Samstag, 9. Oktober 2021

HUMANS IM CHAMÄLEON

Elf Akrobaten aus Australien erzählen Geschichten über unseren Körper, mit Können, Eleganz, Zärtlichkeit und Muskeln. Ich habe eine Stunde und zehn Minuten lang nicht mein Sodawasser getrunken, nicht weggeguckt, nicht aufgehört zu staunen.

Zu was menschliche Körper in der Lage sind, wenn sie so phantastisch gut trainiert, so aufeinander konzentriert, so intelligent choreographiert sind. (Regie: Yaron Lifschitz)

Es beginnt mit zwanzig Minuten, in denen sich die Elf zu wilden Streichern mit wunderbarer Musikalität die Bühne erobern mit Salti aller Arten, Flick Flacks, Sprüngen übereinander, Gleitern untereinander durch, Hebungen, Würfen, Falltricks, präzise, überraschend, schnell und gedehnt und rasend. 

Ich habe dauernd die Schulter meiner Freundin gepackt, das mache ich immer, wenn mein Herz doppelt schlägt. Ich entschuldige mich hiermit bei ihr.

Dann folgen mit fließenden Übergängen thematische Soli, Pas de deux und Gruppentänze, eine Szene über die Verzweiflung, darüber, dass wir unseren Ellenbogen niemals mit unserer Zunge berühren werden können, musikalisch begleitet von "To dream the impossible dream", eine über die Wunder, die Arme vollbringen, wenn die Beine sich verweigern, eine ungewöhnlich erotische Liebeswerbung zu "Please, please, please" von James Brown, bei der die Begehrenden mal kopfüber tanzen, oder auf dem Gesicht des anderen stehend, oder zum Päckchen verstrickt in des Partners Armen hängend. Kleine, zarte Mädchen heben große Kerle, ein sehr großer Mann trägt sechs Menschen auf seinen Schultern, die Varianten der Verschlingungen menschlicher Wesen scheint endlos, Kamasutra, Escher, Palucca, La la la Human steps, Zirkus und Clownerie, was es gibt, wird genutzt.

Und wie sorgsam sie miteinander umgehen, während sie ihre Körper schinden und doch so wirken, als wären sie noch nicht am Limit, es wäre noch mehr möglich. Sie geben alles und bewahren sich einen Rest. 

In letzter Zeit hatte ich im Theater des öfteren das Gefühl, ich schulde dem Regisseur, den Darstellern meine Aufmerksamkeit und genüge ihren Anforderungen nicht wirklich, heute abend haben mir elf Artisten einen Genuss geschenkt.

https://chamaeleonberlin.com/de/shows/humans/#a_company_in_residence

Sonntag, 29. August 2021

EIN THEATERABEND

Ein Theaterabend.

Er ist lang. Ich darf nicht in Gemütlichkeit verfallen.

Die Ästhetik ist karg & makellos, der für das Licht notwendige Theaternebel pufft allerdings immer noch deutlich sichtbar von dem Ort, an dem die ihn produzierende Maschine steht, bevor er sich elegant verteilt. Das Licht ist präzise, die Übergänge weich, unmerklich, das zusätzliche Neon des Bühnenbildes sichert ab, dass es nicht schön aussehen darf und ist immer leicht zu grell.

Die Musik erklingt ohne Unterlaß und begleitet oder führt die emotionalen Bögen der Inszenierung, Bassteppiche, wechselnde Rhythmen, langsam anwachsende Intensität auf ein Crescendo hin, langer Nachklang. Emotionale, dramaturgische Wendungen, Spannungsmomente, auch das, was man gemeinhin Ausbrüche nennt, selbst die wortlosen Phasen sind durchkomponiert. Ich werde akustisch beim Ohr genommen und geleitet. Dabei ist es wichtig, dass die Lautstärke über weite Strecken leicht über dem mir angenehmen Level liegt. Das trifft auch für die Mikroports der Schauspieler zu.

Die Schauspieler. Tolle Leute dabei.

Sprechduktus, Bewegungstempo, Blickrichtung sind mit leichten Abweichungen, für alle Darsteller gleichermaßen festgelegt. Ein Wort, zwei Worte, drei sind die Ausnahme, Pause, ein Wort, zwei Worte, die Ausnahme. Die körperliche und geatmete Anspannung ist konstant hoch, Momente der Entspannung, Unterspannung, Abwesenheit werden vermieden. Stille und Stillstehen kommen nicht vor. Brüche sind unerwünscht. 

Kann mich ein Schauspieler aus sich heraus ohne akustische Beihilfe beim Kragen nehmen und hinreißen?

Hier sind Strenge gegen die Spieler und Strenge gegenüber dem Publikum angestrebt.

Nicht mein Interesse, mein Vergnügen, mein Zorn sollen angesprochen werden, ich werde zum Teil einer Gemeinde bestimmt, zum Teilnehmer eines Gottesdienstes, eines vermuteten antiken Rituals.

Vielleicht ist es Teil meines Erbes als Bewohner der DDR, dass ich konstanter Erregung gegenüber, sei es Begeisterung oder, wie an diesem Theaterabend, Ergriffenheit, eine mißtrauische, widerborstige Ablehnung zeige.

Der Wettkampf des Intensiven mit dem Noch-Intensiveren ermöglicht keinen Gewinner.

Ungebrochenes Leiden, unbefragte, weil nur ertragene Tragödien, ohne den notwendigen Zweifel, der lebensrettenden Irritation: warum ist es geschehen und wie hätte es vermieden werden können, entlassen mich ärgerlich, hilflos und erschöpft.





Montag, 16. August 2021

Bestürzte Beobachtung.

Ich poste auf Facebook meine Irritationen, mal schlau, mal unbedacht und junge, bzw. jüngere Menschen antworten mit Gegenmeinungen, Erklärungen die ich nicht unbedingt teile, aber nachvollziehen, verstehen kann. Gleichaltrige und Ältere antworten häufig aus ihrer biographischen Verzweiflung heraus, andere vertreten die vermuteten Interessen der Jungen mit geradezu emphatischer Wut. 

Alter ist keine eineindeutige Wertungs-Kategorie, manche alte Meinungen haben sich als überlebt und verwerfbar erwiesen, andere sind aus konkreten Erfahrungen gewonnen und haben Bestand. Das gleiche gilt für die Meinungen der Jungen. Sie können Dinge denken, die neu und aufregend sind, alte Bequemlichkeiten in mir in Frage stellen und fragwürdige Gewissheiten entblößen. Und manchmal geraten sie in alte Fallen und werden moralisierend, monolithisch, selbstgerecht und, so denke ich, reaktionär. 

Alte, weiße Männer - eine Un-Kategorie - weiß, rosa, beige, verschiedenste Schattierungen von Hautfarbe.

Nur scheint momentan selten ein offenes, interessiertes Gespräch über solche Widersprüche möglich zu sein. Entweder / Oder. "Wer nicht für mich ist, ist gegen mich." Unterstellungen nehmen ihren Lauf und, was ich besonders hasse, mir wird erklärt, was ich eigentlich wirklich denke. 

Ich denke alles Mögliche. Ich will alles Mögliche denken dürfen. Das ist der Vorteil einer Demokratie, alles darf gedacht werden und auch befragt, gesagt, diskutiert werden. Nur wenn Schaden droht, Menschen gefährdet werden, greift der Staat ein. 

Bemerkung am Rande: Wenn die BVG das Wort "Schwarzfahren"  aussortiert, wirkt das wie vorauseilender Gehorsam, aber vor wem eigentlich? Schwarzfahren stammt ab von dem jiddischen Wort "shvarts", dass heißt Armut. Ist arm sein, möglicherweise auch un-woke? Das wäre zu begrüßen, wenn damit Armut abgeschafft würde.

Ob ich gendere oder nicht ist meine Sache. Und ich muß damit leben, dass andere Leute anders denken. Ob ich Triggerwarnungen für Verhätschelungen halte, die Auseinandersetzungen mit der wirklichen Welt verhindern oder nicht, it's open for discussion. Ich muß aushalten, dass Menschen glauben, die Welt wäre flach, Darwin sei ein Idiot, den Klimawandel gäbe es nicht. Aber, mir scheint, die Akzeptanz meiner Mitmenschen für Abweichungen von der festgelegten Norm nimmt ab. Und das zu einer Zeit, in der die wirklichen Abgründe noch tiefer zu werden scheinen.

Jeder, der nicht meinen Tod, meine Selbstauflösung, meine Unterwerfung fordert, jeder, der mir meine Existenz mit ihren irrationalen Komplikationen zugesteht, jeder, der sich nicht unumstößlich sicher ist, dass er im Recht ist, fühle sich hiermit eingeladen, sich mit mir zu streiten.


Sonntag, 15. August 2021

Ein Caesar Salat, nur ein bisschen anders.

New York ist für mich, among many other things = unter anderem, der Inbegriff des perfekten Ceasar Salates, gewaltig groß, frisch, beißend, überraschend. Die Stadt ist laut, schnell, zu schnell, dreckig und dieser klare, heftige Salat ist wie eine Erholungspause von all der Überforderung, eine klare Ansage, eine Feststellung von Geschmack, eine Auszeit von der Menge der Eindrücke.

Zuhause in Deutschland, in allen möglichen Städten begegneten mir viele Versionen von etwas, dass sich Ceasar-Salat nannte, alle lascher, unentschiedener, im schlimmsten Falle geradezu unerkennbar.

Woraus besteht das Wunderding? Aus Romanasalat, Olivenöl, Zitrone, Knoblauch, Anchovis, Parmesan.

Und wem das nicht reicht, der gibt Worcestersauce (Hä?), Dijonsenf (Ok.), Croutons (Naja!), oder gebratene Hühnerbrüste dazu.

Ich nicht.

Nun hier eine Variante, die ich (wieder einmal) von Nigella Lawson gestohlen habe: Romanasalat halbieren und mit der geschnitten Seite nach oben in eine Backform legen. Ofen auf etwa 210 Grad aufheizen, über die Salatherzen ein Dressing aus 2 Eßlöffeln Olivenöl, einer zerdrückten Knoblauchzehe, dem Saft einer halben Zitrone und dem Abrieb ihrer Schale träufeln, dann in den Ofen schieben und circa 10 Minuten abwarten. Zwischenzeitlich ein oder zwei Spiegeleier braten bis das Weiße fest, das Gelbe aber noch flüssig ist. 

Den Salat aus dem Ofen holen, Parmesan drüber reiben und das Spiegelei oder die Eier drauflegen.

Die Salatstrünke sollten noch Biß haben, damit man was zum Beißen hat.

Warmer Salat, klingt gräßlich, ist aber ein Genuß.

Freitag, 25. Juni 2021

THE WORLD ACCORDING TO MARVEL

SPOILERWARNUNG FÜR ALLE BISHERIGEN MARVELPRODUKTIONEN!

ICH LIEBE SUPERHELDENFILME. 

Was kann ich zu meiner Verteidigung sagen? 

Meine Mutter hat als Emigranten-Kind in Los Angeles Comicbücher gesammelt und mußte sie zurücklassen, als es zurück nach Deutschland ging? (Inclusive Superman Heft 1!) Und sie hatte ein Faible für die Thorfilme, tja, blonde witzige Männer, ihr "Ekke"-Komplex. Es war ein Riesenspaß mit ihr, imerhin schon achtzigjährig, mit Popcorn und Cola und Drei-D-Brille bewaffnet, diesen wahrlich gut gemachten Trash zu gucken. Jetzt ist sie fort und unser Kino am Potsdamer Platz auch, Disney Plus und alleine gucken ist nicht dasselbe. Aber; coranabedingt, tue ich es doch.

Ich liebe auch andere, ernsthafte Dinge? Manche Menschen, das Wort ist nicht genderbar, (oder?) lieben Torte, manche Proust, manche mathematische Gleichungen. Ich halt, unter vielem anderen, SUPERHELDENFILME

Wikipedia liebe ich auch, aber nur ein bisschen: Liebe (über mittelhochdeutsch liep, „Gutes, Angenehmes, Wertes“ von indogermanisch *leubh- gern, lieb haben, begehren) ist eine Bezeichnung für stärkste Zuneigung und Wertschätzung.

SUPERHELDENFILME. Marvel, DC eher weniger. 

Kevin Feige hat die meisten dieser Filme produziert. X-Men und Deadpool laufen zwar extra, werden aber sicher noch zueinander finden. Herr Feige ist schlau, klug, ob aus Geschäftssinn oder weil er die Welt beobachtet und ihrer Veränderung folgt oder aus einer Mischung von beidem. 

Noch in Iron Man II wurde Scarlett Johansson von Iron Man lässig mit ziemlich sexistischen Bemerkungen begrüßt, Heute hat Marvel mit Wonder Woman, Captain Marvel, Black Widow, der Valkyrie, Wanda Maximoff, Storm, Jean Grey und anderen viele starke, eigenwillige weibliche Frauen in Hauptrollen. 

Captain America ist schwarz. Endlich. Vor drei Jahren habe in Washington Square Park in New York Black Panther im Freilichtkino gesehen, einen tollen Film mit fast ausschließlich schwarzen Besetzung und auch im Publikum waren wir als Weiße in deutlicher Minderzahl. Was für ein Erlebnis, einmal für zwei kurze Stunden Film aus der anderen Perspektive, der nicht "wichtigen", zu erleben

Wanda Vision erzählt von PTSD und gibt uns gleichzeitig eine Geschichte der Vorabendserie. Ich habe sicher nicht alle Referenzen erkannt: I love Lucy, Die Partridge Familie, Verliebt in eine Hexe, Zauberhafte Jeannie, Mary Tyler Moore.

18.00 Uhr bis 18.30 und dann eine weitere halbe Stunde bis 19.00 Uhr, das war zwischen 7 und 13, also 1965 und 1971 meine erlaubte Fernsehmenge an Wochentagen.

Und jetzt Loki, die Serie. Die Infinity-Stones als Briefbeschwerer in einer anderen Zeitebene? Hamlets Vater starb durch einen Schlaganfall, Mephisto war Klempner, Shen-Te eigentlich ein Mann, Bachs 9. hat Mozart komponiert - WTF? Mal sehen, wo das noch hingeht.

Überhaupt die Unverschämtheit mit der Mythologien und sämtliche Science Fiction Motive der letzten zweihundert Jahre und gleichzeitig unsere jetzige Zeit aufgesaugt und durchgeschüttelt werden, ist ein Abenteuer. Zeus & Co kämpfen gegen Aliens (Wonder Woman), ein AI will die Welt retten und sie zu diesem Zweck auslöschen (Age of Ultron), Kämpfe auf einem fiktionalen Balkan und in einem der Kolonialisierung entkommenen High-Tech Land in Afrika (Sukovia & Wakanda), Nazi-Super-Bösewichte und Sozialrevolutionäre (Captain America & The Falcon and the Winter Soldier), der Kalte Krieg und Space War. Und immer Familienaufstellungen, feindliche Brüder, unerreichbare Väter, geliebte, leidende Mütter.

Für mich ist es, als sähe ich meine Welt durch ein Kaleidoskop, amerikanische Superpowervisionen treffen auf gebrochene Helden und die Unvermeidbarkeit einer witzigen Bemerkung. Die Kämpfe interessieren mich weniger, aber das Spiel zwischen manchmal irritierendem America First Gehabe und den irren Typen, die dafür kämpfen oder in diese Kämpfe hineingeraten und die überraschend glaubwürdigen Verdrehungen in die sie hineingeraten, ist mein Spaß.

ICH LIEBE SUPERHELDENFILME.


Sonntag, 13. Juni 2021

Machtmißbrauch, Sexismus, Rassismus = Theater?

Die, meist schmuddeligen Bretter, die mir, irrerweise, immer noch die Welt bedeuten, haben einen ganz eigenen Geruch. Schweiß, geflossen aus Angst und Leidenschaft, Schminke, fettig und süßlich, Staub, immer Staub, erhitzter Staub unter Scheinwerfern, kalter Staub wiederverwenderter Kulissen, die Ausdünstungen von Menschen, spielender Menschen, Menschen im Lampenfieber, helfender Menschen, schauender Menschen. Und die Ausdünstungen aller vergangenen Vorstellungen, der gelungenen und der vergeigten, vermischen sich in diesem stinkenden, duftenenden Mischmasch. Menschen, die diesen Geruch lieben, sind nicht besonders, aber eigenartig. Sie stürzen sich in einen Beruf, der weder sozial, noch finanziell vielversprechende Angebote macht, die Arbeitszeiten sind Scheiße, Anerkennung ungewiss, aber sie, wir wollen, wir müssen diesem Duft nachjagen. Junkies, hooked on theatre.

Seit September 2020 habe ich den nicht mehr gerochen. Ein Junkie auf Entzug.

Machtmißbrauch, Sexismus, Rassismus = Theater?

In letzter Zeit lese, höre ich, wenn über diesen für mich magisch parfümierten Raum gesprochen wird, mindestens einen der drei anderen Begriffe auch. 

Es fing ganz wunderbar an, endlich wird das archaische Machtsystem des deutschen Stadttheaters in Frage gestellt. Endlich. Das Ensemblenetzwerk gründet sich, der GDBA wacht auf. Ein Aufbruch in wütender Liebe zum Theater.

Die Organisationsform des deutschen Stadttheaters wurzelt im Feudalismus und bewirbt sich gleichzeitig um Aufnahme ins Weltkulturerbe. 

Bei Wiki finde ich, dass "ursprünglich am feudalen Hof ein Intendant der Verwalter des (z. B. königlichen oder fürstlichen) Fundus oder der Kleiderkammer war, im Absolutismus bezeichnete man hiermit den Steuereintreiber." Die nahezu ungebremste Machtfülle des Intendanten begünstigt seinen Mißbrauch dieser Macht. 

Die Gagen für die meisten Schauspielerinnen und Schauspieler sind geradezu lächerlich niedrig und ungerecht verteilt zwischen den Geschlechtern, wie allerorten, zu Ungunsten der Frauen. Regieassistenti*innen werden noch schlechter bezahlt und heftiger ausgebeutet. Die Arbeitszeiten aller Leute mit NV Solo-Verträgen sind empörend schlecht geregelt. 

Regisseur*innen verwechseln ihre vereinende, zielgebende Aufgabe mit intellektueller Überlegenheit und herablassender Berechtigung, weil sie es können und verletzen das zerbrechliche, kostbare Verhältnis von Schauspieler*innen und Regisseur*innen immer wieder durch Rücksichtslosigkeit, Ungeduld und mangelndes Talent.

Also gilt es, neu nachdenken, andere, zeitgemäßere Organisations- und Schutzformen zu entwickeln.

Aber allmählich beginnt sich der Ton der Diskussion zu verändern. In diesem schrecklichen Jahr, in dem die Theater nicht spielen konnten, verwandeln sich diese Orte vor meinen lesenden Augen in schlammige, tiefschwarze Abgründe, in denen notgeile weiße Männer hilflose Mitarbeiter*innen  verfolgen, systemischer Rassismus ungehindert Amok läuft, von Angst geschüttelte Schauspieler*innen unter menschenunwürdigem Druck arbeiten. Eine "toxische", systemisch rassistische, ergo kunstfeindliche Umgebung in der ich seit vielen, vielen Jahren meine produktive Zeit verbringe.

Die katholische Kirche wirkt im Vergleich wie ein kinderbespaßendes Bällebad. 

Was habe ich nicht mitbekommen? Während ich inszeniert habe an kleinen, mittleren und großen Theatern und mit freien Gruppen?

Alle Welt und ihr Onkel entschuldigt sich schnellstens und glaubwürdig. Abgesehen davon, dass ich nicht glaube, dass man sich selbst ent-schulden kann, bezweifle ich auch, dass auf diese Art neues Verständnis entsteht. Öffentliche Kritik und Selbstkritik kenne ich gut aus meiner DDR-Schulzeit und habe es schon damals nicht gemocht, ein übles Ritual basierend auf moralischer Erpressung.

Mir scheint es fast so als würde hier keine neuen Kommunikationsformen gesucht, sondern Urteile gefällt, Strafen erlassen, Machtbereiche abgesteckt. Die weg, wir rein, und dann wird alls anders, besser. Eine monumentale, verzweifelte Selbstzerfleischung einer sowieso gefährdeten Kunstform, geführt in digitalen Foren mit Wortgewalt und gnadenloser, verallgemeinernder Wut

Der Stücke-Kanon muß weg ist noch einer der harmlosesten Verbesserungsvorschläge. Kleist weg. Schiller weg. Shakespeare weg. Weil ihre Figuren nicht unserer positiven Erwartung an den modernen Menschen entsprechen. What the fuck? Die meisten Menschen entsprechen nicht unseren Erwartungen. Das ist die Freude unseres Berufes, zu versuchen Konstellationen und Biographien zu verstehen, die uns vollkommen fremd scheinen und sich letztendlich als bekannt entblößen.

"Wenn wir unsere Vergangenheit nicht kennen (verstehen), werden wir keine (bessere) Zukunft haben." Was in klarem Deutsch heißt, wir machen den selben Scheiß wieder und wieder.

Irgendwann geht mir in diesen Auseinandersetzungen die Kunst verloren. 

Ich bin ziemlich alt, weiß, jüdisch, weiblich und noch viele andere Dinge. Das heißt was? Ich sollte besser gar keine Meinung haben? Meine Meinung ist sowieso systemisch rassistisch? Mich mochten Leute nicht, weil mein Nachname sie ärgerte, oder weil ich eine laute Frau war, oder weil ich aus dem Osten war. So what the fuck?

Wie werden wir probieren, wenn wir nicht mehr angstfrei, grenzenlos spinnen können? 

Sind alle Ankläger Opfer, die in gerechter Wut aufbegehren? Welche Eigeninteressen spielen eine Rolle? Könnten wir uns darauf einigen, nicht grundsätzlich selbstgerecht zu sein?

Ich habe in meiner Zeit als Theaterarbeiter nicht den Eindruck gehabt, es ginge hier grundsätzlich anders zu, als in der übrigen Welt. Soziale Abhängigkeit und Unsicherheit führt zu Ungerechtigkeit und sind ein gewöhnlicher und immanenter Teil des kapitalistischen Systems, in dem wir alle leben. 

Sind wir sauer auf uns selbst, weil wir besser verdienen, wenn wir uns nicht ganz treu bleiben? Verkaufen wir unsere Besonderheit für Anwesenheit in der Presse? Sind wir neidisch? Haben wir unrealistische Ansprüche? Ist Opfer sein ein Alleinstellungsmerkmal?

Wollen wir Gerechtigkeit? Für jeden? Gibt es die? Wo? Wie?


Beide Bilder sind Ausschnitte eines Frescos an der Decke des Domes in Florenz.

Freitag, 14. Mai 2021

Ich liebe Impfungen ODER Sonderrechte für Geimpfte

Eine Umfrage in "Der Zeit" will von mir wissen, ob ich etwas gegen "Sonderrechte für Geimpfte" hätte. Ja, hätte ich, aber ich hätte rein gar nichts dagegen, sogar heftige Gefühle dafür, dass sie ihre zur Einschränkung der Pandemie eingeschränkten Grundrechte wieder ausüben können.

Unter Impfgegnern und Maskenablehnern gibt es scheinbar gerade eine erregte Diskussion darüber, dass Geimpfte möglicherweise ein hochgefährliches Gift ausscheiden und ob sich Masken als Schutz davor eignen und ob man ABSTAND von ihnen halten sollte. Oder vielleicht sollte mam die Geimpften besser internieren? Kann man sich nicht ausdenken, wie eine Freundin sagte.

Die Pocken sind weg, Polio auch und Tetanus, Masern waren es fast. Nur mal so am Rande. Wir sind also alle sowieso schon längst gechipt.

Ja. Bill Gates und sein Chip, was macht der eigentlich genau? Persönliche Fernsteuerung ermöglichen? Wohin? Geheime Botschaften übertragen? Welche? Wenn Gates, wie ich gelesen habe, die Menschheit ausrotten will, warum genau? Wenn er die Neue Weltordnung anstrebt, ist die für ihn ertragreicher als die jetzige (Un)-Ordnung?

Woher kommt dieses weitverbreitete Mißtrauen gegenüber der Wissenschaft? Ich zum Beispiel liebe Wissenschaft. Ohne sie wäre ich nämlich schon längst tot. Was nicht heißt, dass sie, in den falschen Händen, nicht auch gräßliche Verbrechen ermöglicht und befördert. Aber der Aufschrei: BIG PHARMA IST BÖSE, ist so teuflisch versimpelt, dass ich brüllen könnte. Denn Big Pharma hat auch Wege gefunden, unsere Schmerzen zu lindern, unseren Krebs zu bekämpfen, Blinde sehend und Frühchen überleben zu machen. 

Ich, zum Beispiel, kann nicht dübeln. Wenn ich etwas in eine Wand hinein dübeln will, frage ich jemanden, der es kann. Und wenn ich ein medizinisches Problem habe, frage ich einen Facharzt, vielleicht, wenn ich unsicher bin, auch noch einen anderen. Aber letztendlich muß ich mich auf den Rat einer Fachperson einlassen, denn ich selbst habe keine Ahnung von Medizin. Bin ich ein armes Opfr oder privilegierter Empfänger neuester wissenschaftlicher Erkenntnisse?

BIG PHARMA ist genauso dämlich wie DANKE MERKEL. 

Irgendjemand ist an irgendetwas schuld, und ich weiß wer es ist. Und, um zu dieser Erkenntnis zu kommen, habe ich nur die mir genehmen Nahrichten-Kanäle genutzt, denn die widersprechen meinen Lieblingsvorurteilen nicht.

Aspirin ist ein ziemlich gefährliches Medikament, Beipackzettel von Aspirin 500mg überzogene Tabletten: ASPIRIN 

Lasst euch impfen! Der Herr Drosten hat es gut formuliert: „Dieses Virus wird endemisch werden, das wird nicht weggehen. Und wer sich jetzt beispielsweise aktiv dagegen entscheidet, sich impfen zu lassen, der wird sich unweigerlich infizieren.“ Dagegen könne man nichts tun, da die Maßnahmen mit der Zeit immer weiter zurückgefahren würden."... diejenigen, die sich aktiv gegen die Impfung entscheiden, die müssen wissen, dass sie sich damit auch aktiv für die natürliche Infektion entscheiden. Ohne jede Wertung“


Samstag, 1. Mai 2021

DAS C-WORT XXXV oder MMMDCCXXXIX - WHATEVER

Ich stelle mir vor
irgendwann,
aber bald
nach Mannheim zu Kiefer,
nach Leipzig zu Gursky,
nach Gent zu Milo Rau zu fahren.
Und
im Kino "Der Rausch" zu sehen,
oder irgendeinen Superheldenquatsch.
Und
ein Essen in einem Restaurant zu bestellen und es dort zu essen.
Und
im Theater irgendwas, egal was zu gucken in einem knackevoll gefüllten Saal.
Und
ins Schwimmbad, in die Sauna, ins Hamam zu gehen mit einer Freundin.
Und
eine verrauchte, verfressene, trunkene, verquatschte Party zu veranstalten mit viel zu vielen Leuten auf zu wenig Raum.
Und
"Die Nibelungen" wiederaufzunehmen. Und "Das Abschiedsdinner".
Und
zu probieren mit Schauspielern, die schwitzen, lachen, spucken mit Nähe, Intensität,  Auseinandersetzungen, Überraschungen, Schrecken und Freude.
Und
nicht jeden Morgen über so viele, so sehr viele Erkrankte und Gestorbene in einem doch nicht wirklich weit entfernten Land zu lesen.
Und
mich mit Leuten bis aufs Blut über ein strittiges Thema zu streiten, ohne dass ich als Brandstifter, Reaktionär, zu alt, zu weiß, generell zu blöd oder sonstwas, dass nichts mit dem Thema zu tun hat, bezeichnet werde.
Und 
ein Gespräch über die Wandlung meiner Muttersprache zu führen, welches in Erwägung zieht, dass Sprache Realität spiegelt und sie auf verordnete Veränderung mit Verletzung reagiert. 
Sie ist eine alte und sich trotzdem ständig verändernde Braut und mag es nicht bevomundet zu werden. Nicht mal, wenn es gut gemeint ist. Gebt ihr Zeit.
Und 
zu wissen, dass Jugendliche wieder verantwortungslos sein dürfen, Kinder wieder ahnungslos.
Und
albern zu sein, ohne schlechtes Gewissen.
Und?

Sonntag, 11. April 2021

DIE IMPFUNG - Ein Guter Tag

Ich, 62, Risikopatient, höre im Angebot ist Astrazeneca, 3 Tote auf über eine Millionen Geimpfte, also nichts rein damit. Natürlich will ich nicht die vierte Tote sein, aber irgendein Risiko ist immer. 

Im Osten wurden wir, wie üblich, gar nicht erst gefragt und nach einem tiefen, heftig blutenden  Schnitt habe ich mir letztens schnell eine Tetanus-Auffrischung geholt. Jeder Urlauber in exotischen Gefilden läßt sich widerspruchslos gegen Gelbfieber, Malaria und ich weiß nicht was impfen. Die jährliche Grippeimpfung ist ok, aber die Coronaimpfung nicht? Wir schlucken Aspirin und die Anti-Baby-Pille, aber gerade jetzt werden wir vehemente Medikamentkritiker? Masernparties sind, so höre ich, en vogue, aber ich habe noch von keiner Kinderlähmungsparty gehört. Was ist los mit uns, dass Mißtrauen gegenüber der Wissenschaft unsere erste Wahl geworden ist? Mailab ist meine go-to Site, sie ist lustiger als Drosten und Lauterbach und doch Wissenschaftlerin und exzellente Erklärerin. Von meinem Job verstehe ich einiges, weil ich den lang studiert und ausgeübt habe, bei anderen Fachgebieten versuche ich vertrauenswürdige Fachleute zu finden und halte mich dann an deren Empfehlungen. 

Das ist mir bisher gut bekommen, Kaiserschnittgeburt, Keuchhusten mit neun, alle möglichen Impfungen entsprechend der DDR-Impfregelungen, Sehhilfen seit 55 Jahren, zwei wunderbar hilfreiche, rettende Stimmbandoperationen, 6 Transplatate im Kiefer und Medikamente für eine mögliche Herzschwäche - vermutlich wäre ich stimmlos und tot ohne die Errungenschaften der nun so verfehmten Wissenschaft.

Die Impfung - ein denkwürdiges Erlebnis, mit der U-Bahn zum Paradeplatz, dann ein Shuttle zur Impfstelle, für einen Moment die apokalyptische Vision, jetzt shutteln sie uns, gefangen in unseren Masken, nach irgendwo außerhalb der Stadtgrenzen und killen und verbuddeln uns. Nur ein Moment, aber ich gucke zu viele amerikanische Action Filme und habe eine überaktive Phantasie.

Ankunft auf dem Flughafen, ein kurzer Weg in eine riesige, ehemalige Abflughalle, vermutlich. Telefone sind nicht erlaubt, Waffen sind abzugeben, eine kleine Schüssel mit Taschenmessern läßt keine Angst vor Terrorangriffen aufkommen. Das Impfritual beginnt, hunderte freundliche Mitbürger in verschienenfarbigen Westen im Zweimeterabstand leiten mich, weisen mich, helfen mir, es ist geradezu deutscher als deutsch, organisiert, überorganisiert. Und jeder ist nett. Also doch nicht so deutsch.

Ich habe nix zu meckern. O Gott. Was mache denn dann jetzt? Nicht meckern können, der Albtraum des deutschen Bürgers. Nebenbei bemerkt, ich bin durchaus willig über viele Entscheidungen unserer Regierung während dieser Krise lauthals und überzeugt zu meckern.

Meine "Nebenwirkungen" beschränkten sich auf einen müden Tag und belanglose Schmerzen an der Einstichstelle.

Glückspilz.


Freitag, 5. März 2021

HEINZ KLEVENOW

Heinz Klevenow ist gestorben. Zu früh.

Er war, was ich den guten Lehm nennen möchte, der unser wackeliges Theatergebäude zusammenhält. Hart arbeitend, enthusiastisch, herzlich, interessiert, wach, kollegial. Ein wunderbar heutiger Clown.
Er war nicht Schauspieler von Beruf, er WAR Schauspieler, mit jeder Faser, mit dem Herzen und dem Hirn.
Er ist Jahrzehnte lang mit seiner Familie durch die ostdeutsche Republik gewandert und hat an vielen Orten für gutes Theater gesorgt. Nach dem Fall der Mauer hat er dann das Senftenberger Theater in die neuen, verwirrenden Zeiten gelenkt.
Und er spielte gern, so gern, so ganz und gar. Und wie er sich geärgert hat, wenn er mal nicht auf den Text kam!
Ich vermisse ihn. 
Billy, seine Frau und Mitkämpferin, umarme ich aus der Ferne und sende ihr Küsse und Liebe und wünsche mir, dass sie TROTZALLEDEM die Kraft findet, weiter zu spielen.