Dienstag, 26. Juli 2011

Massaker an den Unschuldigen

„Als Herodes nun sah, dass er von den Weisen betrogen war, wurde er sehr zornig und schickte aus und ließ alle Kinder in Bethlehem töten und in der ganzen Gegend, die zweijährig und darunter waren, nach der Zeit, die er von den Weisen genau erkundet hatte.“
Matthäus 2,16
Peter Breughel Das Massaker an den Unschuldigen - Kindermord in Bethlehem 1566

Und dem Tod soll kein Reich mehr bleiben

Und dem Tod soll kein Reich mehr bleiben. 

Die nackten Toten die sollen eins 

Mit dem Mann im Wind und im Westmond sein; 

Blankbeinig und bar des blanken Gebeins 

Ruht ihr Arm und ihr Fuß auf Sternenlicht. 

Wenn sie irr werden solln sie die Wahrheit sehn, 

Wenn sie sinken ins Meer solln sie auferstehn. 

Wenn die Liebenden fallen - die Liebe fällt nicht; 

Und dem Tod soll kein Reich mehr bleiben.

Und dem Tod soll kein Reich mehr bleiben.

Die da liegen in Wassergewinden im Meer

Sollen nicht sterben windig und leer;

Nicht brechen die die ans Rad man flicht,

Die sich winden in Foltern, deren Sehnen man zerrt:

Ob der Glaube auch splittert in ihrer Hand

Und ob sie das Einhorn des Bösen durchrennt,

Aller Enden zerspellt, sie zerreißen nicht;

Und dem Tod soll kein Reich mehr bleiben.

Und dem Tod soll kein Reich mehr bleiben. 

Keine Möwe mehr darf ins Ohr ihnen schrein 

Keine Woge laut an der Küste versprühn; 

Wo Blumen blühten darf sich keine mehr regen 

Und heben den Kopf zu des Regens Schlägen; 

Doch ob sie auch toll sind und tot wie Stein, 

Ihr Kopf wird der blühende Steinbrech sein, 

Der bricht auf in der Sonne bis die Sonne zerbricht, 

Und dem Tod soll kein Reich mehr bleiben.
 
Dylan Thomas übersetzt von Erich Fried

Detail Schlachtung der Unschuldigen Fresko von Pietro Lorenzetti c. 1330

And Death Shall Have No Dominion
























  And death shall have no dominion.
Dead mean naked they shall be one
With the man in the wind and the west moon;
When their bones are picked clean and the clean bones gone,
They shall have stars at elbow and foot;
Though they go mad they shall be sane,
Though they sink through the sea they shall rise again;
Though lovers be lost love shall not;
And death shall have no dominion.

And death shall have no dominion.
Under the windings of the sea
They lying long shall not die windily;
Twisting on racks when sinews give way,
Strapped to a wheel, yet they shall not break;
Faith in their hands shall snap in two,
And the unicorn evils run them through;
Split all ends up they shan't crack;
And death shall have no dominion.

And death shall have no dominion.
No more may gulls cry at their ears
Or waves break loud on the seashores;
Where blew a flower may a flower no more
Lift its head to the blows of the rain;
Though they be mad and dead as nails,
Heads of the characters hammer through daisies;
Break in the sun till the sun breaks down,
And death shall have no dominion.

Guido Reni (1575-1642) Detail Schlachtung der Unschuldigen

Babij Jar

Über Babij Jar, da steht keinerlei Denkmal.
Ein schroffer Hang - der eine unbehauene Grabstein.
Mir ist angst.
Ich bin alt heute,
so alt wie das jüdische Volk.
Ich glaube, ich bin jetzt
ein Jude.
Wir ziehn aus Ägyptenland aus, ich zieh mit.
Man schlägt mich ans Kreuz, ich komm um,
und da, da seht ihr sie noch:
die Spuren der Nägel.
Dreyfus, auch er,
das bin ich.
Der Spießer
denunziert mich,
der Philister
spricht mir das Urteil.
Hinter Gittern bin ich.
Umstellt.
Müdgehetzt.
Und bespien.
Und verleumdet.
Und es kommen Dämchen daher, mit Brüsseler Spitzen,
und kreischen und stechen mir ins Gesicht
mit Sonnenschirmchen.
Ich glaube, ich bin jetzt
ein kleiner Junge in Bialystok.
Das Blut fließt über die Diele, in Bächen.
Gestank von Zwiebel und Wodka, die Herren
Stammtisch-Häuptlinge lassen sich gehn.
Ein Tritt! mit dem Stiefel, ich lieg in der Ecke.
Ich fleh die Pogrombrüder an, ich flehe - umsonst.
«Hau den Juden, rette Rußland!» -:
der Mehlhändler hat meine Mutter erschlagen.
Mein russisches Volk!
Internationalistisch
bist du, zuinnerst, ich weiß.
Dein Name ist fleckenlos, aber
oft in Hände geraten, die waren nicht rein;
ein Rasselwort in diesen Händen, das war er.
Meine Erde - ich kenne sie, sie ist gut, sie ist gütig.
Und sie, die Antisemiten, die nieder-
trächtigen, daß
sie großtun mit diesem Namen:
«Bund des russischen Volks»!
Und nicht beben und zittern!
Ich glaube, ich bin jetzt sie:
Anne Frank.
Licht-
durchwoben, ein Zweig
im April.
Ich liebe,
Und brauche nicht Worte und Phrasen.
Und brauche:
daß du mich anschaust, daß ich dich anschau.
Wenig Sichtbares noch,
wenig Greifbares!
Die Blätter - verboten.
Der Himmel - verboten.
Aber einander umarmen, leise,,
das dürfen, das können wir noch.
Sie kommen?
Fürchte dich nicht, was da kommt, ist der Frühling.
Er ist so laut, er ist unterwegs, hierher.
Rück näher...
Mit deinen Lippen. Wart nicht.
Sie rennen die Tür ein?
Nicht sie. Was du hörst, ist der Eisgang,
die Schneeschmelze draußen.
Über Babij Jar, da redet der Wildwuchs, das Gras.
Streng, so sieht dich der Baum am,
mit Richter-Augen.
Das Schweigen rings schreit.
Ich nehme die Mütze vom Kopf, ich fühle,
ich werde
grau.
Und bin - bin selbst
ein einziger Schrei ohne Stimme
über tausend und aber
tausend Begrabene hin.
Jeder hier erschossene Greis -:
ich. Jedes hier erschossene Kind -:
ich.
Nichts, keine Faser in mir,
vergißt das je!
Die Internationale —
ertönen, erdröhnen soll sie,
wenn der letzte Antisemit, den sie trägt, diese Erde,
im Grab ist, für immer.
Ich habe kein jüdisches Blut in den Adern.
Aber verhaßt bin ich allen Antisemiten.
Mit wütigem, schwieligem Haß,
so hassen sie mich –
wie einen Juden.
Und deshalb bin ich
ein wirklicher Jude.

Jewgenij Jewtuschenko übersetzt von Paul Celan

(Aus: Paul Celan: Gesammelte Werke. Bd. 5. Übertragungen II. Frankfurt/M. 2000. S. 288ff.)

Fra Angelico (Fra Giovanni da Fiesole) - Armadio Kindermord zu Bethlehem 1450


Montag, 25. Juli 2011

Edna St. Vincent Millay 3 - Kindheit ist das Königreich in dem niemand stirbt

Kindheit ist das Königreich in dem niemand stirbt

Kindheit ist nicht von Geburt bis dann und dann, und dann und dann
Ist das Kind groß und räumt Kindliches weg.
Kindheit ist das Königreich in dem niemand stirbt.

Das heißt, niemand der zählt; ferne Verwandte sterben,
Natürlich, die man nie gesehen hat, oder nur für eine Stunde,
Und sie gaben einem Bonbons in rosa-grün gestreiften Tüten oder Taschenmesser
Und gingen weg, und hatten eigentlich überhaupt nicht gelebt.

Und Katzen sterben. Sie liegen auf dem Boden und peitschen mit ihren Schwänze,
Und ihr stilles Fell ist auf einmal in wildbewegt
Mit Flöhen, von denen keiner was wusste,
Glänzend und braun, wissend alles was wissbar ist,
Wandern weg in die lebendige Welt.
Du holst einen Schuhkarton, aber der ist viel zu klein, weil sie sich nicht mehr einrollt:
Also suchst du eine größere, und begräbst sie im Hof und weinst.

Aber du wachst nicht auf, einen Monat später, zwei Monate,
Ein Jahr später, zwei Jahre, mitten in der Nacht,
Und weinst, Deine Faust im Mund, und sagst: Oh Gott! Oh Gott!
Kindheit ist das Reich in dem niemand stirbt der zählt: Mütter und Väter sterben nicht.

Und wenn du gesagt hast, »Um Himmels willen, musst du einen dauernd abküssen?«
Oder, »Ich wünschte du würdest aufhören mit deinem Fingerhut ans Fenster zu klopfen!«
Morgen, oder sogar übermorgen, falls du zu beschäftigt bist, Spaß zu haben,
Ist immer noch Zeit zu sagen, »Tut mir leid, Mutter«.

Erwachsen sein, ist mit Leuten am Tisch zu sitzen, die gestorben sind, die weder zuhören noch sprechen.
Die ihren Tee nicht trinken, obwohl sie immer gesagt haben:
Tee ist so beruhigend.

Lauf runter in den Keller und hol den letzten Topf Himbeeren rauf, sie kriegen keinen Appetit.
Mach ihnen Komplimente, frag sie, was sie genau gesagt haben,
Damals, zum Bischof oder zum Schulrat oder zu Frau Steinmetz;
Sie fallen nicht darauf rein.

Schrei sie an, bis Du knallrot wirst, steh auf,
Reiße sie von den Stühlen an ihren steifen Schultern und schüttle sie und brülle sie an;
Sie sind nicht erschrocken, sie werden nicht einmal verlegen; sie gleiten in ihre Stühle zurück.

Dein Tee ist jetzt kalt.
Du trinkst ihn im Stehen,
Und verlässt das Haus.


Henri Cartier Bresson
Childhood Is the Kingdom Where Nobody Dies

Childhood is not from birth to a certain age and at a certain age
The child is grown, and puts away childish things.
Childhood is the kingdom where nobody dies.

Nobody that matters, that is. Distant relatives of course
Die, whom one never has seen or has seen for an hour,
And they gave one candy in a pink-and-green stripèd bag, or a jack-knife,
And went away, and cannot really be said to have lived at all.

And cats die. They lie on the floor and lash their tails,
And their reticent fur is suddenly all in motion
With fleas that one never knew were there,
Polished and brown, knowing all there is to know,
Trekking off into the living world.
You fetch a shoe-box, but it's much too small, because she won't curl up now:
So you find a bigger box, and bury her in the yard, and weep.

But you do not wake up a month from then, two months,
A year from then, two years, in the middle of the night
And weep, with your knuckles in your mouth, and say Oh, God! Oh, God!
Childhood is the kingdom where nobody dies that matters, – mothers and fathers don't die.

And if you have said, "For heaven's sake, must you always be kissing a person?"
Or, "I do wish to gracious you'd stop tapping on the window with your thimble!"
Tomorrow, or even the day after tomorrow if you're busy having_fun,
Is plenty of time to say, "I'm sorry, mother."

To be grown up is to sit at the table with people who have died, who neither listen nor speak;
Who do not drink their tea, though they always said
Tea was such a comfort.

Run down into the cellar and bring up the last jar of raspberries; they are not tempted.
Flatter them, ask them what was it they said exactly
That time, to the bishop, or to the overseer, or to Mrs. Mason;
They are not taken in.
Shout at them, get red in the face, rise,
Drag them up out of their chairs by their stiff shoulders and shake them and yell at them;
They are not startled, they are not even embarrassed; they slide back into their chairs.

Your tea is cold now.
You drink it standing up,
And leave the house.

Sonntag, 24. Juli 2011

Edna St. Vincent Millay 2

Ich weiß nicht, ob diese Gedicht gute Gedichte sind, aber sie sind historisch spannend. 
Millay hat sich, nachdem sie im Ersten Weltkrieg gegen den Eintritt der USA in den Krieg protestiert hatte, später viel Ärger aufgehalst, als sie sich 1942, nach dem Erscheinen von Photographien aus Lidice, mit Propaganda-Gedichten für einen schnellen Kriegseintritt aussprach und den, als Neutralität verkleideten, Isolationismus der Amerikaner attackierte.
Diese Gedichte liegt zeitlich dazwischen und sind aus einem Band "Wein aus diesen Trauben, der 1934 erschien.

 
Verweigerer aus Gewissensgründen 1934

Ich werde sterben, aber
das ist alles was ich für den Tod tuen werde.
Ich höre wie er sein Pferd aus dem Stall führt;
Ich höre das Getrappel auf dem Scheunenboden.
Er ist in Eile; er hat Geschäfte in Kuba,
Geschäfte auf dem Balkan, viele Besuche an diesem Morgen.
Aber ich werde das Zaumzeug nicht halten,
während er den Gurt festzieht.
Und er kann allein aufsitzen:
Ich werde ihm nicht herauf helfen.

Obwohl er meine Schulter streift mit seiner Peitsche,
Werde ich ihm nicht verraten wohin der Fuchs geflohen ist.
Mit seinem Huf auf meiner Brust, werde ich ihm nicht verraten, wo
sich der schwarze Junge im Sumpf versteckt.
Ich werde sterben, aber das ist alles was ich für den Tod tuen werde;
Ich stehe nicht auf seiner Gehaltsliste.
Ich werde ihm nicht den Aufenthaltsort meiner Freunde verraten
noch den meiner Feinde.
Obwohl er mir viel verspricht,
werde ich ihm nicht den Weg zu irgendeines Mannes Tür zeigen.
Bin ich ein Spion im Land der Lebendigen
Dass ich Menschen dem Tod ausliefern sollte?
Bruder, das Passwort und die Pläne unserer Stadt
sind sicher bei mir; niemals wirst du durch mich bezwungen werden.

Lidice 1942
Conscientious Objector

I shall die, but
that is all that I shall do for Death.
I hear him leading his horse out of the stall;
I hear the clatter on the barn-floor.
He is in haste; he has business in Cuba,
business in the Balkans, many calls to make this morning.
But I will not hold the bridle
while he clinches the girth.
And he may mount by himself:
I will not give him a leg up.

Though he flicks my shoulders with his whip,
I will not tell him which way the fox ran.
With his hoof on my breast, I will not tell him where
the black boy hides in the swamp.
I shall die, but that is all that I shall do for Death;
I am not on his pay-roll.

I will not tell him the whereabout of my friends
nor of my enemies either.
Though he promise me much,
I will not map him the route to any man's door.
Am I a spy in the land of the living,
that I should deliver men to Death?
Brother, the password and the plans of our city
are safe with me; never through me Shall you be overcome.

 
Auslassungszeichen nach Mensch

(Darüber nachdenkend, dass die Welt wieder bereit ist einen Krieg zu führen)

Abscheuliche Rasse, merz dich aus, stirb aus.
Pflanz dich fort, drängle, missbrauche, sing Hymnen, baue
Bombenflugzeuge;
Halte Reden, weihe Denkmäler ein, gib Anleihen aus, marschiere;
Wandle das verwunderte Ammoniak wieder in Sprengstoff
Und die unaufmerksame Zellulose;
Wandle in verwesende Masse die Fliegen anlockt wieder
Die hoffnungsvollen Körper der Jungen; ermahne,
Bete, mach lange Gesichter, sei ernsthaft,
sei völlig überwältigt, laß dich photographieren;
Verhandle, perfektioniere deine Formeln, kommerzialisiere
Bakterien, die menschlichem Gewebe schaden,
Wirf Tod auf den Markt;
Pflanz dich fort, drängle, missbrauche,
Expandiere, merz dich aus, stirb aus,
Homo names Sapiens.


 
Apostrophe To Man 

(On reflecting that the world is ready to go to war again)

Detestable race, continue to expunge yourself, die out.
Breed faster, crowd, encroach, sing hymns, build
bombing airplanes;
Make speeches, unveil statues, issue bonds, parade;
Convert again into explosives the bewildered ammonia
and the distracted cellulose;
Convert again into putrescent matter drawing flies
The hopeful bodies of the young; exhort,
Pray, pull long faces, be earnest,
be all but overcome, be photographed;
Confer, perfect your formulae, commercialize
Bacateria harmful to human tissue,
Put death on the market;
Breed, crowd, encroach,
expand, expunge yourself, die out,
Homo called sapiens.
 
from Wine from these grapes (1934)

Samstag, 23. Juli 2011

Henri Cartier-Bresson - Kinder und noch mehr Kinder

"Ups! Der Moment! Einmal verpasst, ist er für immer verloren."
"Oops! The Moment! Once you miss it, it is gone forever."

Andalusien 1933

1908 bis 2004, geboren in Frankreich in Chanteloup-en-Brie, Seine-et-Marne und in Paris aufgewachsen, als Sohn wohlhabender Eltern, der Vater besaß eine Stofffabrik (3f!), die Eltern der Mutter waren Baumwollhändler aus der Normandie. Er nannte sie "sozialistische Katholiken". 
Henri studierte Malerei bei verschiedenen Pariser Malern und später in Cambridge noch ein Jahr englische Literatur, er arbeitete im Photostudio eines vormalig kubistischen Malers, und war fasziniert von Breton und den Surrealisten. "Geprägt haben mich nicht die surrealistischen Gemälde, die ich zu nüchtern fand, sondern die Konzeptionen Bretons, die mir sehr gut gefielen: die Rolle des spontanen Ausdrucks und der Intuition und, vor allem, die Haltung der Revolte... in der Kunst, aber auch im Leben."
Berlin 1962

"Das eine Auge des Photographen schaut weit geöffnet durch den Sucher, das andere, das geschlossene, blickt in die eigene Seele."  
Kinder in Sevilla, Spanien
Er photographierte fast ausschließlich mit (s)einer LEICA und einem 50mm Objektiv
(Leica III and M3 und 50mm Elmar/Summicron), später auch mit anderen Leica Versionen. Seine erste Leica kaufte er 1932 in Marseilles. 
Truman Capote begleitete ihn 1946 einmal bei Aufnahmen, er beschrieb ihn so: "tanzend auf dem Pflaster wie eine aufgeregte Libelle, drei Leicas schwingend an Riemen um seinen Hals, eine vierte an sein Auge gedrückt: click-click-click (die Kamera scheint ein Teil seines Körpers zu sein) mit freudiger Intensität den Auslöser drückend..."
"dancing along the pavement like an agitated dragonfly, three Leicas swinging from straps around his neck, a fourth one hugged to his eye: click-click-click (the camera seems a part of his own body) clicking away with joyous intensity . . . "

Das Auktionshaus Christie's hat im Juni 1998 eine Leica M6 Cartier-Bresson im originalen Louis Vuitton Koffer (no. 22-8-1908) für 25 300 £ versteigert.

Dessau 1945
1952 hat Bresson ein Buch mit dem Titel "der entscheidende Moment" mit Photographien und einen Essay zu seinen Vorstellungen zur Photographie veröffentlicht, der Titel bezieht sich auf einen Ausspruch des französischen Kardinals Retz aus dem 17. Jahrhundert: " Es gibt nichts auf der Welt, das nicht einen entscheidenden Moment hätte."

Den Umschlag hat Henri Matisse gestaltet, der französische Original-Titel war: "Images à la sauvette", in etwa übersetzt mit "Bilder auf die Schnelle".
„Man nähert sich auf leisen Sohlen, auch wenn es sich um ein Stillleben handelt. Auf Samtpfoten muss man gehen und ein scharfes Auge haben. … Kein Blitzlicht, das versteht sich wohl, aus Rücksicht vor dem Licht, selbst wenn es dunkel ist. Andernfalls wird der Photograph unerträglich aggressiv. Das Handwerk hängt stark von den Beziehungen ab, die man mit den Menschen herstellen kann. Ein Wort kann alles verderben, alle verkrampfen und machen dicht.“  
UdSSR

UdSSR 1954
"Photographieren bedeutet den Kopf, das Auge und das Herz auf dieselbe Visierlinie zu bringen. Photographieren, das ist eine Art zu schreien, sich zu befreien… Es ist eine Art zu leben."
Madrid 1933
Zusammen mit seinen Kollegen Robert Capa, David Saymour und George Rodger gründete Cartier-Bresson am 27. April 1947 in Paris die Fotoagentur und Fotografenagentur Magnum, eine Kooperative, die im Besitz der Mitglied seienden Photographen war und auch heute noch ist.
«Wir wollen uns nicht zu den Domestiken der Presse machen lassen und uns auch unsere Themen selbst aussuchen, was zu dieser Zeit einer Revolution gleichkam.»
Italien 1951
China 1959

Paris Gallerie Lafayette 1967
Bresson komponierte seine Photos im Sucher, nicht in der Dunkelkammer. Sie wurden fast immer in voller Größe gedruckt und blieben "unbeschnitten" und er ließ einen Rand von ca.1mm des unbelichteten Negativs um die Bildfläche herum, so dass das gedruckte Photo dann einen dünnen schwarzen Rand hatte.


Rue Mouffetard, Paris 1954

"Photographieren ist wie Bogenschiessen:
richtig zielen, schnell schiessen, abhauen."

Bücherschnüffeln

Manchmal lese ich Bücher, weil sie jemand empfiehlt oder weil ich eine Rezension gelesen habe oder weil ich ein Stück mache und Informationen brauche und in einem Text eine Anmerkung finde oder weil ich denke, dieses Buch müßte man gelesen haben. Und manchmal gehe ich schnüffeln. Die, die ich da finde, das sind dann oft die besten Bücher.
Man gehe in einen Buchladen und lungere herum. Zeit ist nötig. Viel Zeit. Gucken. Riechen. Blättern, aber nicht zu viel lesen, vor allem nicht die Werbetexte vorn und hinten. Tasten. Herumlaufen. Anderen beim Bücheraussuchen zugucken. Sammeln. Noch mehr sammeln. Aussortieren. Kaufen. Liegenlassen und auf den richtigen Moment warten.
Ist ein bißchen wie kiffen ohne Hasch.
Ich liebe meinen Computer und auch das Internet, aber ein Buch aus Papier und Tinte, das ist wie die Differenz zwischen "chatten" und anfassen.

Rilke - Weil es so sehr regnet

Einsamkeit
 
Die Einsamkeit ist wie ein Regen.
Sie steigt vom Meer den Abenden entgegen;
von Ebenen, die fern sind und entlegen,
geht sie zum Himmel, der sie immer hat.
Und erst vom Himmel fällt sie auf die Stadt.

Regnet hernieder in den Zwitterstunden,
wenn sich nach Morgen wenden alle Gassen
und wenn die Leiber, welche nichts gefunden,
enttäuscht und traurig von einander lassen;
und wenn die Menschen, die einander hassen,
in einem Bett zusammen schlafen müssen:

dann geht die Einsamkeit mit den Flüssen...
 
Rainer Maria Rilke

Giacometti - Henri Cartier-Bresson
Another rainy day - Henri Cartier-Bresson
Henri Cartier Bresson
Henri Cartier-Bresson’s ‘Behind the Gare St. Lazare 



"Raum" von Emma Donoghue - "The Room"

Ein Buch, das einem das Blut gefrieren läßt und die Seele wärmt.

Jack wird fünf, er erzählt seinen Tag. Viele Spiele, Lernen, Fernsehen, Sportübungen, Waschen, Essen, Geschichten erzählen, Bilder angucken. Seine Mutter ist offensichtlich eine phantasievolle und interessierte Frau. Es ist ein schöner Geburtstag, wenn auch ohne die erhofften Kerzen. Hier und da ein verstörender Satz. Er schläft im Schrank. Alles, außer die Dinge, die in seinem Zimmer sind, nennt er nicht wirklich. Es gibt einen Mann namens Nick. Es gibt kein Außen, nur den Raum in dem er lebt, oder doch nicht? Mehr darf man nicht erzählen.
Kinder von Insassinnen eines mexikanischen Gefängnisses (Nein, das Buch spielt nicht im Gefängnis!)
Nicht anfangen dieses Buch zu lesen, wenn man a: nicht viel Zeit hat, b: zu Angstträumen neigt. Es ist kein Horrorroman! Aber er erzählt eine fürchterliche Geschichte und das aus der unschuldigen Sicht eines Fünfjährigen, das macht es schlimmer.

Dienstag, 19. Juli 2011

Edna St. Vincent Millay 1


Erste Feige

Meine Kerze brennt an beiden Enden
Sie wird die Nacht nicht überstehen
Doch ah, ihr Feinde, und oh, ihr Freunde--
Könnt ihr sie leuchten sehen!

First Fig  

My candle burns at both ends;      
It will not last the night;  
But ah, my foes, and oh, my friends--      
It gives a lovely light!


Zweite Feige

Die häßlichen Häuser haben auf hartem Stein festen Stand:
Komm und sieh meinen strahlenden Palast gebaut auf nchts als Sand!

Second Fig

Safe upon the solid rock the ugly houses stand: 
Come and see my shining palace built upon the sand!


Liebe ist nicht Alles

Nein, Liebe ist nicht alles, ist nicht Brot
noch Wein noch Schlummer noch ein Regendach
noch Treibholz dem, der zu ertrinken droht
im Auf und Ab und Auf und Nieder; ach,
nein, Liebe lindert nicht die Atemnot,
reinigt kein Blut, schient kein gebrochnes Bein,
doch schließt so mancher Freundschaft mit dem Tod,
nun ich es sag, weil sie ihm fehlt allein.
Es könnte sein, daß ich in schweren Stunden,
um Schmerzen los zu werden, leicht zu leben,
oder von Not zernagt und überwunden
bereit wär, deine Liebe dranzugeben,
und diese Nacht um Brot zu Markte brächte.
Es könnte sein. Ich denke nicht, ich möchte.

Übersetzung von Günter Plessow

Love is not all

Love is not all: it is not meat nor drink
Nor slumber nor a roof against the rain;
Nor yet a floating spar to men that sink
And rise and sink and rise and sink again;
Love can not fill the thickened lung with breath,
Nor clean the blood, nor set the fractured bone;
Yet many a man is making friends with death
Even as I speak, for lack of love alone.
It well may be that in a difficult hour,
Pinned down by pain and moaning for release,
Or nagged by want past resolution's power,
I might be driven to sell your love for peace,
Or trade the memory of this night for food.
It well may be. I do not think I would. 

Sonntag, 17. Juli 2011

F. D. Roosevelt - Die Zweite Bill of Rights

Am 11. Januar 1941 hielt Franklin Delano Roosevelt, der 32. Präsident der USA, eine Rede zur Lage der Nation (State of the Union Adress). 
Er sagte darin, dass die politischen Rechte, die durch die Verfassung und die Bill of Rights garantiert würden, sich als unzureichend erwiesen hätten, die Gleichberechtigung im Streben nach Glück (pursuit of happiness) abzusichern. Daher, erklärte er, wäre eine zweite, ökonomische Bill of Rights notwendig, mit der eine Basis von Sicherheit und Wohlstand für alle, unabhängig von Herkunft, Glauben oder Rasse, geschaffen werden könnte.
Die Bill of Rights sind die ersten zehn Zusatzartikel zur Verfassung der Vereinigten Staaten. Sie gewähren den Einwohnern bestimmte unveräußerliche Grundrechte.

Die Zweite Bill of Rights - Die Second Bill of Rights 

"Zur Sicherung des Wohlstands und des sozialen Friedens schlage ich weitere Zusätze zur Verfassung vor – eine zweite Bill of Rights, die allen Bürgerinnen und Bürgern der USA unabhängig von Herkunft, Glaube und Rasse eine neue Basis der Sicherheit und des Wohlstands garantiert: 
Das Recht auf eine nützliche und einträgliche Arbeit. 
Das Recht auf ausreichende Bezahlung. 
Das Recht jedes Farmers, seine Produkte zu einem Preis herzustellen und zu verkaufen, der ihm und seiner Familie einen anständigen Lebensunterhalt garantiert. 
Das Recht jedes Geschäftsmanns, seiner Tätigkeit frei von unfairen Bedingungen oder dem Druck in- und ausländischer Monopole nachzugehen. 
Das Recht jeder Familie auf ausreichenden Wohnraum. 
Das Recht auf adäquate medizinische Betreuung. 
Das Recht auf Alterssicherung, Kranken- und Unfallversicherung und Arbeitslosengeld.
Das Recht auf eine gute Erziehung."
 





Weil, solange es keine Sicherheit hier zu Hause gibt, kann es keinen dauernden Frieden in der Welt geben."
"For unless there is security here at home there cannot be lasting peace in the world."
Roosevelt starb im April 1945 ohne dass die Zweite Bill of Rights in Kraft gesetzt worden wären.




Michael Moore hat bei seinen Vorbereitungen zum Film "Kapitalismus - eine Liebesgschichte", den verloren geglaubten Film-Mitschnitt dieser Rede in einem Archiv in Süd-Carolina gefunden.