihm zugerufen:" Sag Tom Tildrum das Tim Toldrum tot ist." Die Katze des Mannes, der alte Tom, hatte vom Ofen aus zugehört und rief daraufhin: "Was?! Der alte Tim ist tot! Dann bin ich der König der Katzen!" Daraufhin kletterte der alte Tom den Schornstein hinauf und ward niemals wieder gesehen.
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Apropos: 1909, am Todestag von A.Charles Swinburne sagte, so wird behauptet, 
W.B. Yeats zu seiner Schwester: "Jetzt bin ich König der Katzen!


Schwarze Katze

Ein Gespenst ist noch wie eine Stelle,
dran dein Blick mit einem Klange stößt;
aber da, an diesem schwarzen Felle
wird dein stärkstes Schauen aufgelöst:

wie ein Tobender, wenn er in vollster
Raserei ins Schwarze stampft,
jählings am benehmenden Gepolster
einer Zelle aufhört und verdampft.

Alle Blicke, die sie jemals trafen,
scheint sie also an sich zu verhehlen,
um darüber drohend und verdrossen
zuzuschauern und damit zu schlafen.
Doch auf einmal kehrt sie, wie geweckt,
ihr Gesicht und mitten in das deine:
und da triffst du deinen Blick im geelen
Amber ihrer runden Augensteine
unerwartet wieder: eingeschlossen
wie ein ausgestorbenes Insekt.


Rainer Maria Rilke


Donnerstag, 14. März 2013

Galilei und der Kleine Mönch oder warum mir Bescheidenheit suspekt ist.

Mir mißfällt Der neue Chefideologe aller Katholiken sehr.

In den Berichten über den neugewählten Papst ist ungewöhnlich häufig von seiner großen Bescheidenheit die Rede, er fährt nicht im Papa-Mobil, sondern im Kleinbus, er fährt mit der U-Bahn zur Arbeit, er betritt die Kirche durch den Nebeneingang, sehr rührend, aber was bedeutet es? Es bedeutet nichts. Oder es bedeutet: Er kann sich Bescheidenheit leisten, es ist seine Geste der Unterdrückung. "Seht! Armut ist gut für euch, sie erhöht euch." Mag sein, aber er hat die Wahl. Millionen andere nicht. Und eben denen will er auch noch Verhütung, Revolte und das Leben gemäß ihrer angeborenen Orientierung verbieten. 

Armut ist keine gottesnahe Lebensweise, sondern soziale Ungerechtigkeit. Auf diese Feststellung lege ich Wert!


Aus: DAS LEBEN DES GALILEO GALILEI 
von Bertolt Brecht


Galilei: Reden Sie, reden Sie! Das Gewand, das Sie tragen, gibt Ihnen das Recht zu sagen, was immer Sie wollen.

Der kleine Mönch: Ich habe Mathematik studiert, Herr Galilei.

Galilei: Das könnte helfen, wenn es Sie veranlasste einzugestehen, dass zwei mal zwei hin und wieder vier ist!


Der kleine Mönch: Herr Galilei, seit drei Nächten kann ich keinen Schlaf mehr finden. Ich wusste nicht, wie ich das Dekret, das ich gelesen habe, und die Trabanten des Jupiter, die ich gesehen habe, in Einklang bringen sollte. Ich beschloss, heute früh die Messe zu lesen und zu Ihnen zu gehen.

Galilei: Um mir mitzuteilen, dass der Jupiter keine Trabanten hat?

Der kleine Mönch: Nein. Mir ist es gelungen, in die Weisheit des Dekrets einzudringen. Es hat mir die Gefahren aufgedeckt, die ein allzu hemmungsloses Forschen für die Menschheit in sich birgt, und ich habe beschlossen, der Astronomie zu entsagen. Jedoch ist mir noch daran ge- legen, Ihnen die Beweggründe zu unterbreiten, die auch einen Astronomen dazu bringen können, von einem weiteren Ausbau der gewissen Lehre abzusehen.

Galilei: Ich darf sagen, dass mir solche Beweggründe bekannt sind.

Der kleine Mönch: Ich verstehe Ihre Bitterkeit. Sie denken an die gewissen außerordentlichen Machtmittel der Kirche.

Galilei: Sagen Sie ruhig Folterinstrumente.


Der kleine Mönch: Aber ich möchte andere Gründe nennen. Erlauben Sie, dass ich von mir rede. Ich bin als Sohn von Bauern in der Campagna aufgewachsen. Es sind ein- fache Leute. Sie wissen alles über den Ölbaum, aber sonst recht wenig. Die Phasen der Venus beobachtend, kann ich nun meine Eltern vor mir sehen, wie sie mit meiner Schwester am Herd sitzen und ihre Käsespeise essen. Ich sehe die Balken über ihnen, die der Rauch von Jahrhunderten geschwärzt hat, und ich sehe genau ihre alten abgearbeiteten Hände und den kleinen Löffel darin. Es geht ihnen nicht gut, aber selbst in ihrem Unglück liegt eine gewisse Ordnung verborgen. Da sind diese verschiedenen Kreisläufe, von dem des Bodenaufwischens über den der Jahreszeiten im Ölfeld zu dem der Steuerzahlung. Es ist regelmäßig, was auf sie herabstößt an Unfällen. Der Rücken meines Vaters wird zusammengedrückt nicht auf einmal, sondern mit jedem Frühjahr im Ölfeld mehr, so wie auch die Geburten, die meine Mutter immer geschlechtsloser gemacht haben, in ganz bestimmten Abständen erfolgten. Sie schöpfen die Kraft, ihre Körbe schweißtriefend den steinigen Pfad hinauf zu schleppen, Kinder zu gebären, ja zu essen aus dem Gefühl der Stetigkeit und Notwendigkeit, das der Anblick des Bodens, der jedes Jahr von neuem grünenden Bäume, der kleinen Kirche und das Anhören der sonntäglichen Bibeltexte ihnen verleihen können. Es ist ihnen versichert worden, dass das Auge der Gottheit auf ihnen liegt, forschend, ja beinahe angstvoll; dass das ganze Welttheater um sie aufgebaut ist, damit sie, die Agierenden, in ihren großen oder kleinen Rollen sich bewähren können. Was würden meine Leute sagen, wenn sie von mir erführen, dass sie sich auf einem kleinen Steinklumpen befinden, der sich unaufhörlich drehend im leeren Raum um ein anderes Gestirn bewegt, einer unter sehr vielen, ein ziemlich unbedeutender! Wozu ist jetzt noch solche Geduld, solches Einverständnis in ihr Elend nötig oder gut? Wozu ist die Heilige Schrift noch gut, die alles erklärt und als notwendig begründet hat, den Schweiß, die Geduld, den Hunger, die Unterwerfung, und die jetzt voll von Irrtümern befunden wird? Nein, ich sehe ihre Blicke scheu werden, ich sehe sie die Löffel auf die Herdplatte senken, ich sehe, wie sie sich verraten und betrogen fühlen. Es liegt also kein Auge auf uns, sagen sie. Wir müssen nach uns selber sehen, ungelehrt, alt und verbraucht, wie wir sind? Niemand hat uns eine Rolle zugedacht außer dieser irdischen, jämmerlichen auf einem winzigen Gestirn, das ganz unselbständig ist, um das sich nichts dreht? Kein Sinn liegt in unserm Elend, Hunger ist eben Nichtgegessenhaben, keine Kraftprobe; Anstrengung ist eben Sichbücken und Schleppen, kein Verdienst. Verstehen Sie da, dass ich aus dem Dekret der Heiligen Kongregation ein edles mütterliches Mitleid, eine große Seelengüte herauslese?

Galilei: Seelengüte! Wahrscheinlich meinen Sie nur, es ist nichts da, der Wein ist weggetrunken, ihre Lippen vertrocknen, mögen sie die Soutane küssen! Warum ist denn nichts da? Warum ist die Ordnung in diesem Land nur die Ordnung einer leeren Lade und die Notwendigkeit nur die, sich zu Tode zu arbeiten? Zwischen strotzenden Weinbergen, am Rand der Weizenfelder! Ihre Campagnabauern bezahlen die Kriege, die der Stellvertreter des milden Jesus in Spanien und Deutschland führt. Warum stellt er die Erde in den Mittelpunkt des Universums? Damit der Stuhl Petri im Mittelpunkt der Erde stehen kann! Um das letztere handelt es sich. Sie haben Recht, es handelt sich nicht um die Planeten, sondern um die Campagnabauern. Und kommen Sie mir nicht mit der Schönheit von Phänomenen, die das Alter vergoldet hat! Wissen Sie, wie die Auster Margaritifera ihre Perle produziert? Indem sie in lebensgefährlicher Krankheit einen unerträglichen Fremdkörper, zum Beispiel ein Sandkorn, in eine Schleimkugel einschließt. Sie geht nahezu drauf bei dem Prozess. Zum Teufel mit der Perle, ich ziehe die gesunde Auster vor. Tugenden sind nicht an Elend geknüpft, mein Lieber. Wären Ihre Leute wohlhabend und glücklich, könnten sie die Tugenden der Wohlhabenheit und des Glücks entwickeln. Jetzt stammen diese Tugenden Erschöpfter von erschöpften Äckern, und ich lehne sie ab. Herr, meine neuen Wasserpumpen können da mehr Wunder tun als ihre lächerliche übermenschliche Plackerei. – „Seid fruchtbar und mehret euch“, denn die Äcker sind unfruchtbar, und die Kriege dezimieren euch. Soll ich Ihre Leute anlügen?

Der kleine Mönch in großer Bewegung: Es sind die allerhöchsten Beweggründe, die uns schweigen machen müssen, es ist der Seelenfrieden Unglücklicher!

Galilei: Wollen Sie eine Cellini-Uhr sehen, die Kardinal Bellarmins Kutscher heute Morgen hier abgegeben hat? Mein Lieber, als Belohnung dafür, dass ich zum Beispiel Ihren guten Eltern den Seelenfrieden lasse, offeriert mir die Behörde den Wein, den sie keltern im Schweiße ihres Antlitzes, das bekanntlich nach Gottes Ebenbild geschaffen ist. Würde ich mich zum Schweigen bereit finden, wären es zweifellos recht niedrige Beweggründe: Wohlleben, keine Verfolgung et cetera.

Der kleine Mönch: Herr Galilei, ich bin Priester.

Galilei: Sie sind auch Physiker. Und Sie sehen, die Venus hat Phasen. Da, sieh! Siehst du dort den kleinen Priap an der Quelle neben dem Lorbeer? Der Gott der Gärten, der Vögel und der Diebe, der bäurische obszöne Zweitausendjährige! Er hat weniger gelogen. Nichts davon, schön, ich bin ebenfalls ein Sohn der Kirche. Aber kennen Sie die achte Satire des Horaz? Ich lese ihn eben wieder in diesen Tagen, er verleiht einiges Gleichgewicht. Er greift nach einem kleinen Buch. Er lässt eben diesen Priap sprechen, eine kleine Statue, die in den Esquilinischen Gärten aufgestellt war. Folgendermaßen beginnt es:
“ Ein Feigenklotz, ein wenig nützes Holz
 war ich, als einst der Zimmermann, unschlüssig ob einen Priap machen oder einen Schemel, sich für den Gott entschied ...“
Meinen Sie, Horaz hätte sich etwa den Schemel verbieten und einen Tisch in das Gedicht setzen lassen? Herr, mein Schönheitssinn wird verletzt, wenn die Venus in meinem Weltbild ohne Phasen ist! Wir können nicht Maschinerien für das Hochpumpen von Flusswasser erfinden, wenn wir die größte Maschinerie, die uns vor Augen liegt, die der Himmelskörper, nicht studieren sollen. Die Winkelsumme im Dreieck kann nicht nach den Bedürfnissen der Kurie abgeändert werden. Die Bahnen fliegender Körper kann ich nicht so berechnen, dass auch die Ritte der Hexen auf Besenstielen erklärt werden.

Der kleine Mönch: Und Sie meinen nicht, dass die Wahrheit, wenn es Wahrheit ist, sich durchsetzt, auch ohne uns?

Galilei: Nein, nein, nein. Es setzt sich nur so viel Wahrheit durch, als wir durchsetzen; der Sieg der Vernunft kann nur der Sieg der Vernünftigen sein. Eure Campagnabauern schildert Ihr ja schon wie das Moos auf ihren Hütten! Wie kann jemand annehmen, dass die Winkelsumme im Dreieck i h r e n Bedürfnissen widersprechen könnte! Aber wenn sie nicht in Bewegung kommen und denken lernen, werden ihnen auch die schönsten Bewässerungsanlagen nichts nützen. Zum Teufel, ich sehe die göttliche Geduld Ihrer Leute, aber wo ist ihr göttlicher Zorn?

Der kleine Mönch: Sie sind müde!

Galilei wirft ihm einen Packen Manuskripte hin: Bist du ein Physiker, mein Sohn? Hier stehen die Gründe, warum das Weltmeer sich in Ebbe und Flut bewegt. Aber du sollst es nicht lesen, hörst du? Ach, du liest schon? Du bist also ein Physiker?

Der kleine Mönch hat sich in die Papiere vertieft.

Galilei: Ein Apfel vom Baum der Erkenntnis! Er stopft ihn schon hinein. Er ist ewig verdammt, aber er muss ihn hineinstopfen, ein unglücklicher Fresser! Ich denke manchmal: ich ließe mich zehn Klafter unter der Erde in einen Kerker einsperren, zu dem kein Licht mehr dringt, wenn ich dafür erführe, was das ist: Licht. Und das Schlimmste: was ich weiß, muss ich weitersagen. Wie ein Liebender, wie ein Betrunkener, wie ein Verräter. Es ist ganz und gar ein Laster und führt ins Unglück. Wie lang werde ich es in den Ofen hineinschreien können – das ist die Frage.

Der kleine Mönch zeigt auf eine Stelle in den Papieren: Diesen Satz verstehe ich nicht.

Galilei: Ich erkläre ihn dir, ich erkläre ihn dir.