Thomas Paine, Brite aus Norfolk, Korsettmacher, Zollbeamter, Autodidakt und Lehrer, der nach Amerika auszog, dort für die für die Abschaffung der Sklaverei kämpfte, dann in England eine Brücke baute, sich im Parlament für die französische Revolution aussprach, in Frankreich, ohne französisch zu sprechen, in die Nationalversammlung gewählt wurde und dann als er sich gegen die Todesstrafe aussprach, knapp, und nur durch einen glücklichen Zufall, der Guillotine entkam und als versoffener Ungläubiger verschrien, sein Leben in den U.S.A., deren theoretische Basis er in seinem Buch "Common sense" (gesunder Verstand) begründet hatte, einsam und nahezu vergessen beendete.
aus "Danton"
PAYNE. So komm, Philosoph Anaxagoras, ich will dich katechisieren. – Es gibt keinen Gott, denn: Entweder hat Gott die Welt geschaffen oder nicht. Hat er sie nicht geschaffen, so hat die Welt ihren Grund in sich, und es gibt keinen Gott, da Gott nur dadurch Gott wird, daß er den Grund alles Seins enthält. Nun kann aber Gott die Welt nicht geschaffen haben; denn entweder ist die Schöpfung ewig wie Gott, oder sie hat einen Anfang. Ist letzteres der Fall, so muß Gott sie zu einem bestimmten Zeitpunkt geschaffen haben, Gott muß also, nachdem er eine Ewigkeit geruht, einmal tätig geworden sein, muß also einmal eine Veränderung in sich erlitten haben, die den Begriff Zeit auf ihn anwenden läßt, was beides gegen das Wesen Gottes streitet. Gott kann also die Welt nicht geschaffen haben. Da wir nun aber sehr deutlich wissen, daß die Welt oder daß unser Ich wenigstens vorhanden ist, und daß sie dem Vorhergehenden nach also auch ihren Grund in sich oder in etwas haben muß, das nicht Gott ist, so kann es keinen Gott geben. Quod erat demonstrandum.
CHAUMETTE. Ei wahrhaftig, das gibt mir wieder Licht; ich danke, danke!
MERCIER. Halten Sie, Payne! Wenn aber die Schöpfung ewig ist?
PAYNE. Dann ist sie schon keine Schöpfung mehr, dann ist sie eins mit Gott oder ein Attribut desselben, wie Spinoza sagt; dann ist Gott in allem, in Ihnen, Wertester, im Philosoph Anaxagoras und in mir. Das wäre so übel nicht, aber Sie müssen mir zugestehen, daß es gerade nicht viel um die himmlische Majestät ist, wenn der liebe Herrgott in jedem von uns Zahnweh kriegen, den Tripper haben, lebendig begraben werden oder wenigstens die sehr unangenehmen Vorstellungen davon haben kann.
MERCIER. Aber eine Ursache muß doch da sein.
PAYNE. Wer leugnet dies? Aber wer sagt Ihnen denn, daß diese Ursache das sei, was wir uns als Gott, d.h. als das Vollkommne denken? Halten Sie die Welt für vollkommen?
MERCIER. Nein.
PAYNE. Wie wollen Sie denn aus einer unvollkommnen Wirkung auf eine vollkommne Ursache schließen? – ...
MERCIER. Ich frage dagegen: kann eine vollkommne Ursache eine vollkommne Wirkung haben, d.h. kann etwas Vollkommnes was Vollkommnes schaffen? Ist das nicht unmöglich, weil das Geschaffne doch nie seinen Grund in sich haben kann, was doch, wie Sie sagten, zur Vollkommenheit gehört?
CHAUMETTE. Schweigen Sie! Schweigen Sie!
PAYNE. Beruhige dich, Philosoph! – Sie haben recht; aber muß denn Gott einmal schaffen, kann er nur was Unvollkommnes schaffen, so läßt er es gescheuter ganz bleiben. ...
Schafft das Unvollkommne weg, dann allein könnt ihr Gott demonstrieren; Spinoza hat es versucht. Man kann das Böse leugnen, aber nicht den Schmerz; nur der Verstand kann Gott beweisen, das Gefühl empört sich dagegen. Merke dir es, Anaxagoras: warum leide ich? Das ist der Fels des Atheismus. Das leiseste Zucken des Schmerzes, und rege es sich nur in einem Atom, macht einen Riß in der Schöpfung von oben bis unten.
MERCIER. Und die Moral?
PAYNE. Erst beweist ihr Gott aus der Moral und dann die Moral aus Gott! – Was wollt ihr denn mit eurer Moral? Ich weiß nicht, ob es an und für sich was Böses oder was Gutes gibt, und habe deswegen doch nicht nötig, meine Handlungsweise zu ändern. Ich handle meiner Natur gemäß; was ihr angemessen, ist für mich gut und ich tue es, und was ihr zuwider, ist für mich bös und ich tue es nicht und verteidige mich dagegen, wenn es mir in den Weg kommt....
CHAUMETTE. Wahr, sehr wahr!
HÉRAULT. O Philosoph Anaxagoras, man könnte aber auch sagen: damit Gott alles sei, müsse er auch sein eignes Gegenteil sein, d.h. vollkommen und unvollkommen, bös und gut, selig und leidend; das Resultat freilich würde gleich Null sein, es würde sich gegenseitig heben, wir kämen zum Nichts. –...
CHAUMETTE. Ich danke Ihnen verbindlichst, meine Herren!
Ab.
PAYNE. Er traut noch nicht, er wird sich zu guter Letzt noch die Ölung geben, die Füße nach Mekka zu legen und sich beschneiden lassen, um ja keinen Weg zu verfehlen.
Gedanke:
Ich will mich hier in niemandes Glaube oder Unglaube mischen, aber in einer Zeit in der viele zwischen esoterischer Weichspülung, fundamentalistischem Wahn, allgemeinem sanftem political korrektem Halbdenken umherschwanken, hat mich Ricky Gervais' Schlußsatz des "Golden Globe", einer riesigen, fernsehübertragenen Glitzerveranstaltung Holywoods, dass er sich: beim Veranstalter der Foreign Press Association, den Gästen und Preisträgern bedanke und bei Gott, dass er ihn zum Atheisten gemacht hat, sehr erfreut. Warum? Weil wir nicht mehr streiten. Runtermachen, ja. Ignorieren, oft. Tolerieren, bläch! Aber streiten, Widerworte finden, zuhören, argumentieren, seine Meinung vielleicht sogar ändern? Rar. Lieber einen Gedanken nicht zu Ende denken, eine "sichere" Wahrheit nicht bezweifeln, schnell urteilen. Das ist bedauerlich.
Das Wörterbuch nennt STREIT, eine (nicht notwendigerweise feindselige oder manifeste) Uneinigkeit zwischen mehreren Akteuren oder Parteien. Her damit! Nur durch STREIT lernen wir, sage ich!