Montag, 5. August 2013
Respekt und Terror
Bevor meine Mutter mich mit 17 in die damals noch recht enge Welt schickte, gab sie mir einen Satz, sozusagen als Rettungsanker, mit: "Was immer Menschen miteinander tuen, solange alle Beteiligten damit einverstanden sind, ist niemals unmoralisch".
Das klingt simpel und trifft genau. Keine Vorurteile, keine Urteile - Respekt als existentielles Lebensmotto. Ich muß nicht verstehen, aber ich muß auch nicht darüber urteilen, was Andere tun. Und ich muß mich dem Urteil Anderer nicht unterwerfen. Meine Mutter ist eine kluge Frau.
Die Verführung ist stark, die eigene Lebensweise, als die beste aller möglichen anzusehen. Aber, nix da. Wiki sagt: eine respektvolle Haltung schließt bedenkenloses egoistisches Verhalten aus. Bedenken sind etwas Gutes, ich be-denke, was der Andere wünscht, begehrt, braucht. Und ich gehe dabei nicht von meinen Wünschen, Vorlieben und Geschmäcklichkeiten aus, sondern bemühe mich, dass heißt, ich gebe mir Mühe, strenge mich an, sein Universum zu achten, ihm Beachtung und Aufmerksamkeit zu schenken.
Rußlands Regierung hat sich gegen einen respektvollen Umgang mit einem Teil seiner Bevölkerung entschieden. Ob Mann mit Mann, Frau mit Frau oder wer auch immer mit wem auch immer er begehrt, Sex hat, geht aber den Staat nichts an. Gibt es Gewalt, muß er einschreiten. Wird Macht mißbraucht, ebenfalls. Aber ansonsten soll er sich um den Zustand der Straßen, Schulen, Krankenhäuser kümmern, Mörder verhaften, Kindergärten bereitstellen und sich ansonsten nicht in unser Leben mischen.
Wenn wir also nächstes Jahr nach Sotschi zur Olympiade fahren und uns einreden, dass ein kurzzeitiges Aussetzen, ein Pausieren, ein Ein-Auge-Zudrücken unseres Demokratieverständnisses, uns nicht beschädigt, dann verlieren wir jede Glaubwürdigkeit, die wir uns möglicherweise erarbeitet heben.
Ein Boykott? Wäre Kontaktabbruch nicht sogar konterproduktiv? Ich erinnere mich, wie wichtig und spannend in der DDR Begegnungen mit Leuten aus der anderen Welt waren. Frischluft. Und eine Absage ginge auf Kosten der Sportler, die hart trainieren und für Höchstleistungen nur ein kleines Alters-Zeitfenster haben. Also ein Kompromisslösung. Und was wäre das?
Aber schweigendes Hinnehmen, widerspruchsloses opportunistisches Abknicken finde ich unerträglich und gefährlich. Ja, gefährlich, weil wir grundsätzliche Rechte für disponibel erklären, und wenn wir damit erst einmal anfangen, können wir nicht sicher sein, wo es endet, oder?
Das Gesetz hat die Menschen nicht um ein Jota gerechter gemacht; gerade durch ihren Respekt vor ihm werden auch die Wohlgesinnten jeden Tag zu Handlangern des Unrechts."
Henry David Thoreau, Über die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat
Ein wirklich gut geschriebener Artikel zum Thema:
http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/silke-burmester-ueber-homophobie-und-die-winterspiele-in-sotschi-a-914547.html
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