Dienstag, 14. Februar 2012

Nochmals der Blaue Reiter, diesmal in Rot - Jawlensky und der Tänzer Sacharoff


Alexei Georgijewitsch Jawlenski
Alexei "von" Jawlensky, 1865 - 1941 russisch deutcher Maler, Expressionist und "Mitglied" des Blauen Reiters.

&

 Alexander Sacharoff, 
geboren als Alexander Zuckermann, 1886 - 1963, zusammen mit seiner künstlerischen Partnerin Clotilde von Derp (1892–1974, geboren als Clotilde Margarete Anna Edle von der Planitz), die er 1919 heiratete, schuf er eine eigene Form des modernen Tanzes, die er „abstrakte Pantomime“ nannte. Die beiden gelten als eines der berühmtesten Paare in der Geschichte des Tanzes. 
(Wiki)

Alexei von Jawlenski, Bildnis des Tänzers Alexander Sacharoff 1909
Alexei von Jawlenski, Tanzstudie nach Alexander Sacharoff, 1912

Marianne von Werefkin, Der Tänzer Sacharoff, 1909

androgyn aus griechisch anēr = Mann und gynē = Frau

Plakat Sacharoff

Alexej von Jawlensky ca. 1912 Plakat für Alexander Sacharoff

Im Jahr 1910 debütierte Alexander Sacharoff (1886 – 1963) im Münchner Odeon als Solotänzer. Mit seiner androgynen Erscheinung löste er beim Publikum schlicht Entsetzen aus. Seine Darbietungen wurden als "pervers und unmoralisch" empfunden.
Der in der Ukraine geborene Tanzkünstler war 1905 über Sankt Petersburg und Paris nach München gekommen. Er wurde Mitglied der "Neuen Künstler-Vereinigung München" und arbeitete mit dem Maler Wassily Kandinsky und dem Komponisten Thomas von Hartmann an der Verwirklichung eines synästhetischen Kunstwerks. Kandinsky erinnert sich an dieses Projekt: "Der Musiker suchte aus einer Reihe meiner Aquarelle dasjenige aus, das ihm in musikalischer Hinsicht am klarsten erschien. In Abwesenheit des Tänzers spielte er dieses Aquarell. Dann kam der Tänzer dazu, ihm wurde das Musikstück vorgespielt, er setzte es in Tanz um und sollte danach das Aquarell erraten, das er getanzt hatte."
Das seltene Plakat ist "vor der Schrift", das heißt ohne den Aufdruck für eine konkrete Veranstaltung. Der Entwurf wurde jüngst Alexej von Jawlensky (1864 – 1941) zugeschrieben, von dem das berühmte Porträt des Tänzers in der Städtischen Galerie im Lenbachhaus stammt.



 
„… Clotilde Sacharoff und ich tanzten nicht mit Musik oder begleitet von Musik: Wir tanzten Musik. Wir machten die Musik sichtbar, indem wir mit den Mitteln der Bewegung ausdrückten, was der Komponist mit den Mitteln des Klangs ausgedrückt hat… Nichts weniger als die vom Komponisten erlebten und vermittels seiner Kunst in Klang verwandelten Seelenzustände, Eindrücke, Empfindungen… Unser Ziel war, den von der Klangmusik ausgedrückten Sinn in die Musik der Bewegung zu übersetzen.“ A.S.


Montag, 13. Februar 2012

Der blaue Winter



„Den Namen Der Blaue Reiter erfanden wir am Kaffeetisch in der Gartenlaube in Sindelsdorf. Beide liebten wir Blau, Marc – Pferde, ich – Reiter. So kam der Name von selbst.“ W.K.



Wassily Kandinsky Winterlandschaft 1909



„Blau ist die einzige Farbe, bei der ich mich wohlfühle.“ F. M.


Franz Marc 1913 Bison im Winter oder Roter Bison



"Je tiefer das Blau wird, desto tiefer ruft es den Menschen in das Unendliche, weckt in ihm die Sehnsucht nach Reinem und schließlich Übersinnlichem. Es ist die Farbe des Himmels." W.K.


„In Wirklichkeit gab es nie eine Vereinigung ‚Der Blaue Reiter’, auch keine ‚Gruppe‘, wie es oft irrtümlich beschrieben wird. Marc und ich nahmen das, was uns richtig erschien, […] ohne sich um irgendwelche Meinungen oder Wünsche zu kümmern.“ W.K.




Sonntag, 12. Februar 2012

Wedernoch - Samuel Beckett


WEDER

hin und her im Schatten von innerem zu äusserem Schatten
von undurchdringbarem Selbst zum undurchdringbaren Nichtselbst
über weder noch
wie zwischen zwei hellen Zufluchten, deren Türen einmal
angenähert sachte schließen, einmal weggedreht
sachte wieder öffnen
gelockt zurück und vor und weg gedreht
den Weg nicht achtend, zielend auf den einen Schimmer
oder den anderen
ungehörte Schritte einziger Ton
bis endlich anhalten für immer, abwesend für immer
vom Selbst und anderem
dann kein Ton
dann sachte nichtlöschendes Licht auf das nicht beachtete
noch weder
unsägliche Heim

Übersetzung vom künstlerischen Leitungsteam "Neither" und mir


NEITHER

to and fro in shadow from inner to outer shadow
from impenetrable self to impenetrable unself
by way of neither
as between two lit refuges whose doors once
neared gently close, once away turned from
gently part again
beckoned back and forth and turned away
heedless of the way, intent on the one gleam
or the other
unheard footfalls only sound
till at last halt for good, absent for good
from self and other
then no sound
then gently light unfading on that unheeded
neither
unspeakable home

Samuel Beckett

Somebody That I Used To Know


Fünf Musiker - eine Gitarre - ein Lied!


Ursprünglich geschrieben von Gotye, hier gecovert von Walk off The Earth.    



Samuel Beckett - Ein Gesicht


'Die Sonne schien, da sie keine Wahl hatte, auf nichts Neues.' 
Samuel Beckett geboren 1906


© Richard Avedon 1979

© Richard Avedon 1979

'Wo würde ich hingehen, wenn ich gehen könnte, wer wäre ich, wenn ich sein könnte, was würde ich sagen, wenn ich eine Stimme hätte, wer sagt dies, sagt ich bin's? Antworte einfach, jemand antworte einfach.'

'Where would I go, if I could go, who would I be, if I could be, what would I say, if I had a voice, who says this, saying it's me? Answer simply, someone answer simply.'
Samuel Beckett, Texts for Nothing
Eine seltene Videoaufnahme - die Stimme ist interessant.
© Jane Bown London 1976

© Henry Cartier-Bresson 1964


Estragon: Ich kann nicht mehr so weitermachen.
Wladimir: Das sagt man so.
Estragon: Sollen wir auseinandergehen? Es wäre vielleicht besser.
Wladimir: Morgen hängen wir uns auf. Es sei denn, dass Godot käme.
Estragon: Und wenn er kommt?
Wladimir: Sind wir gerettet.


© Dmitri Kasterine 1965

1965 mit Buster Keaton

"Der Film" 
Buch: Samuel Beckett
Darsteller: Buster Keaton


unbekannt

Samstag, 11. Februar 2012

Theater hat auch eine erste Probenwoche


Oh ja, ich bin vorbereitet. Ich stehe im Stoff. Ich habe einen Plan.

Nach wochenlanger Vorbereitung, vielem Lesen, Denken, Grübeln, Sicher- und Sicherer- Werden und einer Konzeptionsprobe mit stundenlangem Reden, Zitieren, Phantasieren stehen da 5 oder 10 oder 2 Schauspieler auf einer staubigen, vollgerümpelten Probebühne mit annähernd aufgebautem Bühnenbild und stammeln, murmeln, kauen Sätze.

Schauen sich an. Lachen wie erwischte Kinder über Mißverständnisse und plötzlich, wenn ausgesprochen, zweideutig klingende Texte. Preschen vor und tändeln zimperlich mit neu gelernten Wörtern, schämen sich und stürzen sich kopfüber in ungekannte Situationen. Sie zippeln am Rock, krampfen sich an Textbüchern fest, schreien mehr oder weniger unmotiviert in die Runde der Mitspieler oder ziehen sich erstmal aufs sichere Standbein-Spielbein-frontal-zur-Rampe-Sonor-Sprechen zurück. Der eine haucht, der andere dröhnt oder knödelt, die dritte überbietet den Weltrekord im Schnellsprechen, ohne sich seines sportlichen Triumphs überhaupt bewußt zu werden. Einer deutet an, ein anderer übertreibt so unmäßig, dass das Wort Dezenz sich mit schockiertem Lächeln von der Probe verabschiedet. Es ist herrlich. Chaos, Krampf und Anarchie.

"Ja, mach nur einen Plan..."

Und plötzlich ist alles anders. Gänzlich anders. Neu. Komplizierter und einfacher zugleich.

Und manchmal, für Sekunden, erahnt man Unerwartetes, riecht man Wahrheit, lüpft die Wahrheit die Maske.

I love Schauspieler.

Einer, 50, Bassstimme, gutaussehend, groß und cool - die Szene - ein Mann soll ein Baby in der Wildnis aussetzen, er wird diesen Befehl ausführen, er pariert, schon im Abgang begriffen, kommt ein BÄR, der schaut in genüßlicher Vorfreude auf das schmackhafte Häppchen. Der Mann bemerkt es, er begreift, er lenkt die Aufmerksamkeit auf sich, er wird vom Bären gefressen werden. Das Baby überlebt.
Schneewittchen in der Art von Shakespeare.
Es ist 11 Uhr morgens in Ingolstadt in Bayern. Noch gibt es weder Baby noch Bären. Später wird eine Windmaschine wehen, der Ton spielt Sturmgeräusche ein. Heute morgen nichts davon, nur eine olle Treppe und ein einzelner Spieler.

I love Spieler.

Freitag, 10. Februar 2012

Edward Hopper - Automat


Die amerikanische Variante der "Ausgezeichneten", mondäner, jünger, aber ebenso einsam. Nur hier sind es die Beine nicht die Füße, die das meiste Licht bekommen. Selbst der Hut ist traurig.

1927


 Der Maler selbst

Der 114. Geburtstag von Bertolt Brecht


Ich mag alle Farben, hauptsache sie sind grau. b.b. (angeblich)


Dauerten wir unendlich
So wandelte sich alles
Da wir aber endlich sind
Bleibt vieles beim alten.
 
Der abgerissene Strick kann wieder geknotet werden 
Er hält wieder, aber 
Er ist zerrissen. 
Vielleicht begegnen wir uns wieder, aber da 
Wo du mich verlassen hast 
Triffst du mich nicht wieder.


Kleines Lied

Es war einmal ein Mann 
Der fing das Trinken an 
Mit achtzehn Jahren und - 
Daran ging er zugrund. 
Er starb mit achtzig Jahr 
Woran, ist sonnenklar.
 

Es war einmal ein Kind 
Das starb viel zu geschwind 
Mit einem Jahr und - 
Daran ging es zugrund. 
Nie trank es: das ist klar 
Und starb mit einem Jahr.
 

Daraus erkennt ihr wohl 
Wie harmlos Alkohol... 


Donnerstag, 9. Februar 2012

Die Ausgezeichnete



Wolfgang Mattheuer, Die Ausgezeichnete (1973)

Ich mag die einsamen, altmodischen beschuhten Füße.

Barbara Thalheim & Streichorchester
http://www.youtube.com/watch?v=qrK99VDtdkw


Rainer Maria Rilke - Über den Dritten


Aus: Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge

. . . Und als ich mein Drama schrieb, wie irrte ich da. War ich ein Nachahmer und Narr, dass ich eines Dritten bedurfte, um von dem Schicksal zweier Menschen zu erzählen, die es einander schwer machten? Wie leicht ich in die Falle fiel. Und ich hätte doch wissen müssen, dass dieser Dritte, der durch alle Leben und Literaturen geht, dieses Gespenst eines Dritten, der nie gewesen ist, keine Bedeutung hat, dass man ihn leugnen muss. Er gehört zu den Vorwänden der Natur, welche immer bemüht ist, von ihren tiefsten Geheimnissen die Aufmerksamkeit der Menschen abzulenken. Er ist der Wandschirm, hinter dem ein Drama sich abspielt. Er ist der Lärm am Eingang zu der stimmlosen Stille eines wirklichen Konfliktes. Man möchte meinen, es wäre allen bisher zu schwer gewesen, von den Zweien zu reden, um die es sich handelt; der Dritte, gerade weil er so unwirklich ist, ist das Leichte der Aufgabe, ihn konnten sie alle. Gleich am Anfang ihrer Dramen merkt man die Ungeduld, zu dem Dritten zu kommen, sie können ihn kaum erwarten. Sowie er da ist, ist alles gut. Aber wie langweilig, wenn er sich verspätet, es kann rein nichts geschehen ohne ihn, alles steht, stockt, wartet. Ja und wie, wenn es bei diesem Stauen und Anstehen bliebe? Wie, Herr Dramatiker, und du, Publikum, welches das Leben kennt, wie, wenn er verschollen wäre, dieser beliebte Lebemann oder dieser anmaßende junge Mensch, der in allen Ehen schließt wie ein Nachschlüssel? Wie, wenn ihn, zum Beispiel, der Teufel geholt hätte? Nehmen wir’s an. Man merkt auf einmal die künstliche Leere der Theater, sie werden vermauert wie gefährliche Löcher, nur die Motten aus den Logenrändern taumeln durch den haltlosen Hohlraum. Die Dramatiker genießen nicht mehr ihre Villenviertel. Alle öffentlichen Aufpassereien suchen für sie in entlegenen Weltteilen nach dem Unersetzlichen, der die Handlung selbst war.
Und dabei leben sie unter den Menschen, nicht diese »Dritten«, aber die Zwei, von denen so unglaublich viel zu sagen wäre, von denen noch nie etwas gesagt worden ist, obwohl sie leiden und handeln und sich nicht zu helfen wissen . . .

R.M. Rilke gemalt von Helmut Westhoff