Mittwoch, 9. Oktober 2013
Theater hat auch eine Probensituation
Wir probieren Richard II. von William Shakespeare.
Der gottgewählte König Richard II. wird mit unerhörten Forderungen eines seiner Untertanen konfrontiert. Sein Gefolgsmann York läuft zum Gegner über. Der Noch-König wirft überraschend seine Krone den völlig verwirrten Herausforderern vor die Füsse und schlägt nebenbei Yorks Kopf hart auf den Verhandlungstisch. Der König erklärt sich zum Nicht-König. Er setzt sich selber ab. ("Das trifft nach meiner Kenntnis … ist das sofort, unverzüglich" - Schabowsky am 9.11.1989) - gänzliche bühnenweite Verwirrung!
Alles ist plötzlich neu, neuer König, neue Loyalitäten. York hat Nasenbluten vom Zusammentreffen seines Kopfes mit dem Tisch und er ist ein Überläufer, ihm ist also nicht wirklich zu vertrauen und seine Nase hört nicht auf zu bluten. Eine Kollegin bietet ihm Tampons zum Stillen der Blutung an. York, im verzweifelten Versuch, seine noch frische Treue zum neuen König zu beweisen, wirft seinen Sohn dem neuen Wolf zum Fraß vor - während er Tampons in den Nasenlöchern stecken hat.
Das wird sicher bei der Premiere so nicht stattfinden, sicher nicht. Aber die Erinnerung an den panischen Mann, der verlangt, dass sein Sohn wegen Hochverrats, also der Treue zu eben dem König Richard II., dem er selbst nur kurze Zeit zuvor selbst noch diente, hingerichtet wird, während ihm die blauen Bänder zweier o.b. Tampons vor dem angestrengt Hass produzierenden Mund hängen, wird als surrealer Schatten hinter der irgendwann endgültigen Szene bleiben, nie gesehen und doch vorhanden.
Diese Beschreibung macht vielleicht nicht sehr viel Sinn für die, die bei unserer Probe nicht anwesend waren, aber ich hatte heute den Gedanken, dass die Dinge hinter den Dingen, das Ungesagte doch Mitgedachte, das Nicht-Jetzt-Stattfindende doch Erinnerte, einstmals Erfahrene oft genauso stark sind, wie das, was wir wirklich erleben, ob im Leben oder im Theater.
Das Jetzt ist immer nur scheinbar nur ein Jetzt.
Die Probe wurde übrigens wegen nicht beendbaren Lachkrämpfen vorzeitig beendet.
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen