Sonntag, 19. Juni 2011

Menschen am Sonntag

Möglicherweise an einem Sonntag im Romanischen Cafe am Kurfürstendamm, in dem Treffpunkt der künstlerischen Avantgarde des Berlins der 20er Jahre, treffen sich fünf sehr junge Filmenthusiasten und ein älterer (Gliese war schon über dreissig!) und reden über eine Idee. Sie haben bisher wenig Möglichkeiten gehabt an Filme zu arbeiten, die großen Studios bleiben ihnen verschlossen. Ein zufällig am Nebentisch sitzender Mann (Seeler) hört das Gespräch, springt von seinem Platz auf und schreit: "Das müssen wir machen!". Und sie haben dann gemeinsam einen Film produziert. Über die Quellen der Finanzierung, 9000 Reichsmark, gibt es sehr unterschiedliche Erinnerungen. Es wurde entweder von einem Siodmak Onkel geliehen oder war das Honorar von Kurt Siodmaks erstem veröffentlichten Roman oder Ulmer hat das Geld bereitgestellt. Allerdings bezeichnete die Filmhistorikerin Lotte Eisner, Ulmer als den größten Lügner der Filmgeschichte, also wer weiss, was stimmen mag. Egal, dieses eine Mal arbeiten diese Männer, die später zu den Großen des Films gehören sollten, zusammen. 3 Jahre später ist fast keiner von ihnen mehr in Deutschland.

Menschen am Sonntag (People on a Sunday) ist ein Stummfilm in schwarz/weiss, 1929/30 in Berlin und Umgebung gedreht, von der eigens dafür gegründeten Produktionsfirma "Filmstudio".

Produzent: 
Moriz Seeler (1943 entweder in Riga oder in Theresienstadt umgekommen) 1922 gründete er die "Jungen Bühne" in Berlin, wo er Brecht, Bronnen, Zuckmayer und Fleisser - Stücke uraufführte und den Autoren zu ersten Erfolgen verhalf.

Moriz Seeler
Regisseure: 
Kurt (Curt) Siodmak (1933 emigriert) Erfolgreicher Science Fiction Autor und Drehbuchschreiber, in Hollywood Regisseur von zahlreichen Horror-und Science Fiction Filmen.

Kurt Siodmak
           
Robert Siodmak (1939 emigriert) Führte in Hollywood Regie u.a. bei "Die Wendeltreppe" (The Spiral Staircase) 1945, "Rächer der Unterwelt" (The Killers) 1946. Dieser Film gilt als Paradebeispiel des film noir. Nach Ende des Krieges drehte er auch wieder in Deutschland, unter anderem mit Heinz Rühmann.

Robert Siodmak
          
Edgar G. Ulmer (1930 in die USA ausgewandert) Szenenbildner und Regisseur, Hollywoods King of B-movies.

Edgar G. Ulmer
           
Fred Zinnemann (1929 in die USA ausgewandert) Regisseur u.a. von "Das siebte Kreuz", Zwölf Uhr Mittags" (High Noon), "Verdammt in alle Ewigkeit" (From here to Eternity), "Der Schakal" (The day of the Jackal) und "Julia" mit Jane Fonda und Vanessa Redgrave. Vier Oscars gewonnen und dazu noch fünf mal nominiert.

Fred Zinnemann
          
Rochus Gliese (trat kurz nach Beginn der Dreharbeiten von der Regie zurück, blieb in Deutschland und arbeitete hauptsächlich am Theater.)

Drehbuch: 
Kurt & Robert Siodmak (siehe oben)

Samuel Billie Wilder (1933 emigriert) Drehbuchautor und Regisseur. 6 Oscars! Die Liste seiner Filme klingt wie die ultimative Komödienliste, man denke nur an "Manche mögens heiß" (Some like it hot), Marilyn und ihre Ukulele im Schlafwagen. "Nobody is perfect!" Er war es fast.

Billie Wilder
Billie Wilder über den Film "Menschen am Sonntag": 
Es war eine Art cinéma vérité, aus gutem Grund: Wir hatten kein Geld für Schauspieler, also mussten wir vérité Menschen nehmen. Und wir mussten vor realen Hintergründen drehen."

"It was… kind of cinéma vérité, for a good reason: We didn’t have the money to have actors, so we had to take the people vérité. And we had to shoot in real backgrounds.”

Kamera: Eugen Schüfftan (1933 emigriert) Kameramann und Tricktechnik-Erfinder, Oskarpreisträger.

Laien-Darsteller als sie selbst: Erwin Splettstößer, Brigitte Borchert, Wolfgang von Waltershausen, Christl Ehlers, Annie Schreyer
und Kurt Gerron (1944 in Ausschwitz vergast), Valeska Gert (1939 emigriert)
u.v.a. 

Offizielle Zensur: 29.1.1930, B.24926 (2.014 Meter, 6 Akte) Jugendverbot

Es konnte nur am Sonntag gedreht werden, da die Laiendarsteller nur an diesem Tag frei hatten.


MENSCHEN AM SONNTAG. Keine Schauspieler, junge Berufsmenschen; drei Mädel und zwei Jungen. Berlin am Sonnabend, Sonntag und Montagmorgen. Ausflug nach Nikolassee; baden, photographieren und Wasserrad. Dazwischen lee- res Berlin, Fenster, Bänke, Siegesallee. Was ist das Besondere? Die zauberhafte Leichtigkeit des Bildflusses, musikalischer als in allen Tonfilmen? Der Humor, die Einfälle, die Frische, die Unbeküm- mertheit, die Spielfreude? Das Besondere ist, daß – vielleicht von selbst, vielleicht unbeabsichtigt – dieser Film zur ursprünglichen Geste zurückkehrt. Um so besser, wenn unbeabsichtigt. Die Geste kehrt an ihren Ursprung zurück, weil die Vorgänge selbstverständlich sind. Ein Ruder ist ins Wasser gefallen. Es muß herausgeholt werden. Eine Zigarette wird durchgebrochen. Geld wird auf den Tisch gelegt. Ein Mädchen blickt einen Jungen an. Eine Hand fährt übers Haar. Tausend Gebärden, tausendmal durch die Routine der Berufsschauspieler ihrer Ursprünglichkeit beraubt, ausnuanciert, verdorben und verkitscht. Ebenso verdorben und verkitscht wie die Vorgänge, die Handlungen, die zu diesen Gesten führen.
Ein junger Film. Ein deutsches Gegenstück zu dem amerikanischen Film EIN MENSCH DER MASSE [THE CROWD, King Vidor, USA 1928]. Ein junges Studio. Ein Gegenstück zur Gruppe Junger Schauspieler. Der Aufbau von unten beginnt. Hoffen wir es. Der Vorstoß gegen den Starfilm muß Folgen haben. Hier wurde an einem Filmtyp gearbeitet. Mit dem ausgezeichneten Operateur Eugen Schüfftan, mit den Regisseuren Robert Siodmak und Edgar Ulmer, mit dem Manuskriptverfasser Billie Wilder, mit den unberufsmäßigen Darstel- lern Brigitte Borchert (eine ausgesprochene Begabung), mit Christl Ehlers, Annie Schreyer, mit Wolfgang von Waltershausen, Erwin Splettstößer. 
Herbert Ihering in: Berliner Börsen-Courier, 5.2.1930

Samstag, 18. Juni 2011

Ich bin Raucher!

Max Beckmann Selbstporträt 1927

Ich bin Raucher. Ich weiss, dass es gesundheitsschädlich ist. Ich bin dankbar, dass es an vielen Orten verboten ist, zu rauchen, da mich das vom Ketterauchen abhält.  Ich glaube, es gibt schlimmere Dinge auf dieser Welt als das Rauchen.

Ernst Ludwig Kirchner Erna mit Zigarette 1915
Edward Hopper A woman in the sun 1961

Man raucht. Man befleckt sich.
Man trinkt sich hinüber. Man schläft.
Man grinst in ein nacktes Gesicht.
Der Zahn der Zeit nagt zu langsam, mein Lieber!
Man raucht. Man geht kacken.
Man macht ein Gedicht.
Bertolt Brecht

Max Liebermann Selbstbildnis mit Zigarette 1902/03
Edward Munch Selbstporträt 1895
Zigarette
 
Gewidmet sei das erste der Sonette,
In dem ich völlig mich der Form bemeistert,
Der Zauberin, die mich dazu begeistert:
Der duftenden Havannazigarette.
 
Nicht mühsam ward zusammen es gekleistert.
Es floß, ein Strom im selbstgegrabnen Bette,
Indessen ich des Rauches Wolkenkette
Gen Himmel blies, vor Wonne halb
  entgeistert
 
Mir zaubert, Feine, deines Dufts Narkose
Des Traumes Blüte ins entlaubte Leben,
In meinen Herbst die Nachtigall, die Rose.
 
Wenn deine zarten Wölkchen mich
  umschweben,
Fühl ich versöhnter mich mit meinem Lose
Und laß mit ihnen sich den Geist erheben.


Marie von Ebner-Eschenbach

Nude Smoker Sergeij Dyomin 1998
Paul Cezanne Der Raucher 18957/1900
Pablo Picasso Nude and Smoker 1968
Ein leidenschaftlicher Raucher, der immer von der Gefahr des Rauchens für die Gesundheit liest, hört in den meisten Fällen auf - zu lesen. Winston Churchill

Richard Geiger (1870-1945) Flirtatious Smoker
Adriaen Brouwer Smokers 1636
Mit dem Rauchen aufzuhören ist kinderleicht. Ich habe es schon hundertmal geschafft. Mark Twain

Vincent van Gogh Skull with cigarette 1886


Pablo Picasso Woman with a Cigarette 1901 
"Drei Wochen war der Frosch so krank! // Jetzt raucht er wieder. Gott sei Dank!" Wilhelm Busch

Freitag, 17. Juni 2011

Das Kuleschow Experiment

1918 führte Lew Koleshow, in Moskau, gemeinsam mit Wsewolod Pudowkin und Film-Studenten ein Experiment durch. Drei identische Grossaufnahmen des Matinee-Idols Iwan Mosjukin, vrrschnitten mit drei verschiedenen Bildschnipseln wurde zu einem Film-Clip montiert.
Gesicht - Suppe mit Löffel - Gesicht - totes Kind aufgebahrt - Gesicht - schöne, spärlich bekleidete Frau - Gesicht.
Diese Schnittfolge zeigten sie einem nicht eingeweihten Publikum und das Ergebnis war verblüffend. Abhängig vom zwischengeschnittenen Bild war die Interpretation der Emotionen des Schauspielers völlig unterschiedlich. Obwohl eigentlich immer die gleiche Einstellung zu sehen ist, sieht das Publikum Verschiedenes im Gesicht des Schauspielers: Hunger, Trauer, Lust.
Was sehen wir in Gesichtern von anderen? Sie oder uns?

Das originale Experiment

„Bedenken Sie die Macht des Films. Nahaufnahme James Stewart, Schnitt: Eine Frau mit Baby. Schnitt: James Stewart lächelt. Er ist ein netter Mann. Jetzt nehmen Sie das mittlere Bild heraus und ersetzen es durch das eines Mädchens im Bikini. Jetzt ist er ein alter Lüstling.“ 
Alfred Hitchcock im Gespräch mit Francois Truffaut









Hitchcock beschreibt den Montage-Effekt und spielt selbst.

Zwei Grundannahmen des Experiments:

Der Darsteller ist kein Schauspieler, sondern ein Filmmodell, das durch Training von Motorik und Emotion als rein technisches Werkzeug funktioniert.
Das Wesen des Films liegt in der Verkettung der gefilmten Fragmente, nicht innerhalb der einzelnen Fragmente.

Als Induktion wird in der Filmsprache eine Folgerung bezeichnet, die der Zuschauer aus einer Abfolge hintereinander geschnittener Bilder oder Szenen zieht, ohne dass diese Bedeutung aus den Bildern selbst hervorgeht. Sie entsteht vielmehr aus der gedanklichen Verknüpfung des Gesehenen zu einem Bedeutungszusammenhang oder genauer einer Kausalkette.

"Lew Kuleschow war der erste, der systematisch filmische Experimente zur Montage durchführte. Er glaubte, dass man mit wissenschaftlichem Kalkül auch die künstlerische Kreativität des Filmemachens lenken könne.
1920 begann der damals erst 21jährige bereits an der Moskauer VGIK zu lehren. In Workshops unternahmen er und seine Studenten unzählige Versuche zur Filmmontage, wie die Experimente "Schöpferische Geografie" , "Ideale Frau" oder auch jenes weltbekannte und noch heute beindruckende Experiment, das unter dem Namen "Kuleschow-Effekt" in die Geschichte einging.
Der Gedanke, der all seinen Versuchen zu Grunde lag, war, dass das Wesen des Films nicht in den einzelnen Fragmenten, also Einstellungen, zu suchen sei, sondern in ihrer Verbindung. Das Entscheidende waren folglich nicht die Aufnahmen selbst, sondern die Montage der Aufnahmen.
Am deutlichsten bestätigte sich diese Behauptung in eben jenem "Kuleschow-Effekt".
Gemeinsam mit seinen Studenten, unter ihnen auch Vsevolod Pudowkin, schnitt Kuleschow drei identische Aufnahmen des Schauspielers Iwan Mosjukin mit jeweils unterschiedlichen Einstellungen zusammen. In seinem Werk "Über die Filmtechnik" beschreibt Pudowkin die ausgewählte Aufnahme Mosjukins als ausdruckslose Großaufnahme eines unbewegten und ruhigen Antlitzes."

Sarah Agbeyegbe. "Die Montage – ein filmgeschichtlicher Abriss zu kinematografischer Wirkung und Funktion"

Flake - Mein Leben

Ein 45 minütiger Dokumentarfilm von IT WORKS Film über den Keyboarder von Rammstein Flake, der mit bürgerlichem Namen Christian Lorenz heisst.
Hm. Enorm unterhaltsam, sehr gut geschnitten, mit tollen Animationen von Leif Heanzo. Was für ein Künstlername!.

Und er entließ mich verstört. Der Mann ist ein Alien. Er liebt die DDR. Er war Punk, er hat den Armeedienst verweigert und durfte deshalb nicht Medizin studieren, er ist verhaftet worden, er hat erlebt wie viele andere Punker in den Knast geworfen wurden, in den Westen abgeschoben und und und. Aber er sagt in einem Spiegel-Interview:

"Ich musste mich damals auch entscheiden: Ich wollte auf keinen Fall zur Armee, man musste aber hin, sonst konnte man sogar ins Gefängnis kommen. Trotzdem habe ich mich dagegen entschieden. Dafür durfte ich dann nicht studieren und konnte nicht Arzt werden. Das war für mich eine freie Entscheidung. Für mich bedeutet Freiheit, dass man die Wahl hat, zu tun, was man will. Und das hat für mich im Osten sehr gut funktioniert. Und jetzt passiert durch den Kapitalismus so viel Dreck hier um mich herum. Weil so viele Menschen irgendwelchen Mist machen, nur um Geld zu verdienen. Das nervt mich. Bis heute fehlt mir die DDR sehr. Mehr als die Bands von damals."

Was ist das? Dumm wirkt er nicht, keineswegs, aber fremd in der Welt. In dieser, wie in der der DDR. Als lebte er in einer Parallelwelt. Verstörend.

 

Donnerstag, 16. Juni 2011

e.e. cummings - Paris

Sich vorbeugend fragte Monsieur kalt und sorgfältig: " Was haben Sie in Paris gemacht?" worauf ich kurz und herzlich antwortete "Wir hatten eine gute Zeit."

Leaning forward Monsieur asked coldly and carefully: "What did you do in Paris?" to which I responded briefly and warmly "We had a good time." 
e.e. cummings The Enormous Room

Cummings kam im Ersten Weltkrieg als Soldat mit einem Sanitätscorps nach Paris. Später besuchte er die Stadt oftmals wieder.

e.e. cummings Himmel über Paris 1933

Paris;dieser April Sonnenuntergang äußert vollkommen
äußert gelassen still eine Kathedrale

vor derem aufwärts schmalen wunderbaren Gesicht
die Straßen jung werden im Regen,

gewundene Flächen von geschwollenem Rosé
aufgespult in kobaltblauen Weiten von Himmel
ergeben sich und gehorchen
dem Mauve
                  des Zwielichts(das schlank herabsteigt,
zierlich in seinen Augen die gefährlichen ersten Sterne tragend)
Leute laufen lieben eilen in einer sanft

eintreffenden Düsternis und
sehen!(der neue Mond
füllt sich mit plötzlichem Silber
diese zerrissenen Flecken von lahmer und flehender Farbe)während
hier und da die geschmeidige träge Hure
Nacht,sich streitet

mit bestimmten Häusern


Paris;this April sunset completely utters
utters serenely silently a cathedral 

before whose upward lean magnificent face
the streets turn young with rain,

spiral acres of bloated rose
coiled within cobalt miles of sky
yield to and heed
the mauve
               of twilight(who slenderly descends,
daintily carrying in her eyes the dangerous first stars)
people move love hurry in a gently 

arriving gloom and
see!(the new moon
fills abruptly with sudden silver
these torn pockets of lame and begging color)while
there and here the lithe indolent prostitute
Night,argues 

with certain houses  
 
 

Mittwoch, 15. Juni 2011

Patrice Chéreau - La Reine Margot - Die Bartholomäusnacht


Manchmal brauche ich Monumentalfilme. Dies wird ein etwas mäandernder Ausflug, der erst auf einigen Umwegen zu Chéreaus Film wandern wird.

1916 drehte D.W. Griffith seinen Film "Intoleranz".

Tolerieren, vom lateinischen "erdulden" entlehnt, führt zum vielgenutzten Wort Duldsamkeit, alias Toleranz, einer Tugend, die mir immer schon einen fragwürdigen Beigeschmack zu haben schien. Klingt nach Herablassung, im Besitz der eigenen Gewissheiten, lässt man den ANDEREN in seinem Unsinn gewähren, weil man es sich eben leisten kann. Aber das hier nur am Rande.

David Wark Griffith, 1875 geboren, glühender Südstaatler und demzufolge Rassist, war nichtsdestotrotz ein erstaunlicher Filmemacher grandios, schamlos sentimental und bildgewaltig. In "Die Geburt einer Nation" ("Birth of a nation") hatte er den amerikanischen Bürgerkrieg und seine Folgen aus der Sicht des besiegten Südens bebildert. Der Film ist eine atemberaubende Mischung aus übler weißer Propaganda für Klu-Klux Clan und Rassentrennung und tränenersticktem Traum von der Restauration imaginierter goldener Zeiten, aber eben auch voll starker, überraschender Bilder. Leni Riefenstahl löst bei mir ähnlich Risse in der Wahrnehmung aus.

Alle Schwarzen in größeren Rollen werden, deutlich erkennbar von dunkel geschminkten Weissen gespielt.
Der Film, an 44ster Stelle der Top 100 amerikanischen Filme des American Film Institutes stehend, wird noch heute bei der Rekrutierung von Klu-Klux Clan Mitgliedern verwendet! Nach seinem Erscheinen 1915 blieb er für zwanzig Jahre, der erfolgreichste Hollywood Film, um dann erst von Disneys "Schneewittchen" abgelöst zu werden. Walt Disney war übrigens auch Rassist und Gewerkschaftsfeind und Anti-Kommunist, der eifrig Informationen über die politischen Neigungen seiner Angestellten an das FBI weitergab. Auch das nur am Rande.

"Intoleranz" - Untertitel: Der Kampf der Liebe durch die Jahrhunderte" - ist bombastisch, Nebukadnezars Babylon, die Hinrichtung Jesu, die Bartholomäusnacht und wiederum eine Geschichte aus dem Bürgerkrieg dienen als Vehikel für eine massive und emotional schwerlastige Betrachtung der Folgen von Intoleranz in der menschlichen Geschichte, verbunden durch das wiederkehrende Bild einer melancholischen Mutter, die eine Wiege schaukelt. Klingt gräßlich, ist aber visuell großartig, grauenhaft langatmig und gelegentlich unerträglich kitschig, aber von erstaunlicher Faszinationskraft, manisch und überlastet, aber als Teil der Filmgeschichte nicht auslassbar. Angucken, aushalten, aufregen. 

Schwarzer Zentaur bedient Weissen Zentaur in Fantasia (Nicht in der veröffentlichten Version!)
Eine der vier Episoden ist die Bartholomäusnacht, in die Geschichtsbücher als die "Pariser Bluthochzeit" eingegangen.
Im August 1572 heirateten Margarete von Valois (Katholikin) und Heinrich von Navarra (Hugenotte), als Teil eines Plans den Religionsfrieden in Frankreich wieder herzustellen. Kurz darauf kam es am 24. August in Paris zu einem grauenhaften Massaker an den zur Hochzeit angereisten und den in Paris lebenden Hugenotten, das sich in Folge bis in die Provinz ausweitete.
Man hört von circa 5000 bis 30 000Toten, je nach Konfession des Berichtenden.
Ein Straßburger Bürger beschrieb es so: „Da setzte überall in Paris ein Gemetzel ein, daß es bald keine Gasse mehr gab, auch die allerkleinste nicht, wo nicht einer den Tod fand, und das Blut floß über die Straßen, als habe es stark geregnet.
Phillip II. von Spanien soll nur einmal in seinem Leben gelacht haben, und zwar als ihm die Nachricht von diesem Massaker überbracht wurde. Den Papst hat es auch gefreut.

Und nun endlich zu "La reine Margot" oder "Die Königin Margot", Margot ist die Koseform von Margarete, basierend auf Alexandre Dumas' Roman gleichen Namens. 
Oder im deutschen dramaturgischen Hilfstitel: Die Bartholomäusnacht, ich weiss, ich wiederhole mich, aber warum fühlen sich deutsche Verleihfirmen dazu berufen, uns mit neuerfundenen Titeln grelle Hinweisschilder für den zu erwartenden Film zu geben? 

 
Toll besetzt, praktisch alles, was in Frankreich 1994 Rang und Namen hatte, spielt auch mit. Isabelle Adjani, Jean-Hugues Anglade, Dominique Blanc, Virna Lisi, Vincent Perez, Daniel Auteuil und sogar unser Thomas Kretschmann! Danielle Thompson hat zusammen mit Chéreau das Drehbuch geschrieben, sie hat auch die Drehbüchern von La Boum - Die Fete, Das Superhirn, Cousin und Cousine und einigen Louis de Funes Filmen gearbeitet. Und die Ausstattung, meine Schwester, die Kostümbildnerin bekommt feuchte Augen bei der Vorstellung, einmal so zuschlagen zu können. Moidele Bickel! Wow! Die Musik ist von Goran Bregowic, der auch die Musik für viele Kusturica Filme geschrieben hat und für "Zug des Lebens" und "Arizona Dream".
Ein Film wie ein wahnsinnig gewordenes Barockgemälde, die historischen Fakten sollte man vorher kennen, die interessieren nicht, aber Chéreau drückt einem Bilder hinter die Augäpfel, bei denen alle äußerlichen Opulenz nur die güldene Tünche über dem Schrecken ist.
"Dieser Durchbruch ins Kannibalische, dieses Wüten von Fleisch gegen Fleisch, diese Todesekstase ist Chereaus wirkliches Thema: mit schreckensweitem Blick hält er das Hauen und Stechen fest und gibt keinen Pardon, auch nicht dem Publikum. Wer die Vision einer Gewaltwelt schaffen will, die gegen sich selbst rast, kommt nicht mit homöopathischen Dosen aus." Urs Jenny Spiegel 39/1994

Ein Monumentalfilm, den ich fünf Mal gesehen habe. Zu viel, viel zu viel, aber gigantisch.

Dienstag, 14. Juni 2011

Patrice Chéreau - Jon Fosse - I am the wind


Zwei tolle Schauspieler arbeiten 90 Minuten daran, mir/uns zu zeigen, dass wir nicht glücklich sind. Es gibt keinen Konflikt, keine Überraschung, keinen Widerspruch. Es ist.
"I did it." sagt der eine, "Why did you do it." sagt der andere, "It just happened." ist die Antwort. Wieder und wieder. Wiederholung, Wiederholung, Wiederh.... Der letzte Satz: "I am the wind!" Den kannte man schon nach circa 5 Minuten, und nickte, dann wann immer das Erwartete oder besser das vorher leicht Ausrechenbare eintraf.
Da wo Beckett die Tragik der unerträglichen Hoffnung feiert, oder Ionesco unter der Last der Unverständigung schier nicht zusammenbricht, wird hier die leicht erschöpfte Depression des Bürgers (Kleinbürgers) als Gottesdienst zelebriert. Oh weh, unser Leben ist schwer und kein Mitleid von nirgendwo, dann bemitleiden wir uns halt selber. Und dies in hoch ästhetischer Umgebung, merkwürdig schwankend zwischen Formalsierung und hilflosem Naturalismus.
Und ein Saal voller gewöhnlicher Traurigkeit und gewöhnlicher Glücklichkeit eint sich zum Chorus der endlich als Objekt der Tragödie Anerkannten.
Gebt mir ein Problem!

Tom Brooke & Jack Laskey
Théâtre de la Ville in Zusammenarbeit mit dem Young Vic London

Freitag, 10. Juni 2011

Rilke und Rodin


Ich fahre für 4 Tage nach Paris!

1902 lässt der 25 jährige Rilke seine, ihm frisch vermählte Ehefrau, Clara Westhoff in Worpswede zurück und reist nach Paris. Er lernt dort Auguste Rodin kennen und schreibt, unter anderem, den "Panther". Ob das so neue Verheiratetsein ihn wohl etwas geängstigt haben mag? Seine Tennung von seiner Geliebten Lou Andreas-Salomé lag erst ein Jahr zurück.

Im Jardin des Plantes, Paris

Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe
so müd geworden, daß er nichts mehr hält.
Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe
und hinter tausend Stäben keine Welt.

Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte,
der sich im allerkleinsten Kreise dreht,
ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte,
in der betäubt ein großer Wille steht.

Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille
sich lautlos auf -. Dann geht ein Bild hinein,
geht durch der Glieder angespannte Stille -
und hört im Herzen auf zu sein.

Aus: Neue Gedichte 

An Clara Rilke
Dienstag, den 2. September 1902

"...Gestern, Montag nachmittag 3 Uhr, war ich zuerst bei Rodin. ... Bin auf der Seine hingefahren. Er hatte Modell. Ein Mädchen, hatte ein kleines Gipsding in der Hand, an dem er herumkratzte. Er ließ die Arbeit im Stich, bot mir einen Sessel an, und wir sprachen. Er war gut und mild. Und mir war, als kennte ich ihn immer schon. Als sähe ich ihn nur wieder; ich fand ihn kleiner und doch mächtiger, gütiger und erhabener.  Diese Stirne, die Art, wie sie zur Nase steht, die aus ihr herausfährt wie ein Schiff aus dem Hafen ... das ist sehr merkwürdig. Stil von Stein ist in dieser Stirn und dieser Nase. Und der Mund hat eine Sprache, deren Klang gut, nahe und voll Jugend ist. So ist auch das Lachen, dieses verlegene und zugleich fröhliche Lachen eines schön beschenkten Kindes. Er ist mir sehr lieb. Das wußte ich gleich. Wir sprachen manches - (soweit meine seltsame Sprache und seine Zeit es zuließ.) ... Dann arbeitete er weiter und bat mich, alles zu besehen, was im Atelier steht. Das ist nicht wenig. Die "Hand" ist da. C'est une main comme-ça (sagte er und machte mit seiner eine so mächtig haltende und formende Gebärde, daß man glaubte, Dinge aus ihr wachsen zu sehen). - C'est une main comme-ça, qui tient un morceau de terre glaise avec des ... Und auf die beiden wundervoll tief und geheimnisvoll vereinigten Gestalten deutend: c'est une création ça, une création ... Wunderbar sagte er das ... Das französische Wort verlor seine Grazie und erhielt nicht die umständliche Schwere des deutschen Wortes: Schöpfung ... es hatte sich aus allen Sprachen losgelöst, losgekauft ... war allein in der Welt: création..."

Rodin; Hand Gottes - Schöpfung

1905/06 arbeitete Rilke für acht Monate als Privatsekretär Rodins, oder, wie andere sagen, als sein Leibeigener. Es kam zum Zerwürfnis, Rilke wurde gefeuert. Über die Gründe wird spekuliert. Es muss heftig geknallt haben. Sie haben sich nie wieder vertragen.

Rodin; La Faunesse

Die Liebenden 
 
Sieh, wie sie zueinander erwachsen:
in ihren Adern wird alles Geist.
Ihre Gestalten beben wie Achsen,
um die es heiß und hinreißend kreist.
Dürstende, und sie bekommen zu trinken,
Wache und sieh: sie bekommen zu sehn.
Lass sie ineinander sinken,
um einander zu überstehn.

Rainer Maria Rilke

Rodin; Luxure


 Mit unsern Blicken schließen wir den Kreis,
daß weiß in ihm wirre Spannung schmölze.
Schon richtet dein unwissendes Geheiß
die Säule auf in meinem Schamgehölze.

R.M.R.

Rodin; Tempel der Liebe

Was sind wir viel, aus meinem Körper hebt
ein neuer Baum die überfüllte Krone
und ragt nach dir: denn sieh, was ist er ohne
den Sommer, der in deinem Schooße schwebt.
Bist du's bin ich's, den wir so sehr beglücken?
Wer sagt es, da wir schwinden. Vielleicht steht
im Zimmer eine Säule aus Entzücken,
die Wölbung trägt und langsamer vergeht. 

R.M.R.


Link führt zu einem längeren Essay Rilkes über Rodin. 

 

Robert Frank 2

LONDON / WALES


"Ich bezeichne meine Photographien nicht als Meisterwerke." 
"I don't call my photographs masterpieces."

Robert Frank
 "Die Wahrheit ist dder Weg etwas über Dein Leben zu offenbaren, deine Gedanken, wo du stehst. Sie steht nicht einfach alleine da, die Wahrheit. Sie steht da im Zusammenhang mit Kunst. Ich will etwas machen das mehr Wahrheit enthält und nicht so viel Kunst. Was heißt, du mußt etwas riskieren - weil die Leute leichter mit Kunst umgehen können als mit Wahrheit!"

 ” The truth is the way to reveal something about your life, your thoughts, where you stand. It doesn’t just stand there alone, the truth. It stands there combined with art. I want to make something that has more of  the truth and not so much of art. Which means you have to go out on a limb - because people are more comfortable dealing with art than with the truth!”

Ben James Wales 1953

Ben James und seine Frau, Wale 

"Wenn Leute meine Bilder anschauen, möchte ich, dass sie sich fühlen, wie wenn sie eine Gedichtszeile zweimal lesen wollen."
”When people look at my pictures I want them to feel the way they do when they want to read a line of a poem twice.”

London

Caerau, Wales, 1953

City of London 1951

London

London

London Street 1951

London 1951

London 1955

Wales

???
Wales 1953

Wales 1953

Walisische Bergleute