TALLINN
Tallinn ist die westlichste der drei Hauptstädte, die wir besuchen, auch wenn sie die nördlichste ist. Mittelalterliche Stadtmauer, Gassen, Gassen, Gassen, der Stadtkern ist Weltkulturerbe, und der Tourist sehr willkommen, ein wenig zu sehr, fast.
Man kann, wenn man Vilnius-Riga-Tallinn hintereinander besucht, beobachten wie hart hier gearbeitet wird und in welchen harten Schritten die Entwicklung verläuft. Vilnius noch in Erwartung der Ankunft der Gäste, Riga zerrissen und hektisch betriebsam, und dann Tallinn, schon fast wie alle mitteleuropäischen größeren Städte, nur hübscher als manche. Das spiegelt sich auch im Durchschnittseinkommen: 669, 751, 1110 Euro brutto je Monat im ersten Quartal 2015.*
Wir sind mit einem Linienbus bis in die Neubauviertel von Tallinn gefahren, auch die saniert, und von viel Grün umgeben. Man sieht Armut, aber keine Bettler, werden sie, wie in Giulianis New York, aus der Stadt geschafft?
Alle drei Länder verlieren Einwohner, junge Leute wandern aus, die Geburtenrate ist niedrig, auch wenn ich noch nie so viele Hochzeitspaare wie in diesen 10 Tagen gesehen habe. Zigaretten und Benzin sind billig, aber viele haben mehr als einen Job, um überhaupt irgendwie über die Runden zu kommen. Man sieht wenig Reste der sowjetischen Herrschaft, erstaunlich wenig, die sind wahrscheinlich äußerlich nicht sichtbar.
Aber am letzten Abend: Kaunas in Litauen, eine Strasse, die aussieht wie heruntergekommene Teile der Greifswalder in tiefen Zonenzeiten, nur ist die Straße breiter. Jeden Moment wird ein Vopo auftauchen und nuscheln "ich solle mich ausweisen". (Kurze gefähliche Antwort eines Freundes: "Kann man das jetzt schon selber?") Der blanke Osten, nur die Häuser in den Seitenstraßen sind verfallene russische Holzhäuschen mit Fenstern, wie dem, aus dem in russischen Märchenfilmen die Erzählerin rausguckte. Wir parken auf einem verdreckten Hinterhof, am nächsten Vormittag werden innerhalb von zwei Stunden drei verschieden Männer die Mülltonnen nach Brauchbarem durchsuchen. Das Haus graubeiger Klotz, bröckelnder Putz - erster Stutzer: die Haustür modern mit Hochsicherheitsschloß - Der Hausflur in gelber Pissölfarbe, die Stufen uneben - Stutzer Nummer zwei: die Wohnugstür ebenfalls brandneu und mit zwei Superschlössern - das Apartment dann wunderbar, toll ausgestattet und mit allem Komfort, nur den Rohren und Leitungen sieht man den äußeren Zustand des Hauses an. Und wie überall in allen drei baltischen Staaten, schnelles Wlan inclusive.
Abschiedsbesäufnis in einem Kiosk an der großen Straße, 24 Stunden geöffnet. Wir kaufen eine Flasche Whisky und kriegen sie ohne Verschluß, nur zum Verzehr darf verkauft werden. Ein freundlicher, betrunkener Lette stammelt auf Russischenglisch, dass er nach Kanada auswandern will, weil die Leute da so gute Traditionen haben und freundlich sind. Seine akustische Vorführung des lettischen Umgangstons erschrickt mich. Vielleicht ist es nur der Suff, hoffentlich. Aber ich lese gerade Sofie Oksanas "Stalins Kühe", und sie schreibt über die Zerstörung der sozialen Umgangsformen, der gewöhnlichen Freundlichkeit durch ständige Bespitzelung, korrupte Mangelwirtschaft und Verrohung durch Gewaltgewöhnung. Ist das die eiternde Wunde, die unter all der Veränderung, dem Fortschritt weiter eitert? So viele Jahre Mißbrauch verschwinden nicht einfach, oder?
Meine kulturelle Tallinnausbeute:
Alle drei Länder verlieren Einwohner, junge Leute wandern aus, die Geburtenrate ist niedrig, auch wenn ich noch nie so viele Hochzeitspaare wie in diesen 10 Tagen gesehen habe. Zigaretten und Benzin sind billig, aber viele haben mehr als einen Job, um überhaupt irgendwie über die Runden zu kommen. Man sieht wenig Reste der sowjetischen Herrschaft, erstaunlich wenig, die sind wahrscheinlich äußerlich nicht sichtbar.
Aber am letzten Abend: Kaunas in Litauen, eine Strasse, die aussieht wie heruntergekommene Teile der Greifswalder in tiefen Zonenzeiten, nur ist die Straße breiter. Jeden Moment wird ein Vopo auftauchen und nuscheln "ich solle mich ausweisen". (Kurze gefähliche Antwort eines Freundes: "Kann man das jetzt schon selber?") Der blanke Osten, nur die Häuser in den Seitenstraßen sind verfallene russische Holzhäuschen mit Fenstern, wie dem, aus dem in russischen Märchenfilmen die Erzählerin rausguckte. Wir parken auf einem verdreckten Hinterhof, am nächsten Vormittag werden innerhalb von zwei Stunden drei verschieden Männer die Mülltonnen nach Brauchbarem durchsuchen. Das Haus graubeiger Klotz, bröckelnder Putz - erster Stutzer: die Haustür modern mit Hochsicherheitsschloß - Der Hausflur in gelber Pissölfarbe, die Stufen uneben - Stutzer Nummer zwei: die Wohnugstür ebenfalls brandneu und mit zwei Superschlössern - das Apartment dann wunderbar, toll ausgestattet und mit allem Komfort, nur den Rohren und Leitungen sieht man den äußeren Zustand des Hauses an. Und wie überall in allen drei baltischen Staaten, schnelles Wlan inclusive.
Abschiedsbesäufnis in einem Kiosk an der großen Straße, 24 Stunden geöffnet. Wir kaufen eine Flasche Whisky und kriegen sie ohne Verschluß, nur zum Verzehr darf verkauft werden. Ein freundlicher, betrunkener Lette stammelt auf Russischenglisch, dass er nach Kanada auswandern will, weil die Leute da so gute Traditionen haben und freundlich sind. Seine akustische Vorführung des lettischen Umgangstons erschrickt mich. Vielleicht ist es nur der Suff, hoffentlich. Aber ich lese gerade Sofie Oksanas "Stalins Kühe", und sie schreibt über die Zerstörung der sozialen Umgangsformen, der gewöhnlichen Freundlichkeit durch ständige Bespitzelung, korrupte Mangelwirtschaft und Verrohung durch Gewaltgewöhnung. Ist das die eiternde Wunde, die unter all der Veränderung, dem Fortschritt weiter eitert? So viele Jahre Mißbrauch verschwinden nicht einfach, oder?
Meine kulturelle Tallinnausbeute:
Bilder aus der Ausstellung "Art Rules"
im gotischen Talliner Rathaus
Ein Hornspieler
Paulus Bor
Amersfoort ca 1601 – 1669
Osias Beert the Elder
Stillleben mit Austern, gebratenem Hühnchen, Süßigkeiten und getrockneten Früchten
Antwerpen 1580 - 1624
Amersfoort ca 1601 – 1669
Osias Beert the Elder
Stillleben mit Austern, gebratenem Hühnchen, Süßigkeiten und getrockneten Früchten
Antwerpen 1580 - 1624
Schaut wie der Glas malt!
Spanischer Meister
Mann mit einem Teufel an der Kette
16. Jahrhundert
Der Teufel hat Angst.
Katalog der Ausstellung
http://artrules.ee/art/
Einzelfunde
Narr
Spanischer Meister
Mann mit einem Teufel an der Kette
16. Jahrhundert
Der Teufel hat Angst.
Katalog der Ausstellung
http://artrules.ee/art/
Einzelfunde
Narr
16. Jahrhundert
Relief in einem Dominikanerkloster
Kirchen-Fußboden
Engel
Adam & Eva
Noch ein Engel
Türen aus Tallinn (und eine aus Pärnu)
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