Sonntag, 6. November 2011

Samstag, 5. November 2011

Der Reigen - Arthur Schnitzler und Claudia Bauer - in Magdeburg

Ja, ja. 5 Frauen, 5 Männer, treffen sich, reden, Dunkel, Sex, Licht wieder an, sie reden noch ein bißchen und Wechsel. Ja, ja.

Trotzdem ein tolles Stück, das ungewöhnlich viele gräßliche Inszenierungen und Verfilmungen über sich ergehen lassen mußte. Ein wenig, als wäre es selber eine seiner enttäuschten Figuren, immer auf der Suche und nie befriedigt.

Die „unerbittliche Mechanik des Beischlafs“ hat es mal ein Rezensent genannt, der unerbittlichen Verbissenheit des erotikfreien Beziehungskrampfers, auch Regisseur genannt, kann man es danken, wenn man, spätestens nach der Hälfte der Duette, gepeinigt von hysterischen Unlustschreien, ungelenkem österreichischen Stammeln und ebensolchem Begrapschen von Brüsten, schon vorher weiss, was demnächst stattfinden wird und wie, und zeitgleich über eine Zukunft als Nonne phantasiert.

Bei Claudia Bauer war es anders. Aufregend, spielwild und genau geführt, und immer etwas anders, als die eigenen Erwartungen es sich ausmalten. In der ersten Szene spricht der Soldat das vorgegebene Österreichisch, der Schauspieler ist aus Graz, und da man dann weiß, wie es klingt, können all die anderen Spieler es lassen, anstatt uns und sich mit dem Schmarn zu quälen.

Der Ort, ein Psycho-Swingerclub für Beziehungsgeschädigte, die Kostüme eine Auswahl höchst schönhäßlicher Unterwäsche inclusive beiger Männer-Kniestrümpfe. Es sind immer alle anwesend. Die Zeit, heute, unter Verwendung historischer Muster.

Die Szenen werden untersucht, angebohrt, ausgekostet, ernstgenommen und sehr komisch in den Exzess getrieben und sind ohne wahllos zu werden, doch jede höchst individuell. Und wenn wir des Bäumchenwechselspiels überdrüssig werden könnten, wird die vorgegebene dramaturgische Form zerrissen, formvollendetes Chaos entsteht.

Ich habe viel gelacht, manchmal etwas zu laut, mich in der verzweifelten emotionalen Unzuverlässigkeit dieser sehnsüchtigen Lustmörder und Lustmordopfer wiedererkennend.

Ein feiner Abend, richtig Theater, ganz verrückt, ganz riskant, ganz genau. 

Der Graf sagt am Ende, nachdem er erfahren hat, dass er volltrunken doch mit der jungen Frau neben der er aufgewacht ist, geschlafen hat:
"Also... Es wär' doch schön gewesen, wenn ich sie nur auf die Augen geküßt hätt'. Das wäre beinahe ein Abenteuer gewesen... Es war mir halt nicht bestimmt."

William Hogarth 1736 

VORHER


NACHHER


„Darf man Stücke verbieten? – Nicht mal, wenn sie schlecht geschrieben sind und schlecht gespielt werden. Hier aber ist ein reizendes Werk, – und es wird annehmbar gespielt. Der Erfolg war gut; die Hörerschaft wurde nicht schlechter davon. Und die Welt ist, zum Donnerwetter, kein Kindergarten. (...) Einen Augenblick Rast und Besinnung! Es wird auf die Dauer zu fad, von allen wichtigsten Begleitumständen der menschlichen Fortpflanzung sich tot zu stellen; sich dumm zu stellen. Eine langdauernde Hypnose. Die Einteilung "Altertum", "Mittelalter", "Neuzeit" ist im Grunde verfrüht. Reigen heißt hier Liebesreigen. Und Liebe heißt hier nicht platonische, sondern... Also: angewandte Liebe. Sie wird angewandt ohne Gröbliches, Lüsternes, Schmieriges zwischen zehn Menschenpaaren. Und zwischen allen Gesellschaftsklassen. Stets das Hinübergreifen von einer Schicht zur andren. Voltaire hat im "Candide" Ähnliches vorgemacht. Die Reihenfolge bei ihm ist: Stubenmädel; Franziskaner; alte Gräfin; Rittmeister; Marquise; Page; Jesuit; Matrose des Columbus... Auch hier ist also von der so oft erstrebten Überbrückung der Klassenunterschiede wenigstens einiges durchgeführt. Die seelische Tragikomik des körperlichen Begebnisses hat ja auch der himmlische Hogarth in zwei Bildern unsterblich festgelegt: "Vorher" und "Nachher" benannt. Die Welt steht immer noch. Nicht Schmutzereien: sondern Lebensaspekte. Auch das Vergängliche des Taumels; das Komisch-Trübe des Schwinden des Trugs. Alles umhaucht von leisem, witzigem Reiz.“
Alfred Kerr: Arthur Schnitzler: "Reigen". Kleines Schauspielhaus. "Der Tag", 24. Dezember 1920

Donnerstag, 3. November 2011

Edvard Munch - In der Hölle

Selbstporträt in der Hölle 1903

Detail

"Malen ist für mich eine Krankheit, ein Rausch.
Eine Krankheit, die ich nicht loswerden will, ein Rausch, den ich brauche."

Selbstporträt mit brennender Zigarette 1895

"Aus meinem verwesenden Körper sollen Blumen wachsen, 
und ich bin in ihnen und das ist Ewigkeit."

Selbstporträt auf dem Operationstisch 1902 

Egon Schiele - Der heilige Sebastian


Ein Plakat für eine Ausstellung seiner Bilder 1915. 
Schiele selbst als Heiliger Sebastian. 
Die Pfeile, Pinseln ähnelnd, richten sich gegen den Künstler oder zum Künstler hin. 
Der Künstler malt sich selbst und malt das Leiden des Künstlers an der Kunst oder für sie?


"Den Künstler hemmen ist ein Verbrechen, es heißt keimendes Leben morden!" 
E. Schiele
Titel eines Bildes von 1912

Die Weber - Jo Fabian und Gerhard Hauptmann in Halle

Die Weber, hochmitleidiges Elendsaufbäumdrama, geschrieben in den achtziger Jahren des Neunzehnten Jahrhunderts, irritiert unsere nachrichten- und spendenaufrufgestählten Nerven mit der Schamlosigkeit seiner Parteinahme. Der übliche ironisierende postdramatische, posthistorische Blick trübt sich und beginnt nach Auswegen zu schielen.
Jo Fabian aber verweigert sich jedem Ausweg, und steigert stattdessen das Leidensmotiv bis ins Unerträgliche und manchmal in die Langeweile des zu gut Begreifens. Anstatt ins Wohlstandselend der realen Bundesrepublik, siedelt er die Ästhetik zwischen Metropolis (Bühne) und alttestamentarischen Märtyrerbildern (Kostüme), die Bilder sind grob, einige großartig, der Sound minimalistischer Repetitionen liegt, für meine Ohren zu durchgängig, unter den "Szenen".
Zu Beginn wird der schleselnde Dialekt wie eine mühselige Fremdsprache behandelt, das ist toll, wird aber leider nicht durchgehalten und da rutscht dann die eine oder andere, der knappen Sprechszenen doch ins naturalistische Klagen. Schade!
Spannend, und ich meine es völlig unironisch, wenn ich sage, dass auch die Tatsache, dass ich zweimal kurz weggenickt bin, zur Qualität des Abends gehört. Eine Meditation über Leid-Bilder.

Emil Orlik - Die Weber Theaterplakat (1897)





Dienstag, 1. November 2011

Herakles und der Alkohol


Peter Paul Rubens 1611 Der betrunkene Herkules
Gemäldegalerie Dresden

Als Herakles eines Abends in Tegea vom Wein betrunken war, vergewaltigte er die Königstochter Auge. Auge wurde schwanger und gebar Telephos und versteckte ihn im Tempelbezirk, was Athene mißfiel: Pest und Hunger kamen über die Stadt. König Aleos, Auges Vater, entdeckte die böse Tat. Auge beteuerte ihre Unschuld, der Vater glaubte ihr nicht. Allerdings scheute er sich, sie zu töten, sondern überantwortete sie König Nauplios, der sie ertränken sollte. Dieser hieß sie in eine Truhe steigen, die auf hoher See ausgesetzt wurde. Diese Truhe wurde jedoch in Mysien an Land gespült, wo König Teuthras Auge bei sich aufnahm.
Das Kind Telephos wurde vom Großvater im Wald ausgesetzt, wo ihn eine Hirschkuh säugte. Als er erwachsen war, folgte er dem Rat des delphischen Orakels und zog nach Mysien zu König Teuthras, der versprach, ihm Auge zur Frau zu geben. Mutter und Sohn bereiteten sich auf die Hochzeit vor, ohne von ihrer Verwandtschaft zu wissen. Aber aus einem unguten Vorgefühl entstand zwischen ihnen eher Haß als Liebe. Da tauchte Herakles auf und enthüllte ihnen die Wahrheit.
Wie immer, gibt es verschiedene Versionen dieser Sage.

Haus des Siricius Pompeii ca. 1. Jahrhundert n.Chr. Betrunkener Herakles

Mit 18 jagte Herkules einen gewaltigen Löwen, der die Herden des Königs Thespius dezimierte. Thespius wollte Enkel von Herakles, als er dessen ungeheure Kraft sah. Jede Nacht schickte er eine seiner 50 Töchter zu dem Helden, um bei ihm zu liegen. Eine andere Version sagt, dass Thespius Herakles betrunken machte und dieser dann an einem Abend mit allen 50 Töchter schlief. Den Löwen hat es auch erlegt.

Herculaneum Haus der Hirsche ca. 1. Jahrhundert n.Chr. 
Betrunkener Herakles

Alcestis opfert sich für ihren, den Tod fürchtenden Gatten Admetos und stirbt vorzeitig an seiner statt. Kurz nach ihrem Tod kommt Herakles zu Besuch in das Haus des Admetos. Aus Sorge als schlechter Gastgeber zu erscheinen, verschweigt der Hausherr den Trauerfall, kümmert sich aber dann nicht recht um seinen Gast. Herakles schmollt, betrinkt sich allein und fängt an sich rüpelhaft aufzuführen. Die Dienerschaft, in Trauer um die geliebte Herrin, ist empört. Als ein Diener Herakles vom Tod der Alkestis informiert, schämt er sich seines ungehörigen Benehmens und will Wiedergutmachung leisten. Er geht, konfrontiert den Tod, ringt mit ihm, befreit Alcestis aus dem Hades und bringt sie dann zu ihrem elenden Feigling von Ehemann zurück.
Euripides "Alcestis"



Montag, 31. Oktober 2011

Contagion - Ansteckung - Steven Soderbergh

Seit Sex, Lies and Videotape, Erin Brokovich und vielleicht Traffic hatte Soderbergh keinen Film mehr gemacht, der mich wirklich interessiert hat. Ocean's 11 bis 24 erschien mir eher, als würde ich einer Gruppe sehr gutaussehender und sicher auch begabter Kerle, beim Feiern und "Jungswitze" machen zusehen, nur dass sie eben sehr berühmte Jungs sind. Der Informant, Che und The Good German fand ich voll guter Absicht, aber ermüdend.
Aber jetzt hat er einen regelrechten Thriller gedreht, spannend, unsentimental und gelegentlich fast dokumentarisch, mit exzellenten Schauspielern, die teilweise erstaunlich früh und unkleidsam an der "contagion" sterben.
Definitiv nichts für Hypochonder, und auch nicht für Leute mit Husten. Ich, die gerade Husten habe, war das Ziel einiger sehr mißtrauischer Blicke.
Ach ja, Jude Law, als undurchsichtiger Blogger, hat sich für die Rolle einen schiefen Zahn angeschafft, der klein und fein, sehr gut funktioniert, um ihn noch zwielichtiger wirken zu lassen.
Und noch ein Zitat: "Blogging, ist kein Schreiben. Sondern nur Graffitti mit Zeichensetzung."
(Blogging is not writing. It's just graffiti with punctuation.)

Apropos Husten:


Wiki: Die Spanische Grippe war eine Pandemie, die zwischen 1918 und 1920 durch einen ungewöhnlich virulenten Abkömmling des Influenzavirus verursacht wurde und mehrere Dutzend Millionen Todesopfer forderte. Der fachwissenschaftlichen Literatur zufolge betrug die Zahl der Todesopfer mindestens 25 Millionen; in ihrer Bilanz in der Fachzeitschrift Bulletin of the History of Medicine vom Frühjahr 2002 kamen die Autoren sogar auf knapp 50 Millionen Todesopfer.
Wirklich kein Film für Hypochonder!




Heute sind wir 7 Milliarden!

Erst 1804 überschritt die Weltbevölkerung eine Milliarde Menschen.

7 Fakten zu 7 Milliarden Menschen

1. 1927 betrug die Weltbevölkerung zwei Milliarden Menschen. Die sechste Milliarde wurde 1999 erreicht.
2. Die Weltbevölkerung wächst jährlich um gut 78 Millionen Menschen, ungefähr die Einwohnerzahl Deutschlands oder Äthiopiens.
3. Weltweit kommen jede Sekunde statistisch gesehen 2,6 Menschen hinzu.
4. 60 Prozent der Weltbevölkerung leben in Asien, 15 Prozent in Afrika; allerdings wird die Bevölkerung Afrikas bis 2015 doppelt so schnell wachsen wie jene in Asien.
5. Die Bevölkerung Europas dürfte um 2025 mit 740 Millionen Einwohnern ihren Scheitelpunkt überschreiten und dann zurückgehen.
6. In den Industrieländern bringt jede Frau im Durchschnitt etwa 1,7 Kinder zur Welt – in den am wenigsten entwickelten Ländern beträgt die Rate etwa 4,2.
7. Am höchsten ist die Rate der Schwangerschaften unter Teenagern südlich der Sahara: Die stieg dort zwischen 2000 und 2007 entgegen dem globalen Trend von 119 auf 121 Geburten pro 1000 Mädchen an.


http://www.20min.ch/wissen/news/story/29414161

Pan und der Ziegenbock

Pan, der Hirtengott, bärtig und gehörnt, mit menschlichem Oberkörper und dem Unterleib eines Ziegenbockes, der, als er Herden in wilder Flucht auseinanderjagte, das Wort Panik entstehen ließ und aber auch der Panflöte ihren Namen gab, und der Pansexualität. Er ist ein naher Verwandter des jüdischen Sündenbockes und mißbrauchtes Vorbild des allseits beliebten christlichen Teufels.
Pan copuliert mit einem Ziegenbock, gefunden in Herculaneum 1. Jahrhunder n. Chr. (Geheimes Museum, Neapel)


Haltung und Gesichtsausdruck des Ziegenbockes könnten in einem Bilderlexikon gut für den Begriff "gottergeben" stehen.


Pan: von griechisch πᾶν, „alles“, „ganz“, „gesamt“, „völlig“ oder paein (πάειν), "to pasture",zu weiden"
 

Sonntag, 30. Oktober 2011

Roger verpatzt es.




Triangel

Wenn Sie einmal in die Oper gehen,
Und sich das Orchester dort besehen,
Vielleicht sehen Sie im fernsten Eck, so zwischen Tür und Angel,
Einen Mann, der spielt ein Instrument, genannt Triangel.
Wenn Sie diesen Mann betrachten, denken Sie an mich,
Denn der Triangelspieler, der bin ich.

Ja, da sitz ich mitten im Orchester drin,
Und halte bereit mein Triangel,
Und endlich zeigt der Dirigent auf mich hin,
Und dann steh ich auf und mach - 

Ich komm erst auf Seite neunundachzig dran,
Ja an Zeit hab ich keinen Mangel,
Ich könnt ja was lesen, doch da schaut er mich an,
Und schon steh ich auf und mach - 

Die Opern kenn ich von hinten nach vorn,
Auch den Wozzek, auch den Rienzi,
Die Partituren kenn ich von Bratsche bis Horn
Und die ganzen schweren Kadenzi. 

Meistens werd ich schläfrig von all dem Getös,
Besonders bei Richard Strauß,
Doch schlafen geht nicht, der Dirigent wär ja bös,
Er braucht mich ja wegen dem -
Ach wär doch die Oper schon aus.

Es ist schwer zu glauben, doch einst war ich jung
Und studierte an der Akademie,
Ich spielte Klavier mit Elan und Schwung,
Meine Technik erregte Begeisterung,
Und man nannte mich ein Genie!
Ich spielte Carnaval und die Sylphiden,
Die Rhapsodien und die Pathétique,
Ich lernte Czernys und Chopins Etüden,
Und ich war jung und liebte die Musik.
Und eines Tags sah ich mit viel Vergnügen
neben den gesamten Werken Glucks
Im Musikgeschäft auch ein Triangel liegen.
Da lachte ich und kaufte es, als Jux.

Und da sitz ich mitten im Orchester drin
Im Schatten der großen Trommeln,
Gleich kommt mein Einsatz, ich schau gar nicht hin,
Ich steh nur auf und mach - 

Die Tschinellen machen einen Riesenkrach,
Ich wär lieber bei den Schrammeln,
Doch jetzt wird es leiser
Und ich mach noch einmal - 

Die Violinen weinen jetzt,
Die Cellos und Bässe ergrimmen,
Die Flöten jubeln, das Glockenspiel lacht -
Ein Triangel kann man nicht einmal stimmen. 

Man wird so nervös und der Sessel ist hart,
Und nie bekomm ich Applaus,
So sitz ich halt da und wart und wart
Bis ich aufstehen darf und mach -
Und dann ist die Oper aus. 

Georg Kreisler