Sonntag, 23. Januar 2011

Noch ein malender Dichter - Hermann Hesse




Ich bin 18 Jahre alt, 1976, "Du musst 'Steppenwolf' lesen, unbedingt. Ich habe es gehasst, da erklärt mir einer mitten im Roman, was er meint und fürchtet in einem Traktat, schrecklich. "Glasperlenspiel" kopfiger Wulst. Aber dann viel später: "Unterm Rad" und vor allem "Narziss und Goldmund", das letztere in einem kleinen weissen Buch, ich glaube von Suhrkamp, mit zarten Aquarellen von Hesse selbst. Italienische (Schweizer) Landschaften, viele Bäume, Berge und hingestrichen mit Nonchalance und Unangestrengtheit.
Hesse zum Steppenwolf: „[…] es ist die Geschichte eines Menschen, welcher komischerweise darunter leidet, dass er zur Hälfte ein Mensch, zur Hälfte ein Wolf ist. Die eine Hälfte will fressen, saufen, morden und dergleichen einfache Dinge, die andere will denken, Mozart hören und so weiter, dadurch entstehen Störungen, und es geht dem Mann nicht gut, bis er entdeckt, dass es zwei Auswege aus seiner Lage gibt, entweder sich aufzuhängen oder aber, sich zum Humor zu bekehren“ (aus einem Brief an Georg Reinhardt, 18. August 1925).

American political comedians


Es ist interessant zu sehen, wie viel wilder, leidenschaftlicher und härter politischer Humor, also das was der Deutsche gern Kabarett nennt, in den USA zuschlägt. Sicher auch weil sich amerikanische Politik noch mehr anbietet, die Betonung liegt auf "noch". Aber auch weil beide Seiten, die Komiker und die Politiker, den Freiheitsgedanken, der tief in die amerikanische Seele eingebettet ist, so sehr ernst nehmen, mit allen dazugehörigen Auswüchsen.
In Zeiten zunehmender Apathie und wachsenden Zynismus' kann das als guter Kopfschubser dienen: Was die haben, werden wir bekommen; Was uns dort schockt, findet hier in aller liberaler Höflichkeit  auch statt.

John Stewart
http://www.thedailyshow.com/
Bill Maher
http://www.billmaher.com/
Steven Colbert
http://www.colbertnation.com/home

und in die entgegengesetzte Richtung: Rush Limbaugh
http://www.rushlimbaugh.com/home/today.guest.html

Samstag, 22. Januar 2011

Else Lasker-Schüler


Im Hamburger Bahnhof ist gestern eine Ausstellung mit den Bildern von Else Lasker-Schüler eröffnet worden. Ich hatte keine Ahnung wie viel sie gezeichnet hat. Lohnt sich anzugucken! Und immer wieder: die Gedichte lesen. Manchmal für Augenblicke, erscheinen sie mir wie Kitsch, doch das Gefühl vergeht wieder.

Mein blaues Klavier

Ich habe zu Hause ein blaues Klavier
Und kenne doch keine Note.

Es steht im Dunkel der Kellertür;
Seitdem die Welt verrohte.

Es spielen Sternenhände vier
- Die Mondfrau sang im Boote -
Nun tanzen die Ratten im Geklirr.

Zerbrochen ist die Klaviatür...
Ich beweine die blaue Tote.

Ach liebe Engel öffnet mir
- Ich aß vom bitteren Brote -
Mir lebend schon die Himmelstür -
Auch wider dem Verbote.

 
Die Orgie

Der Abend küsste geheimnisvoll
Die knospenden Oleander.
Wir spielten und bauten Tempel Apoll
Und taumelten sehnsuchtsvoll
Ineinander.
Und der Nachthimmel goss seinen schwarzen Duft
In die schwellenden Wellen der brütenden Luft,
Und Jahrhunderte sanken
Und reckten sich
Und reihten sich wieder golden empor
Zu sternenverschmiedeten Ranken.
Wir spielten mit dem glücklichsten Glück,
Mit den Früchten des Paradiesmai,
Und im wilden Gold Deines wirren Haars
Sang meine tiefe Sehnsucht
Geschrei,
Wie ein schwarzer Urwaldvogel.
Und junge Himmel fielen herab,
Unersehnbare, wildsüsse Düfte;
Wir rissen uns die Hüllen ab
Und schrieen!
Berauscht vom Most der Lüfte.
Ich knüpfte mich an Dein Leben an,
Bis dass es ganz in ihm zerrann,
Und immer wieder Gestalt nahm
Und immer wieder zerrann.
Und unsere Liebe jauchzte Gesang,
Zwei wilde Symphonieen!

Freitag, 21. Januar 2011

Heiner Müller und ich und der Vers


Vor Kurzem hatte ich ein Gespräch über das Versesprechen. Eins dieser Gespräche wo man sich wie ein Dinosaurier fühlt, der verpasst hat, auszusterben und trotzdem weitertrötet und es nicht lassen kann, weil es sich ja um Liebe handelt. Ich liebe Verse, Versmaß ist Rhythmus, ohne Rhythmus keine Musik. Und Versmaß, bei großen Dichtern, ist Haltung, Zielrichtung, Meinung, Witz.


MERKUR:
Ob dies Amphitryons Haus ist? Allerdings,
Halunk, ist dies das Haus Amphitryons,
Das Schloß des ersten Feldherrn der Thebaner.
Doch welch ein Schluß erfolgt? -
SOSIAS:
                                                          Was für ein Schluß?
Daß ich hinein gehn werd. Ich bin sein Diener.
MERKUR:
Sein Die-? 
SOSIAS:
                       Sein Diener.
MERKUR:
                                               Du?
SOSIAS:
                                                          Ich, ja.
MERKUR:
                                                                      Amphitryons Diener?
SOSIAS:
Amphitryons Diener, des Thebanerfeldherrn.
MERKUR:
- Dein Name ist?
SOSIAS:
                                   Sosias.
MERKUR:
                                               So-?
SOSIAS:
                                                          S o s i a s.
MERKUR:
Hör, dir zerschlag ich alle Knochen.

Kleist, Amphitryon Akt 1 Szene 2

Ist das schön, oder was?
(Kleist hatte den "Ruf" für Schwerhörige zu schreiben, wegen der vielen Wiederholungen! Hihi!)

Aber zum eigentlichen Thema: 1988 inszeniert Heiner Müller am Deutschen Theater "Den Lohndrücker", ich bin besetzt, toll, es stellt sich heraus, das beide Frauenrollen nahezu textfrei sind, hmm, ich schlage "Den Horatier" als Zusatzprojekt vor, er wird in die Inszenierung integriert, 200 unterschiedliche Probenvarianten, mit 5 Spielern, mit 7, ganz allein und, letztendlich, mit Ulli Mühe, als Albtraumdialog.
Aber, wie Ionesco sagt, "die Wahrheit liegt zwischendrin". Zwischendrin war Verse-Sprechen-Lernen bei Heiner Müller. Eine Woche, zweimal täglich zwei bis drei Stunden in einem ollen roten Samtsessel sitzen und denken und sprechen und NICHT BETONEN! Ich glaube, ich habe selten in meinem Leben so sehr geschwitzt, regelrecht körperlich geschwitzt. Und diese Woche gehört zu meinen besten, intensivsten Proben-Erinnerungen. 
Danach habe ich begonnen, mich mit Metrik zu beschäftigen. Habe Glück gehabt und Karl Mickel noch kennengelernt, Lyriker und Diktionslehrer an der Ernst-Busch Schule (Gibt es Diktion überhaupt noch als Fach?) und viel Spass gehabt mit Lyrik und Versdramen. Und wenn man es kann, kann man es auch wieder zerkloppen. Wie bei Musik.
Ganz manchmal kann man beim Versesprechen in einen regelrechten Rausch verfallen oder sollte man es Trance nennen? Dann sprechen sie sich scheinbar wie von selbst, ist wahrscheinlich, weil man so tief atmet, dass man in ein Sauerstoff - High gerät.
Ich will mich hier also bei Heiner bedanken, zusätzlich zu vielen anderen Dingen, die ich von ihm gelernt habe, und der Freude an seinen Texten, und der Tatsache, dass man sich mit ihm noch richtig gut Witze erzählen konnte, hat er mir einen bis dahin unbekannten Genuss eröffnet. Danke.

Donnerstag, 20. Januar 2011

Zu Büchner von Heiner Müller



Heiner Müller    DIE WUNDE WOYZECK (1985)    Für Nelson Mandela
 
Immer noch rasiert Woyzeck seinen Hauptmann, ißt die verordneten Erbsen, quält mit der Dumpfheit seiner Liebe seine Marie, staatgeworden seine Bevölkerung, umstellt von Gespenstern: Der Jäger Runge ist sein blutiger Bruder, proletarisches Werkzeug der Mörder von Rosa Luxemburg; sein Gefängnis heißt Stalingrad, wo die Ermordete ihm in der Maske der Kriemhild entgegen tritt; ihr Denkmal steht auf dem Mamaihügel, ihr deutsches Monument, die Mauer, in Berlin, der Panzerzug der Revolution, zu Politik geronnen. DEN MUND AN DIE SCHULTER DES SCHUTZMANNES GEDRÜCKT, DER LEICHTFÜSSIG IHN DAVONFÜHRT, hat Kafka ihn von der Bühne verschwinden sehn, nach dem Brudermord MIT MÜHE DIE LETZTE ÜBELKEIT VERBEISSEND: Oder als den Patienten, dem der Arzt ins Bett gelegt wird, mit der Wunde offen wie ein Bergwerk, aus der die Würmer züngeln. Goyas Riese war seine erste Erscheinung, der auf den Bergen sitzend die Stunden der Herrschaft zählt, Vater der Guerilla. Auf einem Wandbild in einer Klosterzelle in Parma habe ich seine abgebrochenen Füße gesehn, riesig in einer arkadischen Landschaft. irgendwo schwingt vielleicht auf den Händen sein Körper sich weiter, von Lachen geschüttelt vielleicht, in eine unbekannte Zukunft, die vielleicht seine Kreuzung mit der Maschine ist, im Rausch der Raketen. Noch geht er in Afrika seinen Kreuzweg in die Geschichte, die Zeit arbeitet nicht mehr für ihn, auch sein Hunger ist vielleicht kein revolutionäres Element mehr, seit er mit Bomben gestillt werden kann, während die Tambourmajore der Welt den Planeten verwüsten. Schlachtfeld des Tourismus, Piste für den Ernstfall, kein Blick für das Feuer, daß der Armierungssoldat Franz Johann Christoph Woyzeck beim Steckenschneiden für den Spießrutenlauf um den Himmel bei Darmstadt fahren sah. Ulrike Meinhof, Tochter Preußens und spätgeborene Braut eines andern Findlings der deutschen Literatur, der sich am Wannsee begraben hat, Protagonistin im letzten Drama der bürgerlichen Welt, der bewaffneten WIEDERKEHR DES JUNGEN GENOSSEN AUS DER KALKGRUBE, ist seine Schwester mit dem blutigen Halsband der Marie.
Ein vielmal vom Theater geschundener Text, der einem Dreiundzwanzigjährigen passiert ist, dem die Parzen bei der Geburt die Augenlider weggeschnitten haben, vom Fieber zersprengt bis in die Orthografie, eine Struktur wie sie beim Bleigießen entstehen mag, wenn die Hand mit dem Löffel vor dem Blick in die Zukunft zittert, blockiert als schlafloser Engel den Eingang zum Paradies, in dem die Unschuld des Stückeschreibens zu Hause war. Wie harmlos der Pillenknick der neueren Dramatik, Becketts WARTEN AUF GODOT, vor diesem schnellen Gewitter, das mit der Geschwindigkeit einer anderen Zeit kommt, Lenz im Gepäck, den erloschenen Blitz aus Livland, Zeit Georg Heyms im utopielosen Raum unter dem Eis der Havel, Konrad Bayers im ausgeweideten Schädel des Vitus Bering, Rolf Dieter Brinkmanns im Rechtsverkehr vor SHAKESPEARES PUB, wie schamlos die Lüge vom POSTHISTORIE der barbarischen Wirklichkeit unserer Vorgeschichte.
DIE WUNDE HEINE beginnt zu vernarben, schief; WOYZECK ist die offene Wunde. Woyzeck lebt, wo der Hund begraben liegt, der Hund heißt Woyzeck. Auf seine Auferstehung warten wir mit Furcht und/oder Hoffnung, daß der Hund als Wolf wiederkehrt. Der Wolf kommt aus dem Süden. Wenn die Sonne im Zenith steht, ist er eins mit unserem Schatten, beginnt, in der Stunde der Weißglut, Geschichte. Nicht eh Geschichte passiert ist, lohnt der gemeinsame Untergang im Frost der Entropie, oder, politisch verkürzt, im Atomblitz, der das Ende der Utopien und der Beginn einer Wirklichkeit jenseits des Menschen sein wird.

Georg Büchner Brief


Warum bekomme ich nicht solche Briefe? Warum? 

An die Braut
[Gießen, nach dem 10. März 1834.]

Hier ist kein Berg, wo die Aussicht frei ist. Hügel hinter Hügel und breite Täler, eine hohe Mittelmäßigkeit in Allem; ich kann mich nicht an diese Natur gewöhnen, und die Stadt ist abscheulich. Bei uns ist Frühling, ich kann deinen Veilchenstrauß immer ersetzen, er ist unsterblich wie der Lama. Lieb Kind, was macht denn die gute Stadt Straßburg? es geht dort allerlei vor, und du sagst kein Wort davon. Je baise les petites mains, en goûtant les souvenirs doux de Strasbourg. -
"Prouve-moi que tu m'aimes encore beaucoup en me donnant bientôt des nouvelles." Und ich ließ dich warten! Schon seit einigen Tagen nehme ich jeden Augenblick die Feder in die Hand, aber es war mir unmöglich, nur ein Wort zu schreiben. Ich studiere die Geschichte der Revolution. Ich fühlte mich wie zernichtet unter dem Gräßlichen Fatalismus der Geschichte. Ich finde in der Menschennatur eine entsetzliche Gleichheit, in den menschlichen Verhältnissen eine unabwendbare Gewalt, Allen und Keinem verliehen. Der Einzelne nur Schaum auf der Welle, die Größe ein bloßer Zufall, die Herrschaft des Genies ein Puppenspiel, ein lächerliches Ringen gegen ein ehernes Gesetz, es zu erkennen das Höchste, es zu beherrschen unmöglich. Es fällt mir nicht mehr ein, vor den Paradegäulen und Eckstehern der Geschichte mich zu bücken. Ich gewöhnte mein Auge ans Blut. Aber ich bin kein Guillotinenmesser. Das muß ist eins von den Verdammungsworten, womit der Mensch getauft worden. Der Ausspruch: es muß ja Ärgernis kommen, aber wehe dem, durch den es kommt, – ist schauderhaft. Was ist das, was in uns lügt, mordet, stiehlt? Ich mag dem Gedanken nicht weiter nachgehen. Könnte ich aber dies kalte und gemarterte Herz an deine Brust legen! B. wird dich über mein Befinden beruhigt haben, ich schrieb ihm. Ich verwünsche meine Gesundheit. Ich glühte, das Fieber bedeckte mich mit Küssen und umschlang mich wie der Arm der Geliebten. Die Finsternis wogte über mir, mein Herz schwoll in unendlicher Sehnsucht, es drangen Sterne durch das Dunkel, und Hände und Lippen bückten sich nieder. Und jetzt? Und sonst? Ich habe nicht einmal die Wollust des Schmerzes und des Sehnens. Seit ich über die Rheinbrücke ging, bin ich wie in mir vernichtet, ein einzelnes Gefühl taucht nicht in mir auf. Ich bin ein Automat; die Seele ist mir genommen. Ostern ist noch mein einziger Trost; ich habe Verwandte bei Landau, ihre Einladung und die Erlaubnis, sie zu besuchen. Ich habe die Reise schon tausendmal gemacht und werde nicht müde. – Du frägst mich: sehnst du dich nach mir? Nennst du's Sehnen, wenn man nur in einem Punkt leben kann und wenn man davon gerissen ist, und dann nur noch das Gefühl seines Elends hat? Gib mir doch Antwort. Sind meine Lippen so kalt? […] – Dieser Brief ist ein Charivari: ich tröste dich mit einem anderen. 

Montag, 17. Januar 2011

Stücke die fast keiner kennt und fast keiner spielt und die trotzdem schön sind

Die goldene Harfe von Gerhart Hauptmann
UA: 15.10.1933, Münchner Kammerspiele München
Rechte bei Felix Bloch Erben
Entweder die einzige Komödie Hauptmanns oder sein Versuch deutsch zu tümeln. Habe beim Lesen  laut gelacht, ein nicht üblicher Akt während man die Stücke dieses Mannes liest.

Der Zwergriese - Hidalla - Sein und Haben von Frank Wedekind
Wow, ein mißgestalteter Mann gründet eine Gesellschaft zur Züchtung von Rassemenschen, scheitert und endet als trauriger Clown im Zirkus.
aus dem ersten Akt:
HETMANN. Schönheit! – Unsere bisherige Moral war auf das menschliche Wohl gerichtet; sie war dazu bestimmt, das Unglück zu bekämpfen und hatte in erster Linie die Unglücklichen ins Auge gefaßt. An dieser Moral wird – auch soweit sie sich an die Opferfreudigkeit der Reichen wendet – kein Wort geändert. Für die Reichen aber habe ich, über die alte Moral hinaus, eine neue geschaffen, deren höchstes Gebot die Schönheit ist.
LAUNHART. Das ist ausgezeichnet! Kamen Sie ganz von selbst auf den rühmlichen Gedanken?
HETMANN. Der Gedanke liegt sehr nahe. Der Durst nach Schönheit ist ein nicht minder göttliches Gesetz in uns als der Trieb zur Bekämpfung der Erdenqual!
BERTA. Schade nur, daß in der ganzen Welt die Erdenqual noch so übergewaltig ist, daß das Vergnügen an der Schönheit ihr gegenüber kaum als Sonnenstäubchen in die Waagschale fällt!
HETMANN. Um Vergnügen, gnädige Frau, ist es uns nicht zu tun! Unsere Moral fordert Opfer, wie sie noch keine forderte. Die allgemeine Moral steht im Dienste des höchsten menschlichen Glückes, der Familie. Dieses höchste menschliche Glück fordern wir von den Mitgliedern unseres Bundes als erstes Opfer!
BERTA. Sie wollen also durchaus noch etwas mehr Unglück in die Welt hineinbringen?
LAUNHART. Ja, ja, schon gut, liebe Berta; laß jetzt den Herrn sprechen! Zu Hetmann. Verzeihen Sie bitte, ich habe Ihre Moral noch nicht vollkommen verstanden.
HETMANN. Wenn die Menschen dazu emporsteigen, die Schönheit höher zu achten als Hab und Gut, als Leib und Leben, dann sind die Menschen der Gottheit um eine Stufe näher, als wenn der Sieg über die Erdenqual ihr höchster Preis ist!
LAUNHART. Das ist selbstverständlich! – Was ich noch fragen wollte – zeichnen sich die Angehörigen Ihres Bundes alle in so hervorragendem Maße durch Schönheit aus wie Sie?
HETMANN. Ich bin natürlich nicht Mitglied des Bundes; ich bin vom Bund nur als Sekretär in Dienst genommen. Die Mitglieder sind ausschließlich Menschen von auffallender, allgemein bewunderter Schönheit.
Textlink:

Arden von Faversham von einem anonymen elisabethanischen Autoren (eventuell Thomas Kyd, vielleicht Shakespeare, obwohl nicht sehr wahrscheinlich?)
Link zum englischen Original:
Es gibt eine grandiose Übersetzung/Fassung von Jörg Laederach, er nennt sie cruel version (grausame Version). Stark gekürzt, fast nur Hauptsätze, eine Groteske. Alle sind böse, alle, herrlich.

Der Lauf der Welt - The way of the world von William Congreve
Eine Übersetzung ist von Wolfgang Hildesheimer, er nennt es eine lieblose Komödie und das trifft es genau. Ich kenne die Version nicht und das Englisch dieser Restaurations - comedy of manners ist sicher schwer übertragbar. Viele Doppeldeutigkeiten, Wortspiele und untergeschobene Bösartigkeiten. Aber wenn es gelänge, müßte es ein beißendes Bild des trendigen Teils unserer Gesellschaft bieten.

Seven Stories - Sieben Geschichten oder Sieben Stockwerke von Morris Panych
Das ist mir in Kanada untergekommen. Ein Mann steht auf dem Sims eines Fensters, um sich in den Tod zu stürzen, die Menschen in den drum herum befindlichen Wohnungen, mit ganz eigenen Problemen, geraten in Gespräche mit ihm. Sehr witzig, tolle Prämisse, schwer zu machen, weil der Mann halt wirklich die ganze Zeit auf dem Sims bleibet und die anderen aus dem Fenster gucken.


Leb wohl, Judas von Ireneusz Iredynski
praktisch alles von Sławomir Mrożek
Methusalem oder Der ewige Bürger von Yvan Goll, das habe ich, verrückterweise auch in Kanada, in einer sehr schönen Studentenproduktion gesehen. Absurd, manisch und sehr berührend.

Diskussion über den "Dokuboom" auf deutschen Bühnen

 Da wurde durch einen Spiegel Artikel ein interessant Diskussion ausgelöst.

http://www.facebook.com/permalink.php?story_fbid=175641485806363&id=1069874200#!/permalink.php?story_fbid=175641485806363&id=1069874200&notif_t=like

Bitte mitmischen!

Samstag, 15. Januar 2011

W.H. Auden zum Zweiten


Musée des Beaux Arts

About suffering they were never wrong,
The Old Masters: how well they understood
Its human position; how it takes place
While someone else is eating or opening a window or just walking dully along;
How, when the aged are reverently, passionately waiting
For the miraculous birth, there always must be
Children who did not specially want it to happen, skating
On a pond at the edge of the wood:
They never forgot
That even the dreadful martyrdom must run its course
Anyhow in a corner, some untidy spot
Where the dogs go on with their doggy life and the torturer's horse
Scratches its innocent behind on a tree.
In Breughel's Icarus, for instance: how everything turns away
Quite leisurely from the disaster; the plowman may
Have heard the splash, the forsaken cry,
But for him it was not an important failure; the sun shone
As it had to on the white legs disappearing into the green
Water; and the expensive delicate ship that must have seen
Something amazing, a boy falling out of the sky,
Had somewhere to get to and sailed calmly on.  

Copyright © 1976 by Edward Mendelson, William Meredith and Monroe K. Spears,
Executors of the Estate of W. H. Auden.


Das Museum der Schönen Künste

Was das Leiden betraf, lagen sie nie falsch,
Die Alten Meister: wie gut sie seine menschliche 
Wertigkeit verstanden; wie es stattfindet, während
Jemand anderes isst oder ein Fenster öffnet oder einfach so läuft;
Wie, wenn die Greise ehrfürchtig, leidenschaftlich warten,
Auf eine wunderbare Geburt, da immer Kinder
Seien müssen, die sich nicht sonderlich dafür interessieren, Schlittschuh laufen
Auf einem Teich am Rande des Waldes:
Sie vergessen niemals,
Dass sogar das schreckliche Martyrium vorbeigeht;
Auf jeden Fall in einer Ecke, ein unordentlicher Fleck
Wo die Hunde ihr Hundeleben weiterleben und das Pferd des Folterknechts
Sein unschuldiges Hinterteil an einem Baum reibt.
In Breughels Ikarus zum Beispiel, wie leicht sich alles
Von der Katastrophe wegdreht, der Pflüger
Hat vielleicht den Aufprall im Wasser gehört, den verlorenen Schrei
Aber für ihn war es kein wichtiges Missgeschick; die Sonne schien
Auf ihn, wie auf die weißen Beine, die im grünen Wasser 
Verschwinden; und das teure, filigrane Schiff das etwas Erstaunliches
Gesehen haben muss, einen Knaben, der aus dem Himmel fällt,
Hatte einen Ort an den es wollte und segelte ruhig weiter.

(Versuch einer Übertragung von mir)


Freitag, 14. Januar 2011

Wie Kinder schlachten miteinander gespielt haben - Gebrüder Grimm

 

Ich liebe Märchen. Besonders bevor sie geputzt und gereinigt worden sind. Ja, man könnte sagen sie sind gelegentlich grausam und schreckenerregend, amoralisch gar, halt wie auch Kinder manchmal sind, wie Menschen manchmal sind. Hier eins meiner Lieblingsbeispiele, vielleicht noch nix für die ganz Kleinen.

Wie Kinder Schlachtens miteinander gespielt haben

I

In einer Stadt, Franecker genannt, gelegen in Westfriesland, da ist es geschehen, dass junge Kinder, fünf- und sechsjährige, Mägdlein und Knaben, miteinander spielten. Und sie ordneten ein Büblein an, das solle der Metzger sein, ein anderes Büblein, das solle Koch sein, und ein drittes Büblein, das solle eine Sau sein. Ein Mägdlein, ordneten sie, solle Köchin sein, wieder ein anderes, das solle Unterköchin sein; und die Unterköchin solle in einem Geschirrlein das Blut von der Sau einfangen, dass man Würste könne machen. Der Metzger geriet nun verabredetermaßen an das Büblein, das die Sau sollte sein, riss es nieder und schnitt ihm mit einem Messerlein die Gurgel auf, und die Unterköchin empfing das Blut in ihrem Geschirrlein. Ein Ratsherr, der von ungefähr vorübergeht, sieht dies Elend: er nimmt von Stund an den Metzger mit sich und führt ihn in des Obersten Haus, welcher sogleich den ganzen Rat versammeln ließ. Sie saßen all über diesen Handel und wussten nicht, wie sie ihm tun sollten, denn sie sahen wohl, dass es kindlicherweise geschehen war. Einer unter ihnen, ein alter weiser Mann, gab den Rat, der oberste Richter solle einen schönen roten Apfel in eine Hand nehmen, in die andere einen rheinischen Gulden, solle das Kind zu sich rufen und beide Hände gleich gegen dasselbe ausstrecken: nehme es den Apfel, so soll' es ledig erkannt werden, nehme es aber den Gulden, so solle man es töten. Dem wird gefolgt, das Kind aber ergreift den Apfel lachend, wird also aller Strafe ledig erkannt.

II

Einstmals hat ein Hausvater ein Schwein geschlachtet, das haben seine Kinder gesehen; als sie nun Nachmittag miteinander spielen wollen, hat das eine Kind zum andern gesagt: "Du sollst das Schweinchen und ich der Metzger sein"; hat darauf ein bloß Messer genommen und es seinem Brüderchen in den Hals gestoßen. Die Mutter, welche oben in der Stube saß und ihr jüngstes Kindlein in einem Zuber badete, hörte das Schreien ihres anderen Kindes, lief alsbald hinunter, und als sie sah, was vorgegangen, zog sie das Messer dem Kind aus dem Hals und stieß es im Zorn dem andern Kind, welches der Metzger gewesen, ins Herz. Darauf lief sie alsbald nach der Stube und wollte sehen, was ihr Kind in dem Badezuber mache, aber es war unterdessen in dem Bad ertrunken; deswegen dann die Frau so voller Angst ward, dass sie in Verzweifelung geriet, sich von ihrem Gesinde nicht wollte trösten lassen, sondern sich selbst erhängte. Der Mann kam vom Felde, und als er dies alles gesehen, hat er sich so betrübt, dass er kurz darauf gestorben ist.