Donnerstag, 9. Oktober 2014

Theater vermeidet die eigenen Ängste

 
  Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe 

  den ersten Stein auf sie.        Johannes 877 Luther 1912

   Meine Schwester nannte mich früher des öfteren "Harmonieschnittchen", und 
   hatte wohl Recht damit, ich hätte nahezu alles getan, um nicht in Konflikte zu 
   geraten. Heute, viele Jahre später, kann ich weit besser streiten, weiß mehr 
   um die Notwendigkeit einer eigenen Haltung und kann sie selbstbewußter
   und unangestrengter vertreten und, gelegentlich, sogar ändern oder 
   aufgeben.

   ABER, immer wieder, dieses ABER, wie vermeide ich den eingebauten 
   Schutzreflex in meiner Arbeit? Wie umgehe ich, den, unbewußten, Versuch 
   meine wirklichen Ängste, Feigheiten, Schwächen elegant zu umschiffen, sie 
   eitel zu verkleiden oder ironisierend klein und gefällig zu machen?

   In den Arbeiten Anderer sehe ich das sofort. Da wird sich gedrückt, es 
   werden Figuren, ihre Reaktionen und Nöte lächerlich gemacht, Hoffnungen 
   als von vornherein idiotisch dargestellt und existentielle Verluste in 
   lächerliche und vorhersehbare Niederlagen umgewandelt. Besserwisserei 
   statt riskantem offenen Austausch. Urteile werden gefällt, Schubladen sauber 
   geöffnet, geordnet und geschlossen, und ich, in diesem Fall Zuschauer, 
   werde mit leichter Hand belehrt, verurteilt, abgewatscht und gänzlich unter 
   Wert behandelt. Überhaupt, die trendige Allzweckwaffe Ironie, sie schützt vor 
   jedweder Eigenbeteiligung. "Ich bin raus, es ist nicht wirklich so gemeint und 
   wenn doch, dann kann ich es jederzeit mit einem bösen Kichern widerrufen."
   Genannt wird es postdramatisch, eines der blödesten Wortschöpfungen 
   überhaupt, als würde die Erschöpfung einzelner Philosophen, die Verzweiflung
   real existierender Menschen außer Kraft setzen. 

   Wenn ich mich mit mir fremden Menschen über meine Fassungslosigkeit 
   im Angesicht der Welt verständigen will, darf ich mich nicht raushalten, und
   so schwanke ich zwischen eifrigem Selbstschutz und voyeristischer
   Entäußerung und gefährde mich und bin froh, dass ich es noch kann und
   Spieler finde, die bereit sind mit mir zu springen. 



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