Donnerstag, 26. April 2018
Kruzifix - Das Kreuz soll gegen Vampire helfen
Ich betrete einen Raum, an der Wand hängen zwei Holzleisten sich rechtwinklig kreuzend, das Kreuz ist nicht rot, nicht als medizinisch helfend definiert, aber manchmal ist es verziert mit der Figur eines dünnen Mannes mit seitwärts ausgestreckten Armen, und Beinen, die leicht seitwärts wegkippen. Was schießt mir durch den Kopf? Ja, das ist meine kulturelle Identität! Dies hier definiert mich.
Tut es nicht. Ich bin atheistischer Jude, dass heißt, ich glaube nicht, dass ein Messias für mich gestorben ist, aber leider auch nicht, dass er demnächst oder überhaupt kommen wird. Gebt mir Stühle, ich setze mich zwischen alle.
Ich weigere mich ins Mittelalter zurückzufallen. Nur wir selbst können uns retten. Ich definiere mich über Sprache, Ängste, Gewohnheiten, Vorlieben. Niemand ist mir untergeordnet, niemand ist besser als ich. Aber auch, NIEMAND darf mir vorschreiben, was ich glaube, denke, fühle.
https://de.wikipedia.org/wiki/Kreuz_(Christentum)
ES IST EIN KREUZ MIT DEM KREUZ:
Das bayerische Kabinett hat am Dienstag in München das Aufhängen von Kreuzen in Dienstgebäuden des Freistaats beschlossen.
Der Tagesspiegel vom 25.04.2018
SEIN KREUZCHEN MACHEN:
Ministerpräsident Markus Söder (CSU) sagte, die Kreuze sollen kein religiöses Symbol des Christentums sein. "Das Kreuz ist das grundlegende Symbol der kulturellen Identität christlich-abendländischer Prägung". Es verstoße nicht gegen das Neutralitätsgebot.
https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2018-04/markus-soeder-csu-kreuz-christentum-behoerden-bayern
KREUZ UND QUER:
Für den hl. Paulus hat das Kreuz einen grundlegenden Primat in der Geschichte der Menschheit; es stellt den Brennpunkt seiner Theologie dar, denn vom Kreuz reden heißt vom Heil als der jedem Geschöpf geschenkten Gnade reden. Das Thema des Kreuzes Christi wird ein wesentliches und vorrangiges Element der Verkündigung des Apostels...
Das Kreuz ist aufgrund all dessen, was es darstellt, und somit auch wegen der in ihm enthaltenen theologischen Botschaft Ärgernis und Torheit. Der Apostel sagt das mit beeindruckender Kraft, und wir tun gut daran, es uns in seinen eigenen Worten anzuhören: »Denn das Wort vom Kreuz ist denen, die verloren gehen, Torheit; uns aber, die gerettet werden, ist es Gottes Kraft. Es heißt nämlich in der Schrift: Ich lasse die Weisheit der Weisen vergehen und die Klugheit der Klugen verschwinden. Wo ist ein Weiser? Wo ein Schriftgelehrter? Wo ein Wortführer in dieser Welt? Hat Gott nicht die Weisheit der Welt als Torheit entlarvt? Denn da die Welt angesichts der Weisheit Gottes auf dem Weg ihrer Weisheit Gott nicht erkannte, beschloß Gott, alle, die glauben, durch die Torheit der Verkündigung zu retten. Die Juden fordern Zeichen, die Griechen suchen Weisheit. Wir dagegen verkündigen Christus als den Gekreuzigten: für Juden ein empörendes Ärgernis, für Heiden eine Torheit« (1 Kor 1,18–23).
PAPST BENEDIKT XVI. GENERALAUDIENZ Mittwoch, 29. Oktober 2008
ES IM KREUZ HABEN:
Die Kreuzigung war eine im Alten Orient und in der Antike verbreitete Hinrichtungsart. Sie entwickelte sich aus dem Hängen, sollte aber anders als dieses die Todesqual möglichst verlängern. Dazu wurde eine Person an einen aufrechten Pfahl, mit oder ohne Querbalken, gefesselt oder genagelt.
https://de.wikipedia.org/wiki/Kreuzigung
ÜBER KREUZ GERATEN:
Römische Bürger durften von Rechts wegen nicht gekreuzigt werden. Je nach sozialer Stellung drohte dem Verurteilten in der Frühzeit der Felssturz, später und seltener die Enthauptung, der Freitod oder die Verbannung. Für die römische Klassenjustiz galt die Kreuzigung als schmachvoller Sklaventod, von dem römische Bürger nichts wissen wollten. So schrieb Cicero: Nomen ipsum crucis absit non modo a corpore civium Romanorum, sed etiam a cogitatione, oculis, auribus.„Was Kreuz heißt, soll nicht nur vom Leib der Bürger Roms fernbleiben, sondern auch schon von ihrer Wahrnehmung, ihren Augen und Ohren.“
https://de.wikipedia.org/wiki/Kreuzigung
DIE KIRCHE UMS KREUZ TRAGEN:
Das wohl bekannteste Abwehrmittel gegen Vampire ist Knoblauch.
Da Vampire Ausgeburten der Hölle sind, können sie Kirchen nicht besuchen und ebenfalls keine Kreuze betrachten, geschweige denn, berühren. Weihwasser ist schädlich für Vampire, wenn sie es berühren bzw. damit bespritzt werden.
Rosenkränze bilden ebenfalls ein Abwehrmittel gegen Vampire.
http://de.vampiridia.wikia.com/wiki/Abwehrma%C3%9Fnahmen
Dienstag, 24. April 2018
Ein Blog zum Blog
Theaterliebe - mein Blog, meine Liebe
Den ersten Bolgeintrag habe ich am 6. November 2010 geschrieben. Siebeneinhalb Jahre ist das her. Mittlerweile sind es 1927 Texte mit
1.441.502 Seitenaufrufen. Manchmal war es nur ein Gedicht, manchmal waren es längere Ergüsse. Ein ungeplanter, mich manchmal selbst überraschender Gang durch einen Garten, einen Dschungel, ein unkrautüberwuchertes Beet, eine blühende Wiese, einen mickrigen Blumentopf, also durch mein Gehirn. Manche Leser klickten nur mal kurz, andere wurden zu Mitdenkern, Unterstützern, Freunden.
Dieser Blog ist ein freier Raum für mich. Außer auf das Copyright von Zitaten und Bildern, muß ich wenig Rücksicht nehmen, kann mich gehen lassen. Zu privat soll es nicht werden und nicht absichtsvoll beleidigend, aber, und jetzt benutze ich ein Wort, dem ich gewöhnlicherweise abgeneigt bin, authentisch. Mit mir übereinstimmend, dementsprechend was ich wirklich denke.
Angefangen habe ich mit diesem Ding, weil ich Angst bekam, eines Tages theaterverbohrt und oberflächlich zu werden. Allgemeines Meckern, ungenaues Denken, beleidigender Tunnelblick, uninformierte Ignoranz, nachlässige Respektlosigkeit, eitle Selbstgerechtigkeit, unbedachtes Verhalten, dass ich bei mir und anderen beobachtete.
Zu seinem Wort zu stehen, kann man leicht vermeiden, wenn man nur so daherquatscht. Aber einmal niedergeschrieben, ist es viel schwerer, sich nicht für das Formulierte verantwortlich zu fühlen. Da steht es, nachweisbar, zitierbar.
Ich mag das, mich zu positionieren, überprüfbar zu sein, mich exakt formulieren zu müssen.
Manchmal kommentiert niemand, aber es bleibt doch ein Gespräch, eines mit mir selbst über das, was ich denke.
Den ersten Bolgeintrag habe ich am 6. November 2010 geschrieben. Siebeneinhalb Jahre ist das her. Mittlerweile sind es 1927 Texte mit
1.441.502 Seitenaufrufen. Manchmal war es nur ein Gedicht, manchmal waren es längere Ergüsse. Ein ungeplanter, mich manchmal selbst überraschender Gang durch einen Garten, einen Dschungel, ein unkrautüberwuchertes Beet, eine blühende Wiese, einen mickrigen Blumentopf, also durch mein Gehirn. Manche Leser klickten nur mal kurz, andere wurden zu Mitdenkern, Unterstützern, Freunden.
Dieser Blog ist ein freier Raum für mich. Außer auf das Copyright von Zitaten und Bildern, muß ich wenig Rücksicht nehmen, kann mich gehen lassen. Zu privat soll es nicht werden und nicht absichtsvoll beleidigend, aber, und jetzt benutze ich ein Wort, dem ich gewöhnlicherweise abgeneigt bin, authentisch. Mit mir übereinstimmend, dementsprechend was ich wirklich denke.
Angefangen habe ich mit diesem Ding, weil ich Angst bekam, eines Tages theaterverbohrt und oberflächlich zu werden. Allgemeines Meckern, ungenaues Denken, beleidigender Tunnelblick, uninformierte Ignoranz, nachlässige Respektlosigkeit, eitle Selbstgerechtigkeit, unbedachtes Verhalten, dass ich bei mir und anderen beobachtete.
Zu seinem Wort zu stehen, kann man leicht vermeiden, wenn man nur so daherquatscht. Aber einmal niedergeschrieben, ist es viel schwerer, sich nicht für das Formulierte verantwortlich zu fühlen. Da steht es, nachweisbar, zitierbar.
Ich mag das, mich zu positionieren, überprüfbar zu sein, mich exakt formulieren zu müssen.
Manchmal kommentiert niemand, aber es bleibt doch ein Gespräch, eines mit mir selbst über das, was ich denke.
Montag, 23. April 2018
Rom am DT - Das Volk glänzt durch Abwesenheit
ROM nach William Shakespeare verkürzt & verzahnt von John von Düffel und in Szene gesetzt von Karin Henkel am Deutschen Theater in Berlin mit acht Spielern und einem Kind, mit zu viel Bühnenbild & guter Musik, aber weniger akustische Untermalung wäre schön gewesen.
Wiki schreibt: Demokratie (von altgriechisch δημοκρατία, deutsch ‚Herrschaft des Staatsvolkes‘; von δῆμος dēmos „Staatsvolk“ und altgriechisch κρατός kratós „Gewalt“, „Macht“, „Herrschaft“) bezeichnet heute Herrschaftsformen, politische Ordnungen oder politische Systeme, in denen Macht und Regierung vom Volk ausgehen.
Coriolan, Julius Cäsar und Antonius & Cleopatra, zwischen den ersten beiden Geschichten liegen 400 Jahre. Die Römische Republik oder zumindest der erste Versuch einige freie, meist reiche, ausgewählte Bürger durch Wahl an den politischen Entscheidungen zu beteiligen, bestand vom Ende der Königsherrschaft bis zur Errichtung des Kaisertums am 13. Januar 27 v. Chr. durch Machtverzicht des Senats. Ulrich Seidler nannte den Abend einen kurzweiligen Schnelldurchlauf durch Shakespeares Römerdramen.
Verrückt. Das Volk, demos, tritt nie auf. Über es wird geätzt, gewütet, verhandelt, entschieden. Es, wir, die Leute, die Masse, wankelmütig, in der Menge dumm oder kurzsichtig, aber halt auch unverzichtbar. Es arbeitet, kämpft Kriege, hungert oder nicht, es wird regiert, von Männern & Müttern, die es verachten, sein Bestes wollen oder es ignorieren.
Bis zur Pause sah ich einen spannenden Diskurs über die verdrehte Rolle der Wahrhaftigkeit in der Politik. Was ist besser, ein ehrliches Arschloch oder ein Taktiker mit guten Absichten. Es wurde von mir verlangt, zuzuhören, langen Dia- und Monologen. Wenn es zu anstrengend wurde, half Kate Strong mit klarem Ton, zynischem Witz und tänzerisch expressivem Körper.
Mütter, die machtgierige Söhne formen und die Söhne, die nicht wissen oder wissen wollen, wo das große Ganze und ihre eigenen Bedürfnisse, Gelüste sich überschneiden oder ausschließen. Was für ein gewalttätiges, scheinbar unvermeidlches endloses Debakel.
Nach der Pause wurde es leider sehr privat, gefühlig, allgemein. Persönliche Schwäche und Liebesverwirrung anstatt gesellschaftlichen Konfrontationen. Ich weiß, es ist verflixt schwer acht Spieler auf eine Spielweise zu konzentrieren, hier ist es nicht immer gelungen. Ich mochte, dass sie sich getraut haben, unsere Politik-Verwirrung so erbarmungslos auszudiskutieren, auch wenn sie nicht bis zum Ende durchgehalten haben.
Charmian.
... So, fare thee well.
Now boast thee, death, in thy possession lies
A lass unparallel'd. Downy windows, close;
And golden Phoebus never be beheld
Of eyes again so royal! Your crown's awry;
I'll mend it, and then play.
...So fahrewohl!
Nun triumphiere, Tod! du führtest heim
Das schönste Frau'nbild. Schließt euch, weiche Fenster!
Den goldnen Phöbus schaun hinfort nicht mehr
So königliche Augen. Deine Krone Sitzt schief;
ich richte sie: dann will ich spielen.
Wiki schreibt: Demokratie (von altgriechisch δημοκρατία, deutsch ‚Herrschaft des Staatsvolkes‘; von δῆμος dēmos „Staatsvolk“ und altgriechisch κρατός kratós „Gewalt“, „Macht“, „Herrschaft“) bezeichnet heute Herrschaftsformen, politische Ordnungen oder politische Systeme, in denen Macht und Regierung vom Volk ausgehen.
Coriolan, Julius Cäsar und Antonius & Cleopatra, zwischen den ersten beiden Geschichten liegen 400 Jahre. Die Römische Republik oder zumindest der erste Versuch einige freie, meist reiche, ausgewählte Bürger durch Wahl an den politischen Entscheidungen zu beteiligen, bestand vom Ende der Königsherrschaft bis zur Errichtung des Kaisertums am 13. Januar 27 v. Chr. durch Machtverzicht des Senats. Ulrich Seidler nannte den Abend einen kurzweiligen Schnelldurchlauf durch Shakespeares Römerdramen.
Verrückt. Das Volk, demos, tritt nie auf. Über es wird geätzt, gewütet, verhandelt, entschieden. Es, wir, die Leute, die Masse, wankelmütig, in der Menge dumm oder kurzsichtig, aber halt auch unverzichtbar. Es arbeitet, kämpft Kriege, hungert oder nicht, es wird regiert, von Männern & Müttern, die es verachten, sein Bestes wollen oder es ignorieren.
Bis zur Pause sah ich einen spannenden Diskurs über die verdrehte Rolle der Wahrhaftigkeit in der Politik. Was ist besser, ein ehrliches Arschloch oder ein Taktiker mit guten Absichten. Es wurde von mir verlangt, zuzuhören, langen Dia- und Monologen. Wenn es zu anstrengend wurde, half Kate Strong mit klarem Ton, zynischem Witz und tänzerisch expressivem Körper.
Mütter, die machtgierige Söhne formen und die Söhne, die nicht wissen oder wissen wollen, wo das große Ganze und ihre eigenen Bedürfnisse, Gelüste sich überschneiden oder ausschließen. Was für ein gewalttätiges, scheinbar unvermeidlches endloses Debakel.
Nach der Pause wurde es leider sehr privat, gefühlig, allgemein. Persönliche Schwäche und Liebesverwirrung anstatt gesellschaftlichen Konfrontationen. Ich weiß, es ist verflixt schwer acht Spieler auf eine Spielweise zu konzentrieren, hier ist es nicht immer gelungen. Ich mochte, dass sie sich getraut haben, unsere Politik-Verwirrung so erbarmungslos auszudiskutieren, auch wenn sie nicht bis zum Ende durchgehalten haben.
Charmian.
... So, fare thee well.
Now boast thee, death, in thy possession lies
A lass unparallel'd. Downy windows, close;
And golden Phoebus never be beheld
Of eyes again so royal! Your crown's awry;
I'll mend it, and then play.
...So fahrewohl!
Nun triumphiere, Tod! du führtest heim
Das schönste Frau'nbild. Schließt euch, weiche Fenster!
Den goldnen Phöbus schaun hinfort nicht mehr
So königliche Augen. Deine Krone Sitzt schief;
ich richte sie: dann will ich spielen.
Donnerstag, 19. April 2018
Ein sonnenbeschienener Nachmittag mit Erinnerungen
Irgendwann, letztes Jahr, bei einem Besuches des Dorotheenstädtischen Friedhofs, bemerkte ich mit leichtem Schrecken, wieviele der Bewohner dieses Ortes ich einst persönlich kannte. Mein erster Intendant, viele Kollegen, Bekannte und geliebte Verwandte.
Heute nachmittag ein frühsommerliches Treffen mit alten Kolleginen. Nicht etwa die Frauen sind alt, es ist nur schon länger her, dass wir Kolleginnen waren. Kuchen und Kaffee und Champagner und Sonne auf einer herrlichen Terasse und gutes Schwatzen über Gott und die Welt.
Doch es entstand ein scheinbar unvermeidlicher Rhythmus: Zuerst was jetzt passiert. Neue Arbeit, neue Abenteuer. Wer letztlich gestorben ist. Einige. Wer wie krank ist. Zu viele. Wem es gut geht. Ja, die gibt es auch. Dies unterschnitten von begeisterten Lese- und Filmtipps.
Eine Freundin beschrieb es so, die gebrauchten Worte haben sich unmerklich verändert, vom jungen Unbestimmten - irgendwann, jetzt noch nicht, aber vielleicht später, zum älter gewordenen Gewußten - jetzt bald, nicht mehr, hoffentlich noch, vorbei.
Das ist nicht schlimm, nur schlau.
Was wir jetzt nicht tun, werden wir bald nicht mehr tun können. Fakt.
Als ich meine jetzige Wohnung, man ist die schön, gesucht habe, wußte ich, nur mit Fahrstuhl oder im ersten Stock geht, wenn ich da lang bleiben will. Ich bin immerhin Raucher.
Aber ich habe heute auch wieder erfahren, wie viele bemerkenswerte Menschen ich kennenlernen durfte. Und, Gott, an den ich nicht glaube, sei Dank, sind einige von ihnen noch herrlich munter und gesund.
Eine von uns wird zunehmend erfolgreich als Autorin, eine unternimmt Segeltörns der unfassbaren Art und lebt überhaupt ein überraschendes und ganz und gar selbstbestimmtes Leben, eine ist ein Knotenpunkt für den Informationsfluß zwischen unzählig anderen, älteren Kunstinteressierten, eine ist noch genauso wach und zart und fein, wie sie es immer war. Ich bin auch noch ganz munter.
Ältere Frauen sind cool.
Außer, wenn sie, wie ich gestern, beim Konzert einer jungen Band Platzangst kriegen und unverrichteter Dinge vorzeitig gehen müssen. Allerdings mußte ich auch im September 1989 beim Bob Dylan Konzert in Berlin aus demselben Grund gehen, noch bevor der von mir verehrte Bob die Bühne betrat, und damals war ich erst 31.
Ich bin also noch genauso uncool wie vor dreißig Jahren.
Heute nachmittag ein frühsommerliches Treffen mit alten Kolleginen. Nicht etwa die Frauen sind alt, es ist nur schon länger her, dass wir Kolleginnen waren. Kuchen und Kaffee und Champagner und Sonne auf einer herrlichen Terasse und gutes Schwatzen über Gott und die Welt.
Doch es entstand ein scheinbar unvermeidlicher Rhythmus: Zuerst was jetzt passiert. Neue Arbeit, neue Abenteuer. Wer letztlich gestorben ist. Einige. Wer wie krank ist. Zu viele. Wem es gut geht. Ja, die gibt es auch. Dies unterschnitten von begeisterten Lese- und Filmtipps.
Eine Freundin beschrieb es so, die gebrauchten Worte haben sich unmerklich verändert, vom jungen Unbestimmten - irgendwann, jetzt noch nicht, aber vielleicht später, zum älter gewordenen Gewußten - jetzt bald, nicht mehr, hoffentlich noch, vorbei.
Das ist nicht schlimm, nur schlau.
Was wir jetzt nicht tun, werden wir bald nicht mehr tun können. Fakt.
Als ich meine jetzige Wohnung, man ist die schön, gesucht habe, wußte ich, nur mit Fahrstuhl oder im ersten Stock geht, wenn ich da lang bleiben will. Ich bin immerhin Raucher.
Aber ich habe heute auch wieder erfahren, wie viele bemerkenswerte Menschen ich kennenlernen durfte. Und, Gott, an den ich nicht glaube, sei Dank, sind einige von ihnen noch herrlich munter und gesund.
Eine von uns wird zunehmend erfolgreich als Autorin, eine unternimmt Segeltörns der unfassbaren Art und lebt überhaupt ein überraschendes und ganz und gar selbstbestimmtes Leben, eine ist ein Knotenpunkt für den Informationsfluß zwischen unzählig anderen, älteren Kunstinteressierten, eine ist noch genauso wach und zart und fein, wie sie es immer war. Ich bin auch noch ganz munter.
Ältere Frauen sind cool.
Außer, wenn sie, wie ich gestern, beim Konzert einer jungen Band Platzangst kriegen und unverrichteter Dinge vorzeitig gehen müssen. Allerdings mußte ich auch im September 1989 beim Bob Dylan Konzert in Berlin aus demselben Grund gehen, noch bevor der von mir verehrte Bob die Bühne betrat, und damals war ich erst 31.
Ich bin also noch genauso uncool wie vor dreißig Jahren.
Sonntag, 15. April 2018
Volksseele - Nachtrag
Parallel zu einem geradezu unverschämt schönen sonnigen Sonntag, verbracht mit der Lieblingsnichte und Eiscreme, dann mit einer Freundin und einem überraschend guten Tatort, habe ich auf Facebook verschiedene Diskussionen über das Ende der Intendanz Chris Dercons verfolgt.
Ich habe viel gelernt, über mich und meinesgleichen. Denn der miese Dreckskerl, der Herrn Dercon Scheiße vor sein Büro gelegt hat und ich, sind meinesgleichen. Und Herr Kuttner und ich sind es. Und andere Leute, die aus unterschiedlichsten Beweggründen mit Dercons Arbeit Probleme hatten und dies sehr unterschiedlich äußerten, sind meinesgleichen. Wir alle sind meinesgleichen. Berliner halt. Igitt.
Aber jetzt weiß ich, dass ich geirrt habe. Mein Problem war nicht die Arbeit, die Dercon geleistet oder nicht geleistet hat. Oder die Idiotie Berliner Politiker, die vorschnelle Entscheidungen trafen. Mein Problem lag in mir.
Was ich heute gelernt habe:
(Zutreffendes bitte ankreuzen, es können auch mehrer Punkte sein.)
- Ich leide an meinem deutschen, leider auch vorwiegend ostdeutschen Neid und an meinen Komplexen was Internationalität betrifft,
- ich habe miefig und inzestiös meine Privilegien verteidigt.
- Ich habe, typisch für Berlin, Unfreundlichkeit zur Schau gestellt und mich mit Hass geschmückt.
(Fuck this city. Fuck hate. This is not a community I support.)
- Ich bin Mitglied der Theaterpegida.
- Ich gehorche altlinken Dogmen.
- Ich bin ein wohlgenährter Staatsschauspieler.
- Ich gehöre zum Anhängermob des Diktators Castorf.
- Ich habe mich als Mob durchgesetzt!
- Ich war auf einem ideologischen Feldzug.
- Ich bin Teil des völkischen Mobs.
- Ich will unter allen Umständen meine pseudolinke Berliner Kachelofenidylle bewahren.
- Ich bin nicht besser als die Populisten von rechts.
Und ich bin xenophob. Nein, nicht weil ich Belgier hasse, sondern weil ich altes Theater bewahren will und deshalb, das macht Sinn, alles ablehne, was davon abweicht. Denn die Möglichkeiten, die die Verbindung von Theater und bildender Kunst bieten, übersteigt meinen kleingeistigen Horizont. LePage, Ivo van Hove, Mnouchkine, Voges, Vegard Vinge und Ida Müller, Jonathan Meese, alle zu viel für mein kleines Hirn. Fast dreißig Jahre nach dem Mauerfall hänge ich immer noch in meinem DDRischen Kleingeist fest.
Ich bin geläutert. Hätte ich ihn sich doch bloß mal ausprobieren lassen, bald wäre alles gut geworden. Nein, nicht gut, großartig, denn er ist gebildeter als ich, charmanter, empathischer, ein Grandseigneur. Wie konnte ich! Kein Wunder, dass er keine gute Arbeit leisten konnte, bei so viel provinzieller piefiger Ablehnung.
Eine kleine miese Bemerkung zum Abschluß, der alte, fiese, doofe Castorf, hat es geschafft, trotz der fürsorglichen Aufmerksamkeit, die ihm die Staatsorgane der DDR und die Staatssicherheit gewidmet haben, tolles Theater zu machen. Mir fallen noch andere Beispiele für unfreundliche Umstände ein, unter denen Kunst geschaffen wurde.
Ich liebe die kluge und ausgewogene Streitkultur, die wir, alle für das Theater brennend, hier bewiesen haben.
Ich habe viel gelernt, über mich und meinesgleichen. Denn der miese Dreckskerl, der Herrn Dercon Scheiße vor sein Büro gelegt hat und ich, sind meinesgleichen. Und Herr Kuttner und ich sind es. Und andere Leute, die aus unterschiedlichsten Beweggründen mit Dercons Arbeit Probleme hatten und dies sehr unterschiedlich äußerten, sind meinesgleichen. Wir alle sind meinesgleichen. Berliner halt. Igitt.
Aber jetzt weiß ich, dass ich geirrt habe. Mein Problem war nicht die Arbeit, die Dercon geleistet oder nicht geleistet hat. Oder die Idiotie Berliner Politiker, die vorschnelle Entscheidungen trafen. Mein Problem lag in mir.
Was ich heute gelernt habe:
(Zutreffendes bitte ankreuzen, es können auch mehrer Punkte sein.)
- Ich leide an meinem deutschen, leider auch vorwiegend ostdeutschen Neid und an meinen Komplexen was Internationalität betrifft,
- ich habe miefig und inzestiös meine Privilegien verteidigt.
- Ich habe, typisch für Berlin, Unfreundlichkeit zur Schau gestellt und mich mit Hass geschmückt.
(Fuck this city. Fuck hate. This is not a community I support.)
- Ich bin Mitglied der Theaterpegida.
- Ich gehorche altlinken Dogmen.
- Ich bin ein wohlgenährter Staatsschauspieler.
- Ich gehöre zum Anhängermob des Diktators Castorf.
- Ich habe mich als Mob durchgesetzt!
- Ich war auf einem ideologischen Feldzug.
- Ich bin Teil des völkischen Mobs.
- Ich will unter allen Umständen meine pseudolinke Berliner Kachelofenidylle bewahren.
- Ich bin nicht besser als die Populisten von rechts.
Und ich bin xenophob. Nein, nicht weil ich Belgier hasse, sondern weil ich altes Theater bewahren will und deshalb, das macht Sinn, alles ablehne, was davon abweicht. Denn die Möglichkeiten, die die Verbindung von Theater und bildender Kunst bieten, übersteigt meinen kleingeistigen Horizont. LePage, Ivo van Hove, Mnouchkine, Voges, Vegard Vinge und Ida Müller, Jonathan Meese, alle zu viel für mein kleines Hirn. Fast dreißig Jahre nach dem Mauerfall hänge ich immer noch in meinem DDRischen Kleingeist fest.
Ich bin geläutert. Hätte ich ihn sich doch bloß mal ausprobieren lassen, bald wäre alles gut geworden. Nein, nicht gut, großartig, denn er ist gebildeter als ich, charmanter, empathischer, ein Grandseigneur. Wie konnte ich! Kein Wunder, dass er keine gute Arbeit leisten konnte, bei so viel provinzieller piefiger Ablehnung.
Eine kleine miese Bemerkung zum Abschluß, der alte, fiese, doofe Castorf, hat es geschafft, trotz der fürsorglichen Aufmerksamkeit, die ihm die Staatsorgane der DDR und die Staatssicherheit gewidmet haben, tolles Theater zu machen. Mir fallen noch andere Beispiele für unfreundliche Umstände ein, unter denen Kunst geschaffen wurde.
Ich liebe die kluge und ausgewogene Streitkultur, die wir, alle für das Theater brennend, hier bewiesen haben.
Foto: dpa/Jörg Carstensen |
Freitag, 13. April 2018
Chris Dercon oder die Volksseele
Die Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz war immer ein schwierig zu bespielendes Theater. Seit ich sie besuche, circa 1975, hatte sie goldene und übelst blecherne Zeiten, beides auch unter der Intendanz von Castorf.
Heute ist Chris Dercon von seiner Intendanz zurückgetreten und auf Facebook empören sich Mitmenschen über das gemeine, provinzielle Berlin, dass ihm sein Amt so schwer, gar unmöglich gemacht hat.
Fakten gefällig?
Ein inkompetenter Kultursenator, Tim Renner, Musikproduzent und Journalist, fand es passend, einen erfolgreichen Kunstkurator als Nachfolger des von ihm gekündigten Frank Castorf einzusetzen. Ein Berliner Bürgermeister namens Müller ließ ihn gewähren.
Teile der Berliner Szene revoltierten. Manche, weil sie meinten, Frank hätte bleiben sollen bis er selber aufhören wollte. Nicht meine Meinung. Andere, weil die Herausnahme des Rosa-Luxemburg-Platzes aus dem Theaternamen sie ärgerte. Da bin ich dabei. Manche von beiden Gruppen und andere, weil sie den vorgelegten Spielplan unüberraschend und altbacken fanden. Ich stimme zu.
Ein neuer Kultursenator, Herr Lederer, war mit der Lage unzufrieden, aber sah scheinbar keine Möglichkeit für eine produktive Intervention.
Der Kurator tat, was er konnte, er kuratierte. Und er gab Interviews, bei denen sein Imageberater wahrscheinlich unter Magenkrämpfen kollabierte. "Berlin ist zu laut" und "Berlin Mitte ist öde". Es ist ein Teil ders Jobs eines Intendanten sein Haus in einer Stadt zu platzieren. Es ist seine Aufgabe zu erreichen, dass man dahin gehen will. Sicher waren viele a priori gegen ihn und einige schossen dabei weit übers Ziel hinaus, in Wort und Tat. Aber, man, das hätte er ja auch zur coolsten Werbekampagne aller Zeiten verarbeiten können, oder?
Proteste fanden statt. Manche rührend, manche ungelenk, andere blöd. Die ersten Premieren fanden statt. Die Premieren waren ziemlich erfolglos. Die Zuschauerzahlen sanken.
Dercon schwieg zwischen seinen ungelenken Interviews und wurde dabei immer feinsinniger und seine rechte Hand, Frau Piepenbrock schwurbelte Dramaturgisches.
Fakten. Jemand, der nichts von Theater versteht, hat versucht, ein Theater zu leiten und ist damit gescheitert. Sein Scheitern ist für Berlin recht teuer.
Berlin ist provinziell, Berlin ist unfein, Berlin gefällt sich im Hass, Berlin ist out. All das habe ich heute gelesen.
Aber Fakt ist auch: Chris Dercon war ein schlechter Intendant.
Heute ist Chris Dercon von seiner Intendanz zurückgetreten und auf Facebook empören sich Mitmenschen über das gemeine, provinzielle Berlin, dass ihm sein Amt so schwer, gar unmöglich gemacht hat.
Fakten gefällig?
Ein inkompetenter Kultursenator, Tim Renner, Musikproduzent und Journalist, fand es passend, einen erfolgreichen Kunstkurator als Nachfolger des von ihm gekündigten Frank Castorf einzusetzen. Ein Berliner Bürgermeister namens Müller ließ ihn gewähren.
Teile der Berliner Szene revoltierten. Manche, weil sie meinten, Frank hätte bleiben sollen bis er selber aufhören wollte. Nicht meine Meinung. Andere, weil die Herausnahme des Rosa-Luxemburg-Platzes aus dem Theaternamen sie ärgerte. Da bin ich dabei. Manche von beiden Gruppen und andere, weil sie den vorgelegten Spielplan unüberraschend und altbacken fanden. Ich stimme zu.
Ein neuer Kultursenator, Herr Lederer, war mit der Lage unzufrieden, aber sah scheinbar keine Möglichkeit für eine produktive Intervention.
Der Kurator tat, was er konnte, er kuratierte. Und er gab Interviews, bei denen sein Imageberater wahrscheinlich unter Magenkrämpfen kollabierte. "Berlin ist zu laut" und "Berlin Mitte ist öde". Es ist ein Teil ders Jobs eines Intendanten sein Haus in einer Stadt zu platzieren. Es ist seine Aufgabe zu erreichen, dass man dahin gehen will. Sicher waren viele a priori gegen ihn und einige schossen dabei weit übers Ziel hinaus, in Wort und Tat. Aber, man, das hätte er ja auch zur coolsten Werbekampagne aller Zeiten verarbeiten können, oder?
Proteste fanden statt. Manche rührend, manche ungelenk, andere blöd. Die ersten Premieren fanden statt. Die Premieren waren ziemlich erfolglos. Die Zuschauerzahlen sanken.
Dercon schwieg zwischen seinen ungelenken Interviews und wurde dabei immer feinsinniger und seine rechte Hand, Frau Piepenbrock schwurbelte Dramaturgisches.
Fakten. Jemand, der nichts von Theater versteht, hat versucht, ein Theater zu leiten und ist damit gescheitert. Sein Scheitern ist für Berlin recht teuer.
Berlin ist provinziell, Berlin ist unfein, Berlin gefällt sich im Hass, Berlin ist out. All das habe ich heute gelesen.
Aber Fakt ist auch: Chris Dercon war ein schlechter Intendant.
Donnerstag, 12. April 2018
2018/19 - wieder was Neues
"Der Nackte Wahnsinn" hatte Premiere und ich habe bis November keine festen Jobs. Und habe es so geplant. Ein halbes Jahr Zeit fürs Schreiben, Lesen, Denken, Leben, Faulsein, Kochen.
Luxus!
Eine Art Premiere. Freizeit war in meinem Leben immer rar und sogar irgendwie irritierend, denn wenn man, wie ich, das Glück hat, mit einem Beruf zu leben, der einem meist Vergnügen bereitet und dem alle "Hobbies" zuarbeiten, wird man schnell frustriert, wenn inhaltslose Zeit ansteht. Versteht mich nicht falsch, Liebe, Freundschaft und das ganze irre Leben gab und gibt es immer auch. Aber es war parallel stets irgendwas Berufliches am Kochen oder Köcheln.
Aber nun bin ich älter und nähere mich rasant dem, was meine Jugend als Rentenalter bezeichnete.
Der DDR-Rentner. Grauweiße Haare, oder aubergine-lila dauergewellt.
Die Schuhe bequem und plump, die Kleidung in asexualisierendem Breige, wetterfest und formunschön. Sie wirkten geschrumpft. Ihr Gang schien vorsichtiger, die Augen blasser. Ihr Kaffee war dünner gebraut und wurde zum Tortenstück am Nachmittag getrunken. Mochten sie Torte? Oder haben sie sie nur aus Pflichtgefühl gegessen? "Wenn man alt ist, ißt man Torte." Im Osten auch noch mit Margarine-, anstatt Buttercreme.
Haben wir, als wir jung waren überhaupt einen Gedanken daran verschwendet, wie diese Alten leben? Höchstens wenn man einen älteren Menschen persönlich kannte. Der/Die war die Ausnahme. Die anderen, so vermuteten wir, führten Leben ohne all die herrlichen Aufregungen und die großen Gefühle, die wir selbst durchlitten. Kein Sex, kein Drama, keinerlei Spaß. Ich vermute junge Leute sind halt zeitübergreifend gedankenlose Arschlöcher, was das betrfft.
Ach ja. Und irgendwann starben sie, die Alten.
(Meine Mutter hatte bis zum Schluß wundervoll langes silbergraues Haar. Nur etwas schütter. Der zarte Schimmer ihrer blassen Kopfhaut hat mich tief gerührt.)
Nun werde ich, auch wenn ich äußerlich noch anders erscheine, zu einer von ihnen und sehne mich nach "me-time", verdeutscht, nach Zeit für mich. Nach Zeit zum Nachdenken, zum Genießen, zum Zögern, zum, es folgt ein großes Wort, zum Innehalten.
INNEHALTEN: zaudern, halten, stoppen, aufhören, warten, unterbrechen, offenlassen, einlegen, zagen, haltmachen, stehenbleiben, bedenken, stocken, pausieren, einhalten, abwarten, einstellen, besinnen, zögern, rasten, schwanken, verweilen, abbrechen, aussetzen
Nach dieser Auszeit wird ein Jahr voller Arbeit folgen.
Luxus!
Eine Art Premiere. Freizeit war in meinem Leben immer rar und sogar irgendwie irritierend, denn wenn man, wie ich, das Glück hat, mit einem Beruf zu leben, der einem meist Vergnügen bereitet und dem alle "Hobbies" zuarbeiten, wird man schnell frustriert, wenn inhaltslose Zeit ansteht. Versteht mich nicht falsch, Liebe, Freundschaft und das ganze irre Leben gab und gibt es immer auch. Aber es war parallel stets irgendwas Berufliches am Kochen oder Köcheln.
Aber nun bin ich älter und nähere mich rasant dem, was meine Jugend als Rentenalter bezeichnete.
Der DDR-Rentner. Grauweiße Haare, oder aubergine-lila dauergewellt.
Die Schuhe bequem und plump, die Kleidung in asexualisierendem Breige, wetterfest und formunschön. Sie wirkten geschrumpft. Ihr Gang schien vorsichtiger, die Augen blasser. Ihr Kaffee war dünner gebraut und wurde zum Tortenstück am Nachmittag getrunken. Mochten sie Torte? Oder haben sie sie nur aus Pflichtgefühl gegessen? "Wenn man alt ist, ißt man Torte." Im Osten auch noch mit Margarine-, anstatt Buttercreme.
Haben wir, als wir jung waren überhaupt einen Gedanken daran verschwendet, wie diese Alten leben? Höchstens wenn man einen älteren Menschen persönlich kannte. Der/Die war die Ausnahme. Die anderen, so vermuteten wir, führten Leben ohne all die herrlichen Aufregungen und die großen Gefühle, die wir selbst durchlitten. Kein Sex, kein Drama, keinerlei Spaß. Ich vermute junge Leute sind halt zeitübergreifend gedankenlose Arschlöcher, was das betrfft.
Ach ja. Und irgendwann starben sie, die Alten.
Harald Hauswald
(Meine Mutter hatte bis zum Schluß wundervoll langes silbergraues Haar. Nur etwas schütter. Der zarte Schimmer ihrer blassen Kopfhaut hat mich tief gerührt.)
Harld Hauswald "Mandy ist doof"
Nun werde ich, auch wenn ich äußerlich noch anders erscheine, zu einer von ihnen und sehne mich nach "me-time", verdeutscht, nach Zeit für mich. Nach Zeit zum Nachdenken, zum Genießen, zum Zögern, zum, es folgt ein großes Wort, zum Innehalten.
Die 60 scheinen noch passabel
und erst die 70 miserabel.
Mit 70 aber hofft man still:
"Ich schaff' die 80, so Gott will."
Wer dann die 80 biblisch überlebt,
zielsicher auf die 90 strebt.
Dort angelangt, sucht er geschwind
nach Freunden, die noch älter sind.
Doch hat die Mitte 90 man erreicht
- die Jahre, wo einen nichts mehr wundert -,
denkt man mitunter: "Na - vielleicht
schaffst du mit Gottes Hilfe auch die 100!"
und erst die 70 miserabel.
Mit 70 aber hofft man still:
"Ich schaff' die 80, so Gott will."
Wer dann die 80 biblisch überlebt,
zielsicher auf die 90 strebt.
Dort angelangt, sucht er geschwind
nach Freunden, die noch älter sind.
Doch hat die Mitte 90 man erreicht
- die Jahre, wo einen nichts mehr wundert -,
denkt man mitunter: "Na - vielleicht
schaffst du mit Gottes Hilfe auch die 100!"
Wilhelm Busch
INNEHALTEN: zaudern, halten, stoppen, aufhören, warten, unterbrechen, offenlassen, einlegen, zagen, haltmachen, stehenbleiben, bedenken, stocken, pausieren, einhalten, abwarten, einstellen, besinnen, zögern, rasten, schwanken, verweilen, abbrechen, aussetzen
Nach dieser Auszeit wird ein Jahr voller Arbeit folgen.
Franz Hohler
Ansprache zum Solothurner Literaturpreis 2013
(12.5.2013)
(12.5.2013)
Täuschst du dich
oder zittert manchmal
die Hand ein bisschen
wenn du den Suppenlöffel hältst?
oder zittert manchmal
die Hand ein bisschen
wenn du den Suppenlöffel hältst?
Bist du das wirklich
von dem das Strassenverkehrsamt
ein ärztliches Zeugnis verlangt
du seiest noch fähig
ein Auto zu lenken?
von dem das Strassenverkehrsamt
ein ärztliches Zeugnis verlangt
du seiest noch fähig
ein Auto zu lenken?
Kann das sein
dass die
Kirchgemeinde dich einlädt
zur Seniorenweihnacht
mit schöner Klaviermusik
und gemütlichem Zvieri?
dass die
Kirchgemeinde dich einlädt
zur Seniorenweihnacht
mit schöner Klaviermusik
und gemütlichem Zvieri?
Und der Tanzanlass
für ältere Paare
dienstags von 15 bis 16.30 Uhr
ist der für dich?
für ältere Paare
dienstags von 15 bis 16.30 Uhr
ist der für dich?
Ist nicht
ein Ausdruck von Mitleid
im Blick des jungen Verkäufers
der dir erklärt
dein Mobiltelefon
sei nicht mehr zu reparieren?
ein Ausdruck von Mitleid
im Blick des jungen Verkäufers
der dir erklärt
dein Mobiltelefon
sei nicht mehr zu reparieren?
Müsstest du sparsamer werden
mit dem Gebrauch eines Wortes wie
„früher“?
mit dem Gebrauch eines Wortes wie
„früher“?
Warum fällt es dir
immer noch schwer
deine Handy-Nummer zu lernen
(Die Nummer des Elternhauses
weisst du noch jetzt)?
immer noch schwer
deine Handy-Nummer zu lernen
(Die Nummer des Elternhauses
weisst du noch jetzt)?
Wie war schon wieder
der Titel des Films
in dem ein Planet
die Erde bedroht?
Und die Schauspielerin
die den Jungen beschützte
wie hiess sie doch gleich?
der Titel des Films
in dem ein Planet
die Erde bedroht?
Und die Schauspielerin
die den Jungen beschützte
wie hiess sie doch gleich?
Hast du genügend Sätze
für ein Gespräch
mit jemandem
dessen Namen
dir nicht in den Sinn kommen will?
für ein Gespräch
mit jemandem
dessen Namen
dir nicht in den Sinn kommen will?
Merkst du das Lauernde
beim Zusammensein mit alten Bekannten
sobald die Rede
auf die Gesundheit kommt
auf Knie, Hüften, Gelenke
und ihre Ersetzbarkeit?
beim Zusammensein mit alten Bekannten
sobald die Rede
auf die Gesundheit kommt
auf Knie, Hüften, Gelenke
und ihre Ersetzbarkeit?
Was haben die Medikamente
auf deinem Frühstückstisch
verloren?
auf deinem Frühstückstisch
verloren?
Warum feiern so wenig Freunde
den vierzigsten
und immer mehr
ihren sechzigsten, siebzigsten, achzigsten?
den vierzigsten
und immer mehr
ihren sechzigsten, siebzigsten, achzigsten?
Und wieso
will der dunkle Anzug
im Kleiderschrank
nicht mehr nach hinten rücken?
will der dunkle Anzug
im Kleiderschrank
nicht mehr nach hinten rücken?
Morgens vor sechs
schon wach zu sein
dafür einzunicken
bei Büchner, Brecht
oder Shakespeare
ist das normal?
schon wach zu sein
dafür einzunicken
bei Büchner, Brecht
oder Shakespeare
ist das normal?
Ist es möglich
dass die Tage
etwas geschrumpft sind
in letzter Zeit?
dass die Tage
etwas geschrumpft sind
in letzter Zeit?
Wird die Sparlampe
die du im WC einschraubst
Brenndauer 10’000 Stunden
länger halten als du?
die du im WC einschraubst
Brenndauer 10’000 Stunden
länger halten als du?
Und all die Petitionen
und Initiativen
Für eine sichere
Keine, Nein zu, Stop dem, Schluss mit
und Ausstieg aus -
was gehen dich Zeiten an
die du kaum mehr erleben wirst?
und Initiativen
Für eine sichere
Keine, Nein zu, Stop dem, Schluss mit
und Ausstieg aus -
was gehen dich Zeiten an
die du kaum mehr erleben wirst?
Warum aber
trifft dich der Blick deiner
frisch geborenen Enkelin
mitten ins Herz
und lädt dich auf
mit Zuversicht
Zukunft
und Lebenssucht?
trifft dich der Blick deiner
frisch geborenen Enkelin
mitten ins Herz
und lädt dich auf
mit Zuversicht
Zukunft
und Lebenssucht?
Mittwoch, 11. April 2018
Stuttgart - Theaterausflug
Ich finde für Theater sollte, in einem so reichen Land, wie dem unseren, viel Geld ausgegeben werden. Und es sollte dieses Geld gut gebrauchen, um Überraschendes zu leisten, uns zu unterhalten, zu verstören, zu stören.
Unser Land unterhält sein einzigartige Stadttheatersystem, fast jede auch nur halbgroße Stadt hat noch ein eigenes Theater mit Ensemble, Werkstätten und Repertoirebetrieb. Es gibt sogar den Versuch, dieses System zum Weltkulturerbe zu erklären.
Allerdings weiß ich nicht, ob ich das gut fände, könnte es doch als Musealisierung verstanden werden. In Stein gegossen und angestaunt, anstatt lebendig und veränderbar.
Denn genau da liegen auch die gewaltigen Probleme vieler Theater, besonders der kleineren. Die großen Schlachtschiffe sind gut ausgestattet, können sich vielerlei Experimente leisten und die notwendige Öffentlichkeitsarbeit finanzieren. Aber manche der Stadt- und Landestheater balancieren zunehmend wakelig am finanziellen Abgrund entlang, die Kosten für Bürokratie, sprich Apparat können sie nicht reduzieren, also erwischt es Gagen, Gasthonorare, Bühnenbilder, Werbung. Und dann wird oft auch der Spielplan ängstlicher, öder.
Nun war ich drei Tage hintereinander bei einem der Giganten zu Gast. "Das Staatstheater Stuttgart ist mit 1300 Mitarbeitern und einem jährlichen Budget von knapp 100 Millionen Euro der größte Dreispartenbetrieb Europas, also vermutlich der Welt."
https://www.berliner-zeitung.de/kultur/staatstheater-stuttgart-armin-petras-das-katastrophenkarussell-3288580
Erster Abend Kay Voges "Das Erste Evangelium", Mattheus und Paulus und ein wenig Johannes und Heiner Müller, Oscar Wilde, Benjamin....
Faszinierende Überfülle, Videokunst in Perfektion, innerhalb dieser wilden Bilderwelt ein paar großartige Schauspieler und einige, die wie Bühnenbildteile in oft wechselnder Verkleidung Verwendung finden. Durch Geburt und Blut und Gewalt waten wir atemlos durch das Leben des erhofften Erlösers und dann gab es plötzlich ein großes Stocken: denn der, der uns auffordert unsere Wange für jedermanns Backpfeifen hinzuhalten und unseren Nächsten zu lieben wie uns selbst, der sagte eben auch: "So jemand zu mir kommt und haßt nicht seinen Vater, Mutter, Weib, Kinder, Brüder, Schwestern, auch dazu sein eigen Leben, der kann nicht mein Jünger sein."
Leider geht es dann nicht weiter, die Bilder gewinnen. Aber was für Bilder! Da kämpft einer mit seiner Ministratenkindheit mit allen Mitteln, die er erlernt hat, und wird ihrer nicht Herr, aber es ist eine glanzvolle Niederlage.
Abend Nummer zwei war "Arsen und Spitzenhäubchen" von Kesselring, einer meiner Lieblingsfilme basiert auf diesem Stück. Cary Grant und der vierfache Doubletake, die höchste Kunst der Komödie. Ein perfekter bürgerlicher Haushalt erweist sich als Hort psychopathischen Massenmordes. Eine tolle Vorgabe. Nur muß man die Behauptung der Normalität erst einmal aufstellen, damit man sie nackt machen kann. Wenn ich aber ab Minute eins schon weiß, dass hier alle irre sind, muß ich nicht 140 Minuten zugucken, um das bestätigt zu bekommen.
Warum inszenieren Menschen Stücke, die sie nicht wirklich mögen? Geldnot würde ich noch akzeptieren, aber oft ist es wohl doch nur Hochmut oder Desinteresse.
Jan Bosse läßt seine Spieler machen, wozu sie gerade Lust haben. Und es wird sehr deutlich, dass nicht jedem die Gabe der Improvisation gegeben ist. Manchmal war ich mir nicht einmal mehr sicher, ob sie überhaupt noch spielen. Die Anarchie der Marx-Brothers basiert auf Können und präziser Planung, das Chaos an diesem Abend auf der Eitelkeit einiger Spieler. Clown sein ist ein rares Talent.
Und am dritten Abend "Lulu" ein Vaudeville-Spektakel der Tiger Lillies inszeniert von Armin Petras. Wäre der Regisseur ein Mitzwanziger gewesen, wäre ich sicher milder. Rote Farbe, nackte Körper, Matsch, ja, ja. Die Spieler sind großartig, uneitel, musikalisch. Was für eine körperliche und stimmliche Überanstrengung. Aber wozu genau? Frau ist anders. Frau ist was genau? Sind wir #metoo? Sind wir?
Unser Land unterhält sein einzigartige Stadttheatersystem, fast jede auch nur halbgroße Stadt hat noch ein eigenes Theater mit Ensemble, Werkstätten und Repertoirebetrieb. Es gibt sogar den Versuch, dieses System zum Weltkulturerbe zu erklären.
Allerdings weiß ich nicht, ob ich das gut fände, könnte es doch als Musealisierung verstanden werden. In Stein gegossen und angestaunt, anstatt lebendig und veränderbar.
Denn genau da liegen auch die gewaltigen Probleme vieler Theater, besonders der kleineren. Die großen Schlachtschiffe sind gut ausgestattet, können sich vielerlei Experimente leisten und die notwendige Öffentlichkeitsarbeit finanzieren. Aber manche der Stadt- und Landestheater balancieren zunehmend wakelig am finanziellen Abgrund entlang, die Kosten für Bürokratie, sprich Apparat können sie nicht reduzieren, also erwischt es Gagen, Gasthonorare, Bühnenbilder, Werbung. Und dann wird oft auch der Spielplan ängstlicher, öder.
Nun war ich drei Tage hintereinander bei einem der Giganten zu Gast. "Das Staatstheater Stuttgart ist mit 1300 Mitarbeitern und einem jährlichen Budget von knapp 100 Millionen Euro der größte Dreispartenbetrieb Europas, also vermutlich der Welt."
https://www.berliner-zeitung.de/kultur/staatstheater-stuttgart-armin-petras-das-katastrophenkarussell-3288580
Das Staatstheater
Stuttgart ist mit 1300 Mitarbeitern und einem jährlichen Budget von
knapp 100 Millionen Euro der größte Dreispartenbetrieb Europas, also
vermutlich auch der Welt. – Quelle:
https://www.berliner-zeitung.de/3288580 ©2018
Das Staatstheater
Stuttgart ist mit 1300 Mitarbeitern und einem jährlichen Budget von
knapp 100 Millionen Euro der größte Dreispartenbetrieb Europas, also
vermutlich auch der Welt. – Quelle:
https://www.berliner-zeitung.de/3288580 ©2018
Das Staatstheater
Stuttgart ist mit 1300 Mitarbeitern und einem jährlichen Budget von
knapp 100 Millionen Euro der größte Dreispartenbetrieb Europas, also
vermutlich auch der Welt. – Quelle:
https://www.berliner-zeitung.de/3288580 ©2018
Erster Abend Kay Voges "Das Erste Evangelium", Mattheus und Paulus und ein wenig Johannes und Heiner Müller, Oscar Wilde, Benjamin....
Faszinierende Überfülle, Videokunst in Perfektion, innerhalb dieser wilden Bilderwelt ein paar großartige Schauspieler und einige, die wie Bühnenbildteile in oft wechselnder Verkleidung Verwendung finden. Durch Geburt und Blut und Gewalt waten wir atemlos durch das Leben des erhofften Erlösers und dann gab es plötzlich ein großes Stocken: denn der, der uns auffordert unsere Wange für jedermanns Backpfeifen hinzuhalten und unseren Nächsten zu lieben wie uns selbst, der sagte eben auch: "So jemand zu mir kommt und haßt nicht seinen Vater, Mutter, Weib, Kinder, Brüder, Schwestern, auch dazu sein eigen Leben, der kann nicht mein Jünger sein."
Leider geht es dann nicht weiter, die Bilder gewinnen. Aber was für Bilder! Da kämpft einer mit seiner Ministratenkindheit mit allen Mitteln, die er erlernt hat, und wird ihrer nicht Herr, aber es ist eine glanzvolle Niederlage.
Warum inszenieren Menschen Stücke, die sie nicht wirklich mögen? Geldnot würde ich noch akzeptieren, aber oft ist es wohl doch nur Hochmut oder Desinteresse.
Jan Bosse läßt seine Spieler machen, wozu sie gerade Lust haben. Und es wird sehr deutlich, dass nicht jedem die Gabe der Improvisation gegeben ist. Manchmal war ich mir nicht einmal mehr sicher, ob sie überhaupt noch spielen. Die Anarchie der Marx-Brothers basiert auf Können und präziser Planung, das Chaos an diesem Abend auf der Eitelkeit einiger Spieler. Clown sein ist ein rares Talent.
Und am dritten Abend "Lulu" ein Vaudeville-Spektakel der Tiger Lillies inszeniert von Armin Petras. Wäre der Regisseur ein Mitzwanziger gewesen, wäre ich sicher milder. Rote Farbe, nackte Körper, Matsch, ja, ja. Die Spieler sind großartig, uneitel, musikalisch. Was für eine körperliche und stimmliche Überanstrengung. Aber wozu genau? Frau ist anders. Frau ist was genau? Sind wir #metoo? Sind wir?
Freitag, 6. April 2018
Der Raub der Prosperina - Marmornes Fleisch
Eine männliche Hand greift um die Taille und in den Schenkel einer Frau. Scheinbar nur ein Detail.
Bedenken wir, das ist Stein, Marmor, von einem Zwanzigjährigen behauen, bearbeitet oder befreite er das, was der steinerne Block bis dahin verbarg?
Hartes und Weichestes in einem unauflösbaren Widerspruch. Der metamorphe Stein, beziehungsweise die Haut und das Fleisch der überwältigten Frau empfinden den Druck der zupackenden, großen, doch wohlgepflegten Hand, sie weichen zurück, seitwärts.
Wiki sagt: Die Haut (gr. derma; lat. cutis) ist funktionell das vielseitigste Organ
des menschlichen oder tierischen Organismus. Die Haut dient der
Abgrenzung von Innen und Außen (Hüllorgan), dem Schutz vor
Umwelteinflüssen, der Repräsentation, Kommunikation und Wahrung des inneren Gleichgewichts. Außerdem übernimmt die Haut wichtige Funktionen im Bereich des Stoffwechsels und der Immunologie und verfügt über vielfältige Anpassungsmechanismen.
Aber auch wenn der Titel der Skulptur: "Der Raub oder die Vergewaltigung der Prosperina", eindeutig Gewalt suggeriert, ist auch Zärtlichkeit und Sehnsucht sichtbar und zu spüren. Die Hände sind nicht in den Körper gekrampft, scheinen nicht, unnötigen Schmerz zufügen zu wollen. Er trägt sie von dannen.
Ganz unten spiegelt Cerberus, der Höllenhund, den Gewaltakt und seine Ambivalenz sogar dreifach.
Im Mythos hören wir mehr über die Trauer ihrer Mutter Ceres, als über ihre eigene Not. Demeter & Persephone wären die griechischen Entsprechungen dieser Geschichte.
Später wird diese Prosperina, durch den Einsatz ihrer Mutter, der Göttin der Fruchtbarkeit, ein halbes Jahr in der versteckten Unterwelt und das andere auf der Erde zubringen. Eine große Weile ist die Welt kalt, grau, unfruchtbar, aber dann ...
In der Gesamtansicht wirkt ihre Abwehr merkwürdig theatralisch. Hat sie sich nur für die Mutter gewehrt? Persephone wird im alten Griechenland sowohl als Frühlings- und Fruchtbarkeitsgöttin wie auch als Göttin der Unterwelt verehrt.
Will sie etwas, das sie nicht will? Mit Pluto sein und die Liebe der Mutter nicht verlieren? Luft, laue Winde und sprießende Pflanzen UND die harsche Kargheit der blütenlosen Kälte?
Und so hängen wir wohl alle zwischen einander ausschließenden Wünschen, begehren das Eine und auch das ihm Widersprechende.
Persephone
Die Abgründige kam,
stieg aus der Erde,
aufgleißend im Mondlicht.
Sie trug die alte Scherbe im Haar,
die Hüfte an die Nacht gelehnt.
Kein Opferrauch, das Universum
zog in den Duft der Rose ein.
Die Abgründige kam,
stieg aus der Erde,
aufgleißend im Mondlicht.
Sie trug die alte Scherbe im Haar,
die Hüfte an die Nacht gelehnt.
Kein Opferrauch, das Universum
zog in den Duft der Rose ein.
Peter Huchel
Ein tiefflutender See ist Hennas Mauren benachbart,
Pergus mit Namen genannt. Nicht häufiger höret Kaystros
Schwanengesäng', als dieser, in sanft hingleitenden Wassern.
Ringsher kränzen die Flut Umwaldungen, welche beständig,
Wie mit laubigem Teppich, die Glut abwehren des Phöbus.
Kühlung streut das Gezweig', und die Au' hellschimmernde Blumen.
Frühling ist ewig im Hain. Als hier Proserpina weiland
Spielete, sanfte Violen und silberne Lilien brechend;
Als sie mit kindlicher aLust sich die Körb' und den Schoß des Gewandes
Anfüllt', und zu besiegen die Freundinnen eifert' im Sammeln,
Wurde zugleich sie gesehn und geliebt und geraubet von Pluto.
Also durchstürmt ihn die Flamme! Sie rief, die erschrockene Göttin,
Mutter und Freundinnen an, doch häufiger rief sie die Mutter,
Bang'; und indem das Gewand sie zerriß am obersten Rande,
Sanken aus gleitenden Rocke hinab die gesammelten Blumen:
Und, so lauter noch war die jugendlich heitere Unschuld!
Auch der Blumen Verlust erregete Kummer dem Mägdlein.
Pluto beflügelt die Fahrt, und jeglichen rufend mit Namen,
Treibt er die Rosse zum Lauf, und über die mähnigen Hälse
Schüttelt er dunkele Zügel, mit Eisenschwärze gefärbet.
Über des Sees Abgrund' enteilet er, ...
Ovid "Metamorphosen"
http://syndrome-de-stendhal.blogspot.de/2016/05/gottliche-gewalt-gianlorenzos-berninis.html
Sonntag, 25. März 2018
Terra Incognita in Cottbus
Menschen in schwarzen Uniformen, den Kopf und die Hälfte des Gesichts verdeckt, ISIS-Assoziationen kommen auf, trommeln sich eine Viertelstunde hochpräzise in Ekstase, dann ertönt die Schlußrede aus dem "Großen Diktator" *, gefühlvolle Musik wird eingespielt, die Trommler legen ihre Kopfverhüllungen ab, treten langsam an die Rampe, schauen uns an, legen die Arme um die Schulter ihres Nachbarn, manche umarmen sich.
So endete der heutige Theaterabend in Cottbus. Terra Inkognita - Choreographisches Figurentheater von Jo Fabian.
Ist es mein durch schwierige Osterfahrungen geprägtes Mißtrauen gegenüber gutgemeinten moralischen Utopien, das mich zurückschrecken ließ? Ich habe unwillkürlich geprustet, hysterisches Gurgeln würde es auch beschreiben. Bin ich pessimistisch, gar zynisch oder ist solch ein Aufruf doch allzu harmlos und simpel für die Welt, in der wir alle leben?
Meine erste Begenung mit Jo Fabian hatte ich vor vielen Jahren in Dresden. Ein kleines Theater, ein toller Abend. Alle Spieler auf der leeren Bühne hatten zierliche Melkschemmel umgeschnallt, was ihre Wechsel vom Stehen zum Sitzen und vice versa großartig überraschend machte. Ich erinnere mich an den Eindruck einer neuen Erfahrung von Komposition von Klängen und Bewegungen. Jahre später "Die Weber" in Halle. Hypnotisch, gedehnt, Bilder von exotischer Schönheit.
Heute abend wußte ich vieles vorher, Zitate überwogen - Marthalers Musikalität, Trommelnummern, ehemals waghalsige Impro-Übungen der östlichen Schauspielausbildung.
"Haben wir Menschen unseren Blick zu lange nach außen gerichtet, die Blicke auf die unbekannten Gebiete in uns selbst vernachlässigt und zu wenig über uns selbst erfahren?"
Jo Fabian zu "Terra Icognita
Was ist dieses INNEN?
Frau Piekenbrock (Volksbühne) benennt es so: Besagte Irritation führt... sie... darauf zurück, dass die geladenen Künstler ihre Zuschauer "ins Jenseitige" einladen: jenseits des Verstandes, des Hörbaren, des Sehbaren."
Denken soll ich nicht. Hören und Sehen auch nicht?
Ich will denken dürfen! Sehen und Hören und Widersprüche ertragen.
Bei "Murx den Europäer! / Murx ihn! / Murx ihn! Murx ihn! / Murx ihn ab!" war ich fast brüskiert, wie gut ein Schweizer meine schreckliche, öde DDR beschrieb.
Irgendwas geht am Theater vor, dass mich ängstigt. Innenschau anstatt Irritation. Privatismen ersetzen Gesellschaftskritik.
Im Teil 2 des heutigen Abends trafen sich Klischees der deutschen Innenschau, der Jude, der Pfarrer, die hysterische Frau, der islamistische Fremde, der Arbeiter etc. aufeinander. Der Jude jiddelte eher schlecht als recht.
Der 16. Januar 1993. Vor zehn Jahren hatte an der Volksbühne dieses Unding Premiere, ein Findling des Berliner, des deutschsprachigen, ja des Welt-Theaters: „Murx den Europäer! Murx ihn! Murx ihn! Murx ihn! Murx ihn ab!“ So hieß das. Den Regisseur Christoph Marthaler kannten damals erst wenige, und noch viel weniger bekannt (und tief vergessen) war der Namensgeber Paul Scheerbart, der 1915 in Berlin gestorbene literarische Fantast und Schwerenöter, aus dessen „Indianerlied“ dieser endlose schöne Theater-Titel stammt. Heute Abend findet nun die 169. Vorstellung in nahezu unveränderter Originalbesetzung statt – und „Murx“ ist lange schon ein kultisches Ereignis, wie vielleicht nur Heiner Müllers unaufhaltsamer „Arturo Ui“ am Berliner Ensemble. Wie auch Frank Castorfs Volksbühne als Gesamtkunstwerk: enigmatisch, praktisch, unersetzlich.
https://www.youtube.com/watch?v=thCMlPYe2I0
*Jeder Mensch sollte dem Anderen helfen, nur so verbessern wir die Welt! Wir sollten am Glück des Anderen teilhaben und nicht einander verabscheuen. Hass und Verachtung bringen uns niemals näher! Auf dieser Welt ist Platz genug für jeden und Mutter Erde ist reich genug, um jeden von uns satt zu machen.
Das Leben kann ja so erfreulich und wunderbar sein, wir müssen es nur wieder zu leben lernen! Die Habgier hat das Gute im Menschen verschüttet und Missgunst hat die Seelen vergiftet und uns im Paradeschritt zu Verderb und Blutschuld geführt. Wir haben die Geschwindigkeit entwickelt, aber innerlich sind wir stehen geblieben. Wir lassen Maschinen für uns arbeiten, und sie denken auch für uns. Die Klugheit hat uns hochmütig werden lassen und unser Wissen kalt und hart, wir sprechen zu viel und fühlen zu wenig, aber zuerst kommt die Menschlichkeit und dann die Maschinen! Vor Klugheit und Wissen kommt Toleranz und Güte! Ohne Menschlichkeit und Nächstenliebe ist unser Dasein nicht lebenswert!
Aeroplane und Radio haben uns einander näher gebracht, diese Erfindungen haben eine Brücke geschlagen von Mensch zu Mensch, sie erfordern eine umfassende Brüderlichkeit, damit wir alle eins werden. Millionen Menschen auf der Welt können im Augenblick meine Stimme hören, Millionen verzweifelte Menschen, Opfer eines Systems, das es sich zur Aufgabe gemacht hat Unschuldige zu quälen und in Ketten zu legen. Allen denen, die mich jetzt hören, rufe ich zu: Ihr dürft nicht verzagen! Auch das bittere Leid, das über uns gekommen ist, ist vergänglich! Die Männer, die heute die Menschlichkeit mit Füßen treten, werden nicht immer da sein, ihre Grausamkeit stirbt mit ihnen und auch ihr Hass! Die Freiheit, die sie den Menschen genommen haben, wird ihnen dann zurückgegeben werden. Auch wenn es Blut und Tränen kostet, für die Freiheit ist kein Opfer zu groß!
Charlie Chaplins Schlußrede im "Großen Diktator"
So endete der heutige Theaterabend in Cottbus. Terra Inkognita - Choreographisches Figurentheater von Jo Fabian.
Ist es mein durch schwierige Osterfahrungen geprägtes Mißtrauen gegenüber gutgemeinten moralischen Utopien, das mich zurückschrecken ließ? Ich habe unwillkürlich geprustet, hysterisches Gurgeln würde es auch beschreiben. Bin ich pessimistisch, gar zynisch oder ist solch ein Aufruf doch allzu harmlos und simpel für die Welt, in der wir alle leben?
Meine erste Begenung mit Jo Fabian hatte ich vor vielen Jahren in Dresden. Ein kleines Theater, ein toller Abend. Alle Spieler auf der leeren Bühne hatten zierliche Melkschemmel umgeschnallt, was ihre Wechsel vom Stehen zum Sitzen und vice versa großartig überraschend machte. Ich erinnere mich an den Eindruck einer neuen Erfahrung von Komposition von Klängen und Bewegungen. Jahre später "Die Weber" in Halle. Hypnotisch, gedehnt, Bilder von exotischer Schönheit.
Heute abend wußte ich vieles vorher, Zitate überwogen - Marthalers Musikalität, Trommelnummern, ehemals waghalsige Impro-Übungen der östlichen Schauspielausbildung.
"Haben wir Menschen unseren Blick zu lange nach außen gerichtet, die Blicke auf die unbekannten Gebiete in uns selbst vernachlässigt und zu wenig über uns selbst erfahren?"
Jo Fabian zu "Terra Icognita
Was ist dieses INNEN?
Frau Piekenbrock (Volksbühne) benennt es so: Besagte Irritation führt... sie... darauf zurück, dass die geladenen Künstler ihre Zuschauer "ins Jenseitige" einladen: jenseits des Verstandes, des Hörbaren, des Sehbaren."
Denken soll ich nicht. Hören und Sehen auch nicht?
Ich will denken dürfen! Sehen und Hören und Widersprüche ertragen.
Bei "Murx den Europäer! / Murx ihn! / Murx ihn! Murx ihn! / Murx ihn ab!" war ich fast brüskiert, wie gut ein Schweizer meine schreckliche, öde DDR beschrieb.
Irgendwas geht am Theater vor, dass mich ängstigt. Innenschau anstatt Irritation. Privatismen ersetzen Gesellschaftskritik.
Im Teil 2 des heutigen Abends trafen sich Klischees der deutschen Innenschau, der Jude, der Pfarrer, die hysterische Frau, der islamistische Fremde, der Arbeiter etc. aufeinander. Der Jude jiddelte eher schlecht als recht.
Der 16. Januar 1993. Vor zehn Jahren hatte an der Volksbühne dieses Unding Premiere, ein Findling des Berliner, des deutschsprachigen, ja des Welt-Theaters: „Murx den Europäer! Murx ihn! Murx ihn! Murx ihn! Murx ihn ab!“ So hieß das. Den Regisseur Christoph Marthaler kannten damals erst wenige, und noch viel weniger bekannt (und tief vergessen) war der Namensgeber Paul Scheerbart, der 1915 in Berlin gestorbene literarische Fantast und Schwerenöter, aus dessen „Indianerlied“ dieser endlose schöne Theater-Titel stammt. Heute Abend findet nun die 169. Vorstellung in nahezu unveränderter Originalbesetzung statt – und „Murx“ ist lange schon ein kultisches Ereignis, wie vielleicht nur Heiner Müllers unaufhaltsamer „Arturo Ui“ am Berliner Ensemble. Wie auch Frank Castorfs Volksbühne als Gesamtkunstwerk: enigmatisch, praktisch, unersetzlich.
https://www.youtube.com/watch?v=thCMlPYe2I0
*Jeder Mensch sollte dem Anderen helfen, nur so verbessern wir die Welt! Wir sollten am Glück des Anderen teilhaben und nicht einander verabscheuen. Hass und Verachtung bringen uns niemals näher! Auf dieser Welt ist Platz genug für jeden und Mutter Erde ist reich genug, um jeden von uns satt zu machen.
Das Leben kann ja so erfreulich und wunderbar sein, wir müssen es nur wieder zu leben lernen! Die Habgier hat das Gute im Menschen verschüttet und Missgunst hat die Seelen vergiftet und uns im Paradeschritt zu Verderb und Blutschuld geführt. Wir haben die Geschwindigkeit entwickelt, aber innerlich sind wir stehen geblieben. Wir lassen Maschinen für uns arbeiten, und sie denken auch für uns. Die Klugheit hat uns hochmütig werden lassen und unser Wissen kalt und hart, wir sprechen zu viel und fühlen zu wenig, aber zuerst kommt die Menschlichkeit und dann die Maschinen! Vor Klugheit und Wissen kommt Toleranz und Güte! Ohne Menschlichkeit und Nächstenliebe ist unser Dasein nicht lebenswert!
Aeroplane und Radio haben uns einander näher gebracht, diese Erfindungen haben eine Brücke geschlagen von Mensch zu Mensch, sie erfordern eine umfassende Brüderlichkeit, damit wir alle eins werden. Millionen Menschen auf der Welt können im Augenblick meine Stimme hören, Millionen verzweifelte Menschen, Opfer eines Systems, das es sich zur Aufgabe gemacht hat Unschuldige zu quälen und in Ketten zu legen. Allen denen, die mich jetzt hören, rufe ich zu: Ihr dürft nicht verzagen! Auch das bittere Leid, das über uns gekommen ist, ist vergänglich! Die Männer, die heute die Menschlichkeit mit Füßen treten, werden nicht immer da sein, ihre Grausamkeit stirbt mit ihnen und auch ihr Hass! Die Freiheit, die sie den Menschen genommen haben, wird ihnen dann zurückgegeben werden. Auch wenn es Blut und Tränen kostet, für die Freiheit ist kein Opfer zu groß!
Charlie Chaplins Schlußrede im "Großen Diktator"
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