Samstag, 10. November 2012

Klabund hatte Tuberkulose


»Schulden wie Heu, Stroh im Kopf, und nur ein brennendes Herz«

Da sind so Dichternamen, die man irgendwie kennt, ohne genaue Vorstellung von dem, was sie denn nun eigentlich geschrieben haben. Klabund. Beginnendes 20. Jahrhundert, Berlin. Dann hört es schon auf. 

Es hat ein Gott mich ausgekotzt,
Nun lieg ich da, ein Haufen Dreck,
Und komm und komme nicht vom Fleck.

Doch hat er es noch gut gemeint,
Er warf mich auf ein Wiesenland,
Mit Blumen selig bunt bespannt.

Ich bin ja noch so tatenjung.
Ihr Blumen sagt, ach, liebt ihr mich?
Gedeiht ihr nicht so reich durch mich?
Ich bin der Dung! Ich bin der Dung!

Alfred Henschke wurde nicht einmal 38 Jahre alt. Er starb am 28.8.1928.
Aber zuvor, der Apothekersohn Herr Henschke wird zu Klabund, Klabautermann und Vagabund.
Mit 16 erkrankt er an Tuberkulose, wird erst fälschlich auf Lungenentzündung behandelt und wird Zeit seines kurzen Lebens immer wieder zu längeren Klinikaufhalten gezwungen sein. Eine Zauberbergexistenz. Wie lebt man, wenn man weiß, dass man wenig Zeit hat? Klabund hat zweimal geheiratet, ein Kind gezeugt, es starb, kurz nach dem Tod der ebenfalls lungenkranken Mutter, er hat geschrieben und starb in den Armen seiner zweiten Frau, Carola Neher, die während seiner letzten Tage immer wieder von Bertolt Brecht gedrängt wurde, nach Berlin zurückzukehren, um dort die Polly in der Uraufführung der Dreigroschenoper zu spielen.

 
Wiki schreibt: Carola Nehers Mann, der Dichter Klabund, litt an Tuberkulose und musste nach einem Anfall in ein Sanatorium nach Davos. Als sich seine Lage verschlimmerte, brach Neher die Proben ab und fuhr zu ihm. Nach Klabunds Tod kam Neher am 18. August wieder nach Berlin zurück und wurde bei den Proben zweimal ohnmächtig, bis ihr ein Arzt das Auftreten untersagte. Später bekannte sie, dass sie Brechts Songs, die er teilweise von dem Französischen Dichter François Villon abgeschrieben hatte, nicht ertragen konnte, da Villon Klabunds Lieblingsdichter gewesen war. Eine Woche vor der Premiere übernahm Roma Bahn von ihr die Rolle der Polly.


Wiki: Carola Neher (* 2. November 1900 in München; † 26. Juni 1942 in SolIlezk, Sowjetunion) war eine deutsche Schauspielerin, die um 1930 in Berlin reüssierte. Aus dem nationalsozialistischen Deutschland geflüchtet, kam sie in sowjetischer Gefangenschaft um.
 

„Man müsste einmal eine Literaturgeschichte der Schwindsüchtigen schreiben, diese konstitutionelle Krankheit hat die Eigenschaft, die von ihr Befallenen seelisch zu ändern. Sie tragen das Kainsmal der nach innen gewandten Leidenschaft.“ Klabund

Aus der Erzählung: Die Krankheit

Die Pension stand am Wald, dicht vor dem Ausgang der Schatzalpbobbahn. Sie wurde preiswert und hygienisch geführt von dem Ehepaar Paustian, zwei alten Davosern, die vor Jahren schwerkrank ins Tal kamen und sich nach Besserung ihres Leidens dauernd in Davos niederließen. An dem Ehepaar Paustian hatte Dr. Ronken seinerzeit zuerst den Pneumothorax erprobt, als sie noch seine Patienten im Sanatorium Beaurivage waren, den Pneumothorax, jene nunmehr allgmein bekannte und bewährte Vorrichtung, durch die, bei Gesundheit der einen Lunge, die zweite kranke Lunge zum Einschrumpfen gebracht wird. In der Pension "Schönblick" wurde das Ehepaar Paustian deswege mit einem gewissen Spott Pneumo und Thrax benannt. Sie waren beide von jener Art Lungenkranker, die die Krankheit durchsichtiger, gläserner und gleichsam innerlicher gewandelt hat.


Liebeslied

Dein Mund, der schön geschweifte,
Dein Lächeln, das mich streifte,
Dein Blick, der mich umarmte,
Dein Schoß, der mich erwarmte,
Dein Arm, der mich umschlungen,
Dein Wort, das mich umsungen,
Dein Haar, darein ich tauchte,
Dein Atem, der mich hauchte,
Dein Herz, das wilde Fohlen,
Die Seele unverhohlen,
Die Füße, welche liefen,
Als meine Lippen riefen -:
Gehört wohl mir, ist alles meins,
Wüsst' nicht, was mir das liebste wär',
Und gäb' nicht Höll' noch Himmel her:
Eines und alles, all und eins.

Bürgerliches Weihnachtsidyll

Was bringt der Weihnachtsmann Emilien?
Ein Strauß von Rosmarin und Lilien.
Sie geht so fleißig auf den Strich.
O Tochter Zions, freue dich!

Doch sieh, was wird sie bleich wie Flieder?
Vom Himmel hoch, da komm ich nieder.
Die Mutter wandelt wie im Traum.
O Tannebaum! O Tannebaum!

O Kind, was hast du da gemacht?
Stille Nacht, heilige Nacht.
Leis hat sie ihr ins Ohr gesungen:
Mama, es ist ein Reis entsprugen!
Papa haut ihr die Fresse breit.
O du selige Weihnachtszeit!


Ossietzky in der Weltbühne über Klabund: Während grade in einigen Zeitungen über die Zukunft oder die Zukunftlosigkeit der Lyrik disputiert wird, stirbt der letzte freie Rhapsode, der Letzte aus dem alten Geschlecht dichtender Vaganten, dem das Versemachen so sehr Element war, daß es diesen gebrechlichen Leib für lange Jahre allein an die Erde zu binden schien. Seine Begabung war unruhig und zuckend; in Beweglichkeit und Maskenkunst ohne Grenze. Es floß immer in einem schmalen Bändchen alles durcheinander: Heine, Rimbaud, Exoten, Rudolf Baumbach, Wedekind, Eichendorffs Mondscheinlyrik und Dialektwitz; Pathos, Melancholie und Biertischzote. Aus dem Einfall wurde blitzschnell Rhythmus, Wort, Refrain. Und über allem schwebte die einschmeichelnde Libertinage des Namens Klabund. Er hatte keine Zeit und wußte es. Vieles von dem eilig Hingedichteten wird verwehen, trotzdem mehr übrigbleiben als von den meisten bändereichen Lyrikern seit Heinrich Heine.
 
Aus "Bracke"
Bracke betrat eine Kirche. Er sah ein Mädchen sich vom Beichtstuhl erheben und von dannen schleichen. Er setzte sich in den Beichtstuhl, da fühlte er alsbald eine Hand über seine Wange streichen, und die Stimme des Priesters flüsterte: "Liebes Mädchen -- wann kommst du wieder beichten? Morgen?" Als aber der Priester plötzlich den Anflug von Bart in den Fingerspitzen spürte, schrie er leise auf: "Mädchen -- was ist mit dir?" "Ich bin der Teufel," sagte Bracke, " gekommen, dich in die Hölle zu holen für deine böse Tat und die Verderbnis deiner Sitten." Der Priester wimmerte: "Wie kann ich mich retten vor deiner Rache?" "Wisse," sagte Bracke, "daß jegliches Mädchen, welches dir zu beichten in deinen Beichtstuhl tritt, ich bin, immer ich, der Teufel. Welcher Gestalt sie auch sei: jung oder alt, hübsch oder häßlich, schlank oder feist. Wage niemals mehr, dich einem Mädchen (das heißt: mir) unzüchtig zu nahen, sonst bist du mir ganz und gar verfallen, mir, dem Teufel, du teuflischer." Zitternd schwur der Priester Besserung.
 
Das erfrorene Herz
(Nachdichtung aus dem Chinesischen)

Der Sperling pickt die letzten Vogelmieren.
Schon läßt ein kalter Wind die Bäche frieren.

Ach, käme doch der Frühling bald! die Quellen,
Wie würden hurtig sie zu Tale schnellen!

Die du mich doch nicht frieren sehen willst:
Komm, meine Sonne, daß mein Schneeherz schmilzt...

Lebenslauf

Geboren ward Klabund,
Da war er achtzehn Jahre
Und hatte blonde Haare
Und war gesund.

Doch als er starb, ein Trott,
War er zwei Jahre älter,
Ein morscher Lustbehälter,
So stieg er aufs Schafott.

Er brachte ein′ Zwilling um...
(Das Mädchen war vom Lande
Und kam dadurch in Schande
Und ins Delirium.)

Unglücksfall


Es stehen vor dem Hebekran
Ein kleines Kind, ein Hund, ein Mann
Die Eisenkette rollt und rinnt,
Es staunen Mann und Hund und Kind.
Da saust sie nieder auf den Grund,
Zerschmettert Mann und Kind und Hund.
Gemäßigt naht die Polizei,
Ein Chemiker ist auch dabei,
Bis er den Totbestand befund:
Ein kleines Kind, ein Mann, ein Hund.

Klabund (1890-1928)

Freitag, 9. November 2012

Novembertage - Durs Grünbein

Der 9. November in Deutschland
eine kleine Auswahl
1918 Ausrufung einer deutschen Republik und Beginn der Novemberrevolution
1923 Hitler-Ludendorff-Putsch
1938 Beginn der Novemberpogrome 
1989 "Mauerfall"


© Wolfgang Bachmann

  Novembertage


  I. 1989


  An diesem Abend brach ein Stottern die Gesetze,

  ein Lesefehler hob die heiligen Verbote auf.

  So nüchtern wie die Meldung in die Welt ging
  
vor Mikrofon und Kamera, war jener Spuk vorbei,

  den sie verordnet hatten. Erstmals sah man

  die kommunistischen Auguren zögernd lächeln

  wie Spieler, die verlieren, und jetzt wissen sie
  
was sie, gewiegt in Sicherheit, vergessen hatten.

  Mit einer letzten Drohung, einer Atempause,

  Erklärten Greise meine Geiselnahme für beendet.
  In dieser Nacht, als man die Schleusen aufzog,

  ergoß ein Menschenstrom sich in den hellen Teil

  der Stadt, die eine Festung war seit dreißig Jahren,

  geschleift von einem falschen Wort im Protokoll.

  Bevor die Eisentore widerriefen, hob die Menge

  den Bann auf, der hier alle Muskeln lähmte.

  Mit offnem Mund am Straßenrand ein Offizier

  stand wie verrenkt, weil kein Befehl mehr lenkte,

  das Machtwort ausblieb wie seit Jahren nie.

  Als gegen Morgen auf den Boulevards im Westen,
  
nach Feuerwerk und Kreisverkehr und Tränen,
  
das Freibier ausging, war das Glück vollkommen.

  Bei einer Kreuzung stand verlassen, abgebrannt

  bis zu den Rädern, ein Trabant, und die Besitzer

  hatten den Autoschlüssel an den Baum gehängt.
  
Von ihren Kindern angetrieben, ganze Clans

  zogen durchs Zentrum, orientierungslos und still.

  Die ersten schliefen schon, sie lagen eingerollt

  vorm Kaufhaus selig unter den Vitrinen,

  auf teurem Pflaster träumend freien Grund.

  Durs Grünbein: Nach den Satiren. Suhrkamp Verlag, Frankfurt 

  am Main 1999

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  Das folgende Gedicht habe ich gerade gefunden. Oh mein Gott!

  Peter Hacks
   
  Das Vaterland


  So wie das Einhorn vor den Geistern allen
  Hervorsticht durch Empfindsamkeit und Wissen,
  Wie der Demant vor minderen Kristallen,
  Der Kaviar vor sonstigen Leckerbissen,
  So wie der Panther vor den Waldnaturen
 

  Und Greta Garbo vor den andern Huren,

  So stach einmal mein liebes Vaterland

  Unter den Reichen dieser Welt hervor.
  Das Land, wo keiner darbte, keiner fror.
  Das Land, wo jeder Dach und Arbeit fand.
  Wie lob ich es? Wie enden, wie beginnen?
  Ich sage, es war ganz und gar bei Sinnen.

  Wer reifen wollte, war befugt zu hoffen.
  Die Seelen nahmen Form an und die Leiber.
  Dem Ärmsten stand die höchste Stelle offen.
  Was Männer durften, durften auch die Weiber.
  Und weder Aberglauben, weder Schulden
  Fand sich sein stolzes Herz bereit zu dulden.

  Und keine Krankheit, wenn sie heilbar war,
  Blieb von der Kunst der Ärzte ungeheilt.
  Und kein Verdruß, sofern er teilbar war,
  Ward redlich nicht von Fürst und Volk geteilt.
  Kein Eigentümer konnte uns befehlen,
  Zu seinem Vorteil selbst uns zu bestehlen.

  Wie aufgeklärt hier alles. Wie durchheitert.
  Wie voller Frische, voller Ahnungen.
  Ins Morgen ward die Gegenwart erweitert
  Des Vaterlands durch seine Planungen.
  Es ist ein Hochgenuß, von ihm zu sprechen.
  Es war ein Staat und scheute das Verbrechen.

  Wer kann die Pyramiden überstrahlen?
  Den Kreml, Sanssouci, Versailles, den Tower?
  Von allen Schlössern, Burgen, Kathedralen
  Der Erdenwunder schönstes war die Mauer.
  Mit ihren schmucken Türmen, festen Toren.
  Ich glaub, ich hab mein Herz an sie verloren.

  Das war das Land, in dem ich nicht geboren,
  Das Land, in dem ich nicht erzogen bin.
  Das ich mir frei zum Vaterland erkoren,
  Daß bis zum Grab ich atmete darin.
  Das mit dem Grab hat sich nun auch zerschlagen.
  Doch war das Glück mit meinen Mannestagen.

  In dieser Hundewelt geht vieles ohne
  Ideen, aber nichts ohne Spione.
  Schuld, daß ich alles deutlich offenbare,
  Schuld trug das KGB. Wohl zwanzig Jahre
  Hat insgeheim mit Langley oder Harvard
  Es über unsern Untergang palavert.

  Die Sowjetmacht, sie schenkte uns das Leben.
  Sie hat uns auch den Todesstoß gegeben.
  Nur täuscht euch nicht. Rußland und wir, wir beiden,
  Sind niemals, auch nicht durch Verrat, zu scheiden.
  So viel für jetzt. So viel zum künftig schwierigen
  Verhältnis zwischen Preußen und Sibirien.

  Fremd ist die Sonne, die mir heute leuchtet.
  Und bloß im sich versenkenden Gemüte
  Seh ich die Landschaft, die hier vormals blühte.
  Nicht immer bleibt mein Auge unbefeuchtet.
  Man weint um Hellas. Sonst geschieht es selten,
  Daß einer Staatseinrichtung Tränen gelten.

  Und derer laßt mich denken, die es schufen,
  Das Vaterland, ihm Hirn und Willen liehen,
  Es kräftigend zu menschlichsten Behufen.
  Kaum einer ist mehr. Laßt mich nicht verziehen,
  Als Greis dem Sterbenden mich mitzuteilen.
  Für Alfred Neumann schrieb ich diese Zeilen. 


  Nachdruck/Vervielfältigung nur mit ausdrücklicher Genehmigung des 
  Rechteinhabers. © Eulenspiegel Verlag, Berlin

  Alfred »Ali« Neumann (1909–2001) war Mitglied des Politbüros 
  des Zentralkomitees der SED und von 1965 bis 1968 Minister 
  für Materialwirtschaft der DDR. Neumann spielte bei 
  der Konzipierung des Neuen Ökonomischen Systems der Planung 
  und Leitung (NÖSPL) in den 60er Jahren eine wichtige Rolle. 
  Im Zuge des Sturzes von Walter Ulbricht durch Erich Honecker 
  1971 weigerte sich Neumann als einziges wichtiges 
  damaliges Politbüromitglied, eine geheime »Bitte« an 
  die sowjetische Führung um Ablösung Ulbrichts mit 
  zu unterschreiben. Neumann blieb ein Gegenspieler Honeckers, 
  trat jedoch niemals in der Öffentlichkeit gegen ihn auf. 
  1989 wurde er aus dem Politbüro, 1990 aus der 
  SED-PDS ausgeschlossen. Seit 1992 wurde gegen ihn aufgrund 
  seiner Mitgliedschaft im Nationalen Verteidigungsrat der DDR 
  wegen »Totschlags und Körperverletzung an der inner-
  deutschen Grenze« ermittelt, die 23. Strafkammer des 
  Berliner Landgerichtes stellte 1999 das Verfahren ein.

  Website der Kommunistischen Gewerkschaftsinitiative

  

Donnerstag, 8. November 2012

Monets Augen



 "Monet ist nur ein Auge, aber mein Gott, was für ein Auge." 
Cezanne

  Seerosen, Wasserlilien, eine Brücke - ungefähr 250 Bilder mit Motiven aus seinem Garten
  in Giverny malte Monet in den letzten 30 Jahren seines Lebens. Während dieser Zeit erkrankte 
  er am Grauen Star und unterzog sich deshalb einer Augenoperation. Experten können den 
  genauen Stand seiner Augengesundheit an den Farbnuancen der Nymphéas-Bilder fesmachen. 
  Zum Beispiel sah er mit beidseitigen Katarakten seine Umwelt verschwommener, leicht 
  rötlich getönt. Nach der erfolgreichen Operation des rechten Auges im Jahr 1923, er war 82 
  Jahre alt, malte er einige Bilder dann nocheinmal, diesmal mit blaueren Seerosen. Er 
  verweigerte allerdings die Korrektur des linken Auges.
   
  In einem Brief an seinen Freund schrieb Monet: "Zu denken, dass ich so gute Fortschritte 
  machte, konzentrierter als je war und in der Erwartung etwas zu erreichen, aber ich 
  wurde gezwungen umzudenken, eine Menge vielversprechender Anfänge aufzugeben und den 
  Rest einfach liegen zu lassen: und noch dazu macht meine schwache Sehkraft, dass ich alles 
  in einem völligen Nebel sehe. Es ist aber trotzdem wunderschön und ist was ich gehofft hatte 
  zeigen zu können. Alles in allem bin ich sehr unglücklich." 11.8.1922 Giverny

  
  Der Kampf Monets mit dem Grauen Star
  http://www.ambafrance-de.org/Monet-das-impressionistische-Auge


Monet in seinem von ihm selbst gestalteten Garten
Stereoskopische autochrome Amateuerphotographie von Étienne Clémentel


1908
 
Die schlanke Wasserlilie
Schaut träumend empor aus dem See;
Da grüßt der Mond herunter
Mit lichtem Liebesweh.

Verschämt senkt sie das Köpfchen
Wieder hinab zu den Well'n –
Da sieht sie zu ihren Füßen
Den armen blassen Gesell'n.
Heinrich Heine


Eins der zahlreichen Bilder einer Japanischen Fußgängerbrücke im Garten von Giverny, natürlich mit Seerosen


Detail
Die Brücke, Photographie


Diashow: Grandes Decorations at the L’Orangerie

Briefe zwischen Weigel und Brecht




ich lerne: gläser + tassen spülen


   1923 haben sich die beiden bei der Arbeit an "Trommeln in der Nacht" in 
   Berlin kennengelernt. Sie eine österreichische Jüdin, die begann sich als Schau-
   spielerin einen Namen zu machen und er, ein schwäbischer Dichter, mit enormem 
   Talent und ebenso großen Ambitionen. 

   Ende Dezember 1923 Brecht an Weigel:

   1
   Zweite Hälfte Dezember:
   starke Langeweile
   90% Nikotin
   10% Grammophon
   offensichtlicher Mangel
   an Bädern
   Jahresende:
   Auf nach Mahagonny
   bevorzugt!

   2
   HW
   (zu deutsch:
             Havary)

   1923 bis 1956, 33 Jahre, zwei Kinder, 12 Jahre erzwungene Emigration, viel Arbeit,
   eine Theatergründung.
   In den 12 Jahren für sie nahezu keine Rollen, er schreibt hauptsächlich für die Schub-
   lade. Sie verlassen Deutschland 1933 direkt nach dem Reichstagsbrand, und ziehen 
   über Prag nach Wien, dann in die Schweiz, nach Dänemark, Schweden, Finnland, 
   jeweils für etwa ein Jahr, zwischendurch immer wieder Reisen auf Arbeitssuche,
   schießlich über Leningrad, Moskau und Wladiwostok in die USA. Bis 1947 leben sie, 
   dass heißt die ganze Familie, in Los Angeles. Nachdem Brecht 1947 vor das Kommitee 
   für Un-Amerikanische Aktivitäten geladen worden war, verläßt erst er, dann auch der 
   Rest der Familie die USA und wandern über Frankreich und die Schweiz wieder 
   nach  Berlin.
   12 Jahre nicht spielen, als sie fliehen mußten, war Helli, Helle oder Helen, wie Brecht 
   sie anschrieb, 33.


  Es war sicher keine übliche Ehe. Aber es war eine, so scheint mir, gute. Sie verloren 

  nie das Interesse aneinander, das wird aus den Briefen deutlich, sie hatten 
  einen gemeinsamen Humor und man bekommt, obwohl seine Briefe zahlreicher sind 
  als die ihren, viele sind wohl bei den zahlreichen Umzügen verloren gegangen, 
  den Eindruck von zwei sehr starken Personen, die sich dem Bemühen 
  umeinander stellen. 


  Ulrich Matthes und Katharina Thalbach haben ganz wunderschön gelesen, leicht 
  und amüsiert. Die Lesung wird wohl im Januar vielleicht noch einmal wiederholt.


 14. März 1956 Weigel an Brecht

  Lieber Bert!

  Wir haben gestern wie die Wahnsinnigen geheizt und nach einem ganzen Tag heizen 
  im Probenhaus waren 8º zu erreichen. Es ist wirklich zum Verzweifeln. Wir wissen nicht, 
  wie wir Kohlen bekommen sollen. Der Magistrat kann uns nicht mehr an Zuschuß 
  geben. Trotz aller Schwierigkeiten muß ich Dich bitten noch in dem kleinen Probe-
  bühnchen zu arbeiten. Es ist versprochen worden, nächste Woche sei Frühling.

  Ihn habe ich nicht kennengelernt, sie war die beste vorstellbare Großmutter, nach 

  dem Abend heute, vermisse ich sie beide.


  Bertolt Brecht / Helene Weigel Briefe 1923-1956 "ich lerne: gläser + tassen spülen"
  suhrkamp; herausgegeben von Erdmut Wizisla

Dienstag, 6. November 2012

Tod in Venedig


Ich muß vorab bildungsbürger-beschämt erklären, dass ich kein begeisterter Thomas Mann Leser bin. Meine Versuche mir seine Romane zu erkämpfen, endeten ausnahmelos in erschöpften Niederlagen. Nur bei den Novellen erging es mir etwas besser. Tonio Kröger, Der kleine Herr Friedemann, Mario und der Zauberer waren ok. Aber mehr als das schwache ok. fällt mir auch da nicht ein. Wälsungenblut hat mir gefallen, weil die dekadenten Geschwister sich immer an den Händen hielten, die stets ein wenig feucht waren .  

Nach meinen erfolglosen Leseversuchen, hatte ich das Gefühl, dass ich, wenn ich schon aus einer Dichterfamilie stammen muß, es mit der meinen gar nicht so schlecht getroffen hatte.

Und dann habe ich vor ein paar Jahren in München eine Inszenierung von Benjamin Brittens Oper Tod in Venedig gesehen. Britten ist für einen Fast-Nichtkenner moderner Musik eigentlich harter Tobak, aber an diesem Abend machte alles Sinn - die Musik, die Geschichte, die Bühne, das Spiel. Es war hochkompliziert und doch ganz einfach, höchst artifiziell und doch so durchsichtig, dass man den komplizierten Phrasen der Musik und den angestrengten emotionalen Ausschlägen des Herrn von Aschenbach mit morbider Faszination und bedrücktem Mitgefühl folgen wollte. Nach 3 und einer halben Stunde war Schluß. Schade.
Der Regisseur hieß Immo Karaman. 
 
Der Tod in Venedig ist eine 1911 entstandene Novelle, Thomas Mann selbst nannte sie, die novellistische Tragödie einer Entwürdigung.

Sie beginnt mit zwei Sätzen.


Satz 1: Gustav Aschenbach oder von Aschenbach, wie seit seinem fünfzigsten
Geburtstag amtlich sein Name lautete, hatte an einem
Frühlingsnachmittag des Jahres 19.., das unserem Kontinent monatelang
eine so gefahrdrohende Miene zeigte, von seiner Wohnung in der
Prinz-Regentenstraße zu München aus, allein einen weiteren Spaziergang
unternommen. 
Satz 2: Überreizt von der schwierigen und gefährlichen, eben
jetzt eine höchste Behutsamkeit, Umsicht, Eindringlichkeit und
Genauigkeit des Willens erfordernden Arbeit der Vormittagsstunden,
hatte der Schriftsteller dem Fortschwingen des produzierenden
Triebwerks in seinem Innern, jenem »motus animi continuus«, worin
nach Cicero das Wesen der Beredsamkeit besteht, auch nach der
Mittagsmahlzeit nicht Einhalt zu tun vermocht und den entlastenden
Schlummer nicht gefunden, der ihm, bei zunehmender Abnutzbarkeit
seiner Kräfte, einmal untertags so nötig war. So hatte er bald nach
dem Tee das Freie gesucht, in der Hoffnung, daß Luft und Bewegung ihn
wieder herstellen und ihm zu einem ersprießlichen Abend verhelfen
würden.
...

Und endet mit drei kurzen Sätzen.


Satz 1: Minuten vergingen, bis man dem seitlich im Stuhle Hinabgesunkenen zur
Hilfe eilte. 
Satz 2: Man brachte ihn auf sein Zimmer. 
Satz 3: Und noch desselben Tages empfing eine respektvoll erschütterte Welt die Nachricht von seinem
Tode. 

Thomas Mann, Tod in Venedig, München, Hyperionverlag Hans von Weber 1912

Den vollständigen Text kann man hier finden:
http://www.gutenberg.org/files/12108/12108-8.txt


 Standbild aus der wunderbaren Verfilmung von 1971, Regie: Luchino Visconti mit Dirk Bogarde als Gustav von Aschenbach

Am 4. Juli 1920 schreibt Thomas Mann an Carl Maria Weber : „Leidenschaft als Verwirrung und Entwürdigung war eigentlich der Gegenstand meiner Fabel, – was ich ursprünglich erzählen wollte, war überhaupt nichts Homo-Erotisches, es war die – grotesk gesehene – Geschichte des Greises Goethe zu jenem kleinen Mädchen in Marienbad, das er mit Zustimmung der streberisch-kupplerischen Mama und gegen das Entsetzen seiner eigenen Familie partout heiraten wollte, diese Geschichte mit allen ihren schauerlich komischen, zu ehrfürchtigem Gelächter stimmenden Situationen...“  


Und so kann eine Alt-junge Liebe auch klingen:

 Michelangelo an Tommaso Cavalieri


Hätt ich geahnt, als ich zuerst Dich schaute
daß mich die warme Sonne Deiner Blicke
Verjüngen würde und mit dem Geschicke
Feuriger Glut im Alter noch betraute,
Ich wäre, wie der Hirsch, der Luchs, der Panther
Entflohen jeder schnöden Schicksalstücke
und wäre hingeeilt zu meinem Glücke,
Längst wären wir begegnet dann einander!
Doch warum gräm ich mich, wo ich nun finde
In Deinen Engelsaugen meinen Frieden,
All meine Ruhe und mein ganzes Heil?
Vielleicht wär damals mir dies Angebinde
noch nicht geworden, das mir nun beschieden,
Seit Deiner Tugend Fittich ward mein Teil

1532
Übersetzung von Rainer Maria Rilke


Tommaso Cavalieri

Interessanter Artikel zu "Tod in Venedig" aus der Zeitung Die Zeit:
http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/100-jahre-tod-in-venedig-pervers-was-fuer-ein-pfuscherisches-wort-11829625.html 


AKTUELL!
Die Schaubühne meldet:

»Der Tod in Venedig«

nach Thomas Mann
Regie: Thomas Ostermeier
Premiere in Rennes am 10. November 2012
Premiere in Berlin am 12. Januar 2013
Regie: Thomas Ostermeier 

Paul Cézanne - Äpfel und Orangen




YOU CANNOT COMPARE APPLES AND ORANGES?

Du kannst Äpfel nicht mit Orangen vergleichen?  
Im Deutschen sind es Äpfel und Birnen, die unvergleichbar seien sollen. 

"Wie macht er das nur? Er kann nicht zwei Farbtupfen auf eine Leinwand setzen, 
ohne dass es ausgezeichnet ist." Auguste Renoir über Paul Cézanne


Stilleben mit Äpfeln und Orangen
c. 1895—1900, Öl auf Leinwand, 74 x 93 cm
Musée d'Orsay, Paris



Montag, 5. November 2012

What the fuck!


WHAT THE FUCK!

Fuck ist ein herrliches Schimpfwort. Eine Verbalinjurie - ein Wort mit dem man verletzten kann, aber nur ein bisschen, keine bleibenden Wunden, nur ein  geplänkeltes Anstupsen.
Scheiße ist gut, Mist, Dreck, verdammt - alle gut verwendbar, aber fuck stellt sie alle in den redensartlichen Schatten. Fuck the fucking fucker. Fuck ist universell einsetzbar, das f liegt griffig zwischen oberer Zahnreihe und unterer Lippe und erzeugt einen wohltuenden Luftstrom, dann ein kurzes u, und das abschließende ck knallt im Gaumen und gibt der gefühlten Aggression einen klaren Endpunkt.
Fuckety fuck fuck, wenn man sich, zum Beispiel, beim Einschlagen eines Nagels zur Aufhängung eines wunderschönen Bildes mit dem Hammer auf den Daumen gehauen hat. Fuckety fuck fuck! Ein kleines Gedicht. Entladung. Wortvergnügen. Melodie und Rhythmus, Wortklang entspricht körperlichem Empfinden. Wie "schmatzen" oder "Matsch" oder "Quatsch". 

Ficken funktioniert so nicht. Es ist noch zu sehr mit der eigentlichen Bedeutung des Wortes verbandelt. Wohingegen fuck, fucking, fucker, fucked, wenn nicht ausdrücklich in sexuellem Zusammenhang verwendet, nur noch als Lautwerte funktionieren.
Eigentlich manifestiert fuck nur die Unfähigkeit, das rechte, treffende Wort zu finden zur genauen Festlegung der momentanen Gefühlslage, der gemeinten Verächtlichkeit, der beabsichtigten Beleidigung. Selbst eine Ungeheuerlichkeit wie Begatter deiner Mutter = motherfucker, Tabubrecher aller alt- und neuzeitlichen Moralverabredungen, verliert im heutigen englischen Sprachgebrauch von fuck an welterschüttender Provokation und wird zum Klang der simplen Ablehnung, manchmal sogar der Bewunderung. 

That motherfucker has guts - Der traut sich was!

Fuck off! - Verschwinde!

You are fucked! - Du hast keine Wahl!
He is fucking with me. - Er verarscht mich.
Don't fuck with my head. - Mach mich nicht wahnsinnig.
Motherfucking son of a bitch! - (wörtlich) Mutterfickender Sohn einer Hündin! - (eigentlich) Mistkerl!
This is fucking hard. - Das ist verdammt schwer.
Fuck you very much. - Na schönen Dank auch.
A Fuck up - Eine kleinere Katastrophe, ein mißlungenes Unternehmen
What the fuck? - Hä?
Shut the fuck up! - Halts Maul!
Holy fuck! - Verdammt!
Fuck it! - Laß es sein!
Wake the fuck up! - Wach endlich auf! - Begreif es endlich!
Fuck you all! - Zur Hölle mit euch!
Fuck him/her! - Vergiss ihn/sie!


I am fucked! - Ich bin am Ende!
 

Tenacious D "Fuck her gently"

https://www.youtube.com/watch?v=215pmeoUjcY

Fuck up the Fucking Fuck you Fucking Fuck of a Fuck Fucking Fucked Fucker!



 
I am so fucked!

Als Bonus: Fick die Waldfee! - Das kann doch nicht wahr sein!

Sonntag, 4. November 2012

Robert Mapplethorpes Muse


Ich will hier nicht von griechischen Göttinnen reden, sondern von einer ungewöhnlichen Frau. Patti Smith. Und auch das nur in ihrer Beziehung zu Robert Mapplethorpe.

Ich muß zugeben, dass ich mit ihr als Sängerin nur sehr wenig anfangen kann, aber als ich letztes Jahr ihr Buch "Just Kids" las (Bolgeintrag vom 7.9.2011), war ich verblüfft, wie nah ich mich ihr fühlte und wie sehr sie in der Lage war eine mittlerweile schon fast mythische Zeit, die Kunstszene New Yorks der Siebziger Jahre, unsentimental, unverklärt und doch liebevoll zu beschreiben.
Und heute bin ich über Photos, die Robert Mapplethorpe von ihr in dieser Zeit gemacht hat, gestolpert. 
Unzählige Photos, auf manchen sieht sie gräßlich aus, harsch, mager, struppig, auf anderen wie eine Knaben-Elfe, fast ätherisch, als würde nur das Photo selbst sie vor dem Verschwinden retten.  

Wiki sagt: Eine Muse ist eine Person, die einen anderen Menschen zu kreativen Leistungen inspiriert. - Sie haucht ihm also Leben oder Seele ein. Da mag etwas dran sein, wenige seiner Photographien haben solche ernsthafte Zärtlichkeit, solche Empathie ihrem "Objekt" gegenüber. Man spürt Respekt, man sieht Zuneigung.

Der 4.11.1946 war der Geburtstag von Robert Mapplethorpe.


















1975


1978