Samstag, 29. Oktober 2022

Im Westen nichts Neues - Im Osten jeden Tag was Neues, Schreckliches.

Granaten, Gasschwaden und Tankflottillen – Zerstampfen, Zerfressen, Tod.
Ruhr, Grippe, Typhus – Würgen, Verbrennen, Tod.
Graben, Lazarett, Massengrab – mehr Möglichkeiten gibt es nicht.

Erich Maria Remarque veröffentlichte 1928 seinen Roman, "Im Westen nichts Neues", den er 1918 als zufällig überlebt habender Soldat der deutschen Armee begonnen hatte zu schreiben. 

Die Geschichte des Soldaten Paul Bäumer von seiner Soldatwerdung bis zu seinem frühen Soldatentod. Der Titel könnte auch "Der vermeidbare Tod des Soldaten Bäumer" sein.

Edward Berger hat den Roman neu verfilmt.

Im Osten was Neues lesen wir seit dem 24. Februar jeden Morgen in unseren Nachrichten. Städte, von denen ich vorher noch nie gehört hatte, sind nun täglicher Teil meiner Lektüre. 

Der Krieg Russlands gegen die Ukraine hat laut Zählungen des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte  bis zum 23. Oktober 2022 mindestens 6.374 Todesopfer in der ukrainischen Zivilbevölkerung gefordert, darunter mindestens 402 Kinder.

https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1297855/umfrage/anzahl-der-zivilen-opfer-durch-ukraine-krieg/

Die Zahl der getöteten Soldaten auf beiden Seiten ist umstritten, aber hoch. Auf jeden Fall sind es viel zu viele Tote. 

"Was ist ein Soldat ohne Krieg?" 

"Ein Mann wird alleine geboren, er lebt allein und er stirbt allein." 

WAS FÜR EIN TRAURIGER DRECK!


Krieg als industriell organisierter Ablauf. Soldaten sterben, werden entkleidet, die Uniformen werden gewaschen, getrocknet, repariert und für neue Soldaten verwendet, die wiederum sterben werden. Das gibt dem Begriff "Secondhand" eine ungemütliche Bedeutung.

Wer wer ist, Freund oder Feind ist nurmehr an der Form der Helme erkenntlich.

Deutsche, die nach 1945 geboren wurden, haben Krieg am eigenen Leib nicht erlebt, wenn sie nicht an Auslandseinsätzen beteiligt waren. Aber meine Freundin ist im Februar 1945 geboren worden, und als dieser neue Krieg im Osten begann, so nah, nicht an exotischen Orten, wie sonst, hat sie intensiv körperlich darauf reagiert. Die Bomben, die das Baby gefühlt hatte, waren in ihr Körpergedächtnis eingebrannt. Ich bin, wie so oft in letzter Zeit, überfordert, Pandemie, Klimakatastrophe, Krieg, es ist zu viel, zu schlimm, zu überwältigend. 

Dreht unsere Welt durch? Wird Irrsinn unsere neue Normalität? Oder war es schon immer so und nun ist es uns privilegierten Europäern erstmals ganz nah an der Haut?

P.S. Albrecht Schuch ist eine Freude. So genau, so differenziert, so glaubwürdig. Daniel Brühl versucht sich an einem seltsamen Dialekt.

Freitag, 28. Oktober 2022

Koreanische Pfannkuchen - PAJEON - Leicht & Lecker

Nichts ist besser, als eine Mahlzeit, die schnell gemacht ist und gut schmeckt, oder? Und Gemüse schnippeln ist mein Yoga. Über die Jahre koche ich mich jetzt durch Asien, was für eine herrliche Reise. 

Die hat begonnen, als ich in Toronto lebte im spanisch-portugiesischen Viertel, mit vielen Bäckereien und bei Strassenfesten sangen sehr, sehr alte Männer italienische Opernarien a capella. Und sie sangen gut. Aber vier Strassen weiter war das koreanische Viertel mit unglaublich vielen Supermärkten, von koreanischen Einwanderern betrieben, die Tag und Nacht schufteten, damit ihre Kinder in der neuen Heimat studieren konnten. In bestimmten Studiengängen waren praktisch alle Studenten asiatischer Herkunft. Vier Strassenbahnstationen weiter war Chinatown. Und vietnamesische, japanische usw. Kanadier lebten auch nicht weit in ihren Stadtteilen. Ich war im Himmel angekommen. Die Bewohner Torontos sind wahrhaftig multikulturell:

Wiki sagt: White: 50.2%  East Asian: 12.7%  (10.8% Chinese, 1.4% Korean, 0.5% Japanese) South Asian: 12.3% Black: 8.5% Southeast Asian: 7.0% (5.1% Filipino) Latin American: 2.8% West Asian: 2.0% Arab: 1.1% Aborginal: 0.7% (0.5% First Nations, 0.2% Metis) Two or more races: 1.5% Other race: 1.3%

Das bringt den Anteil, der Bewohner, die in erster, zweiter oder fünfter Generation aus Asien stammen auf über 36 Prozent mit der unfassbar großen dazu gehörigen Menge an Restaurants. 

Wenn man sich in Kanada vorstellt, ist es völlig normal, die Herkunftsländer seiner Vorfahren und die eigene Religion oder Religionslosigkeit zu benennen. Meinerseits: Polen, Österreich, Sachsen-Anhalt, Jüdin und Atheistin. Berlin hat sich wirklich gebessert, was die Restaurants betrifft, aber von multikulturell sind wir noch weit entfernt. 


ZUTATEN FÜR DIE PFANNKUCHEN 

2 Tassen Mehl oder, besser, 1 Tasse Mehl, 1 Tasse Maisstärke oder Reismehl

2 große Eier leicht geschlagen

1 1/2 Tassen Wasser

Salz

Pfeffer

Frühlingszwiebeln

und je nach Laune Karotten, Chinakohl, praktisch alles, was man schön klein schneiden kann.

Für Nichtvegetarier: Selbst Garnelen wären möglich oder Speck.

Die Eier wie für ein Omlett schlagen und mit dem Mehl und Salz vermischen, Wasser dazugeben, bis der Teig etwas dünner ist, als der übliche Pfannkuchenteig. Dann das sehr klein geschnittene oder geraspelte Gemüse dazu. Die gut geölte Pfanne auf mittlere Hitze stellen und dünne Pfannkuchen braten bis sie sehr knusprig sind, circa 8 Minuten für die eine Seite und dann nochmal drei Minuten für die andere. Wie eine Pizza schneiden und mit den Händen dippen und essen.

FÜR DIE SAUCE ZUM DIPPEN:

1 Esslöffel Soyasauce

1/2 Esslöffel Reisessig

Chiliöl, wenn man es, wie ich, scharf mag.

Pfeffer & Zucker

Sesam schwarz und/oder weiß

ein paar von den geschnippelten Frühlingszwiebeln

Mittwoch, 26. Oktober 2022

Eine Berliner Flaniermeile

In London gibt es lebendige, pulsierende, unterhaltsame Fußgängerzonen, autofreie Bereiche in der Innenstadt, wie Convent Garden oder Neal Street. Sie sind entweder dicht an dicht gefüllt mit Läden oder eine gut geplante Mischung von Cafes, Läden, Museen, Theatern und vielen unterschiedlichen Strassenkünstlern. Menschen, Londoner und Auswärtige schlendern, essen, trinken, kaufen ein, geben viel zu viel Geld aus und amüsieren sich trotzdem. In Paris gibt es solche Gegenden, auch in Florenz und anderswo.

Berlin wollte sowas auch haben. Dazu wurde die Friedrichstrasse zwischen Französischer und Leipziger Strasse vom Senat, ganauer von der Bürgermeisterin und Senatorin für Umwelt, Mobilität, Verbraucher- und Klimaschutz Bettina Jarrasch zur autofreien Zone erklärt. Die Berliner Verkehrssenatorin Frau Jarasch jubelte öffentlich über das beglückende Gefühl, dass diese Flaniermeile in den Flanierenden auslöste. Leider fuhren mittendurch sehr schnelle Fahrradfahrer und außenherum war wenig Unterhaltsames zu finden. Es schien, als wollte man das Gefühl haben, ohne die Arbeit leisten zu wollen. Die Idee wollte man übernehmen, aber nicht die nötige Infrastruktur dafür schaffen. 

Das Ergebnis? Ein menchenleerer, häßlicher Strassenabschnitt, der niemanden erfreut. Und schon gar nicht irgendjemanden anlockt.

Das Quartier 206 ist fast unbenutzt, das riesige ehemalige "Haus der Russischen Kultur" ebenfalls, das Lafayette läuft soso, dann gibt es noch einen kanadischer Fritten Shop, ein Einstein Cafe, ein paar mittelinteressante Läden und jede Menge deprimierende Ödnis, unbequeme Bänke und in ihrer Häßlichkeit kaum zu übertreffende Glasschaukästen vervollkommnen das Ensemble. What the fuck? Wer will hier sein? Und warum sollte er hier sein wollen? Oder sie?

Nach heftiger Kritik wurde jetzt umgedacht. Die Radfahrer werden nun in die Charlottenstrasse umgeleitet und die Markgrafenstrasse darf den gesamten Autoverkehr inclusive der vielen Touristenbusse abfangen. Juche!

 
 Die Flaniermeile am Sonntag, den 16. 10. 2022 um 14:08 Uhr bei 25°.

FLANIEREN: ohne ein bestimmtes Ziel langsam umherschlendern, um andere zu sehen und sich sehen zu lassen, sagt Wiki. Aber warum sollte ich hier herumlaufen? Keiner ist da, der mich sieht, nichts Interessantes ist da zum Ansehen. Und zwischendurch versuchen immer wieder, einige rasende Radler mich zu töten. Gut, die sind weg, wenn die Charlottenstrasse sie übernimmt, aber dadurch wird die Friedrichstrasse leider auch nicht interessanter.

Ich bin unbedingt für eine starke Verminderung des Automobilverkehrs. Bin dafür SUVs für Menschen, die nicht durch unzugängliches Gelände manövrieren müssen, ganz zu verbieten, den Nahverkehr intensiv zu fördern. Ich habe selbst kein Auto mehr und auch, wenn ich selbst nicht Fahrrad fahre, bin ich froh, dass es jetzt so viele andere tun. (Auch wenn einige Idioten sehr aggressiv und unachtsam fahren.) Aber autofreie Strassen müssen eine neue, andere interessante Aufgabe übernehmen, oder? Vielleicht muss das Konzept STADT und VERKEHR neu gedacht werden? Den Nahverkehr weiter ausbauen, die Bahn hin und wieder pünktlich sein lassen, Autofahren für alle, die nicht wirklich darauf angewiesen sind, wie z.B. Pendler, sehr, sehr teuer machen. Meine Freundin sagt, Kapitalismus und echter Klimaschutz schließen einander aus, der eine existiert durch ständiges Produzieren von immer mehr, das gekauft werden oder vernichtet werden muß. (ZARA muß 11 Kollektionen im Jahr anbieten.), der andere verlangt, braucht Einschränkung, Weniger. Wer wird gewinnen, ich befürchte ...

 
Die Flaniermeile am Dienstag, den 18. 10. 2022 um 16:11 Uhr bei 17°
 
NEUESTE ENTWICKLUNG!
 

Susanne Mertens und Philmon Ghirmai, Landesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen Berlin:„Die Friedrichstraße bleibt dauerhaft autofrei. Gut so! Bettina Jarasch folgt dem überwiegenden Wunsch der Nutzer*innen. Sie führt eine sach- und bürger*innenorientierte Politik fort, statt den lauten Stimmen zu folgen, die die Autostadt konservieren wollen. Vier von fünf Befragten sprechen sich für die dauerhafte Sperrung der Friedrichstraße für den motorisierten Verkehr aus. Die Umgestaltung bietet insbesondere Fußgänger*innen mehr Raum und Sicherheit. Der angekündigte Gestaltungswettbewerb des gesamten Areals bis zum Gendarmenmarkt wird die Grundlage für einen fairen Interessenausgleich schaffen. Im Rahmen dessen wird auch der Radverkehr von neuen und größeren Lösungen profitieren."

 Die Flaniermeile am Dienstag, den 25. 10. 22 um 15:54 Uhr bei 17°

ODER:

Bordsteine sollen weichen

Mit einem Gestaltungswettbewerb wolle man unter anderem mehr Grün oder Sitzgelegenheiten ermöglichen, so Jarasch. Auch die Bordsteine könnten entfernt werden, sodass der gesamte Bereich ebenerdig sei. Der Radverkehr werde in die Charlottenstraße verlegt.

Die solle aber auch prinzipiell für Autos befahrbar bleiben, um dort die Parkhäuser erreichen zu können. Nach den Vorstellungen der Verkehrssenatorin sollte der gesamte Stadtraum auch im Umfeld der Friedrichstraße mitgedacht und mit einer italienischen Piazza vergleichbar werden. Durch das geänderte Einkaufsverhalten kämen die Menschen nur noch dann zum Shoppen in die Stadt, wenn sie sich dort auch wohlfühlen.

... Die Einzelhändler in der Friedrichstraße hatten Jarasch zufolge schon vor dem Beginn des Feldversuchs wirtschaftliche Probleme. Deshalb müsse man zusätzliche Kunden anziehen."

  Die Flaniermeile am Samstag, den 22.10. 22 um 10:57 bei 17°

https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/fuer-die-neue-fahrradstrasse-in-mitte-wird-eine-verbindung-fuer-autos-zerstueckelt-charlottenstrasse-almut-neumann-friedrichstrasse-li.277969 

https://www.rbb24.de/politik/beitrag/2022/05/berlin-mitte-friedrichstrasse-piazza-jarasch-verkehr-fussgaenger-radfahrer.html

Montag, 24. Oktober 2022

Ophelia 's got talent in der Volksbühne

Hätte mich jemand ins Theater eingeladen und das zu Erwartende in etwa so beschrieben, nur Frauen, meist nackt, viel Tanz, eine gynäkologische Untersuchung, viel Blut, viel Wasser, viel in Englisch und eine Gruppe Kinder, ich hätte, höchstwahrscheinlich höflich dankend abgelehnt. Gott sei Dank hat mich keiner eingeladen, sondern ich habe Ulrich Seidlers Kritik in der Berliner Zeitung gelesen, der überwältigt und ziemlich fassungslos einen wunderbaren Text geschrieben hat. Ich liebe diesen Kritiker, auch wenn ich, weiß Gott, nicht immer seiner Meinung bin. Aber er liebt. 

https://www.berliner-zeitung.de/kultur-vergnuegen/theater/florentina-holzinger-inszeniert-ophelias-got-talent-mit-hubschraubereinsatz-in-der-volksbuehne-extremer-geht-es-nicht-li.267672

Ich habe sowas, wie das, was ich heute gesehen habe, noch nie gesehen. 

Der Abend ist eine Materialschlacht, Tänzer/Akrobaten/Spieler, die sich völlig verausgaben und dabei gemeinsam Spaß haben, Licht, Musik, Video und mehr Bühnenelemente, als sich ein Stadttheater in zwei Jahren leisten könnte, aber die überwältigende Menge macht Sinn. 

Frau, Flüssigkeiten, Wasserwesen, Kraft, Leid, Ertrinken, Ersaufen, Schwimmen/ Schweben, Sexualität von weiblichen Wesen, Fortpflanzung, Erniedrigung, Schmerz.

Zweimal kommen hilfreiche, männliche technische Mitarbeiter auf die Bühne, freundliche Fremdkörper. Eine Umkehrung der gewöhnlichen Machtverhältnisse.

Das Bühnenbild ist so gigantisch, das es dem Klimawandel gewiss einiges an Hilfe leistet. Aber die Bilder, die entstehen sind magisch.

Es gibt Längen und einige zu offensichtliche Schockelemente, aber, aber was bleibt, ist, dass sich die Spielerinnen sich unterstützen, sich Kraft geben, sich beschützen und mich unterhalten wollen, mich einbeziehen wollen. Nie wird auf mich herabgesehen, ich werde immer berücksichtigt, angesprochen.

Ein Fest, dass Frauen feiert, das Frausein feiert, ohne Sentimentalität und ohne Besserwisserei, aber mit der Gewissheit, das wir Leben erzeugen können. Ein Privileg. Eine Last. Ein Glück.

Im Finale springen kindliche Haie durchs Wasser, das übersät ist mit leeren Wasserflaschen und fordern unsere Zustimmung.

https://www.tagesspiegel.de/kultur/ophelias-got-talent-an-der-volksbuhne-make-up-fur-die-wasserleiche-8652970.html

Manchmal ist er vielleicht zu offensichtlich, aber der Abend hinterlässt Spuren, was mehr ist, als was ich über viele meiner letzten Theaterabende sagen kann. Und ich hatte in keinem Moment das Gefühl belehrt zu werden. Es wurde mit mir gesprochen.

Konzept & RegieFlorentina Holzinger

mit
Melody Alia Saioa Alvarez Ruiz Inga Busch Renée Copraij Sophie Duncan Fibi Eyewalker Paige A. Flash Florentina Holzinger Annina Machaz Xana Novais Netti Nüganen Urška Preis Zora Schemm
Musik
Paige A. Flash Urška Preis Stefan Schneider
Bühne
Nikola Knežević
Licht Design
Anne Meeussen
Videodesign
Melody AliaJens Crull Max Heesen
Dramaturgie
Renée Copraij Sara Ostertag Fernando Belfiore Michele Rizzo
Autor/in
Florentina Holzinger

 

Sonntag, 23. Oktober 2022

TRIANGLE OF SADNESS

Was habe ich da gerade gesehen? Einen gut gemachten Film, den ich letztendlich nicht wirklich mochte. Warum?

Der Titel zuerst: The triangle of sadness, das Dreieck der Traurigkeit, befindet sich in unserem Gesicht waagerecht zwischen den Brauen und dann beidseitig runter zum Beginn des Nasenrückens, ich kannte das bisher als Zornesfalten. Jedenfalls ist diese kleine dreieckige Fläche, die Einbruchstelle des drohenden Alters, das Kainszeichen der gemachten Erfahrungen, der Anfang vom Ende einer Modellkarriere, die der "Held" des Films zu Beginn als gefährdet erlebt.

"The Square" war ein anderer Film dieses Regisseurs, Ruben Östlund, den ich gesehen habe. Eine Satire über den Kunstbetrieb. Soso dachte ich, nicht sehr lustig, aber sehr absichtsvoll.

Nun zum heutigen Abend. Ich habe ein paar Mal sehr gelacht. Sunnyi Melles kotzend und das über lange Zeit und mit sich steigernder Absurdität, ist ein Spaß. Die ideologische Saufszene zwischen Woody Harrelson und Zlatko Buric, der eine als marxistischer Kapitän einer Luxusyacht und der andere als russischer Oligarch mit den Erfahrungen der sozialistischen UdSSR, der mitlerweile erfolgreich mit Düngemitteln handelt, "I deal with shit", ist überaus witzig.

Ich wurde wirklich unterhalten.

Aber. Aber. Ich merkte die Absichten und war dann irgendwie verstimmt. Nahezu jedes zeitgeistige Thema wurde angesprochen und verhandelt und die Pointen, auch die, die funktionierten, jonglierten gekonnt mit meinen, mir nicht angenehmen, aber vorhandenen, zynischen oder fatalistischen Gewissheiten. 

Aber. Aber. Wieder einmal darauf gestossen zu werden, dass in unserer gemeinsamen Welt alles, aber auch wirklich alles, unter dem Aspekt seiner Verkäuflichkeit, seines Warenwertes betrachtet und gewertet wird, ist nicht schlecht.

Rutger Bregman, ein holländischer Historiker wurde zum Wirtschaftsgipfel nach Davos eingeladen. Viele sehr reiche Menschen saßen um ihn herum und fragten, wie sie ihre Spenden, Stiftungen nützlicher machen könnten. Er antwortete ihen: „Ich höre Menschen über Teilhabe und Gerechtigkeit und Gleichheit und Transparenz reden, aber dann spricht kaum jemand über Steuerflucht – und über die Reichen, die einfach nicht ihren gerechten Teil beitragen. Es fühlt sich an, als ob ich auf einer Feuerwehrkonferenz wäre und niemand ist berechtigt, über Wasser reden.“ 

Östlund spielt mit meiner hilflosen Verzweiflung, er teilt sie und darum bin ich erst einmal angetan, aber er meint auch schlauer, wissender, drüberstehender zu sein als ich, und er kann das nicht gut genug verbergen. Er ist "to proud for his pants". Was ich als zu selbstgewiss übersetzen würde. 

Klimakatastrophe, Ukrainekrieg, Coronaepidemie, Rechtspopulismus, das Leid der sogenannten "Dritten Welt" -  keiner von uns hat irgendeine praktische Idee, wie wir alle diese, oder auch nur eines dieser Probleme lösen können, jeder von uns ist erschöpft und unglücklich, aber irgendwie hätte ich in einem Film, der sich all dies als Thema auflädt, mehr Empathie und weniger Selbstgerechtigkeit erhofft.


Mittwoch, 12. Oktober 2022

Warum ich nicht mehr TATORT gucken kann, obwohl ich es gern möchte.

Vorspann und Titelmelodie sind in unser gemeinsames Unterbewusstsein eigelagert, fast jeder große Darsteller, jede große Darstellerin hat in einem mitgespielt, Komissar*in werden ist Ehrenschlag. 

Tatort ist eine Kriminalfilm-Reihe, deren Ausstrahlung 1970 im westdeutschen Fernsehen begann. Ursprünglich als Produktion des Deutschen Fernsehens gestartet, ist sie heute eine Gemeinschaftsproduktion von ARD, ORF und SRF. Bislang erschienen über 1200 Tatort-Filme. Jeder Film erzählt in der Regel eine in sich abgeschlossene Geschichte, in der wechselnd und wiederkehrend ein Ermittler oder ein Team aus Ermittlern in einem Kriminalfall an deutschen, schweizerischen oder österreichischen, meist großstädtischen Schauplätzen ermittelt.

Ich hab es in den letzten Wochen wieder mehr als einmal probiert und bin kläglich gescheitert. Formale Spielereien, aufgebauschte Privatgeschichten, Gesellschaftskritik auf leicht verständlichem Niveau und zu früh durchschaubare Fälle. Warum nur? Whodunnit heißt es im Englischen. Wer hat's getan.

1. Die Geschichte eines guten Kriminalfilms besteht aus einem oder mehreren Verbrechen und der darauffolgenden Suche nach dem Verbrecher, den Verbrechern bzw. den Verbrecherinnen durch Polizist*innen, Detektiv*innen oder anderweitig an der Lösung interessierten Personen.

2. Verbrecher*innen, Verbrechen, Untersuchende. Auflösung. Wer war das Opfer? Wie wurde die Tat getan? Warum wurde die Tat getan? Wer hat sie getan?  Und wie wird er bzw. sie erwischt?

3. Je verzwickter und überzeugender die Motive sind, je überraschender und komplizierter der Prozess der Wahrheitsfindung ist, umso besser.

4. Wobei der Verbrecher, diee Verbrecherin erstmal nur die Person ist, die ein Verbrechen begangen hat, was noch kein Urteil über ihre Beweggründe beinhaltet. 

5. Wobei auch der oder die Untersuchende möglicherweise Täter sein kann.

SUSPENSE - SPANNUNG

Wiki sagt: Suspense (engl. für „Gespanntheit“) leitet sich von lat. suspendere („aufhängen“) ab und bedeutet so viel wie „in Unsicherheit schweben“ hinsichtlich eines befürchteten oder erhofften Ereignisses. Neben anderen Typen der dramatischen Spannung ist dem Suspense die meiste Aufmerksamkeit zuteil geworden, weil er die Spannungserzeugung „mit den geringsten“ Mitteln ist und weil Suspense als intensivstes Mittel der Spannungserzeugung gilt. 

6. Entweder will ich unbedingt wissen wer es war, oder wie es gemacht wurde oder warum es gemacht wurde, oder der Weg oder die Umwege der Aufklärung erzeugen die Spannung.

7. Der/Die nach der Lösung Suchenden, können persönliche Probleme haben, die, sollten aber von Interesse in Bezug auf den Kriminalfall sein, Fehler in der Untersuchung auslösen, Vorurteile oder Voreiligkeit bestärken und ähnliches, zum Beispiel, die Depressionen eines Ermittlers, einer Ermittlerin sollten die Ermittlung verändern oder sind letztendlich überflüssig.

8. Verbrecher*innen und Verbrechensjäger*innen sollten interessante Charaktere sein, aber nicht interessanter als ihre Taten, bzw. die Ermittlungen. 

9. Miss Marple, Hercule Poirot, Inspektor Maigret, Adam Dalgliesh, Sherlock Holmes, Philipp Marlowe, Lord Peter Wimsey, Columbo, Dr. Temperance “Bones” Brennan, Inspektor Jury, Perry Mason, Dave Robicheaux, Harry Bosch, Bobby Goren, Inspector Alan Grant, Lennie Briscoe und und und. Warum sind sie anders als Tatortkomissare? 

10. Eine soziale, bzw. politische Komponente kann anfallen, muß aber Teil des Kriminalfalls sein und ihn nicht ersticken oder gar ersetzen.

Die meisten TATORTE sind langweilig, finde ich, weil sie sich nicht für ihr eigenes Genre interessieren.


Dienstag, 11. Oktober 2022

Patientenimpressionen 5

Die Operation ist jetzt 14 Wochen her und ich laufe seit vier Wochen ohne Krücken, steige Treppen, manchmal flotter, manchmal nicht so sehr, gehe zur Heilgymnastik und treibe dort Sport, bin ein braver Patient, freue mich meiner nicht-mehr-schmerzenden Hüfte. Dafür piekst oder zieht es jeden Tag woanders. Verschiedenste Muskelkater, Hilferufe lang unbenutzter Sehnen, was auch immer, eine nicht vorhersehbare Wundertüte, ist interessant wieviele Körpereinzelteile es mir ermöglichen, mich überhaupt zu bewegen.

Mein linkes Bein verhält sich mehr als vorbildlich, meckert nicht und kommentiert viele Jahre der Überbelastung nur mit gelegentlichem Knieknacken. Mein rechtes Bein, das operierte, ist wie ein Kind, das plötzlich, auf die Schnelle, zu viele neue, bzw. vergessene Dinge lernen soll, aber es gibt sich wirklich Mühe. Hey, zehn Jahre Schonhaltung hinterlassen natürlich eine tiefe Spur.

Kürzlich habe ich den Trainingsraum mit einer gleichaltrigen, viel dünneren und ebenso durchtrainierteren Dame geteilt, kein schöner Anblick. So viel Ernst, Mangel an Vergnügen und Körperfeindlichkeit kann nicht wirklich zur Gesundung beitragen.

Es war ein Abenteuer, sie haben mir einen Knochen abgesägt, steckten ein künstliches Ding in mich und machten mich wieder ganz. Der Vorgang ist absurd und wunderbar und ganz und gar ein Ding der modernen Wissenschaft, die ich liebe, den sonst würde meine Hüfte immer noch schmerzen. Ja, vielleicht kein Spagat mehr, aber ich habe mir heute selber, ohne Hilfe, die Zehennägel geschnitten!

Jetzt gehe ich zur IRENA. Intensiver Rehabilitationsnachbehandlung. 

Drei Jahre bis ich wieder im Normalzustand bin. Ein halbes bis es mir nicht mehr wirklich auffällt.

Ich werde 67 Jahre alt sein, wenn nichts dazwischen kommt, wenn ich wieder auf dem alten Stand bin. 

Aber bis dahin bin ich schmerzfrei.