Donnerstag, 25. August 2011

Was man so alles überlebt

Eine Frau wurde in Berlin zusammengeschlagen. Sie hat keine Erinnerung an den Überfall. Sie ist Journalistin und berichtet darüber.

http://www.zeit.de/2010/49/Ueberfall-Gewalt-Jugendkriminalitaet


Was man so alles überlebt

Ich frage mich oft,
und ich geh mir dabei selbst auf die Nerven,
denn es ist eine Frage in mehreren Strophen:
warum werfen uns seelische Katastrophen
nicht um?
Gewiss, sie tun es schon,
aber sozusagen auf Raten.
Wenn wir zum Beispiel bei einem Unfall
gründlich unter die Räder geraten,
ist das eine einmalige Sache.
Und der Tod
kommt
prompt.

Wenn uns hingegen,
na, sagen wir es blumig, das so genannte Rad des Lebens
zermalmt - ist da wohl das richtige Wort,
dann geschieht das keineswegs sofort.
Das Unglück läppert sich
mit oder ohne Schuld.
Die Katastrophe spricht mit zynischem Gähnen:
Geduld, Geduld,
du wirst dich schon an mich gewöhnen.
Wenn das, was wir Liebe zu nennen gewohnt sind, stirbt,
geschieht das auch nicht an einem Tag.
Sondern nur so schrittweise,
Tag um Tag vielleicht ein tausendstel Millimeter -
sonst gäb´s chronische Epidemien von gebrochenen Herzen.
So aber verschmerzen wir´s fast.
Und später
lächeln wir fast unter Trümmern und Scherben
über so manches vernarbte Ade.
Denn der Tod tut nicht weh.
Nur das Sterben.
 
Mascha Kaleko
aus „In meinen Träumen läutet es Sturm“


Das Einhorn


Hiob 39 9-12
Meinst du das Einhorn werde dir dienen und werde bleiben an deiner Krippe? Kannst du ihm dein Seil anknüpfen, die Furchen zu machen, daß es hinter dir brache in Tälern? Magst du dich auf das Tier verlassen, daß es so stark ist, und wirst es dir lassen arbeiten? Magst du ihm trauen, daß es deinen Samen dir wiederbringe und in deine Scheune sammle?

Das Einhorn in Gefangenschaft *

IV
O dieses ist das Tier, das es nicht gibt.
Sie wußtens nicht und habens jeden Falls
- sein Wandeln, seine Haltung, seinen Hals,
bis in des stillen Blickes Licht - geliebt.

Zwar war es nicht. Doch weil sie's liebten, ward

ein reines Tier. Sie ließen immer Raum.
Und in dem Raume, klar und ausgespart,
erhob es leicht sein Haupt und brauchte kaum

zu sein. Sie nährten es mit keinem Korn,

nur immer mit der Möglichkeit, es sei.
Und die gab solche Stärke an das Tier,

daß es aus sich ein Stirnhorn trieb. Ein Horn.

Zu einer Jungfrau kam es weiß herbei -
und war im Silber-Spiegel und in ihr.


Rainer Maria Rilke Sonette an Orpheus

* 1495–1505 Niederlande Wandteppich

Raffael ca. 1505-06 Porträt einer jungen Frau mit dem Einhorn
Das Einhorn, ein fabelhaftes Thier, das einem Pferde gleichen, auf der Stirn aber ein langes, gerades Horn von der feinsten Elfenbeinsubstanz tragen soll, überaus rasch, gewandt und wild; es soll in Africa und Asien existirt haben, jeden Menschen tödten, dem es begegnet, nur vor einer reinen Jungfrau sich beugen, von ihr sich wie ein zahmes Hausthier lenken lassen. Zähne des Narvals wurden sonst häufig für Hörner dieses Thieres ausgegeben, beinahe mit Gold aufgewogen, indem man glaubte, ein Becher, daraus gedreht, sei das sicherste Mittel gegen Vergiftung, weil hineingebrachte Gifte schäumen und aufbrausen sollten. Neuerdings wird von Einigen wieder die Möglichkeit der Existenz des E.s behauptet.
Vollmer, Wilhelm: Wörterbuch der Mythologie. Stuttgart 1874, S. 181.

Einhorn, 1970 Tate Gallery, London, (c) Rebecca Horn
Wikipedia: Angeblich können die Tränen des Einhorns Versteinerungen lösen. Es soll Tote zurück ins Leben holen können, und wer das Blut eines Einhorns trinkt, wird angeblich unsterblich, führt aber von diesem Punkt an ein unglückliches und verfluchtes Leben. In einigen Erzählungen heißt es auch, dass ein Einhorn ein karges und/oder verwüstetes Land wieder zum Blühen bringt, sobald es dessen Grenzen überschreitet.

Mosaik ca. 1213 Basilika S. Giovanni Evangelista, Ravenna
Das Einhorn, des -es, plur. die -hörner, von dem Zahlworte ein. 1. Ein Thier, welches nur ein einziges Horn hat. Ein vierfüßiges Thier, welches nur ein einziges langes spitziges Horn vor der Stirn haben soll, und von welchem die ältern und neuern Schriftsteller allerley Erdichtungen erzählet haben. Gemeiniglich gibt man ihm die Gestalt eines Pferdes; wenigstens wird es in den Wappen noch auf diese Art abgebildet.
Der einhurn in megede schose
Git dur kuische sinen lib,
Dem wild ich mich wol genose, u.s.f.
Burkart von Hohenfels.
...Da sich dieses Thier, welches die Alten unter dem Nahmen des Einhornes unter so mancherley und oft figürlichen Gestalten beschrieben haben, in den neuern Zeiten nirgends finden wollen, so haben einige eine Art wilder Judianischer Waldesel, andere eine Art großer zweyhörniger Arabischer Ziegen, und noch andere das Rhinoceros oder Nasehorn für das Einhorn der heil. Schrift gehalten. Wenigstens ist das Nasehorn von ältern Schriftstellern mehrmahls mit dem Nahmen eines Einhornes beleget worden. In den Moseeischen Glossen wird Einhurn ausdrücklich durch Rhinoceros erkläret. Dalechamp zählet in seinen Anmerkungen über den Plinius sieben Arten vierfüßiger Einhörner, an welchen aber Kenner des Thierreiches noch manches auszusetzen haben. 2) Der Narwall, eine Art großer Fische in den nordischen Gewässern, der einen langen hervor ragenden gewundenen Zahn an der linken Seite des obern Kinnlade hat, Monodon. L. wird von einigen gleichfalls Einhorn oder Einhornfisch genannt. Er ist 16 bis 22 Fuß, sein Zahn oder Horn aber 9 bis 10 Fuß lang, und läuft vorn spitzig zu. 2. Das Horn dieses Thieres, besonders des Fisches, dessen Zahn von Unwissenden unter den Alten und Neuern für das Horn eines vierfüßigen Thieres gehalten worden, und die meisten Fabeln von dem Einhorne veranlasset hat. Wenigstens sind die meisten so genannten Einhörner, die man in der Erde gefunden hat, nichts als die jetzt gedachten Zähne des Narwalls. 3. Figürlich, eine Art langer Kanonen von kleinem Caliber, welche sehr weit tragen, und von einem Russischen Officier, Nahmens Schuwalow, erfunden worden, und daher auch Schuwalowsche Einhörner heißen.Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 1. Leipzig 1793, S. 1709-1710. 

Das Einhorn

Das Einhorn lebt von Ort zu Ort
nur noch als Wirtshaus fort.

Man geht hinein zur Abendstund
und sitzt den Stammtisch rund.

Wer weiß! Nach Jahr und Tag sind wir
auch ganz wie dieses Tier

Hotels nur noch, darin man speist -
(so völlig wurden wir zu Geist).

Im "Goldnen menschen" sitzt man dann
Und sagt sein Solo an ...

Christian Morgenstern
Albertus Magnus De animalibus Holzschnitt 1545.

Mittwoch, 24. August 2011

XXIV. VIII. LXXIX - Pompeii verschüttet!


Brief des siebzehnjährigen Plinius des Jüngeren an Tacitus:

Plinius der Jüngere
 ...Mein Onkel befand sich in Misenum , wo er persönlich das Kommando über die Flotte hatte.
Am 24. August meldet ihm ungefähr um 13 Uhr meine Mutter, es zeige sich eine Wolke von ungewöhnlicher Größe und Gestalt. Er hatte sich gesonnt, kalt gebadet, dann im Liegen etwas zu sich genommen und studierte. Er forderte seine Sandalen und bestieg eine Anhöhe, von der aus man die sonderbare Erscheinung am besten beobachten konnte.
Die Wolke erhob sich - von welchem Berg, konnte man von weitem nicht eindeutig erkennen (dass es der Vesuv war, erfuhr man erst später) - in einer Gestalt, die mit keinem Baum besser zu vergleichen war als mit einer Pinie. Denn sie schien auf einem sehr langen Stamm in die Höhe zu steigen und sich in einige Zweige zu verbreitern; wahrscheinlich, weil sie anfangs durch den frischen Druck in die Höhe stieg und sich dann, als jener nachließ, senkte oder sich durch ihre eigene Schwerkraft in die Breite ergoss. Sie war bisweilen weiß, bisweilen schmutzig und gefleckt, je nachdem ob sie Erde oder Steine mit sich führte.
Als einem Mann mit wissenschaftlichen Interessen erschien ihm die Sache bedeutsam und wert, aus grösserer Nähe betrachtet zu werden. Er befahl, ein Boot bereitzumachen, mir stellte er es frei, wenn ich wollte, mitzukommen. Ich antwortete, ich wolle lieber bei meiner Arbeit bleiben, und zufällig hatte er mir selbst das Thema gestellt. 
Der Vesuv auf einem pompeianischen Fresco
Beim Verlassen des Hauses erhielt er ein Briefchen von Rectina, der Frau des Cascus, die sich wegen der drohenden Gefahr ängstigte (ihre Villa lag am Fuss des Vesuv, und nur zu Schiffe konnte man fliehen); sie bat, sie aus der bedenklichen Lage zu befreien. Daraufhin änderte er seinen Entschluss und vollzog nun aus Pflichtbewusstsein, was er aus Wissensdurst begonnen hatte. Er liess Vierdecker zu Wasser bringen, ging selbst an Bord, um nicht nur Rectina, sondern auch vielen anderen zu Hilfe zu kommen, denn die liebliche Küste war dicht besiedelt. Er eilte dorthin, von wo andere flohen, und hielt geradewegs auf die Gefahr zu, so gänzlich unbeschwert von Furcht, dass er alle Phasen, alle Erscheinungsformen des Unheils, wie er sie mit den Augen wahrnahm, seinem Sekretär diktierte.
Garten der Flüchtenden Pompeii
Schon fiel Asche auf die Schiffe, immer heisser und dichter, je näher sie herankamen, bald auch Bimsstein und schwarze, halbverkohlte, vom Feuer geborstene Steine, schon trat das Meer plötzlich zurück, und das Ufer wurde durch Felsbrocken vom Berge her unpassierbar. Einen Augenblick war er unschlüssig, ob er umkehren solle, dann rief er dem Steuermann, der dazu geraten hatte, zu: ªDem Mutigen hilft das Glück, halt auf Pomponianus zu!´ Dieser befand sich in Stabiae, am anderen Ende des Golfs - das Meer drängt sich hier in sanft gekrümmtem Bogen ins Land-; dort hatte er, obwohl noch keine unmittelbare Gefahr bestand, aber doch sichtbar drohte und, wenn sie wuchs, unmittelbar bevorstand, sein Gepäck auf die Schiffe verladen lassen, entschlossen zu fliehen, wenn der Gegenwind sich legte. Dorthin fuhr jetzt mein Onkel mit dem für ihn günstigen Winde, schloss den Verängstigten in die Arme, tröstete ihn, redete ihm gut zu, und um seine Angst durch seine eigene Ruhe zu beschwichtigen, liess er sich ins Bad tragen. Nach dem Bade ging er zu Tisch, speiste seelenruhig oder - was nicht weniger grossartig ist - anscheinend seelenruhig. Inzwischen leuchteten vom Vesuv her an mehreren Stellen weite Flammenherde und hohe Feuersäulen auf, deren strahlende Helle durch die dunkle Nacht noch gehoben wurde. Um das Grauen der anderen zu beschwichtigen, erklärte mein Onkel, Bauern hätten in der Aufregung ihre Herdfeuer brennen lassen, und nun ständen ihre unbeaufsichtigten Hütten in Flammen. Dann begab er sich zur Ruhe und schlief tatsächlich ganz fest, denn seine wegen seiner Leibesfülle ziemlich tiefen, lauten Atemzüge waren vernehmlich, wenn jemand an seiner Tür vorbeiging. Aber der Boden des Vorplatzes, von dem aus man sein Zimmer betrat, hatte sich, von einem Gemisch aus Asche und Bimsstein bedeckt, schon so weit gehoben, dass man, blieb man noch länger in dem Gemach, nicht mehr hätte herauskommen können. So weckte man ihn denn; er trat heraus und gesellte sich wieder zu Pomponianus und den übrigen, die die Nacht durchwacht hatten. Gemeinschaftlich berieten sie, ob sie im Hause bleiben oder sich ins Freie begeben sollten, denn infolge häufiger, starker Erdstösse wankten die Gebäude und schienen, gleichsam aus ihren Fundamenten gelöst, hin- und herzuschwanken. Im Freien wiederum war das Herabregnen ausgeglühter, allerdings nur leichter Bimsstein-Stückchen bedenklich, doch entschied man sich beim Abwägen der beiden Gefahren für das letztere, und zwar trug bei ihm eine vernünftige Überlegung über die andere den Sieg davon, bei den übrigen eine Befürchtung über die andere. Sie stülpten sich Kissen über den Kopf und verschnürten sie mit Tüchern; das bot Schutz gegen den Steinschlag.
Plinius der Ältere
 Schon war es anderswo Tag, dort aber Nacht, schwärzer und dichter als alle Nächte sonst, doch milderten die vielen Fackeln und mancherlei Lichter die Finsternis. Man beschloss, an den Strand zu gehen und sich aus der Nähe zu überzeugen, ob das Meer schon gestatte, etwas zu unternehmen. Aber es blieb immer noch rauh und feindlich. Dort legte mein Onkel sich auf eine ausgebreitete Decke, verlangte hin und wieder einen Schluck kalten Wassers und nahm ihn zu sich. Dann jagten Flammen und als ihr Vorbote Schwefelgeruch die andern in die Flucht und schreckten ihn auf. Auf zwei Sklaven gestützt, erhob er sich und brach gleich tot zusammen, vermutlich weil ihm der dichtere Qualm den Atem nahm und den Schlund verschloss, der bei ihm von Natur schwach, eng und häufig entzündet war. Sobald es wieder hell wurde - es war der dritte Tag von dem an gerechnet, den er als letzten erlebt hatte -, fand man seinen Leichnam unberührt und unverletzt, zugedeckt, in den Kleidern, die er zuletzt getragen hatte, in seiner äusseren Erscheinung eher einem Schlafenden als einem Toten ähnlich.

Derweilen hatten ich und meine Mutter in Misenum - doch das ist belanglos für die Geschichte, und Du hast ja auch nur vom Ende meines Onkels hören wollen. Also Schluss! Nur eines will ich noch hinzufügen: ich habe alles, was ich selbst erlebt und was ich gleich nach der Katastrophe - dann kommen die Berichte der Wahrheit noch am nächsten - gehört hatte, aufgezeichnet. Du wirst das Wesentliche herauspicken, denn es ist nicht dasselbe, ob man einen Brief schreibt oder Geschichte, ob man an einen Freund oder für die Allgemeinheit schreibt.

Leb wohl!


...Erat Miseni classemque imperio praesens regebat. Nonum kal. Septembres hora fere septima mater mea indicat ei adparere nubem inusitata et magnitudine et specie. Usus ille sole, mox frigida, gustaverat iacens studebatque; poscit soleas, ascendit locum ex quo maxime miraculum illud conspici poterat.
Nubes - incertum procul intuentibus, ex quo monte (Vesuvium fuisse postea cognitum est) - oriebatur, cuius similitudinem et formam non alia magis arbor quam pinus expresserit. Nam longissimo velut trunco elata in altum quibusdam ramis diffundebatur, credo quia recenti spiritu evecta, dein senescente eo destituta aut etiam pondere suo victa in latitudinem vanescebat, candida interdum, interdum sordida et maculosa prout terram cineremve sustulerat.
Magnum propiusque noscendum ut eruditissimo viro visum. Iubet liburnicam aptari; mihi si venire una vellem facit copiam; respondi studere me malle, et forte ipse quod scriberem dederat. Egrediebatur domo; accipit codicillos Rectinae Tasci imminenti periculo exterritae (nam villa eius subiacebat, nec ulla nisi navibus fuga): ut se tanto discrimini eriperet orabat. Vertit ille consilium et, quod studioso animo incohaverat, obit maximo.
Deducit quadriremes, ascendit ipse non Rectinae modo sed multis (erat enim frequens amoenitas orae) laturus auxilium. Properat illuc unde alii fugiunt, rectumque cursum recta gubernacula in periculum tenet adeo solutus metu, ut omnes illius mali motus omnes figuras, ut deprenderat oculis, dictaret enotaretque.
Iam navibus cinis incidebat, quo propius accederent, calidior et densior; iam pumices etiam nigrique et ambusti et fracti igne lapides; iam vadum subitum ruinaque montis litora obstantia. Cunctatus paulum an retro flecteret, mox gubernatori, ut ita faceret, monenti: "Fortes" inquit "fortuna iuvat: Pomponianum pete!" Stabiis erat diremptus sinu medio (nam sensim circumactis curvatisque litoribus mare infunditur); ibi quamquam nondum periculo adpropinquante, conspicuo tamen et, cum cresceret, proximo, sarcinas contulerat in naves, certus fugae, si contrarius ventus resedisset. Quo tunc avunculus meus secundissimo invectus, complectitur trepidantem consolatur hortatur, utque timorem eius sua securitate leniret, deferri in balineum iubet; lotus accubat cenat, aut hilaris aut (quod aeque magnum) similis hilari.
Interim e Vesuvio monte pluribus locis latissimae flammae altaque incendia relucebant, quorum fulgor et claritas tenebris noctis excitabatur.
Iam dies alibi, illic nox omnibus noctibus nigrior densiorque; quam tamen faces multae variaque lumina solvebant. Placuit egredi in litus, et ex proximo adspicere, ecquid iam mare admitteret; quod adhuc vastum et adversum permanebat. Ibi super abiectum linteum recubans semel atque iterum frigidam aquam poposcit hausitque. Deinde flammae flammarumque praenuntius odor sulpuris alios in fugam vertunt, excitant illum. Innitens servolis duobus adsurrexit et statim concidit, ut ego colligo, crassiore caligine spiritu obstructo, clausoque stomacho, qui illi natura invalidus et angustus et frequenter aestuans erat. Ubi dies redditus (is ab eo quem novissime viderat tertius), corpus inventum integrum inlaesum opertumque ut fuerat indutus: habitus corporis quiescenti quam defuncto similior. 
Interim Miseni ego et mater - sed nihil ad historiam, nec tu aliud quam de exitu eius scire voluisti. Finem ergo faciam. Unum adiciam, omnia me, quibus interfueram quaeque statim, cum maxime vera memorantur, audieram, persecutum. Tu potissima excerpes; aliud est enim epistulam aliud historiam, aliud amico aliud omnibus scribere. 
Vale.


Dienstag, 23. August 2011

Michelangelo kann nicht mehr

MICHELANGELO: 
AN GIOVANNI VON PISTOIA,

ALS DER AUTOR DIE DECKE DER SISTINA MALTE.
1509.

In diesem Elend wuchs mir schon ein Kropf
So wie den Katzen im Lombardenreich
Vom Wasser, oder wo auch sonst noch gleich,
So dass der Bauch zu haften scheint am Kopf.
Der Bart steht himmelan, es wächst der Schopf
Am Buckel fest, die Brust Harpyen gleich,
Mein Pinsel, abwärts träufelnd, farbenreich.
Bemalt mit Mosaik mich armen Tropf.

Die Niere presst sich in die Brust; das Kreuz
Drück ich heraus, im Gleichgewicht zu steh'n,
Der Fuss, den nicht das Auge lenkt, geht quer.
Vorn längt sich mir die Haut, und andrerseits
Kürzt sie im Rücken sich vom Einwärtsdrehn,
Gekrümmt wie'n Syrer-Bogen atm' ich schwer.

Nun wird auch mehr und mehr
Mein Urteil schief, im schiefen Haupt erzeugt;
Aus krummem Rohr schiesst fehl man allzuleicht.

Drum, Freund, steh' du mir bei,
Und sag der Welt, dass ich kein Maler sei,
Und nicht am rechten Platz; das sage frei!

Uebersetzung von Sophie Hasenclever

Zwar circa 20 Jahre später gemalt, aber doch passend:


Detail aus dem "Jüngsten Gericht" in der Sixtinischen Kapelle, der Heilige Bartholomäus hält das Messer seines Märtyriums, das Gesicht auf der menschlichen Haut ist vermutlich das von Michelangelo.




1532, also circa 20 Jahre nach Fertigstellung des Deckengemäldes, beauftragte Clemens der VII. Michelangelo mit der Herstellung eines Altargemäldes für die Sixtinische Kapelle, dessen Thema das Jüngste Gericht seien sollte. Der Papst stirbt, sein Nachfolger Paul III. hält den Auftrag aufrecht. 1535 begonnen, arbeitete M. sieben Jahre bis 1541, und es wird vermutet, vornehmlich allein daran, er war nunmehr 66 Jahre alt.

Ich habe leider kein originale Fassung des Gedichts im Netz finden können, denn die, die es gibt ist offensichtlich fehlerhaft. Wenn jemand sie hat, dann her damit.
Michelangelo: To Giovanni da Pistoia When the Author Was Painting the Vault of the Sistine Chapel 1509

I've already grown a goiter from this torture, 

hunched up here like a cat in Lombardy

(or anywhere else where the stagnant water's poison). 

My stomach's squashed under my chin, my beard's 

pointing at heaven, my brain's crushed in a casket, 

my breast twists like a harpy's. My brush,

above me all the time, dribbles paint
so my face makes a fine floor for droppings!

My haunches are grinding into my guts,

my poor ass strains to work as a counterweight,
every gesture I make is blind and aimless. 

My skin hangs loose below me, my spine's 

all knotted from folding over itself.
I'm bent taut as a Syrian bow.


Because I'm stuck like this, my thoughts

are crazy, perfidious tripe:
anyone shoots badly through a crooked blowpipe.


My painting is dead.


Defend it for me, Giovanni, protect my honor.

I am not in the right place—I am not a painter.

Gail Mazur

Judith und Holofernes, Ausschnitt aus dem Deckengemälde der Kapelle, der Kopf stellt vermutlich wiederum Michelangelo dar.

     A goiter it seems I got from this backward craning

like the cats get there in Lombardy, or wherever
—bad water, they say, from lapping their fetid river.
My belly, tugged under my chin, 's all out of whack.
     Beard points like a finger at heaven. Near the back
of my neck, skull scrapes where a hunchback's lump would be.
I'm pigeon-breasted, a harpy! Face dribbled—see?—
like a Byzantine floor, mosaic. From all this straining
     my guts and my hambones tangle, pretty near.
Thank God I can swivel my butt about for ballast.
Feet are out of sight; they just scuffle around, erratic.
     Up front my hide's tight elastic; in the rear
it's slack and droopy, except where crimps have callused.
I'm bent like a bow, half-round, type Asiatic.
     Not odd that what's on my mind,
when expressed, comes out weird, jumbled. Don't berate;
no gun with its barrel screwy can shoot straight.
     Giovanni, come agitate
for my pride, my poor dead art! I don't belong!
Who's a painter? Me? No way! They've got me wrong. 


John Frederick Nims

Jacopino del Conte 1535 Porträt des Michelangelo

Satirisches Schweifsonett Michelangelos

...über seine Arbeit an der Decke der Sixtinischen Kapelle

An Giovanni aus Pistoia

Schon wächst ein Kropf mir über diesem Placken,


Wie Katzen vom lombard'schen Wasser auch

In andern Ländern mehr, wo Kröpfe Brauch;


Ans Kinn ist mir der Leib wie angebacken.

Den Bart reck' ich gen Himmel, mit dem Nacken


Rückwärts gelehnt, und mit Harpyien-Bauch,


Derweil der Pinsel, immer überm Aug',


Ein schön Mosaik kleckt auf die Backen.

Die Lenden kriechen tief mir in den Ranzen,


Den Steiß ball' ich zum Knäul als Widerlage,


Nicht einen Strich seh' ich, den ich gezogen.

Nach hinten schrumpft das Leder mir zu Fransen,


Je mehr ich vorn mich auszudehnen plage,


Und krümme mich als wie ein Syrer-Bogen.

Weshalb doch sehr erlogen


Die Meinung scheint, und wie erdacht von Toren,


Daß man nicht schieß' aus krummen Blaserohren.

Giovann', mein totgeboren


Bild nun verteid'ge du, und meine Ehre!


Der Ort taugt nichts, wenn ich auch Maler wäre.


Übertragen von G. Regis
 

Montag, 22. August 2011

Der Barberinische Faun oder Der Trunkene Satyr

Der Barberinische Faun oder Der Betrunkene Satyr, was hier die griechische Entsprechung wäre, wurde 1627 in Rom bei der Engelsburg, dem vormaligen Mausoleum des Hadrian, gefunden. Er ist aus Marmor und 180 oder 215 cm, je nachdem ob man vor oder nach der Restauration misst. Dem Fund fehlte das rechte Bein, Teile beider Hände und des Kopfes. Es handelt sich möglicherweise nicht um eine der häufigen römischen Kopien griechischer Werke, sondern um ein hellenistisches Original aus der Zeit um 220 vor Christi Geburt, vielleicht von einem Künstler aus Pergamon. Manchmal wird diese Phase der griechischen Kunst hellnistisches Rokoko genannt, ich verstehe warum.

Das Pantherfell auf dem er liegt, das Weinlaub in seinem Haar, der kurze tierische Schwanz (hinten) und die Panflöte hinter dem Felsen weisen ihn als einen aus der Gefolgschaft des Dionysos aus.

Maffeo Barberini, seit 1623 Papst Urban VIII. und zu diesem Zeitpunkt noch ein guter Freund von Galileo Galilei, beauftragte Bernini und Pacetti mit der Restaurierung, wobei die fehlenden Teile ergänzt wurden. (Vielleicht hat auch ein Schüler Berninis die Figur bearbeitet.) Die Ergänzungen wurden allerdings, bis auf das Bein, später wieder entfernt. Anschließend war die Skulptur Teil der Sammlung der Barberini in deren Palast und wurde nach dem Haus Barberini benannt. 1810 kaufte Ludwig I., König von Bayern, die Skulptur und ließ sie seit 1830 in der Münchner Glyptothek ausstellen. 

Er schläft, wobei der angewinkelte rechte Arm im Nacken und die gefurchte Stirn vielleicht eher auf ein Wachwerden deuten. Zu viel getrunken? Schlimme Träume?
Fast im Kontrast zum Gesicht, das angespannt und unfroh wirkt, entsteht die fast aggressive Wirkung auf mich als Betrachter aus der Schamlosigkeit der Haltung des Körpers, im Sinne von ohne Scham sein, ganz bei sich, keinen Angriff oder lüsternen Blick fürchtend, aber auch nicht einladend.
 
Carravaggio 1699 Porträt Urban VIII.



Urban VIII. ernannte praktisch seine halbe Familie und ein Anzahl naher Freunde zu Kardinälen.
Er baute, bzw. ließ bauen.  Halb Rom wurde umgebaut. "„Quod non fecerunt Barbari, fecerunt Barberini“ - "Was die Barbaren nicht geschafft haben, schaffen die Barberini" war ein sicher nicht laut geäußerter Witz. Z.B. gab er das Forum Romanum als Steinbruch frei und für das Dach von Berninis "Petrus Grab" im Petersdom , ließ er die restlichen Bronzeverkleidungen des Pantheon einschmelzen. Andere Zeiten, andere Sitten.
Urbans Neffe, Kardinal Francesco Barberini, war einer von drei Kardinälen des zehnköpfigen Gerichtskollegiums, der die Verurteilung Galileos zu lebenslanger Haft, nicht unterschrieb.






Jens Peter Jakobsen aus "Ein Kaktus erblüht"

Irrtest du in dunklen Wäldern?
Kennst du Pan?
Ich fühlte ihn,
Nicht in den dunklen Wäldern,
Wo alles Schweigende sprach,
Nein! Den Pan hab ich nie gekannt.
Doch der Liebe Pan hab ich gefühlt,
Da schwieg alles Redende.

In sonnenwarmen Strichen
Wächst ein seltsames Kraut;
Nur in tiefstem Schweigen,
Unter tausend heißer Strahlen Brand,
öffnet es die Blüte
In flüchtiger Sekunde.
Die sieht aus wie eines Irren Auge,
Wie einer Leiche rote Wangen:
Sie hab ich gesehen
In meiner Liebe.

Mein Lieb war wie des Jasmines süß duftender Schnee,
Mohnblut rann in ihren Adern,
Die kalten, marmorweißen Hände
Ruhten in ihrem Schoß
Wie Wasserlilien in dem tiefen See.
Ihr Wort fiel weich
Wie der Apfelblüte Blätter
Auf das taufeuchte Gras;
Doch gab es Stunden,
Wo es kalt und klar sich wand
Wie des Wassers steigender Strahl.
Seufzen klang in ihrem Lachen,
Jubel in ihrem Weinen;
Vor ihr mußte alles sich beugen –
Nur zwei wagten ihr zu trotzen:
Ihre eigenen Augen.

Aus der giftigen Lilie
Blendendem Kelch
Trank sie mir zu,
Ihm, der tot ist,
Und ihm, der jetzt zu ihren Füßen kniet.
Mit uns allen trank sie
– Und dann war der Blick ihr gehorsam –
Den Gelöbnisbecher nie wankender Treue
Aus der giftigen Lilie
Blendendem Kelch.

Alles ist vorbei!
Auf der schneegedeckten Fläche
In dem braunen Walde
Wächst ein einsamer Dornbusch,
Den Winden gehört sein Laub.
Eine nach der andern,
Eine nach der andern,
Tropft er die blutroten Beeren
In den weißen Schnee,
Die glühenden Beeren
In den kalten Schnee –

Kennst du Pan?
 
Übersetzt von Erich von Mendesohn 
(Rilke hat wegen eines Gedichtes von Jakobsen Dänisch gelernt.)

Der Franzose Edme Bouchardon schuf 1726 auf der Vorlage des Fauns eine Statue, die sich seit 1892 im Louvre befindet; etwas weicher, nicht so viel Muskulatur, weniger unverschämt.


 Und hier noch eine Photogravur von Leni Riefenstahl "Der Barberinische Faun" aus dem Jahr 1937.

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Leni Riefenstahl Produktion


Sonntag, 21. August 2011

h.c. artmann - ein kleiner mix

Weegee - Junge trifft Mädchen - vom Mars

ich bin die liebe mumie
und aus ägypten kumm i e,
o kindlein treibt es nicht zu arg,
sonst steig ich aus dem sarkopharg,
hol euch ins pyramidenland,
eilf meter unterm wüstensand,
da habe ich mein trautes heim,
es ist mir süß wie honigseim,
dort, unter heißen winden,
wird keiner euch mehr finden.
o lauschet nur, mit trip und trap
husch ich die treppen auf und ab,
und hört ihrs einmal pochen,
so ists mein daumenknochen
an eurer zimmertür −
o kindlein, seht euch für!








Marylin © Bettmann/CORBIS

mein herz

mein herz ist das laechelnde kleid eines nie erratenen
gedankens
mein herz ist die stumme frage eines bogens aus elfenbein
mein herz ist der frische schnee auf der spur junger voegel
mein herz ist die abendstille geste einer atmenden hand
mein herz liegt in glaenzend weissen kaestchen aus mosselin
mein herz trinkt leuchtend gelbes wasser von der smaragd-
schale
mein herz traegt einen seltsamen tierkreis aus zartestem gold
mein herz schlaegt froehlich im losen regnen der
mitterwintersterne




1
auf dem berge ararat 
wohnt der schneider drakulat, 
seine frau, die nosfretete, 
saß am särgelein und nähte, 
fiel herab, fiel herab, 
und der linke zahn brach ab. 
kam ihr männchen angerannt 
mit der nadel in der hand, 
näht ihn an, näht ihn an, 
daß sie wieder beißen kann.

Jeff Wall - Der zerstörte Raum

batman und robin,                                     batman tatüü
   die liegen im bett                                         und robin tataa
          batman ist garstig                                         raus aus den federn
        und robin ist nett.                                         der morgen ist da!

 
lerne was,
so hast du was
kauf dir drum
ein tintenfaß,
füll die feder,
dann darin,
nimm papier,
schärf deinen sinn.
schreibe nicht ein licht gedicht,
weiß schreibt nur
der böse wicht.
krachen solls durch blut und bein
bis ins herzens kämmerlein.