Sonntag, 6. Januar 2013

Max Herrmann Neisse & George Grosz



MAX HERRMANN NEISSE
1886-1941


Mir bleibt mein Lied, was auch geschieht,
mein Reich ist nicht von dieser Welt,
ich bin kein Märtyrer und Held,
ich lausche allem, was da klingt
und sich in mir sein Echo singt.
Ob jedes andre Glück mich flieht 
- mir bleibt mein Lied.



Dein Haar hat Lieder

Dein Haar hat Lieder, die ich liebe,
und sanfte Abende am Meer -
O glückte mir die Welt! O bliebe
mein Tag nicht stets unselig leer!


So kann ich nichts, als mattverlegen
vertrösten oder wehe tun,
und von den wundersamsten Wegen
bleibt mir der Staub nur auf den Schuhn.


Und meine Träume sind wie Diebe,
und meine Freuden frieren sehr -
Dein Haar hat Lieder, die ich liebe,
und sanfte Abende am Meer.



George Grosz 1925 Portrait Max Hermann-Neisse
 
 
Nacht im Stadtpark

Ein schmales Mädchen ist sehr liebevoll
zu einem Leutnant, der verloren stöhnt.
Ein Korpsstudent mokiert sich, frech, verwöhnt,
und eine schiefe Schnepfe kreischt wie toll.


Ein Refrendar bemüht sich ohne Glück
um eine Kellnerin, die Geld begehrt.
Ein Abgeblitzter macht im Dunkel kehrt,
und eine Nutte schwebt zerzaust zurück.


Zwei Unbestimmte prügeln einen Herrn.
Mit Uniformen zankt ein Zivilist.
Ein Jüngling merkt, dass er betrogen ist
und zwei Verschmolzne haben schnell sich gern.


Ein starker Bolzen und ein Musketier
sind ganz in eine graue Bank verwebt.
Ein Gent an einem Ladenfräulein klebt,
ein greiser Onkel schnuppert geil und stier.


Ein Weib mit bloßem Kopf wird sehr gemein,
ein Louis lauert steif und rührt sich nicht.
Ein Frechdachs leuchtet jeder ins Gesicht,
und ein Kommis umfasst ein weiches Bein.


Es raschelt in den Sträuchern ungewiss
und etwas tappt auf einen steifen Hut.
Die Bäche liegen still wie schwarzes Blut,
und die Bäume fallen aus der Finsternis.


Ein Johlen rollt die Straße hin und stirbt,
ein Wurf ins Wasser, irgendwo, ganz dumpf,
ein Mauerwerk wächst wie ein Riesenrumpf,
ein unbekanntes Tier erwacht und zirpt.


Zwei Männer flüstern einen finstern Plan,
ein welkes Wesen wehrt sich hoffnungslos,
ein Schüler hat ein Bahnerweib im Schoß,
im Teich zieht schwer ein ruheloser Schwan.


Und Sterne stolpern in die tiefe Nacht,
und Obdachlose liegen wie erstarrt,
und bleiern hängt der Mond, und hohl und hart
glotzt breit ein Turm, verstockt und ungeschlacht.
 
Max Hermann-Neisse


George Grosz Portrait Max Hermann-Neisse  

Zwischen dem New Yorker Metropolitan Museum of Art und den Erben von G. Grosz kam es zu einem Streit über die Besitzrechte an obigem Bild, der zu Gunsten des MOMA entschieden wurde:
Aus einem Brief von George Grosz an seinen Schwiegersohn vom Januar 1953: ,"Modern Museum stellte ein mir gestohlenes Bild aus (bin machtlos dagegen) sie habens von Jemand gekauft, ders gestohlen". 
Wenige Wochen zuvor hatte das MoMA das "Bildnis Max Hermann-Neisse" zum ersten Mal als Neuerwerbung gezeigt." 


"Nicht als ob ich mir … einbilde, je wieder nach Deutschland zurückkehren und … mich wieder in die alte Fettlebe setzen zu können", schrieb Max Herrmann-Neiße an George Grosz. "Nee, das will ich 1. gar nicht mehr, ich bin mit die Brieder nu beese, richtig beese, wie wir Schlesier sagen, 2. glaube ich nicht, dass es jemals wieder so wie früher wird, sondern höchstens eine andre Scheiße dort die jetzt herrschende ablöst."
M.H. Neisse in einem Brief an George Grosz aus dem Exil


Ein deutscher Dichter bin ich einst gewesen

 
Ein deutscher Dichter bin ich einst gewesen,
die Heimat klang in meiner Melodie,
ihr Leben war in meinem Lied zu lesen,
das mit ihr welkte und mit ihr gedieh.

Die Heimat hat mir Treue nicht gehalten,
sie gab sich ganz den bösen Trieben hin,
so kann ich nur ihr Traumbild noch gestalten,
der ich ihr trotzdem treu geblieben bin.

In ferner Fremde mal ich ihre Züge
zärtlich gedenkend mir mit Worten nah,
die Abendgiebel und die Schwalbenflüge
und alles Glück, das einst mir dort geschah.

Doch hier wird niemand meine Verse lesen,
ist nichts, was meiner Seele Sprache spricht;
ein deutscher Dichter bin ich einst gewesen,
jetzt ist mein Leben Spuk wie mein Gedicht.

Max Herrmann Neisse

Samstag, 5. Januar 2013

Ich heiße Johanna


Johanna. 
Eigentlich ein schöner Name. 
Gut, wenn ich niemals wieder hören müßte, daß ich gehe und niemals wiederkehre (Schiller) oder gefragt würde, ob ich küssen, pfeifen oder singen kann, letzteres infolge langjähriger Raucherei übrigens nur sehr mäßig, würde ich nichts vermissen, aber eigentlich mag ich meinen Vornamen. Und trotzdem ist es doch faszinierend, wie sehr so ein Name, den werdende Eltern, entweder durch sorgsames Studium unzähliger Vornamensbücher, mit Hilfe präziser Untersuchung der beidseitigen Familien-Genealogie, infolge unerwarteter Traum-Epiphanien, unter trendbewusster Vorausplanung, oder, wie in meinem Fall, in panischer postnataler Hilflosigkeit und daraus resultierender Verwendung familiengeläufiger Konstanten (Tante Hanne, ergo: Johanna; Onkel Stefan, ergo: Stefanie), festgelegt haben, einen irgendwie vordefiniert. Wäre ich eine andere, hätten meine Eltern mich Petra oder Diana oder Leokadia genannt? Wahrscheinlich hört man zeit seines Lebens kein Wort so häufig, wie den eigenen Vornamen, und, oder und die Artikel der, die, das ausgenommen. Und nun lebe ich mit der Betitelung Johanna Stefanie und kann nichts tun, wenn die Fernsehserie "Schwester Stefanie" mir einen, Gott sei Dank, den zweiten meiner Vornamen lebenslänglich unakzeptabel macht.
Namen lösen unbewusste Assoziationen aus, kenne ich einen blöden Egon, wird es ein neuer Egon schwerer bei mir haben. Aber im zarten Alter von sieben Jahren war ich in einen Erwin verliebt, also hat nun jeder neue Erwin einen Bonus. 
Vornamen sind häufig verbale Manifestierungen elterlicher Hoffnungen, was hätte Cosma Shiva gemacht, wäre sie fett und blond geworden? Eltern benennen ja eine noch unbekannte Person, das ist harter Tobak! 
In meiner Abiturklasse litt Lo Decker heftig unter ihrem Kosenamen Klodeckel, stellte sich Ralph Müller stets als Ralph mit ph M-u-e-ller vor und heute, wo individualisierendes Anderssein als Beweis von wirklicher Coolness gilt, müssen unschuldige Kleinkinder gebeugt unter der Last ihrer erwartungsgeschwängerten Betitelungen als Sean Connor oder Justin Leopold oder als Apple Blythe Alison (Paltrow) auf wackeligen Babybeinen ins Leben wanken.
Eltern denkt an eure Kinder, wenn ihr sie benennt. Bitte.

 
KANNST DU PFEIFEN JOHANNA?
Wer nicht musikalisch ist, hat wenig von der Welt,
weil doch die Musik fröhlich uns erhält.
Wer ein kleines Lied'l kennt und singt es einfach so,
bleibt am Morgen und am Abend froh.
So ein kleines Lied singt ein jeder mit.
Ja, was wär' das Leben ohne Lied?

"Kannst du pfeifen Johanna?" - "Gewiß kann ich das!"
"Pfeife weiter Johanna, denn Pfeifen macht Spaß.
Deine Lippen sind purpurn und deine Wangen rund.
Mädel, was hast du für einen wunderschönen Mund!
Kannst du pfeifen Johanna?" - "Gewiß kann ich das!"

"Kannst du singen Johanna?" - "Gewiß kann ich das!"
"Singe weiter Johanna, dein Singen macht Spaß.
Deine Lippen sind purpurn und deine Wangen rund.
Mädel, was hast du für einen wunderschönen Mund!
Kannst du singen Johanna?" - "Gewiß kann ich das!"

"Ißt du Pfirsich Johanna?" - "Gewiß tu' ich das!"
"Du mußt vorsichtig essen, Kind, du machst dich doch ganz naß.
Ja, es scheint, daß es dir gut schmeckt, denn du ißt ja furchtbar laut.
Ach Gott, ich armer Mann, ich bin gestraft mit so 'ner Braut."
"Iß' doch weiter Johanna, denn uns macht es Spaß."

"Kannst du gurgeln Johanna?" - "Gewiß kann ich das!"
"Gurgle weiter, Johanna, denn Gurgeln macht Spaß.
Hast im Hals du manchmal Schmerzen oder ist die Kehle wund,
dann nimm essigsaure Tonerde und gurgle dich gesund.
Gurgle weiter Johanna, ei fein kannst du das!"

"Kannst du meckern Johanna?" "Selbstverständlich kann ich meckern,
aber ich möchte mir ein für alle-allemal ausge...gebeten haben, daß Sie...
Diese Belästigungen zu unterlassen, mein Herr!"
"Mecker' weiter Johanna, dein Meckern macht Spaß."
"Es steht Ihnen ja frei zu gehen, wenn Ihnen mein Ton nicht passen sollte, mein Herr!"
Und sie meckert und meckert und hat ?nen großen Mund,
aber dazu hat das Mädel doch nun wirklich keinen Grund!
"Mecker' weiter Johanna!" "Ja, aber das ist doch die Höhe!"
Mäh, mäh, meck, meck, meck!

Aber jetzt, aber jetzt, aber jetzt!:

"Kannst du schweigen Johanna?" - "Gewiß kann ich das!"
"Schweige weiter Johanna, denn Schweigen macht Spaß."
"Ich, ich..." "Ssssscht!" 

Max Hansen & Edith Schollwer


AN JOHANNA

Oft hör’ ich deine Schritte
Durch die Gasse läuten.
Im braunen Gärtchen
Die Bläue deines Schattens.

In der dämmernden Laube
Saß ich schweigend beim Wein.
Ein Tropfen Blutes
Sank von deiner Schläfe

In das singende Glas
Stunde unendlicher Schwermut.
Es weht von Gestirnen
Ein schneeiger Wind durch das Laub.

Jeglichen Tod erleidet,
Die Nacht der bleiche Mensch.
Dein purpurner Mund
Wohnt eine Wunde in mir.

Als käm’ ich von den grünen
Tannenhügeln und Sagen
Unserer Heimat,
Die wir lange vergaßen -

Wer sind wir? Blaue Klage
Eines moosigen Waldquells,
Wo die Veilchen
Heimlich im Frühling duften.

Ein friedliches Dorf im Sommer
Beschirmte die Kindheit einst
Unsres Geschlechts,
Hinsterbend nun am Abend-

Hügel die weißen Enkel
Träumen wir die Schrecken
Unseres nächtigen Blutes
Schatten in steinerner Stadt.
Georg Trakl Gedichte 1912-1914

Wictionary schreibt:
Johanna wurde aus der Bibel übernommen, wo die griechische Form Ἰωάννα (Iōánna) vorkommt. Diese entstand als weibliche Form von Ἰωάννης (Iōánnēs), welcher sich wiederum von den hebräischen Namen יְהוֹחָנָן‎ (Yehōḥānān) oder יוֹחָנָן‎ (Yōḥānān) mit den Bedeutungen „Jehova ist gnädig“ und „die Gnade ist des Herrn“. ableitet. Johanna steht also für „die Gottbegnadete“. Die lateinische Form des Namens lautete zunächst Joanna, bis im Mittelalter das h analog zu demjenigen im Namen Johannes eingefügt wurde.

Freitag, 4. Januar 2013

Der Frohe Tote




DER FROHE TOTE

Schwer soll der Grund und reich an Schnecken sein,
Wo meine Gruft zu schaufeln ich begehre,
Dass dort zum Schlaf sich streckt mein alterndes Gebein
Und im Vergessenen ruht gleich wie der Hai im Meere.

Ich hasse Testamente, Grab und Stein,
Und von der Welt erbettle ich keine Zähre;
Nein, lieber lüde ich den Schwarm der Raben ein,
Damit er stückweis mein verwensend Aas verzehre.

O Würmer! Schwarz Geleit ohn Aug, ohne Ohr!
Ein Abgeschiedner kommt, der froh den Tod erkohr.
Ihr Söhne des Zerfalls, die dem Genuss leben,

Durch meine Trümmer kriecht mir reuelosem Mut
Und sagt mir: kann es wohl noch eine Folter geben
Für den entseelten Leib, der tot bei Toten ruht?

Charles Baudelaire 
aus dem Französischen von Wolf von Kalckreuth
 



DIE VERSTORBENEN LIEBENDEN
 Maler unbekannt um 1470  
Strasbourg, Musee de l'Oeuvre de Notre Dame


DER TOD DER LEBENDEN

So tief und weich, als ob es Gräber wären,
Laß unsre duftumhüllten Lager sein,
Und ringsum Blumen, die in schönren Sphären
Für uns erblüht in einem fremden Hain.
 
Laß unser letztes Glühen und Begehren
Gleich düsterroten Fackeln lodern drein,
Zwiefache Flammen, die sich spiegelnd mehren
In unsrer Doppelseele Widerschein.
 
Der Abend brennt in rosig-blauem Flimmer,
Ein letztes Glühen noch, dann schweigt für immer
Der lange Seufzer, schwer von Abschiedsqual.
 
Und lächelnd tritt ein Engel in das Zimmer
Und weckt zu neuem Leben, neuem Schimmer
Erloschne Spiegel, toter Kerzen Strahl.

Charles Baudelaire 

 
Frida Kahlo Mädchen mit Totenmaske (Sie spielt allein)
1938


Donnerstag, 3. Januar 2013

Theater hat auch frei Schaffende


Lass doch die Zukunft schlafen, wie sie es verdient.
Wenn man sie nämlich vorzeitig weckt,
bekommt man dann eine verschlafene Gegenwart.

Franz Kafka

FREIBERUFLER WIE STOLZ DAS KLINGT!

Ich bin freischaffend, selbstständig, oder, wie ich gerade durch den Duden gelernt habe, selb-ständig. (Selb-ander heißt allerdings "zu zweit", also man selbst mit jemand andrem, aber in unserem Zusammenhang bedeutet es nur, dass wir in Zeiten wirtschaftlicher Unsicherheit halt auch am "st" sparen.)
Selbst(st)ändige ist meine Identifikation als zu besteuernde Person deutschen Rechts. Ich stehe also auf meinen eigenen Füßen, bin eigenverantwortlich, mein eigener Herr, respektive mein eigenes Frauchen. Wenn ich unverschämte Schönfärberei betreiben würde, könnte ich auch noch frei, souverän, nichtweisungsgebunden anführen. Ha! .... Ha!
Gut, gut, die Probenzeiten sind vorgegeben, das Budget ebenso, aber meine Gedanken sind es nicht. Obwohl irgendwo in all meinen Theaterverträgen steht, dass der jeweilige Intendant Änderungen verlangen, bzw. vornehmen kann, wenn er es für künstlerisch notwendig ansieht. Ist mir zwar noch nicht passiert, aber es wäre möglich. O Grauen!
Niemand bezahlt mir Urlaubsgeld, und schon gar kein Weihnachtsgeld. Niemanden interessiert, ob ich schon 10, 20 oder 100 Jahre Theaterschaffender bin. (Wer wird mir ein Blumengebinde zum anstehenden 40. Bühnenjubiläum überreichen? Wer?) Wenn ich krank werde, ist das eher ungünstig. Dritte Dienste, Überstunden, das gesamte Vokabular gewerkschaftlicher Verabredungen betrifft mich nicht. Und wenn eine Weile keine neuen Angebote eintrudeln, bildet sich ein wabernder, unruhiger Klumpen von Selbstzweifeln und Liebgehabtwerdenwollen unter den Bronchien, aber kommen dann ein paar auf einmal, kaufe ich Schuhe, Klamotten, Zeugs halt, das ich nicht wirklich brauche, aber doch gern hätte. Es geht mir großartig, aber ich weiß nie wie lange noch. Die "Ossis" unter euch werden verstehen, dass Zukunftsungewissheit, neben der Vorfreude auf mögliche Überraschungen, auch existentielle Ängste auslöst. Hey, wir stammen aus einem Land, in dem man mit 25 die Mitteilung über die zu erwartende Rentenhöhe erhalten hat. Mannomann, habe ich mich an dem Abend betrunken. 25 und alles war bereits unumstößlich, Unfälle oder Tod nicht mit einberechnend, war ich praktisch bereits berentet.


Und deshalb, aber nicht nur deshalb, bin ich froh, dass ich unfrei freischaffend bin. Ich kann, auf eigenes Risiko, NEIN sagen. Ich kann, wenn ich es irgendwie finanzieren kann, ein paar Monate frei nehmen. Ich kann, einem Intendanten, der so dumm ist, dass verbale Kommunikation unmöglich ist, durch grandioses, würdevolles Verlassen des Intendanzbüros mitteilen, dass ich ihn für einen Idioten halte. Ich weiß nicht, was kommt, aber manchmal, bisher sogar meistens, kommt etwas Spannendes. Ich bin panisch und freudvoll gezwungen, offen für Veränderungen zu bleiben.

Dunkle Zukunft

Fritz, der mal wieder schrecklich träge,
Vermutet, heute gibt es Schläge,
Und knöpft zur Abwehr der Attacke
Ein Buch sich unter seine Jacke,
Weil er sich in dem Glauben wiegt,
Daß er was auf den Buckel kriegt.
Die Schläge trafen richtig ein.
Der Lehrer meint es gut. Allein
Die Gabe wird für heut gespendet
Mehr unten, wo die Jacke endet.
Wo Fritz nur äußerst leicht bekleidet
Und darum ganz besonders leidet.
Ach, daß der Mensch so häufig irrt
Und nie recht weiß, was kommen wird!

Wilhelm Busch

Mittwoch, 2. Januar 2013

Eine kleine Bitte



WINTERS ABSCHIED

Winter,  ade!
Scheiden tut weh.
Aber dein Scheiden macht,
Dass jetzt mein Herze lacht.
Winter, ade!
Scheiden tut weh.
    
Winter, ade!
Scheiden tut weh.
Gerne vergess'  ich dein,
Kannst immer ferne sein.
Winter, ade!
Scheiden tut weh.
    
Winter, ade!
Scheiden tut weh.
Gehst du nicht bald nach Haus,
Lacht dich der Kuckuck aus.
Winter, ade! 
Scheiden tut weh.

Hoffmann von Fallersleben


Mit hoffnungsvollen Grüssen an Ö.!

 

Montag, 31. Dezember 2012

Life of Pi - Schiffbruch mit Tiger


Ihr werdet ja schon bemerkt haben, dass ich eine heftige Schwäche für Großfilme, unfeiner Blockbuster genannt, habe. Hier ist wieder einer, aber einer von anderer Art.

Dieser Film von Regisseur Ang Lee, der auch Sinn und Sinnlichkeit, Der Eissturm, Brokeback Mountain und aber auch den Hulk gedreht hat, und der auf einem Roman des Kanadiers Yann Martel basiert, hat mich richtig überrascht. Das Buch hatte ich nicht zu Ende gelesen, die meisten Kritiken des Filmes waren überschwenglich, aber ein Freund kam genervt und ermüdet aus dem Kino und klagte über angestrengten Tiefsinn.

Was ich dann gesehen habe, war eine ganze, fremde Welt. Gänzlich unnaturalistisch, die Farben überirdisch leuchtend, die Perspektiven präzise irreal, wie in Renaissancegemälden, theatralisch gespielt und, in tiefem meinerseitigen Respekt, von einer technischen Perfektion, die mich kinderstaunen macht. Nichts ist echt, authentisch, kein lebender Tiger, kein Meer, kein Himmel, alles ist Kunst-Werk, nur die menschlichen Darsteller werden wirklich nass. Und der Film behauptet auch in keiner Sekunde etwas anderes zu sein, als künstlich, nicht die Wirklichkeit imitierend, sondern eine, die eigenen Visionen befördernde, schaffend.

Suraj Sharma in Life of Pi
Photograph courtesy 20th Century Fox Film Corporation.


Der Held, ein sehr junger indischer Hiob (Pi Patel - Suraj Sharma) erzählt zwei Geschichten über seinen Schiffbruch, sein Märtyrium. Eine lange, bildreiche, grausam doch voller phantastischer Hoffnung und mystischer Bildhaftigkeit, mit Tiger und Zebra und menschenfressenden Wunderinseln, und eine andere, viel knapper, fast statisch, von realistischer Brutalität und Egozentrik, von Mord und Jähzorn.
Und gegen Ende fragt er den, dem er seine Geschichten "berichtet" hat:
- Welche Geschichte gefällt Dir besser?
- Die, mit dem bengalischen Tiger.
- Und so ist es eben auch mit Gott.


Sonntag, 30. Dezember 2012

René François Ghislain Magritte wird photographiert




Magritte 1966 © Bill Brandt


Rene Magritte at MOMA, 1965. © Steve Schapiro



Magritte (Coming and Going), 1965 © Duane Michals 



1965 © Duane Michals


1965 © Duane Michals


© Lothar Wolleh



1967 © Lothar Wolleh

Samstag, 29. Dezember 2012

Johannes Grützke - Gesicht, Fresse, Fratze



Johannes Grützke

"Die ganze Welt in meinem Spiegel" im Ephraim Palais 

     Vielleicht liegt es daran, dass mein eigenes Gesicht eher zu Spitting-Image-artigen
     Gesichtsausdrücken neigt, womit ich sagen will, dass subtil nicht unbedingt das
     erste Wort ist, das Betrachtern in den Sinn kommt, wenn ich lache, lächle, weine oder
     sonst irgendwelche Regungen zeige, meine Gesichtsmuskeln kennen nur Ruhe oder
     richtig harte Arbeit - also vielleicht liegt es also auch daran, dass ich heute ein solches
     Vergnügen an den Bildern von J. Grützke hatte. 
     Er malt mit fetten Strichen, nicht grob, aber großzügig und wagemutig, und mit 
     starken, kraftvollen Farben. Er mischt widersprüchliche Perspektiven und 
     Größenverhältnisse, er ist häufig sein eigenes Modell, was er damit begründet, dass er
     halt immer anwesend sei. Er hat Witz und er sagt, man sieht nicht das Bild, sondern
     Pinselstriche, und er muß arbeiten wie ein Wahnsinniger, wenn man nachliest, was er
     alles tut: Maler, Schriftsteller, Geiger, Illustrator, Bühnenbildner....
     Er schafft monumentale Gemälde, Bilder, die die zarten Räume des Ephraimpalais
     nahezu sprengen. Der Herr Richter, den ich ja nicht so sehr schätze, bekam so viel
     Platz in der Nationalgalerie, und Herr Grützke muß sich mit Puppenzimmerausmaßen
     zufrieden geben. Das ist ungerecht.  
    
Ich hab auch bei der Auswahl die riesigen Vielpersonendarstellungen weggelassen.

     die sind zu grandios für die Größe dieser Seite.


"Selbstbildnis", Öl auf Leinwand, 100x80cm, 2000

Wiki sagt:
    Von den 26 Gesichtsmuskeln des Menschen sind im Wesentlichen acht für 
    die Mimik verantwortlich:
    Der Augenbrauenheber, auch Stirnmuskel genannt, liegt in ganzer Breite auf 
    der Stirn bis hin zum Haaransatz und ist ein Teil des Musculus occipitofrontalis, 
    der durch die Galea aponeurotica vom dorsalen Teil getrennt ist. 
    Der Augenbrauensenker kann die gesichtsmittige Seite der Augenbrauen nach 
    unten ziehen und sorgt so für das Stirnrunzeln.
    Der Augenlidheber ist ein kurzer Muskel, der bei erstaunter Mimik eine Rolle 
    spielt. Dieser Muskel wird zu den Augenmuskeln gezählt.
    Der Augenringmuskel umschließt jeweils ein Auge. Er sorgt für das Schließen 
    der Augenlider und ist somit für das Blinzeln verantwortlich.
    Der Oberlippenheber oder Kleine Jochbeinmuskel ist ein dreisträngiger Muskel, 
    der ausgehend von Jochbogen/unterem Rand der Augenhöhle/Nase an der 
    Oberlippe mündet. Mit ihm drücken wir Ekel aus.
    Der Große Jochbeinmuskel gehört zur Lachmuskulatur und verbindet den 
    Jochbogen mit dem Mundwinkel.
    Die Lippendehnmuskeln sind erstens der Musculus risorius, der sich vom 
    Mundwinkel hinter die Kinnlade erstreckt, und zweitens das Platysma, 
    ein flacher Halshautmuskel, der ausgehend vom Mundwinkelbereich 
    sich stark verbreiternd über den Hals bis zum Brustansatz fortsetzt. 
    Das Platysma wird von manchen Autoren nicht zur Mimischen Muskulatur gezählt, 
    da es sich nicht mehr im Gesicht befindet.
    Der Mundringmuskel oder Lippenspannmuskel umschließt den Mund ringförmig. 
    Er ist an keinem Knochen fixiert, sondern wird von anderen Muskeln gehalten. 
    Daher ist er besonders beweglich.
    Der Mundwinkelherabzieher verbindet die Unterlippe am Mundwinkel mit dem 
    unteren Kieferrand.
    Der Unterlippenherabzieher kann die Unterlippe gerade herabziehen.
    Der Schmollmuskel setzt am Kinn an. Sieht die Haut auf dem Kinn runzelig aus, 
    ist dieser Muskel aktiv.
    Auf Grund der Achsensymmetrie des Gesichts kommen fast alle der genannten 
    Muskeln zweifach vor.

"19.2.99", Buntstift auf Papier, 65x45, 1999

„Ein Maler, der es ernst meint, nennt sich Maler, und was er macht, ist Malerei.“ J.G. 

"Der Mord an Marat" 1989

 
"Moses Mendelssohn" 2008 Öl/Leinwand, 100 x 80 cm


Selbstbildnis mit Lorbeer, 1972, Öl auf Leinwand, 60 x 80 cm

 Die Brüder

Gesicht, mein Gesicht:
wessen bist du; für was für Dinge
bist du Gesicht?
Wie kannst du Gesicht sein für so ein Innen,
darin sich immerfort das Beginnen
mit dem Zerfließen zu etwas ballt?
Hat der Wald ein Gesicht?
Steht der Berge Basalt
gesichtlos nicht da?
Hebt sich das Meer
nicht ohne Gesicht
aus dem Meergrund her;
Spiegelt sich nicht der Himmel drin
ohne Stirn ohne Mund ohne Kinn?
Kömmen einem die Tiere nicht
manchmal als bäten sie: nimm mein Gesicht.
Ihr Gesicht ist ihnen zu schwer
und sie halten mit ihm ihr klein-
wenig Seele zu weit hinein
in das Leben. Und wir,
Tiere der Seele, verstört
von allem in uns, noch nicht
fertig zu nichts; wir weidenden Seelen:
flehen wir zu dem Bescheidenen
nächstens nicht um das Nicht-Gesicht
das zu unserem Dunkel gehört -
Rainer Maria Rilke 1906 Capri


Freitag, 28. Dezember 2012

Traum-Anatomie - Giulio Casserio & Odoardo Fialetti



ANATOMISCHE TAFELN
Körperwelten der Renaissance

Giulio Casserio - Anatom - ca. 1552-1616
Odoardo Fialetti - Zeichner - ca. 1573 - 1638





Venedig 1627


Mittwoch, 26. Dezember 2012

Klein, fein und jetzt mein


Ich habe heute ein technisches Gerät geschenkt bekommem, das etwa 3 x 2 cm groß ist, zuzüglich eines circa 10 cm langen, ausziehbaren Stabes aus Metall, nennen wir es, ungläubig staunend, eine Antenne. Wenn ich dieses Ding in mein iPhone oder in mein 
ebenfalls weihnachtlich neues iPad stecke, kann ich damit Fernsehen gucken. Dieses winzige Zauberinstrument, fängt die "Fernsehstrahlung" ein und erlaubt mir, zum Beispiel in Berlin, 46 Fernsehsender zu gucken, ohne ins Internet zu gehen. Das auf allen 46 
Sendern meist nur Quatsch läuft, den man gar nicht sehen mag, ist hierbei irrelevant.

Als ich vor ungefähr einhundert Jahren begann, die technischen Errungenschaften der Neuzeit für meine Unterhaltungszwecke, zu verwenden, schob ich noch voller Ehrfurcht eine 45er Schallplatte, (die anderen Rentner unter euch erinnern sich noch,) 
in einen orangenen Apparat aus dem Westen, ja, ich hatte Westverwandtschaft, und konnte dann ein Lied so oft hören, wie ich wollte. Einige meiner wenigen Schallplatten, 
mein einsilbiger Nachname war willige Grundlage vieler entsprechender Witze, waren aus biegsamer Plaste und Einleger einer von meiner Familie abonnierten russsischen Kinderzeitung, die Wesjoleyje Kartinki hieß, (Вҽҫѹӆҽіӗ ӄӑҏҭӣӈҝӣ - seid nicht sauer, wenn dieser Name falsch geschrieben ist, meine widerwillige Beschäftigung mit dem kyrillischen Alphabet liegt gute und mittelmäßige 30 Jahre zurück.) 
 Und heute, nur 40 Jahre später, trage ich meine immens große Musikbibliothek in einem kleinen Metallkasten mit mir herum und kann, wenn ich will, Fernsehen gucken, indem ich ein noch kleineres Teil in einen Stecker eines ebenfalls ziemlich kleinen Apparates stecke. Ja, ich weiss, die Welt ist für viele Mitmenschen kein guter Ort und die Zukunft sieht oft wirklich düster aus, aber manchmal freue ich mich doch, über etwas, das wir, eben diese Menschen, erdenken und erschaffen, und hoffe, dass unsrere Erfindungsgabe und unsere Lust an der Schönheit, doch noch alles zum Guten wendet. Und wenn wir nicht gestorben sind, dann ...




Hoffnung

Es reden und träumen die Menschen viel
Von bessern künftigen Tagen,
Nach einem glücklichen goldenen Ziel
Sieht man sie rennen und jagen.
Die Welt wird alt und wird wieder jung,
Doch der Mensch hofft immer Verbesserung.

Die Hoffnung führt ihn ins Leben ein,
Sie umflattert den fröhlichen Knaben,
Den Jüngling locket ihr Zauberschein,
Sie wird mit dem Greis nicht begraben,
Denn beschließt er im Grabe den müden Lauf,
Noch am Grabe pflanzt er - die Hoffnung auf.

Es ist kein leerer schmeichelnder Wahn,
Erzeugt im Gehirne des Toren,
Im Herzen kündet es laut sich an:
Zu was Besserm sind wir geboren!
Und was die innere Stimme spricht,
Das täuscht die hoffende Seele nicht.


Friedrich Schiller