Ja, ja. 5 Frauen, 5 Männer, treffen sich, reden, Dunkel, Sex, Licht wieder an, sie reden noch ein bißchen und Wechsel. Ja, ja.
Trotzdem ein tolles Stück, das ungewöhnlich viele gräßliche Inszenierungen und Verfilmungen über sich ergehen lassen mußte. Ein wenig, als wäre es selber eine seiner enttäuschten Figuren, immer auf der Suche und nie befriedigt.
Die „unerbittliche Mechanik des Beischlafs“ hat es mal ein Rezensent genannt, der unerbittlichen Verbissenheit des erotikfreien Beziehungskrampfers, auch Regisseur genannt, kann man es danken, wenn man, spätestens nach der Hälfte der Duette, gepeinigt von hysterischen Unlustschreien, ungelenkem österreichischen Stammeln und ebensolchem Begrapschen von Brüsten, schon vorher weiss, was demnächst stattfinden wird und wie, und zeitgleich über eine Zukunft als Nonne phantasiert.
Bei Claudia Bauer war es anders. Aufregend, spielwild und genau geführt, und immer etwas anders, als die eigenen Erwartungen es sich ausmalten. In der ersten Szene spricht der Soldat das vorgegebene Österreichisch, der Schauspieler ist aus Graz, und da man dann weiß, wie es klingt, können all die anderen Spieler es lassen, anstatt uns und sich mit dem Schmarn zu quälen.
Der Ort, ein Psycho-Swingerclub für Beziehungsgeschädigte, die Kostüme eine Auswahl höchst schönhäßlicher Unterwäsche inclusive beiger Männer-Kniestrümpfe. Es sind immer alle anwesend. Die Zeit, heute, unter Verwendung historischer Muster.
Die Szenen werden untersucht, angebohrt, ausgekostet, ernstgenommen und sehr komisch in den Exzess getrieben und sind ohne wahllos zu werden, doch jede höchst individuell. Und wenn wir des Bäumchenwechselspiels überdrüssig werden könnten, wird die vorgegebene dramaturgische Form zerrissen, formvollendetes Chaos entsteht.
Ich habe viel gelacht, manchmal etwas zu laut, mich in der verzweifelten emotionalen Unzuverlässigkeit dieser sehnsüchtigen Lustmörder und Lustmordopfer wiedererkennend.
Ein feiner Abend, richtig Theater, ganz verrückt, ganz riskant, ganz genau.
Der Graf sagt am Ende, nachdem er erfahren hat, dass er volltrunken doch mit der jungen Frau neben der er aufgewacht ist, geschlafen hat:
"Also... Es wär' doch schön gewesen, wenn ich sie nur auf die Augen geküßt hätt'. Das wäre beinahe ein Abenteuer gewesen... Es war mir halt nicht bestimmt."
William Hogarth 1736
VORHER
NACHHER
„Darf man Stücke verbieten? – Nicht mal, wenn sie schlecht geschrieben sind und schlecht gespielt werden. Hier aber ist ein reizendes Werk, – und es wird annehmbar gespielt. Der Erfolg war gut; die Hörerschaft wurde nicht schlechter davon. Und die Welt ist, zum Donnerwetter, kein Kindergarten. (...) Einen Augenblick Rast und Besinnung! Es wird auf die Dauer zu fad, von allen wichtigsten Begleitumständen der menschlichen Fortpflanzung sich tot zu stellen; sich dumm zu stellen. Eine langdauernde Hypnose. Die Einteilung "Altertum", "Mittelalter", "Neuzeit" ist im Grunde verfrüht. Reigen heißt hier Liebesreigen. Und Liebe heißt hier nicht platonische, sondern... Also: angewandte Liebe. Sie wird angewandt ohne Gröbliches, Lüsternes, Schmieriges zwischen zehn Menschenpaaren. Und zwischen allen Gesellschaftsklassen. Stets das Hinübergreifen von einer Schicht zur andren. Voltaire hat im "Candide" Ähnliches vorgemacht. Die Reihenfolge bei ihm ist: Stubenmädel; Franziskaner; alte Gräfin; Rittmeister; Marquise; Page; Jesuit; Matrose des Columbus... Auch hier ist also von der so oft erstrebten Überbrückung der Klassenunterschiede wenigstens einiges durchgeführt. Die seelische Tragikomik des körperlichen Begebnisses hat ja auch der himmlische Hogarth in zwei Bildern unsterblich festgelegt: "Vorher" und "Nachher" benannt. Die Welt steht immer noch. Nicht Schmutzereien: sondern Lebensaspekte. Auch das Vergängliche des Taumels; das Komisch-Trübe des Schwinden des Trugs. Alles umhaucht von leisem, witzigem Reiz.“
Alfred Kerr: Arthur Schnitzler: "Reigen". Kleines Schauspielhaus. "Der Tag", 24. Dezember 1920