Samstag, 30. Mai 2015

DER PATERNOSTER & DAS VATERUNSER


DER PATERNOSTER & DAS VATERUNSER

Unser Vater in dem Himmel!
Dein Name werde geheiliget.
Dein Reich komme.
Dein Wille geschehe auf Erden wie im Himmel.
Unser täglich Brot gib uns heute.
Und vergib uns unsere Schulden,
wie wir unsern Schuldigern vergeben.
Und führe uns nicht in Versuchung,
sondern erlöse uns von dem Übel.

Denn dein ist das Reich und die Kraft
und die Herrlichkeit in Ewigkeit.

Amen.

Der Paternoster, oder unschöner der Personenumlaufaufzug, wurde 1880 als Transportmittel für Pakete erfunden. Erst Jahre später wurde er auch von menschlichen Passagieren genutzt. 
Weil er durchgehend in Bewegung bleibt, verbraucht er weniger Energie als ein gewöhnlicher Aufzug, er gleitet elegant in einer ununterbrochenen Ellipse dahin und, wenn man ihn betritt, vermittelt er einem ein angenehm abenteuerliche Gefühl. Denn was würde passieren, wenn man den letzten Ausstieg verpasst und ganz oben kopfüber umgestülpt würde? Absturz oder ein neues Leben als Gegenfüßler? Als Antipode?

"Was verkünden denn jene, die meinen, es gebe Antipoden, die uns die Füße zukehren? Ja, wer ist denn so töricht wie der, der glaubt, es gebe Menschen, deren Füße über den Köpfen sind? Oder wo das, was bei uns herunter zeigt, nach oben hängt? Wo Pflanzen und Bäume nach unten wachsen? Wo Regen und Schnee und Hagel zur Erde nach oben fallen?" Laktanz

Liste von Paternosteraufzügen:
http://de.wikipedia.org/wiki/Liste_von_Paternosteraufz%C3%BCgen 
Wie funktioniert ein Paternoster:
http://www.wissen.de/wie-funktioniert-ein-paternoster-aufzug 

Die Betriebssicherheitsverordnung (BetrSichV) zur Verbesserung des Arbeitsschutzes bei der Verwendung von Arbeitsmitteln durch Beschäftigte sowie dem Schutz Dritter beim Betrieb von überwachungsbedürftigen Anlagen wurde jetzt dahingehend verändert, dass nur noch gründlich eingewiesene Personen, die ihre Informiertheit durch ihre Unterschrift bestätigt haben, Paternoster befahren dürfen.
„Der Arbeitgeber hat dafür Sorge zu tragen, dass Personenumlaufaufzüge nur von Beschäftigen benutzt werden."  Also müssen für Besucher nun Fahrstühle eingebaut werden?



Der Name Paternoster spielt auf seine Bauweise an. Die Personenkabinen sind hintereinander an einer Kette installiert. Das Prinzip ähnelt der Aufreihung der Perlen an einem katholischen Rosenkranz zum Abzählen der Gebete Ave Maria und Vater Unser, auf lateinisch Paternoster. Erfunden wurde der Personenumlaufaufzug im 19. Jahrhundert in England. Das Londoner Postamt kam 1876 in den Genuss des ersten Paternosters der Welt. Dieser wurde zunächst jedoch nur für Pakete verwendet. Der erste Umlaufaufzug zur Personenbeförderung wurde 1884 in Betrieb genommen. Zwei Jahre danach kam der erste deutsche Paternoster im Dovenhof in Hamburg zum Einsatz.
http://www.hundt-consult.de/blog/schlechte-nachrichten-fuer-die-betreiber-von-paternostern/ 
 

Freitag, 29. Mai 2015

Dann sterben wir, im Ernst und nicht im Spaß.



                                 Was ist unser Leben? Das Drama der Passion.
                                 Unsre Freude? Ein verwehter Ton.
                                 Im Mutterleib noch hinter den Kulissen,
                                 Bis wir im Schwank des Lebens spielen müssen.
                                 Die Welt ist Bühne. Der Himmel sieht sich an,
                                 Wie keiner seine Rolle spielen kann.
                                 Das Grab, das uns die Sonn vom Leibe hält,
                                 Das ist der Vorhang, der am Stückschluss fällt.
                                 So spieln wir bis zur letzten Ruh ohn Unterlass,
                                 Dann sterben wir, im Ernst und nicht im Spaß.

1588


                                What is our life? The play of passion.
                                Our mirth? The music of division:
                                Our mothers’ wombs the tiring-houses be,
                                Where we are dressed for life’s short comedy.
                                The earth the stage; Heaven the spectator is,
                                Who sits and views whosoe’er doth act amiss.
                                The graves which hide us from the scorching sun
                                Are like drawn curtains when the play is done.
                                Thus playing post we to our latest rest,
                                And then we die in earnest, not in jest. 


                                Walter Raleigh 
                                   Übersetzt von Rainer Iwersen

Am 29. Oktober 1618 wurde Sir Walter Raleigh wegen Verrates an James I. im einem Hof des Westminster Palastes hingerichtet. Seine letzten Worte waren, wird erzählt, an den Henker gerichtet: "Schlag zu, Mensch, schlag zu!" 

http://de.wikipedia.org/wiki/Walter_Raleigh

Dienstag, 26. Mai 2015

Theaterwohnung 8 - Bremen - Neues Glück, neues Spiel



Meine neue Theaterwohnung gewährt den Blick auf eine Fabrik für Wolken



Morgendlicher Beweis 1:


Morgendlicher Beweis 2:


Sonntag, 24. Mai 2015

GEHORSAM - Peter Greenaway im Jüdischen Museum


WO IST DIE WELT?

I am Isaac. 
Ich bin Isaak. 
I am Ismael. 
Ich bin Ishmael.

Unvorstellbarer Vorgang. 

Eine Stimme, die Stimme Gottes, verlangt die Tötung des Sohnes durch den Vater, der Sohn, Isaak oder Ishmael, je nachdem welcher Religion man anhängt, soll sein Brandopfer sein. Der Vater, Abraham, antwortet nicht mit dem erwarteten, erhofften, als sicher angenommenen "Nein.", sondern fragt, was er seiner Frau als Ausrede für den plötzlichen Ausflug geben solle. "Sage ihr, du gehst, mit ihm die Schrift zu studieren."
Vater und Sohn. 
Holz wird geschlagen, auf den Bildern, trägt es der ahnungslose Sohn. Der Vater hält Messer und Feuer.
Da sprach Isaak zu seinem Vater Abraham: Mein Vater! Abraham antwortete: Hier bin ich mein Sohn. Und er sprach: Siehe, hier ist Feuer und Holz; wo ist aber das Schaf zum Brandopfer? Abraham antwortete: Mein Sohn, Gott wird sich ersehen ein Schaf zum Brandopfer. Und gingen beide miteinander.
Das Holz wird aufgeschichtet. Der Sohn wird gebunden und auf  den Holzstapel gelegt. Der Vater holt mit dem Messer aus.
Da rief ihm der Engel des Herrn vom Himmel her zu: Abraham, Abraham! Er antwortete: Hier bin ich. Jener sprach: Streck deine Hand nicht gegen den Knaben aus und tu ihm nichts zuleide! Denn jetzt weiß ich, dass du Gott fürchtest; du hast mir deinen einzigen Sohn nicht vorenthalten.


Unvorstellbarer Vorgang. 

 Caravaggio Die Opferung Isaaks


Gehorsam


Eine Installation von Saskia Boddeke & Peter Greenaway im Jüdischen Museum Berlin


In 15 Räumen wird über diesen unvorstellaren Vorgang gedacht. Drei große Religionen tragen diese Geschichte in ihren heiligen Büchern mit sich, mit kleinen Varianten und sich stark unterscheidenden Auslegungen. Aber in Torah, Bibel und Koran finden wir die Erzählung vom Vater, der seinen Sohn töten würde, um Gott seine Furcht, seinen Gehorsam zu beweisen.
Mir bleibt da nur Schrecken.

Im letzten Raum zwischen Messern und Opferlämmern aus Pappmaché an einer Wand drei Videoschirme auf denen in unendlicher Folge, zwischen Aufnahmen eines strengen Tanzes, Kinder im Krieg, Kinder in Angst, Kinder als Soldaten, verletzte, getötete, verängstigte Kinder zu sehen sind. 
Ein Junge von vielleicht fünf, Bewohner eines der Krisengebiete unserer Welt, fragt: "Wo ist die Welt?"

https://www.youtube.com/watch?v=sYq5qBPIoeE 

https://www.youtube.com/watch?v=g2H9s5Cylb0

http://www.berliner-zeitung.de/kultur/interview-zum-alten-testament-kein-abraham--kein-moses--kein-exodus-und-keine-zehn-gebote,10809150,30646868.html

Freitag, 22. Mai 2015

Die Gärtnerin von Versailles - A Little Chaos - Ein öder Film



Galaxy Quest

Alan Rickman spricht das Sonett 130 von W. Shakespeare
https://www.youtube.com/watch?v=uAc_YuI9cLE

Alan Rickman in "Truly Madly Deeply" mit Juliet Stevenson
https://www.youtube.com/watch?v=AZ52td1GMT0

Alan Rickman in "Dogma"
https://www.youtube.com/watch?v=vnyo5T32LKk

Alan Rickman als Hans Gruber, Bösewicht in "Die Hard"
https://www.youtube.com/watch?v=TSdpRP_bVOM 

Alan Rickman, Alan Rickman, Alan Rickman...
Die Stimme, die Augen, das Timing...

 Sinn und Sinnlichkeit

All dies vorangestellt, muß ich zu meinem großen Bedauern sagen, dass sein zweiter Film als Drehbuchschreiber, Regisseur und Hauptdarsteller ein prätentiöses, unrhytmisches, langweiliges, ungelenkes Ding geworden ist. Schöne Bilder, schöne Kostüme, schöne Menschen, schöne Pflanzen können nichts gegen die überwältigende Humorlosigkeit und die Angestrengtheit schwitzenden Dialoge ausrichten. 
Ein großartiger Schauspieler nach dem anderen, kommt ins Bild, intoniert hölzern banale Sentenzen, chargiert tiefe Blicke und noch tiefere Pausen, man könnte sie auch Löcher nennen, und verkümmert. Da es ein Film über Gärtner ist, wäre, er geht ein wie eine Primel wohl genauer. Erstaunlich! 
Kate Winslet ist durchgehend bekümmert, Matthias Schoenaerts pausenlos melancholisch, Jennifer Ehle unentwegt spitzmündig und Alan, ja Alan ist wie ein blasser matter Schatten seiner selbst. 
Der Hof Ludwig des XIV. als eine Art Vorabendserienfamilie. Alle eigentlich lieb, nur sehr traurig. Wenn ich da an "Der König tanzt" denke. 
Und ich weiß nicht einmal wo der Film ursprünglich hinwollte, mit seinen irgendwie vagen, aber Bedeutung behauptenden Dialogen - "Wie hat du ihn angelegt? - Hintergründig!"
Echofetzen aus skandinavischen Beziehungsdramen oder Jasmin Reza, wenn sie schlecht übersetzt wird, schwer beschreibbar, aber erschöpfend und manchmal sogar (unfreiwillig) komisch. Wenn Kate Winslet eine sabotierte Schleuse zu schließen versucht, ins Wasser fällt und beinah ertrinkt, erwartet man unwillkürlich, dass Leonardo vorbeigeschwommen kommt. Wäre er doch.

Ach, Alan.



Robin Hood

Die Eisheiligen, die gar nicht eisig sind.


DIE EISHEILIGEN - DIE GESTRENGEN HERREN


  
Pankraz, Servaz, Bonifaz 
machen erst dem Sommer Platz.

Meine Freundin weiß, von ihren Eltern, dass erst nach der Kalten Sophie, Mitte Mai, Gurken, Erbsen, Bohnen gesät werden dürfen und vorher Geranien draußen erfrieren könnten.

 
Pankraz und Servaz sind zwei böse Brüder, 
was der Frühling gebracht, zerstören sie wieder.

Die Eisheiligen finden vom 11. Mai bis zum 15. Mai statt. Aber liegen eigentlich
zwischen dem 20. und 24. Mai!!! So ein Schlamassel!

Mamertus – Montag, 11. Mai 2015
Pankratius – Dienstag, 12. Mai 2015
Servatius – Mittwoch, 13. Mai 2015
Bonifatius – Donnerstag, 14. Mai 2015
Sophia von Rom - Kalte Sophie – Freitag, 15. Mai 2015

Vor Nachtfrost du nie sicher bist, 
bis Sophie vorüber ist.

Da sich die alten Bauernregeln auf den Julianischen Kalender beziehen und sich seit der Gregorianischen Kalenderreform 1582 die Daten verschoben haben, finden heutzutage die Kälteeinbrüche um mehr als eine Woche nach hinten verschoben statt, also erst ab ungefähr dem 20. Mai. Die Namenstage der Heiligen sind aber dennoch auf ihren alten Platz im Kalender verblieben.

http://www.eisheilige.info/
 
 Wetterstatistisch sind die Tage mit häufiger Nord-/Nordost-Wetterlage vom 21. Mai bis 23. Mai. Während dieser Wetterlage strömt Kaltluft von Nord oder Nordost. (Wiki)

Servaz muss vorüber sein, willst vor Nachtfrost sicher sein.

DIE EISHEILIGEN

Die Eisheiligen stehen mit steif gefrorenen Bärten,

aus denen der kalte Wind Schneekörner kämmt,

früh plötzlich in den blühenden Frühlingsgärten,

Nachzügler, Tross vom Winter, einsam, fremd.


Eine kurze Weile nur sind sie hilflos, betroffen,

dann stürzt die Meute auf den Blumenpfad.

Sie können nicht, sich lang zu halten, hoffen;

so wüsten sie in sinnlos böser Tat.



Von den Kastanien reißen sie die Kerzen

und trampeln tot der Beete bunten Kranz,

dem zarten, unschuldsvollen Knospenglück

bereiten sie hohnlachend Schmerzen,

zerstampfen junges Grün in geisterhaft verbissenem Kriegestanz.



Plötzlich mitten in all dem Toben und Rasen

ist ihre Kraft vertan,

und die ersten warmen Winde blasen

aus der Welt den kurzen Wahn.

Max Herrmann-Neisse

Mittwoch, 20. Mai 2015

Niemand ist eine Insel


NO MAN IS AN ILAND 
KEIN MENSCH IST EINE INSEL
KEIN MENSCH IST EIN ICHLAND

Donnes Porträt von 1595 gemalt von einem Unbekannten.
Hier lieg ich von der Lieb erschlagen



JOHN DONNE
Aus seiner Meditation über den folgenden Satz:
 
Nun, die Glocke sanft schlagend für einen andren, sagt mir, Du mußt sterben.
Nunc lento sonitu dicunt, morieris

Now, this Bell tolling softly for another, saies to me, Thou must die.  
 
Niemand ist eine Insel ganz für sich allein. Jedermann ist ein Stück des Kontinents, ein Teil des festen Landes. Wäscht das Meer eine Scholle fort, wird ganz Europa ärmer, so, als ob eine Landzunge verschlungen würde oder ein Schloss, das deinen Freunden gehört oder dir selbst. Jedermanns Tod macht mich ärmer, denn ich bin hineinverstrickt in die Menschenwelt. Und deshalb verlange nie zu wissen, wem die Stunde schlägt. Sie schlägt immer für dich.

No man is an island entire of itself; every man is a piece of the continent, a part of the main. If a clod be washed away by the sea, Europe is the less, as well as if a promontory were, as well as in a manor of thy friend’s or of thine own were: any man's death diminishes me, because I am involved in mankind, and therefore never send to know for whom the bell tolls; it tolls for thee.

Übersetzung Johannes Mario Simmel. In Zweiundzwanzig Zentimeter Zärtlichkeit und andere Geschichten. Droemer Knaur 1979
Das "s" in island wurde erst in späterer Zeit dazugefügt.

Martin Droeshout
Einige Jahre vor seinem Tod 1631 gab Donne dieses Portrait in Auftrag,
wie er möglicherweise bei der Wiederauferstehung aussehen würde, im Totenhemd.


 


Kein Mensch ist eine Insel, ganz für sich allein;
jeder Mensch ist ein Stück des Kontinents, ein Teil des Ganzen.
Wenn eine Scholle ins Meer gespült wird, wird Europa weniger,
genauso als wenn’s eine Landzunge wäre,
oder das Haus deines Freundes oder dein eigenes.
Jedermanns Tod macht mich geringer, denn ich bin verstrickt in das Schicksal aller;
und darum verlange nie zu wissen, wem die Stunde schlägt;
sie schlägt für dich.

Übersetzer unbekannt 

Dienstag, 19. Mai 2015

BAAL & FAUST - ZORN & KONSUM


Und wenn Baal nur Leichen um sich sah
War die Wollust immer doppelt groß.
Man hat Platz, sagt Baal, es sind nicht viele da.
Man hat Platz, sagt Baal, in dieses Weibes Schoß.

b.b.


Vorgestern. "Baal" in der Inszenierung von Frank Castorf, nein, ich bin nicht die Brecht-Erbin, noch nicht, möge meine Mutter noch lange leben, gestern "Faust" im BE. Der eine Abend ist von großer Art, übervoll, zu lang, nicht lang genug. Da geht ein Riß durch die Welt und der wird hier nicht geleugnet werden. "Geschichten, die man versteht, sind nur schlecht erzählt." Eine Welt die erklärbar und erträglich ist, muß eine erlogene Welt sein. Der andere löst die Art persönlich peinlichen Ekel aus, den man vermutlich fühlt, wenn man mit leicht angelutschten Gummibären bespuckt werden würde. Hübsch. Nice. Schlimmer geht nicht.

Zwei kostspielige Bühnenbilder, das eine ein undurchdringlicher Zitatendschungel für Hochleistungsschauspieler, die selbst kurz vor dem physischen Kollaps noch in der Lage sind, klare und intelligente Kommentare zu ihrer Situation in eben diesem Abend zu liefern, das andere hochglänzender Background für nicht wirklich perfekt trainierte und, ob ihrer Austauschbarkeit, vermutlich ungeliebte Marionettendarsteller. Nur einer bekommt Raum, und nutzt ihn, Christopher Nel als, na, natürlich als Mephistopheles.

  Illustrationen aus einem Physiognomiebuch des 19. Jahrhunderts, 
Eusserste Verzweiflung & Zorn mit Forcht vermischt

Einerseits: Castorf aka "Frank Bertolt Brecht", hält die Welt nicht aus. Er ist Baal und all die andern. Theweleits Männerphantasien erobern die Bühne und ich bin Opfer und Mitarbeiter, Bewunderer und Kumpan. Castorf, einer, der politisches Theater macht, krasse, unrealisierbare humanistische Ansprüche stellt und an seiner Unfähigkeit damit aufzuhören, in Zeiten des politisch korrekten, larmoyanten, und damit garnichtsmeinenden, allgemeinmenschlichen und authentischen Theaters, verzweifelt, und doch nicht aufhört gegen den Konsens anzuschreien. Und es gelingt ihm, unvorstellbarer Weise sogar, dabei nicht den Humor zu verlieren. Andererseits - entläßt mich der Faust, zugegebenermaßen schon zur Pause, länger ging nicht, das Leben ist zu kurz, als zwischen Abneigung und Mitleid schwankende Gestalt, die möglichst schnell Abstand gewinnen will. Abneigung, weil so viel für so wenig vergeudet wird, Mitleid, weil sich hier ein großartiges Talent für eine uninteressante Matschproduktion verschwendet.

Und jedermann erwartet sich ein Fest.
Sie sitzen schon mit hohen Augenbraunen
Gelassen da und möchten gern erstaunen.
Ich weiß, wie man den Geist des Volks versöhnt;
Doch so verlegen bin ich nie gewesen:
Zwar sind sie an das Beste nicht gewöhnt,
Allein sie haben schrecklich viel gelesen.
Wie machen wir's, daß alles frisch und neu
Und mit Bedeutung auch gefällig sei?

Goethe Faust I 

"Baal" - Kritik in der BZ von Uwe Seidler 
"Faust" - Kritik von Uwe Seidler ebenda 

Samstag, 16. Mai 2015

Ich bin ein Alien - Hi, Hitler im BKA


Hi, Hitler

Lucie Pohl wurde mit einem Schnurrbart geboren. Ein zarter weicher brauner Flaum auf einer deutschen Babyoberlippe. Im zarten Alter von vier Jahren wollte sie als Hitler zum Kinderfasching gehen und wurde von ihrer jüdischen Mutter erschrocken, doch zartfühlend dazu überredet, es doch lieber als lebende Colaflasche zu versuchen.
Lucie Pohl ist ein erstklassiger, bilingualer und ziemlich unerschrockener Clown. 
Heute und morgen gastiert sie im BKA, vom 19. bis 23. Mai in Recklinghausen und am 25. & 26. Mai in Hamburg. Sie hat schon ungefähr 50 dieser Shows gespielt, in New York, in London & Edinburgh. Sie, ein Stuhl und ein paar Musikeinspielungen. Sie ist schnell, genau, grob und rabiat.
Ein Abend über den Pohl-Zirkus, ihre Familie, Versprengte und Heimatsuchende, Schwankende und Verschworene. Wo ist Heimat? Wo fühle ich mich zu Hause? Warum bin ich anders, als ...
Sie heult gern vor dem Spiegel, sie imitiert präzise die unterschiedlichsten Typen, sei es die chinesische Vermieterin in Soho, die zartbeschwingte Schwester oder die betrunkene Regisseurin in Berlin. Sie möchte, oh sie möchte sein, wie all die anderen, die Normalen. Die vermutlich auch heimlich das Gefühl haben, sie wären anders, als ...


Die Aliens sind wir selber

Eine Einfrau-Show in Englisch, in Deutsch, in mensch. 

Der Alien ist uns allen geläufig, als Bezeichnung für grünhäutige Besucher aus dem All, die die unsere Erde aus uns unbekannten Gründen mit Hilfe ihrer UFOs besuchen. Meine Eltern haben vor Jahren einen solchen Besuch  vorbereitet, als sie über dem ländlichen Brandenburg ein ovales Lichtgebilde am Himmel sichteten, sie haben eine Viertelstunden lang ernst und schwerwiegend überlegt, wie dieser "Erste Kontakt" zu gestalten sei, und waren dann schwer enttäuscht, als sich herausstellte, dass es sich nur um einen russischen Militärhubschrauber handelte. 
Ich habe in jugendlicher Faszination, die Bücher von Erich von Däniken verschlungen, und auch den Film "Erinnerungen an die Zukunft", der in den Siebzigern in der DDR im Kino lief, wie es dazu kam, wird wohl ewig ein Geheimnis bleiben, habe ich glaubenwollend und unkritisch in mich aufgesogen. Die Hoffnung auf etwas Fremdes, das besser wäre, als das, was ich kannte, ließ mich mein kritisches Urteilsvermögen leichtfertig übergehen.

Erinnerungen an die Zukunft ist ein deutscher Dokumentarfilm von Harald Reinl aus dem Jahr 1969 und basiert auf dem gleichnamigen Buch von Erich von Däniken. Der Film war 1971 für den Oscar in der Kategorie Bester Dokumentarfilm nominiert. Die Erstaufführung war am 26. April 1970 in Deutschland und am 20. April 1973 in der DDR. Im Jahr 1986 erfolgte die Veröffentlichung einer überarbeiteten Fassung, mit neuen Kommentaren. (Wiki)



Alien, der Fremde, der Ausländer, der Außerirdische.

Lucie findet ihre Sicherheit endlich, als die USA ihr den Status eines "Aliens of extraordinary ability", eines Fremden mit außergewöhnlichen Fähigkeiten zugesteht. Sie ist immer noch ein Fremder, aber einer, der gewollt wird. Kann sie zaubern? Kann sie unheilbare Krankheiten heilen? Nein. Sie kann Menschen zum Lachen bringen. Hi! Hitler!

Alien of extraordinary ability is an alien classification by United States Citizenship and Immigration Services. The United States may grant a priority visa to an alien who is able to demonstrate “extraordinary ability in the sciences, arts, education, business, or athletics”, or through some other extraordinary career achievements.
It is known colloquially as a “genius visa” or "artists' visa" (many of the recipients are artists). It can be granted on non-immigrant or immigrant basis.

http://www.luciepohl.com/#!solo-show/c1u87

Dienstag, 12. Mai 2015

A Life Backward - Wer war Stuart Shorter?


Stuart Shorter, geboren als Stuart Clive Turner, am 19. of September 1968 in Cambridge, starb am 6. Juli 2002 in Waterbeach, Cambridgeshire, wahrscheinlich durch Selbstmord.

Ein Film, auf einer realen Lebensgeschichte basierend, über einen heroinsüchtigen, obdachlosen, zur heftigen Gewalttätigkeit neigenden Obdachlosen, der mich zum Heulen gebracht hat. 
Verfluchter Dreck, habe ich ein gesegnetes Leben.
Ich weiß nicht, wie gut die Synchronisation ist, der schlechte deutsche Titel läßt nichts Gutes ahnen, aber das Gucken lohnt sich auf jeden Fall. 
Warum können Briten sozial glaubhafte, nicht moralisierende und erschreckende Geschichten erzählen und wir nicht? Jeder Obdachlose in einem deutschen Film, scheint lautlos die Größe seines Talents, die ihm diese Darstellung ermöglicht, mitzuerzählen. Die Zähne sind weiß, das Kostüm sorgfältig verschmutzt, die Sprache leicht dialektgefärbt, aber gut verständlich. Sabber, Pisse und böser Witz kommen nicht vor.
Tom Hardy lallt zu Zeiten bis zur Unverständlichkeit, die Bomberjacke, die er trägt, gleicht derjenigen, die der Obdachlose vor meinem REWE auch hat. Er ist schlau und ekelig, unverfroren und er weiß genau, was wir von ihm denken.

Der Film basiert auf dem gleichnamigen Buch von Alexander Masters.
Masters zeigt sich darin weniger als ein außergewöhnlich guter Schriftsteller denn als ein außergewöhnlich mutiger Chronist, der aus seiner eigenen Hilflosigkeit nie einen Hehl macht. Es ist dieselbe Hilflosigkeit, die im gesellschaftlichen Umgang mit Obdachlosen ansonsten nur allzugern verschwiegen wird. 
FAZ
 


A Life Backward - Wer war Stuart Shorter?
Drama, GB 2007
Wie wurde ich, was ich bin?


"Ich war wirklich überrascht, als ich dich getroffen habe, Alexander. Ich dachte immer, mit Leuten aus der Mittelschicht ist irgendwas nicht in Ordnung. Aber die sind ganz normal. Das hat mich echt geschockt." 
"Das kurze Leben des Stuart Shorter" ist die Geschichte einer ungewöhnlichen Freundschaft zwischen einem Schriftsteller und Illustrator ("ein Mittelschichts-Arschloch, wenn man ehrlich ist, Alexander") und einem chaotischen Obdachlosen, den er bei einer Kampagne kennen lernt, die zwei Sozialarbeiter aus dem Gefängnis befreien soll. Damit verwoben ist Stuarts Bekenntnis: die Geschichte seines Lebens, ganz unten. Mit Witz und Mitgefühl arbeitet sich Masters durch Postüberfälle und Gefängniskrawalle zurück bis zu dem Tag, an dem Stuart die Gewalt für sich entdeckt - um zu begreifen, warum sich ein fröhlicher kleiner Junge in eine drogen- und alkoholsüchtige Dr.Jekyll-und-Mr.Hyde-Persönlichkeit verwandelt hat. Alexander Masters ist ein ungewöhnliches Buch gelungen, eine Biografie, die die Besonderheit eines Lebens erzählt und einen Einblick in Verhältnisse gewährt, die für immer mehr Menschen Realität sind. 
Eine Mischung aus mehreren Rezensionen

Rezension des zugrundeliegenden Buches, Unbedingt leseswert!
http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/rezensionen/sachbuch/wer-war-stuart-shorter-1386395.html