Montag, 23. Mai 2011

Weltende - Jakob van Hoddis

Weltende

Dem Bürger fliegt vom spitzen Kopf der Hut,
In allen Lüften hallt es wie Geschrei.
Dachdecker stürzen ab und gehn entzwei,
Und an den Küsten – liest man – steigt die Flut.

Der Sturm ist da, die wilden Meere hupfen
An Land, um dicke Dämme zu zerdrücken.
Die meisten Menschen haben einen Schnupfen.
Die Eisenbahnen fallen von den Brücken. 

Jakob van Hoddis


18. Mai 1910, der Halleysche Komet passiert die Erde, wie er es alle 76 Jahre eben tut. Ein kleiner Teil der Menschheit bereitet sich auf den Weltuntergang vor. Der Gasmaskenhandel blühte und auch der mit Comet-Pillen, gegen die zu erwartende Sättigung der Atmosphäre mit Blausäure. Andere Teile der Menschheit vergnügten sich auf Comet-Parties.


3 Kommentare:

  1. Vor hundert Jahren van Hoddis. Davor die Romantik...weiter, weiter...die Bibel, die Mythen....und davor und noch weiter zurück...
    Die Welt könnte untergehen, seit Menschen Angst um ihr Leben haben. Meinen kleinen unvermeidbaren Tod, der für mich ja der wichtigste ist, vergrößern. Auch eine Art des kollektiven Selbstmordwunschs.

    AntwortenLöschen
  2. Alexander Höchst25. Mai 2011 um 12:04

    Der Unterschied; heute genügt ein Druck auf den Knopf oder ein ordentlicher Supergau, um die Welt zu zerstören... Die Angst vor dem Weltuntergang ist wahrscheinlich so alt wie die Menschheit. Nur war die Welt der alten Völker viel kleiner und die Angst vor ihrem Untergang hatte eine Funktion, nämlich das nicht zu tun, was sie zerstört. Es gab Tabus und andere Rituale, um ihre Gesellschaft zu erhalten. 
    Was jetzt geschieht ist kein kollektiver Selbstmord; für Mord braucht es einen Vorsatz und ein Motiv. Beides gibt es nicht. Es ist schlichtweg die Unfähigkeit der humanen Gesellschaften und so des Einzelnen, gemeinsam der Bedrohung ihrer Existenz entgegen zu wirken. Ein selbst verschuldeter Unfall. Die Überforderung ist perfekt. Keine Rückversicherung der Welt würde die Menschheit versichern, was sie aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten durchaus tun sollte, da es nach der vernichtenden Katastrophe niemanden gibt, die Ansprüche ein zu fordern; ein Bombengeschäft...

    AntwortenLöschen
  3. Ich hatte unpräzise formuliert. Nicht kollektiver Selbstmordwunsch, eher eine Art verständlichen und anmaßenden Urwunschs: wenn schon, dann wenigstens komplett, eine Welt ohne mich mag ich mir nicht vorstellen.
    Und
    natürlich bin ich auch ganz und gar davon überzeugt, dass die Erdwelt noch nie so gefährdet war wie heute.

    AntwortenLöschen