Mittwoch, 13. April 2011
Theater hat einen Kritiker 1
Stellen wir uns vor: 8.00 Uhr früh, der Bäcker öffnet seinen Laden, ein Mann in unauffälliger Kleidung tritt herein und kauft ein Brötchen, ein Stück Streuselkuchen und ein halbes Vollkornbrot. Am nächsten Tag in der städtischen Zeitung ein Verriss: "Da ging vieles nicht auf".
Theaterkritik ist ein erstaunliches Ding. Und die, die sie schreiben eine ungewöhnlich heterogene Ansammlung von Menschen. Da gibt es den Doktor der Theaterwissenschaft, der alles weiss und wenn man ihm nur zuhören würde, könnte man es besser machen, den gescheiterten Dramaturgen, der alles besser machen könnte, wenn man ihn nur liesse, den Redakteur fürs Regionale, der abgeordert wurde, weil kein anderer Zeit hat und es schon lang kein eigenes Kulturressort mehr gibt.
Und! Und den Theaterschauer und -schreiber aus Passion, rarer als ein Berliner in Berlin. Er wird geliebt und gefürchtet, denn sein Urteil, auch wenn es vernichtend ist, muss Ernst genommen werden, da es in Leidenschaft geschrieben wurde. Leider verwandelt er sich manchmal mit den Jahren, weil er halt gehört wird und weil er, wie es in der Liebe so ist, oft enttäuscht wird, in eine Institution. Die alte Liebe ist nur noch ein Schatten einer Erinnerung und muss bestraft werden, weil sie ihre Versprechen nicht hat halten können. Die Destruktion, die solch ein enttäuschter Liebhaber anrichten kann, ist phänomenal, besonders, wenn er sich den Liebesverlust selbst nicht eingesteht.
Chas Addams
Katherine Hepburn gab eine beeindruckende Vorstellung, die gesamte Skala der Gefühle umfassend, von A bis B.
Katherine Hepburn delivered a striking performance that ran the gamut of emotions, from A to B. Dorothy Parker Vogue 1916
Dienstag, 12. April 2011
Johnny Depp - Eine Schwärmerei
Professor experimentiert an unschuldigem Jungen, transplantiert ihm Scheren anstelle der Finger, der Professor stirbt, der Junge lebt einsam, wird von ebenfalls unschuldigem Mädchen entdeckt und in das Haus ihrer Familie mitgenommen, die ihn, nach anfänglichem Misstrauen, sehr herzlich aufnimmt. Er wird Landschaftsgärtner und Friseur, es kommt zu unverschuldeten Unfällen und zu keinem Happyend.
Eher durch Zufall geriet ich in meinen ersten Tim Burton/Johnny Depp Film und dieser Abend wurde zum Beginn einer Passion.
Ich gestehe hiermit öffentlich, dass ich Johnny Depp anbetungswürdig finde.
Und sicher, er ist ein wirklich erstaunlicher Schauspieler, dazu später, aber er ist auch noch so schön, dass es beinah unwirklich ist.
Es ist heraus. Ich bin ein Fan. Ich reise ihm nicht nach und ich besitze auch keinen Hausaltar, ich will nicht mal sein Autogramm, aber gucken tue ich. Ich glaube, ich kenne alle seine Filme (außer Twenty One Jumpstreet), manche habe ich mehr als einmal gesehen. (Wenn das Geheimnis erst einmal heraus ist, warum dann nicht die ganze Wahrheit sagen!) Ich sehe mir auch alle Interviews, derer ich habhaft werden kann, an und hin und wieder gehe ich auf Klatschseiten im Netz oder in diesen bunten Zeitungen, die ja keiner von uns liest, und lese unwahre Geschichten über ihn, mit Genuss!
"Edward Scissorhands"
"If you catch me saying 'I am a serious actor,' I beg you to slap me."
"Sollten Sie mich dabei erwischen, wie ich mich als ernsthaften Schauspieler bezeichne, bitte ich Sie mich zu schlagen."
Er hat jahrelang merkwürdige Filme gedreht, die manchmal nur relativ wenige Leute sehen wollten und dann bietet man ihm die Rolle eines Piraten an, jeder weiss doch, dass Piraten schön und romantisch sind und er geht und nimmt sich den guten alten Keith Richards zum Model, behängt sich mit circa 50 Pfund Schmuck, verkleidet sogar seine Zähne, erfindet einen Gang, irgendwo zwischen Seemann, schwerem Trinker und ungeschickter Dragqueen, das alles unter dem zunehmend panischen Widerstand der Produzenten, und trägt dann den Film ganz alleine weg. Und all die anderen, die Blooms und Kneightlys verblassen in Fadheit (vielleicht mit Ausnahme von Geoffrey Rush). Es wird erzählt, er wollte auch noch eine falsche Nase haben, die echte war Sparrow in einem Kampf abgebissen worden und die sollte, wann immer er niessen musste, und das wäre sicher oft gewesen, abfallen. Er hat das als "zu viel" dann weggelassen. Man glaubt ihm, dass er Spass hat.
In "Don Juan de Marco" spricht er den schönsten nichtexistenten spanischen Akzent, in "Benny und Joon" verneigt er sich auf zärtlichste vor Chaplin und schon der Wutausbruch im rosa Mohairjäckchen in "Ed Wood" würde genügen, um ihm im Pantheon der wahren Spieler einen Platz zu sichern
"Ed Wood"
http://www.youtube.com/watch?v=mayfxYTOs3k&feature=related
Ein Clip aus "Cry Baby" von John Waters
Ich bin nicht oft Fan, aber bei ihm ist es mir eine Ehre.
Montag, 11. April 2011
e.e. cummings - niemand ist immer ein verlierer
niemand ist immer der verlierer
ich hatte einen Onkel namens
Sol der ein geborener misserfolg war und
fast jeder sagte er hätte zum zirkus
gehen sollen vielleicht weil mein Onkel Sol wie der
teufel McCann Der War Ein Taucher zu Weihnachten singen konnte was
möglicherweise oder auch erklären könnte das mein Onkel
Sol dem wahrscheinlich unentschuldbarsten
aller um ein hochgestochenes wort zu benutzen
genüsse frönte die es gibt näm-
lich einen hof zu bewirtschaften und es
sei unnötigerweise
erwähnt
meines onkels Sol hof scheiterte
weil die hühner
das gemüse aßen da
hatte mein onkel Sol einen
hühnerhof bis
die stinktiere die hühner aßen dann
hatte mein onkel Sol
eine stinktierfarm aber
die stinktiere erkälteten sich und
starben und da
imitierte mein onkel Sol die
stinktiere auf subtile art
oder indem er sich im wassertank ertränkte
aber jemand der meinem Onkel Sol einen Victrola
Phonographen und platten gegeben hatte als er noch lebte schenkte
ihm zum günstigen anlass seines dahinscheidens ein
fabelhaftes um nicht zu sagen extraordinäres begräbnis mit
großgewachsenen jungs mit schwarzen handschuhen und blumen und allem und
ich erinnere mich wir haben alle geweint wie der Missouri
als der sarg meines Onkels Sol schlingerte weil
jemand einen knopf drückte
(und hinab ging
mein Onkel
Sol
und gründete eine wurmfarm)
http://econtent.unm.edu/cdm4/item_viewer.php?CISOROOT=/RobbFieldRe&CISOPTR=2982&CISOBOX=1&REC=1
Das ist eine Aufnahme des Liedes "McCann He Was A Diver"
nobody loses all the time
i had an uncle named
Sol who was a born failure and
nearly everybody said he should have gone
into vaudeville perhaps because my Uncle Sol could
sing McCann He Was A Diver on Xmas Eve like Hell Itself which
may or may not account for the fact that my Uncle
Sol indulged in that possibly most inexcusable
of all to use a highfalootin phrase
luxuries that is or to
wit farming and be
it needlessly
added
my Uncle Sol's farm failed
because the chickens
ate the vegetables so
my Uncle Sol had a
chicken farm till
the skunks ate the chickens when
my Uncle Sol
had a skunk farm but
the skunks caught cold and
died and so
my Uncle Sol imitated the
skunks in a subtle manner
or by drowning himself in the watertank
but somebody who'd given my Uncle Sol a Victor
Victrola and records while he lived presented to
him upon the auspicious occasion of his decease a
scruptious not to mention splendiferous funeral with
tall boys in black gloves and flowers and everything and
i remember we all cried like the Missouri
when my Uncle Sol's coffin lurched because
somebody pressed a button
(and down went
my Uncle
Sol
and started a worm farm)
e.e. cummings - nach träumen springen
weil es
frühling ist
machen
dingE leute
(& nicht
anders
rum) weil es
A
pril ist
leben leben ihre
personen(an
statt
die alleranderen) aber
was ganz wunderbar ist mein
Liebling
ist dass du &
ich mehr sind als du
& ich (we
i
l es ist wir)
Karl Schmidt-Rottluff Taunusfrühling
because it's
Spring
thingS
dare to do people
(& not
the other way
round)because it
's A
pril
Lives lead their own
persons(in
stead
of everybodyelse's)but
what's wholly
marvellous my
Darling
is that you &
i are more than you
& i(be
ca
us
e It's we)
springe nach träumen
sonst kann ein spruch dich umhaun
(bäume sind ihre wurzeln
und wind ist wind)
vertraue deinem herzen
wenn die see feuer fängt
(und lebe mit liebe
auch wenn die sterne rückwärts gehn)
ehre die vergangenheit
doch begrüsse die zukunft
(und tanze deinen tod
fort bei der hochzeit)
kümmere dich nicht um die welt
mit ihren verbrechern und helden
denn gott liebt mädchen
und morgen und die erde.
dive for dreams
or a slogan may topple you.
(trees are their roots
and wind is wind)
or a slogan may topple you.
(trees are their roots
and wind is wind)
trust your heart
if the seas catch fire
(and live by love
though the stars walk backward)
honour the past,
but welcome the future
(and dance your death
away at the wedding)
never mind a world
with its villains or heroes,
(for god likes girls
and tomorrow and the earth)
with its villains or heroes,
(for god likes girls
and tomorrow and the earth)
Sonntag, 10. April 2011
Theater hat einen Vorhang
Erinnerung: Kurz vor Vorstellungsbeginn, aus dem Saal klingt es wie Meeresrauschen, hinterm Vorhang zehn Schauspieler in einer Mischung aus Auf- und Erregung, sie umarmen sich sehr innig, sie brauchen das, um sich nahe zu kommen, zu fühlen, zu riechen. Sie spielen das Stück schon acht Jahre, vielleicht zweimal im Monat, da ist es jedesmal ein wenig wie Premiere. Dann jeder auf seinen Platz, der Vorhang geht auf, er ist rot, die Bühne ist es auch, das Stück heisst "Dantons Tod".
Diese kurze Zeit 'bevor' ist von eigenartiger Erotik. Fast jeder Spieler hat dafür eigene Rituale, manchmal verschiedene für verschiedene Stücke; Textstellenrepetion, monotone Wandergänge durchs Theater, gnadenlos idiotische Witze, Kotzen, spezielle Unterwäsche, Atemübungen, die, wenn man sie auf Video aufnähme, einen weiteren Beweis für Darwins Theorie unserer Abstammung liefern könnten, und eben auch Anfassen, Küssen, Umarmen.
Der Vorhang trennt, versteckt, schützt. Für den Zuschauenden er ist wie Geschenkpapier, gleich, gleich wird ausgepackt.
Das Allerheiligste im Jerusalemer Tempel war hinter einem Vorhang verborgen. Als Jesus starb, „riss der Vorhang des Tempels entzwei“ (Matthäus 27,51), „von oben bis unten“, präzisiert Markus (15,38) und Lukas fügt hinzu: „...mitten durch…“ (23,45). Die Trennung zwischen Heiligem und dem Profanen war gefallen. Alles war nun sichtbar. Jedenfalls scheinbar.
Denn das ist so ein Ding mit dem Vorhang, er geht auf, aber das Publikum sieht trotzdem (meist) nicht die ganze Bühne. Da ist noch das Geheime hinter dem Öffentlichen. Der Zuschauer sieht immer nur einen Ausschnitt der (Theater-) Welt, sowohl im Sinne des Stückes, das nur eine Geschichte von vielen möglichen erzählt, als auch im Sinne dessen was er von der Vorstellung zu sehen bekommt. Mit dem Vorhangöffnen nehmen wir eine Maske ab, um andere zu zeigen.
Shakespeares Truppe hat lang im "Curtain Theater" gespielt, das hiess allerdings nur so, weil es in Curtain Close, Shoreditch in London stand. Das Elizabethanische Theater hatte nur ganz hinten einen kleinen durch einen Vorhang abgetrennten Raum, die Proszeniumsbühne mit Hauptvorhang kam erst nach der Restaurationsperiode in Mode.
Schön ist auch durch den Vorhang in den Zuschauerraum zu lugen. Heimlich. Ich liebe das. Außer bei einem Gastspiel in Frankreich, wo ich eine Minute vor Vorstellungsbeginn dabei feststellte, dass der Saal vollkommen leer war. Ich wusste noch nicht, dass Franzosen erst eine gute Viertelstunde später kommen.
In einer alten englischen Kritik stand: "Der Vorhang öffnete sich um 19 Uhr, das hätte er nicht tun sollen." Das war die gesamte Kritik. Mehr nicht.
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Aulaeum Das griechische Wort ἡ αὐλαία, von dem das lateinische aulaeum abzuleiten ist, bezeichnet den Vorhang oder Teppich, der einen Innenraum gegen das Freie zu abschliesst, indem er die Stelle einer festen Wand oder einer Thür vertritt.
Als sich in den Theatern die Notwendigkeit einstellte, die Bühne zeitweise den Augen der Zuschauer zu entziehen, schienen derartige Vorhänge geeignet, den Schauspielraum gegen den Zuschauerraum abzuschliessen. So bekommt alaeum in Rom die Bedeutung Theatervorhang.
(Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft)
http://de.wikisource.org/wiki/RE:Aulaeum
Das Theater von Saepinum: im Bodenschlitz vor wurde vermutlich der Vorhang versenkt.
Es gibt ganz verschiedene Theatervorhänge. Wikipedia nennt, den nach oben aufgezogenen "deutschen" Vorhang, den zu den Seiten aufziehbaren "griechischen" Vorhang, den"italienischen" Vorhang, der oben zusammenbleibt und der durch unten an den Kanten befestigte Seile diagonal geöffnet wird, den "französischen" Vorhang, der mit zwei kombinierten Zügen sowohl nach oben als auch diagonal aufgezogen wird, eine Variante davon ist der "Wagnervorhang". Der Wolkenvorhang, den Rollvorhang (Rolle oben), Wickelvorhang (Rolle unten) und die "Brechtgardine".
Wagnervorhang im Schauspielhaus Graz
Früher waren Theatervorhänge meist in königlichem Rot und aus Samt. Die Brechtgardine natürlich aus naturbelassenem Nessel!
Brechtgardine, vermutlich "Dreigroschenoper"
Und es gibt natürlich den EISERNEN Vorhang, aber erst seit einem verheerenden Theaterbrand im Wiener Ringtheater 188, bei dem fast 400 Zuschauer ums Leben kamen! Wahnsinns Geschichte, ein echtes Drama im Theater, bei dem das Publikum wahrhaftig Feuer fing und es danach kein Theater mehr gab.
http://www.suite101.de/content/der-brand-im-wiener-ringtheater-1881-a63073
Noch in meinen Anfängerjahren gab es am Deutschen Theater den "Vorhangzieher", einen Spezialisten, der nur den Vorhang zog, der an Hanfseilen wie auf einer Laute spielen konnte.
Und dann nennt man auch noch die Menge der durchapplaudierten Verbeugungen Vorhang, weil früher dafür immer der Vorhang geöffnet und wieder geschlossen wurde.
Samstag, 9. April 2011
e.e. cummings - weil gefühl zuerst kommt
weil gefühl zuerst kommt
wer kümmert sich
um den satzbau der dinge
wer sich kümmert
um den satzbau der dinge
wird dich nie wirklich küssen;
gänzlich ein narr zu sein
während Frühling in der welt ist
mein blut ist einverstanden,
und küsse sind ein besseres schicksal
als weisheit
madam ich schwöre bei allen blumen. Weine nicht
- die beste Geste meines Hirns ist weniger
als das flattern deiner lider, was sagt
wir sind füreinander: dann
lache, dich in meine arme zurücklehnend
weil das leben kein absatz ist
und der tod glaube ich keine klammer
since feeling is first
who pays any attention
to the syntax of things
will never wholly kiss you;
wholly to be a fool
while Spring is in the world
my blood approves,
and kisses are a better fate
than wisdom
lady i swear by all flowers. Don't cry
—the best gesture of my brain is less than
your eyelids' flutter which says
we are for each other: then
laugh, leaning back in my arms
for life's not a paragraph
And death i think is no parenthesis
who pays any attention
to the syntax of things
will never wholly kiss you;
wholly to be a fool
while Spring is in the world
my blood approves,
and kisses are a better fate
than wisdom
lady i swear by all flowers. Don't cry
—the best gesture of my brain is less than
your eyelids' flutter which says
we are for each other: then
laugh, leaning back in my arms
for life's not a paragraph
And death i think is no parenthesis
Original Tonaufnahme e.e. cummings http://www.youtube.com/watch?v=Vz17x8zBgUM
Freitag, 8. April 2011
Der Dunning-Kruger Effekt
Der Dunning-Kruger Effekt - benannt nach Justin Kruger und David Dunning, Psychologen an der Cornell Universität in Ithaka, New York.
Die hier aufgestellten Behauptungen, werden als populärwissenschaftlich eingestuft!
Ihre Hypothese ist, dass inkompetente Menschen:
1. dazu neigen, ihre Fertigkeiten zu überschätzen.
2. nicht in der Lage sind, echte Fertigkeiten bei anderen zu erkennen.
3. nicht in der Lage sind, dass Ausmass ihrer eigenen Unzulänglichkeit zu erkennen.
4. den vorherigen Mangel an Fertigkeiten erkennen und akzeptieren, nachdem sie deutlich besser ausgebildet wurden.
In ihrer Studie, die sie 1999 veröffentlichten, berufen sie sich Dunning und Kruger auf Charles Darwin: "Ignoranz erzeugt mit größerer Regelmäßigigkeit Selbstvertrauen, als Wissen." und Bertrand Russell: "Eine schmerzliche Tatsache ist, dass diejenigen, die, die Gewißheit fühlen, dumm sind, und die die Vorstellungskraft und Verständnis besitzen, voller Zweifel sind".
Sie verwenden dafür den Begriff "Anosognosia des Alltags".
Aber ich schweife ab, der Dunning-Kruger Effekt.
Anasognosia ist (griech. a- (Verneinungspartikel), nosos‚ Krankheit‘, gnōsis‚ Erkenntnis‘) bezeichnet das krankhafte Nichterkennen z.B. einer offensichtlichen Halbseitenlähmung, einer kortikalen Blindheit, einer oder Taubheit. Dazu könnt ihr ein paar tolle Beispiele in dem Buch "Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte" von Oliver Sacks finden. In der titelgebenden Geschichte ist ein erfolgreicher Musikwissenschaftler und Sänger an visueller Agnosie erkrankt, der sogenannten Seelenblindheit. Aufgrund einer winzigen Verletzung in der rechten Gehirnhälfte kann Dr. P. Gegenstände nicht mehr erkennen und greift statt nach seinem Hut zum Gesicht seiner Frau. Es gibt auch die Beschreibung eines Mannes, der seinen linken Arm, nicht mehr als den eigenen erkennt. Peter Brook hat einige der Fälle theatralisiert.
In einer Reihe Testversuchen mit Teilnehmern verschiedener Psychologiekurse baten sie Studenten, ihr logisches Denkvermögen, ihre grammatisches Wissen und ihren Humor (!) einzuschätzen, und zwar nachdem sie bereits ihre Benotung bekommen hatten. Diejenigen die sich im unteren Viertel der Bewerteten befanden, überbewerteten ihre Leistungen weiterhin. Wohingegen die mit wirklichen Fähigkeiten dazu neigten ihre relative Kompetenz zu unterschätzen. Vereinfacht, nahmen sie irrtümlich an, dass die Aufgaben, die sie relativ leicht fanden, auch leicht für andere seien müssten.
Für die, die es interessiert:
Es geht, um die Fähigkeit zur Selbsteinschätzung. Die beiden Psychologen glaubten, nachweisen zu können, dass die Selbstbewertung der eigenen Intelligenz und Fähigkeiten umgekehrt proportional zu den realen Gegebenheiten ist. Je dümmer desto gewisser, je schlauer umso mehr von Zweifeln geplagt.
Irgendjemand hat da mal einen schrecklich schönen Satz formuliert: Warum können wir nicht alle blond, dumm und dick sein, dann wären wir glücklicher.
Das setzt natürlich voraus, dass ich mich selbst für intelligent und kompetent halte. Und damit landen wir beim Paradoxon des Epimenides: Epimenides der Kreter sagt: alle Kreter lügen. Entweder lügen alle Kreter, dann lügt auch Epimenides, der ein Kreter ist, also lügen alle Kreter nicht, dann....
Dunning und Kruger erhielten für ihre Thesen den lg Nobel Preis eine Parodie des Nobel Preises, der für "ungewähnliche und triviale Ergebnisse wissenschaftlicher Forschung vergeben wird.
Die hier aufgestellten Behauptungen, werden als populärwissenschaftlich eingestuft!
Ihre Hypothese ist, dass inkompetente Menschen:
1. dazu neigen, ihre Fertigkeiten zu überschätzen.
2. nicht in der Lage sind, echte Fertigkeiten bei anderen zu erkennen.
3. nicht in der Lage sind, dass Ausmass ihrer eigenen Unzulänglichkeit zu erkennen.
4. den vorherigen Mangel an Fertigkeiten erkennen und akzeptieren, nachdem sie deutlich besser ausgebildet wurden.
In ihrer Studie, die sie 1999 veröffentlichten, berufen sie sich Dunning und Kruger auf Charles Darwin: "Ignoranz erzeugt mit größerer Regelmäßigigkeit Selbstvertrauen, als Wissen." und Bertrand Russell: "Eine schmerzliche Tatsache ist, dass diejenigen, die, die Gewißheit fühlen, dumm sind, und die die Vorstellungskraft und Verständnis besitzen, voller Zweifel sind".
Sie verwenden dafür den Begriff "Anosognosia des Alltags".
Aber ich schweife ab, der Dunning-Kruger Effekt.
Anasognosia ist (griech. a- (Verneinungspartikel), nosos‚ Krankheit‘, gnōsis‚ Erkenntnis‘) bezeichnet das krankhafte Nichterkennen z.B. einer offensichtlichen Halbseitenlähmung, einer kortikalen Blindheit, einer oder Taubheit. Dazu könnt ihr ein paar tolle Beispiele in dem Buch "Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte" von Oliver Sacks finden. In der titelgebenden Geschichte ist ein erfolgreicher Musikwissenschaftler und Sänger an visueller Agnosie erkrankt, der sogenannten Seelenblindheit. Aufgrund einer winzigen Verletzung in der rechten Gehirnhälfte kann Dr. P. Gegenstände nicht mehr erkennen und greift statt nach seinem Hut zum Gesicht seiner Frau. Es gibt auch die Beschreibung eines Mannes, der seinen linken Arm, nicht mehr als den eigenen erkennt. Peter Brook hat einige der Fälle theatralisiert.
In einer Reihe Testversuchen mit Teilnehmern verschiedener Psychologiekurse baten sie Studenten, ihr logisches Denkvermögen, ihre grammatisches Wissen und ihren Humor (!) einzuschätzen, und zwar nachdem sie bereits ihre Benotung bekommen hatten. Diejenigen die sich im unteren Viertel der Bewerteten befanden, überbewerteten ihre Leistungen weiterhin. Wohingegen die mit wirklichen Fähigkeiten dazu neigten ihre relative Kompetenz zu unterschätzen. Vereinfacht, nahmen sie irrtümlich an, dass die Aufgaben, die sie relativ leicht fanden, auch leicht für andere seien müssten.
Für die, die es interessiert:
Es geht, um die Fähigkeit zur Selbsteinschätzung. Die beiden Psychologen glaubten, nachweisen zu können, dass die Selbstbewertung der eigenen Intelligenz und Fähigkeiten umgekehrt proportional zu den realen Gegebenheiten ist. Je dümmer desto gewisser, je schlauer umso mehr von Zweifeln geplagt.
Irgendjemand hat da mal einen schrecklich schönen Satz formuliert: Warum können wir nicht alle blond, dumm und dick sein, dann wären wir glücklicher.
Das setzt natürlich voraus, dass ich mich selbst für intelligent und kompetent halte. Und damit landen wir beim Paradoxon des Epimenides: Epimenides der Kreter sagt: alle Kreter lügen. Entweder lügen alle Kreter, dann lügt auch Epimenides, der ein Kreter ist, also lügen alle Kreter nicht, dann....
Dunning und Kruger erhielten für ihre Thesen den lg Nobel Preis eine Parodie des Nobel Preises, der für "ungewähnliche und triviale Ergebnisse wissenschaftlicher Forschung vergeben wird.
Die Darsteller-Industrie (von Heike-Melba Fendel)
Hochinteressanter Artikel, den Pierre Snoussi-Bliss auf facebook gepostet hat, erschienen im Tagesspiegel:
Mehr Roter Teppich als exzellenter Film. Aus Sicht einer Künstleragentur: Wie das Fernsehen die Schauspielkunst abgeschafft hat
Eine junge Frau tanzt zu Klängen, die nur sie selbst hört, auf einer Lichtung. Sonnenstrahlen brechen durch das Laub der Bäume, beflittern die Selbstvergessene mit gleißenden Lichtbröckchen. Aus gebotenem Abstand schaut ihr ein junger Mann mit fassungsloser Begeisterung zu. Eine Szene, vollkommen schön. Vollendet rätselhaft.
Die junge Frau ist Helga Anders, sie ist lange schon tot. Der junge Mann ist Fritz Wepper und schon lange nicht mehr jung. Aber immer noch ein großer Schauspieler. Wenn man ihn denn ließe, wie Zbynek Brynych es tat, 1969 in einer Folge von „Der Kommissar“ aus der diese Entrücktheit stammt. 28 Jahre später will das deutsche Fernsehen nicht entrücken, sondern auf die Pelle des zappenden Zuschauermonsters kriechen und sich dort festkeilen. Mit Krallen, die sich an der Evidenz schärfen: „What you see is what you get“ lautet das Gebot der Fernsehstunde. Jedes Bild zielt auf Eindeutigkeit, jede Darstellung hat sich dem unterzuordnen. Ob man mit Brynych, mit Bob Fosse oder mit Bernhard Wicki gedreht hat, wie dieser des Staunenmachens eigentlich immer noch mächtige Mime Wepper, ist Wurst. Gehärtet im Stahlbad der Quote liefert er nurmehr Stückwerk seines Potenzials.
Im Theater sowieso und, die längste Zeit, auch im deutschen Fernsehen, war der Schauspieler jemand, der manches, ja vieles konnte, das seinen Zuschauern abging. Er konnte jemand werden, der er nicht ist, er konnte dieses Konstrukt Rolle oder Figur beschwören, beseelen, in den Dienst stellen. In den Dienst einer Sehnsucht – vielleicht nur seines Regisseurs – vielleicht aber auch die seiner Zuschauer, die ihm glaubten, die ihm folgten, in eine Figur, eine Geschichte, einen Zusammenhang. Immer aber markierte er mit seiner Kunst einen Abstand zu den Verführten, zu den vielleicht sogar Übertölpelten, die ihm eine Fernsehfilmlänge lang glaubten, bereit waren, ihm alles abzukaufen, weil der Erlös nicht nur ihrer Zerstreuung, sondern auch ihrer Erkenntnis diente.
Heute werden Schauspieler gering geschätzt und Stars hoch geachtet. Der Schauspieler stiehlt uns die Show. Der Star, das sind wir, in besserer Form. Stars im deutschen Fernsehen, das sind heute ausnahmslos perfektere Varianten unserer selbst, ein bisschen hübscher in der Katastrophe, ein bisschen stärker in der Schwäche und sehr viel reicher geworden durch dies kleine Bisschen des Abstandes, den sie zu uns zu halten in der Lage sind.
Anders als im Sport, der zweiten starproduzierenden Branche des Fernsehens, wo die Exzellenz weiterhin jene Bewunderung weckt, die den Abstand zu uns breit bemisst – Das könnt’ ich nicht !!!– verehren wir „unsere Besten“ für eben jenes Beinahe, das sie mit uns verbindet. „Beinahe“ wäre Veronica Ferres auch nur eine etwas zu groß, etwas zu disproportional, etwas zu teilbegabte Jederfrau geworden, die sehen muss, wie sie klarkommt. Tatsächlich aber ist sie der größte Star, den das deutsche Fernsehen je hervorgebracht hat.
Man verehrt sie als große Schauspielerin, ob sie in Werbespots entschlossen nach Handys greift oder – tiefenüberzeugt – Falten wegbeschwört, in Talkshows die Mimin mimt oder in Filmen die Talkshow- und Werbespotdarstellerin ins Schauspielfach zieht. Ein so merkantiles wie merkantilisiertes Gesamtkunstwerk bedient das Primat der Tautologie: Nichts ist so erfolgreich wie der Erfolg.
Ein guter Schuh passt, ein guter Arzt heilt, eine gute Sekretärin wimmelt ab. Ein guter Schauspieler bringt Quote. Oder vielleicht wird zwischenzeitlich längst umgekehrt ein Schuh draus. Wer Quote bringt, ist ein guter Schauspieler. Wirkung und Ursache – wem wollte man das in erschütterten Zeiten verdenken – werden gerne verwechselt. Der Eindeutigkeit des Genre – hierzulande funktionieren ohnehin nur zwei reibungslos, der Krimi und der Liebesfilm – folgt die Eindeutigkeit der Darstellung. Ich weine, also bin ich traurig, ich lalle, also bin ich betrunken, mein Blick ist unstet, also bin ich verdächtig. Die Gegenläufigkeit: Wer betrunken ist, sucht klar, wer traurig ist, sucht glücklich zu scheinen und wer unschuldig ist, hat das schlechte Gewissen, sie findet keinen darstellerischen Raum in einem Medium, das, um mit dem Filmemacher Christian Petzold zu sprechen, in jeder Einstellung anschaffen geht.
Natürlich gibt es inszenatorische wie darstellerische Ausnahmen, allein, es ist egal. Denn längst ist nicht nur den Zuschauern, sondern auch der Kritik das Instrumentarium abhanden gekommen, schauspielerische Leistungen zu bewerten. Schauspieler sind einadjektivische Kreaturen geworden, eine Besetzung ist im Zweifels- wie im Regelfall „hochkarätig“, eine darstellerische Leistung ist (meist in Klammern gesetzt) wahlweise: „überzeugend“, „eindringlich“, „stark“, gegebenenfalls mal ein mutiges „unterfordert“. Schauspielerporträts beschäftigen sich mit der Wahl des Lokales, der Kleidung oder der Adoranzstufe, nicht mit dem, was eigentlich gespielt wird. Lieber zwei O-Töne aus einer Pressekonferenz oder einem Gruppeninterview als zwei Beobachtungen einer Anverwandlung. Falls diese noch stattfindet. Denn längst ist das Fachkräftereservoir durchsetzt von Protagonisten der Generation Soap. Seit den frühen 90ern legitimiert nicht die Bühne oder die etablierte Ausbildungsstätte erste Gehversuch in der Primetime, sondern gerne der Kollateralruhm, den man sich als Moderatorin, Model, „Freundin von“ oder Schulhofentdeckung erworben hat. Addiert man hierzu die Produktionsbedingungen des gemeinen Fernsehfilmes, bleibt kein Schauspielerauge trocken. Klamme Budgets verhindern Probentage – oftmals treffen sich Regie und Schauspieler erst am ersten gemeinsamen Drehtag – wie das Durchfilmen einer ganzen Szene in den sogenannten Master-Einstellungen. Stattdessen wird in Schuss-Gegenschuss-Auflösung portionierte Emotion durchgerockt, der Restanspruch wird wahlweise im Schnitt oder der Vermarktung zur Ausstrahlung erledigt. Erfolgreiche Schauspieler haben ohnehin in der Mediengesellschaft eierlegende Wollmilchfrauen und -männer zu sein. Rote Teppiche wollen souverän beschritten, Talkshows jovial bestritten und Modestrecken mit schmalgehungertem Bauch absolviert sein. Die Rolle Schauspieler hat sukzessive das Spielen von Rollen überlagert. „Unsere Besten“ sind längst unsere besten Schauspielerdarsteller geworden. Der Deutsche Fernsehpreis hat im Handstreich in der Kategorie „Bester Schauspieler Nebenrolle“ Männer und Frauen zusammengefasst, um mehr Platz für Köche und Klums zu haben. So richtig scheint das niemanden gestört zu haben.
Wer sich nicht wehrt, spielt verkehrt. Wer sich wehrt, spielt im Zweifel: Gar nicht. Oder in randständigen Formaten wie denen des kleinen Fernsehspiels, des Independent-Kinos oder eben des Theaters. Dort sammelt er Bonuspunkte, die er im Primetime-Fernsehen nur allzu selten einlösen kann. Oder er heißt Götz George.
So hat es sich gefügt und also fügt man sich. Man sehnt sich nach den Ausnahmerollen bei den Ausnahmeregisseuren, den Stephan Wagners, Dominik Grafs und Matti Geschonneks dieser Fernsehwelt. Man blickt ein wenig hämisch auf die Affirmationsmodelle der Darstellerindustrie, die Furtwänglers, Neubauers und Neldels und will deren Macht, bezahlt allerdings in anderer Münze, als der von Kochbüchern, Ehemännern und Vorabendserien. Man will diese Liebe, denn nicht anders übersetzt sich Erfolg für Schauspieler, aber zu einem anderem Preis – dem des Gutseins. Die schlechte Nachricht ist: Qualität ist im Kontext der Fernsehindustrie kein Garant für Erfolg, sie unterläuft ihm allenfalls. Die gute Nachricht ist, dass es keine gibt. Das Medium Fernsehen hat sich der Schauspielkunst weitestgehend entledigt, es bedient sich ihrer nurmehr als ungeschützte Behauptung. Es braucht sie nicht, um zu funktionieren, dieses Medium, das nichts mehr und nichts anderes will, als funktionieren. Aber vielleicht gilt das Gleiche ja auch umgekehrt, und das wäre dann doch eine tröstliche Erkenntnis. Vielleicht braucht ja auch die Schauspielkunst das Fernsehen gar nicht, hat es in Wahrheit nie gebraucht. Ein Missverständnis wäre endlich gelöst.
Heike-Melba Fendel ist Inhaberin von Barbarella Entertainment, einer Agentur, die Schauspieler wie Matthias Brandt, Vadim Glowna und Esther Schweins betreut.
Eine junge Frau tanzt zu Klängen, die nur sie selbst hört, auf einer Lichtung. Sonnenstrahlen brechen durch das Laub der Bäume, beflittern die Selbstvergessene mit gleißenden Lichtbröckchen. Aus gebotenem Abstand schaut ihr ein junger Mann mit fassungsloser Begeisterung zu. Eine Szene, vollkommen schön. Vollendet rätselhaft.
Die junge Frau ist Helga Anders, sie ist lange schon tot. Der junge Mann ist Fritz Wepper und schon lange nicht mehr jung. Aber immer noch ein großer Schauspieler. Wenn man ihn denn ließe, wie Zbynek Brynych es tat, 1969 in einer Folge von „Der Kommissar“ aus der diese Entrücktheit stammt. 28 Jahre später will das deutsche Fernsehen nicht entrücken, sondern auf die Pelle des zappenden Zuschauermonsters kriechen und sich dort festkeilen. Mit Krallen, die sich an der Evidenz schärfen: „What you see is what you get“ lautet das Gebot der Fernsehstunde. Jedes Bild zielt auf Eindeutigkeit, jede Darstellung hat sich dem unterzuordnen. Ob man mit Brynych, mit Bob Fosse oder mit Bernhard Wicki gedreht hat, wie dieser des Staunenmachens eigentlich immer noch mächtige Mime Wepper, ist Wurst. Gehärtet im Stahlbad der Quote liefert er nurmehr Stückwerk seines Potenzials.
Im Theater sowieso und, die längste Zeit, auch im deutschen Fernsehen, war der Schauspieler jemand, der manches, ja vieles konnte, das seinen Zuschauern abging. Er konnte jemand werden, der er nicht ist, er konnte dieses Konstrukt Rolle oder Figur beschwören, beseelen, in den Dienst stellen. In den Dienst einer Sehnsucht – vielleicht nur seines Regisseurs – vielleicht aber auch die seiner Zuschauer, die ihm glaubten, die ihm folgten, in eine Figur, eine Geschichte, einen Zusammenhang. Immer aber markierte er mit seiner Kunst einen Abstand zu den Verführten, zu den vielleicht sogar Übertölpelten, die ihm eine Fernsehfilmlänge lang glaubten, bereit waren, ihm alles abzukaufen, weil der Erlös nicht nur ihrer Zerstreuung, sondern auch ihrer Erkenntnis diente.
Heute werden Schauspieler gering geschätzt und Stars hoch geachtet. Der Schauspieler stiehlt uns die Show. Der Star, das sind wir, in besserer Form. Stars im deutschen Fernsehen, das sind heute ausnahmslos perfektere Varianten unserer selbst, ein bisschen hübscher in der Katastrophe, ein bisschen stärker in der Schwäche und sehr viel reicher geworden durch dies kleine Bisschen des Abstandes, den sie zu uns zu halten in der Lage sind.
Anders als im Sport, der zweiten starproduzierenden Branche des Fernsehens, wo die Exzellenz weiterhin jene Bewunderung weckt, die den Abstand zu uns breit bemisst – Das könnt’ ich nicht !!!– verehren wir „unsere Besten“ für eben jenes Beinahe, das sie mit uns verbindet. „Beinahe“ wäre Veronica Ferres auch nur eine etwas zu groß, etwas zu disproportional, etwas zu teilbegabte Jederfrau geworden, die sehen muss, wie sie klarkommt. Tatsächlich aber ist sie der größte Star, den das deutsche Fernsehen je hervorgebracht hat.
Man verehrt sie als große Schauspielerin, ob sie in Werbespots entschlossen nach Handys greift oder – tiefenüberzeugt – Falten wegbeschwört, in Talkshows die Mimin mimt oder in Filmen die Talkshow- und Werbespotdarstellerin ins Schauspielfach zieht. Ein so merkantiles wie merkantilisiertes Gesamtkunstwerk bedient das Primat der Tautologie: Nichts ist so erfolgreich wie der Erfolg.
Ein guter Schuh passt, ein guter Arzt heilt, eine gute Sekretärin wimmelt ab. Ein guter Schauspieler bringt Quote. Oder vielleicht wird zwischenzeitlich längst umgekehrt ein Schuh draus. Wer Quote bringt, ist ein guter Schauspieler. Wirkung und Ursache – wem wollte man das in erschütterten Zeiten verdenken – werden gerne verwechselt. Der Eindeutigkeit des Genre – hierzulande funktionieren ohnehin nur zwei reibungslos, der Krimi und der Liebesfilm – folgt die Eindeutigkeit der Darstellung. Ich weine, also bin ich traurig, ich lalle, also bin ich betrunken, mein Blick ist unstet, also bin ich verdächtig. Die Gegenläufigkeit: Wer betrunken ist, sucht klar, wer traurig ist, sucht glücklich zu scheinen und wer unschuldig ist, hat das schlechte Gewissen, sie findet keinen darstellerischen Raum in einem Medium, das, um mit dem Filmemacher Christian Petzold zu sprechen, in jeder Einstellung anschaffen geht.
Natürlich gibt es inszenatorische wie darstellerische Ausnahmen, allein, es ist egal. Denn längst ist nicht nur den Zuschauern, sondern auch der Kritik das Instrumentarium abhanden gekommen, schauspielerische Leistungen zu bewerten. Schauspieler sind einadjektivische Kreaturen geworden, eine Besetzung ist im Zweifels- wie im Regelfall „hochkarätig“, eine darstellerische Leistung ist (meist in Klammern gesetzt) wahlweise: „überzeugend“, „eindringlich“, „stark“, gegebenenfalls mal ein mutiges „unterfordert“. Schauspielerporträts beschäftigen sich mit der Wahl des Lokales, der Kleidung oder der Adoranzstufe, nicht mit dem, was eigentlich gespielt wird. Lieber zwei O-Töne aus einer Pressekonferenz oder einem Gruppeninterview als zwei Beobachtungen einer Anverwandlung. Falls diese noch stattfindet. Denn längst ist das Fachkräftereservoir durchsetzt von Protagonisten der Generation Soap. Seit den frühen 90ern legitimiert nicht die Bühne oder die etablierte Ausbildungsstätte erste Gehversuch in der Primetime, sondern gerne der Kollateralruhm, den man sich als Moderatorin, Model, „Freundin von“ oder Schulhofentdeckung erworben hat. Addiert man hierzu die Produktionsbedingungen des gemeinen Fernsehfilmes, bleibt kein Schauspielerauge trocken. Klamme Budgets verhindern Probentage – oftmals treffen sich Regie und Schauspieler erst am ersten gemeinsamen Drehtag – wie das Durchfilmen einer ganzen Szene in den sogenannten Master-Einstellungen. Stattdessen wird in Schuss-Gegenschuss-Auflösung portionierte Emotion durchgerockt, der Restanspruch wird wahlweise im Schnitt oder der Vermarktung zur Ausstrahlung erledigt. Erfolgreiche Schauspieler haben ohnehin in der Mediengesellschaft eierlegende Wollmilchfrauen und -männer zu sein. Rote Teppiche wollen souverän beschritten, Talkshows jovial bestritten und Modestrecken mit schmalgehungertem Bauch absolviert sein. Die Rolle Schauspieler hat sukzessive das Spielen von Rollen überlagert. „Unsere Besten“ sind längst unsere besten Schauspielerdarsteller geworden. Der Deutsche Fernsehpreis hat im Handstreich in der Kategorie „Bester Schauspieler Nebenrolle“ Männer und Frauen zusammengefasst, um mehr Platz für Köche und Klums zu haben. So richtig scheint das niemanden gestört zu haben.
Wer sich nicht wehrt, spielt verkehrt. Wer sich wehrt, spielt im Zweifel: Gar nicht. Oder in randständigen Formaten wie denen des kleinen Fernsehspiels, des Independent-Kinos oder eben des Theaters. Dort sammelt er Bonuspunkte, die er im Primetime-Fernsehen nur allzu selten einlösen kann. Oder er heißt Götz George.
So hat es sich gefügt und also fügt man sich. Man sehnt sich nach den Ausnahmerollen bei den Ausnahmeregisseuren, den Stephan Wagners, Dominik Grafs und Matti Geschonneks dieser Fernsehwelt. Man blickt ein wenig hämisch auf die Affirmationsmodelle der Darstellerindustrie, die Furtwänglers, Neubauers und Neldels und will deren Macht, bezahlt allerdings in anderer Münze, als der von Kochbüchern, Ehemännern und Vorabendserien. Man will diese Liebe, denn nicht anders übersetzt sich Erfolg für Schauspieler, aber zu einem anderem Preis – dem des Gutseins. Die schlechte Nachricht ist: Qualität ist im Kontext der Fernsehindustrie kein Garant für Erfolg, sie unterläuft ihm allenfalls. Die gute Nachricht ist, dass es keine gibt. Das Medium Fernsehen hat sich der Schauspielkunst weitestgehend entledigt, es bedient sich ihrer nurmehr als ungeschützte Behauptung. Es braucht sie nicht, um zu funktionieren, dieses Medium, das nichts mehr und nichts anderes will, als funktionieren. Aber vielleicht gilt das Gleiche ja auch umgekehrt, und das wäre dann doch eine tröstliche Erkenntnis. Vielleicht braucht ja auch die Schauspielkunst das Fernsehen gar nicht, hat es in Wahrheit nie gebraucht. Ein Missverständnis wäre endlich gelöst.
Heike-Melba Fendel ist Inhaberin von Barbarella Entertainment, einer Agentur, die Schauspieler wie Matthias Brandt, Vadim Glowna und Esther Schweins betreut.
Donnerstag, 7. April 2011
Mascha Kaleko und Freunde
Melancholie eines Alleinstehenden
Wenn ich allein bin, ist das Zimmer tot.
Die Bilder sehn mich an wie fremde Wesen.
Da stehn die Bücher, die ich längst gelesen,
Drei welke Nelken und das Abendbrot.
Die Bilder sehn mich an wie fremde Wesen.
Da stehn die Bücher, die ich längst gelesen,
Drei welke Nelken und das Abendbrot.
Grau ist der Abend. Meine Wirtin tobt.
Ich werde irgendwo ins Kino gehen. -
Mit Ellen konnte ich mich gut verstehen.
Doch vorgen Sonntag hat sie sich verlobt.
Ich werde irgendwo ins Kino gehen. -
Mit Ellen konnte ich mich gut verstehen.
Doch vorgen Sonntag hat sie sich verlobt.
...Das letzte Jahr ist so vorbeigeweht.
Mitunter faßt mich eine schale Leere.
Der Doktor sagt, daß dies neurotisch wäre.
Ob das wohl andern Leuten ähnlich geht
Mitunter faßt mich eine schale Leere.
Der Doktor sagt, daß dies neurotisch wäre.
Ob das wohl andern Leuten ähnlich geht
Ich träume manchmal, daß der Flieder blüht.
(Ich kann zuweilen ziemlich kitschig träumen.)
Erwacht man morgens dann in seinen Räumen,
Spürt man erst recht, wie es von draußen zieht.
(Ich kann zuweilen ziemlich kitschig träumen.)
Erwacht man morgens dann in seinen Räumen,
Spürt man erst recht, wie es von draußen zieht.
Dann pflückt man statt der blauen Blümelein
Die ewig-weißen Blätter vom Kalender
Und packt die noch zu frühen Sommerbänder
Und seine Sehnsucht leise wieder ein.
Die ewig-weißen Blätter vom Kalender
Und packt die noch zu frühen Sommerbänder
Und seine Sehnsucht leise wieder ein.
Vorm Fenster friert der nackte Baum noch immer,
Und staubgeschwärzter Schnee taut auf den Beeten.
Der Ofen raucht. Und mein rnöbliertes Zimmer
Schreit schon seit Herbst nach helleren Tapeten.
Und staubgeschwärzter Schnee taut auf den Beeten.
Der Ofen raucht. Und mein rnöbliertes Zimmer
Schreit schon seit Herbst nach helleren Tapeten.
Mein bester Freund ist nach Stettin gezogen.
Der Vogel Jonas blieb mir auch nicht treu.
Die Winterlaube hat der Sturm verbogen. -
Nun sitz ich da und warte auf den Mai...
Der Vogel Jonas blieb mir auch nicht treu.
Die Winterlaube hat der Sturm verbogen. -
Nun sitz ich da und warte auf den Mai...
Ist sie nicht schön?
Mein schönstes Gedicht
Mein schönstes Gedicht?
Ich schrieb es nicht.
Aus tiefsten Tiefen stieg es.
Ich schwieg es.
Ich schrieb es nicht.
Aus tiefsten Tiefen stieg es.
Ich schwieg es.
Lied: Terry Callier Oh dear, what can the matter be
Ich liebe seine Stimme.
Seiltänzerin ohne Netz
Mein Leben war ein Auf-dem-Seile-Schweben.
Doch war es um zwei Pfähle fest gespannt.
Nun aber ist das starke Seil gerissen:
Und meine Brücke ragt ins Niemandsland.
Und dennoch tanz ich und will gar nichts wissen,
Teils aus Gewohnheit, teils aus stolzem Zorn.
Die Menge starrt gebannt und hingerissen.
Doch gnade Gott mir, blicke ich nach vorn.
Lied: Sufjan Stevens John Wayne Gacy Jr.
Das Lied ist über einen Serienmörder! Wunderbar!
»Die Leistung der Frau in der Kultur«
(Auf eine Rundfrage)
Zu deutsch: »Die klägliche Leistung der Frau«.
Meine Herren, wir sind im Bilde.
Nun, Wagner hatte seine Cosima
Und Heine seine Mathilde.
Die Herren vom Fach haben allemal
Einen vorwiegend weiblichen Schatz.
Was uns Frauen fehlt, ist »Des Künstlers Frau«
Oder gleichwertiger Ersatz.
Mag sie auch keine Venus sein
Mit lieblichem Rosenmund,
So tippt sie die Manuskripte doch fein
Und kocht im Hintergrund.
Und gleicht sie auch nicht Rautendelein
Im wallenden Lockenhaar,
So macht sie doch täglich die Zimmer rein
Und kassiert das Honorar.
Wenn William Shakespeare fleißig schrieb
An seinen Königsdramen,
Ward er fast niemals heimgesucht
Vom »Bund Belesner Damen«.
Wenn Siegfried seine Lanze zog,
Don Carlos seinen Degen,
Erging nur selten an ihn der Ruf,
Den Säugling trockenzulegen.
Petrarcas Seele, weltentrückt,
Ging ans Sonette-Stutzen
Ganz unbeschwert von Pflichten, wie
Etwa Gemüseputzen.
Doch schlug es Mittag, kam auch er,
Um seinen Kohl zu essen,
Beziehungsweise das Äquivalent
In römischen Delikatessen.
Gern schriebe ich weiter
In dieser Manier,
Doch muß ich, wie stets,
Unterbrechen.
Mich ruft mein Gemahl.
Er wünscht, mit mir
Sein nächstes Konzert
Zu besprechen.
Lied: John Lee Hooker und Carlos Santana Chill Out (Things gonna Change)
Hmmmmmm!
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