Ein Theaterabend.
Er ist lang. Ich darf nicht in Gemütlichkeit verfallen.
Die Ästhetik ist karg & makellos, der für das Licht notwendige Theaternebel pufft allerdings immer noch deutlich sichtbar von dem Ort, an dem die ihn produzierende Maschine steht, bevor er sich elegant verteilt. Das Licht ist präzise, die Übergänge weich, unmerklich, das zusätzliche Neon des Bühnenbildes sichert ab, dass es nicht schön aussehen darf und ist immer leicht zu grell.
Die Musik erklingt ohne Unterlaß und begleitet oder führt die emotionalen Bögen der Inszenierung, Bassteppiche, wechselnde Rhythmen, langsam anwachsende Intensität auf ein Crescendo hin, langer Nachklang. Emotionale, dramaturgische Wendungen, Spannungsmomente, auch das, was man gemeinhin Ausbrüche nennt, selbst die wortlosen Phasen sind durchkomponiert. Ich werde akustisch beim Ohr genommen und geleitet. Dabei ist es wichtig, dass die Lautstärke über weite Strecken leicht über dem mir angenehmen Level liegt. Das trifft auch für die Mikroports der Schauspieler zu.
Die Schauspieler. Tolle Leute dabei.
Sprechduktus, Bewegungstempo, Blickrichtung sind mit leichten Abweichungen, für alle Darsteller gleichermaßen festgelegt. Ein Wort, zwei Worte, drei sind die Ausnahme, Pause, ein Wort, zwei Worte, die Ausnahme. Die körperliche und geatmete Anspannung ist konstant hoch, Momente der Entspannung, Unterspannung, Abwesenheit werden vermieden. Stille und Stillstehen kommen nicht vor. Brüche sind unerwünscht.
Kann mich ein Schauspieler aus sich heraus ohne akustische Beihilfe beim Kragen nehmen und hinreißen?
Hier sind Strenge gegen die Spieler und Strenge gegenüber dem Publikum angestrebt.
Nicht mein Interesse, mein Vergnügen, mein Zorn sollen angesprochen werden, ich werde zum Teil einer Gemeinde bestimmt, zum Teilnehmer eines Gottesdienstes, eines vermuteten antiken Rituals.
Vielleicht ist es Teil meines Erbes als Bewohner der DDR, dass ich konstanter Erregung gegenüber, sei es Begeisterung oder, wie an diesem Theaterabend, Ergriffenheit, eine mißtrauische, widerborstige Ablehnung zeige.
Der Wettkampf des Intensiven mit dem Noch-Intensiveren ermöglicht keinen Gewinner.
Ungebrochenes Leiden, unbefragte, weil nur ertragene Tragödien, ohne den notwendigen Zweifel, der lebensrettenden Irritation: warum ist es geschehen und wie hätte es vermieden werden können, entlassen mich ärgerlich, hilflos und erschöpft.
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