Da ich ein Kind war, da redete ich wie ein Kind und war klug wie ein Kind
und hatte kindische Anschläge; da ich aber ein Mann ward, tat ich ab, was
kindisch war.
1. Korinther 13:11 Luther 1912 - Oder natürlich "da ich eine Frau wurd".
In meiner frühen Kindheit war der jährliche Besuch des Weihnachtsmarktes
ein sehnlichst erwarteter, nahezu magischer Familien-Ausflug.
ein sehnlichst erwarteter, nahezu magischer Familien-Ausflug.
Ost-Berlin hatte damals nur einen einzigen dieser Märkte, auf der Karl-Marx-
Allee, stadtauswärts linker Hand, und soweit ich mich erinnere kurz vor dem
Frankfurter Tor in einer der größeren Häuserlücken. Franziska Trögner sagt,
es war da, wo die Sporthalle stand, zwischen Lebuser und Koppenstraße, da,
wo, nur wenige Jahre vorher, noch direkt gegenüber das Stalin-Denkmal
gestanden hatte.
Es gab ein paar Karussels, eine recht kleine, aber damals aus meiner
Perspektive (circa 80 cm), himmelhohe Achterbahn, ein Kettenkarussel,
eine Berg-und-Tal-Bahn und, als herrlichste der Herrlichkeiten, die
Zehnerbahn, was eine Riesenrutsche mit individueller Rutschdecke war.
Und auch eine versiffte Geisterbahn mit echten, lebendigen Gespenstern und
noch einige, wenige Freßstände inklusive langer geduldiger Warteschlangen.
In einer provisorischen Weihnachtshütte, mit Wänden aus echten
ungeschälten Baumstämmen, oder direkt in der Sporthalle, da bin ich mir
nicht sicher, konnten wir, die Kinder, Weihnachtsgeschenke basteln,
das hieß Kleiderbügel mit Lötkolben bemustern oder Luftschlangen zu
sinnfreien Untersetzern umformen. Meine arme Mutter muß eine großartige
Schauspielerin sein, wenn ich mir ihre jubelnden Freudenbezeugungen im
Angesicht meiner doppellinkshändig gefertigten Monstrositäten ins
Gedächtnis rufe.
Den Höhepunkt bildete jedesmal die Photosession mit dem Weihnachtsmann
oder, siehe unten, dem Weihnachtseisbären, manchmal unter Tränen und
und dem Druck elterlicher Überredung, manchmal als Mutprobe gegen die
eigene Kinderangst.
Sentimentalisierte Erinnerungen an lang vergangene Zeiten?
Der Weihnachts-Horror-Bär. Und das linke Kind weiß um die Gefahr.
Gestern, nur vierzig Jahre später, der Weihnachtsmarkt in Rostock auf
dem Weg zu einer Verabredung. Mehr oder weniger ist Rostock im
Dezember ein einziger nichtendenwollender Weihnachtsmarkt, mit der
Betonung auf Markt. Buden mit Nippes, Buden mit Tand, Buden mit
Ramsch, Buden mit fettigem Freßzeug, Buden mit hochprozentigem Gesöff,
Buden, Buden, Buden. Die Besucher, sonst Menschen genannt, fressen,
kaufen, grapschen, saufen, schubsen, rempeln, drängeln, brüllen, blöken,
wanken, torkeln. Vor mir ein Mann um die 60, an jedem Arm einen
weiblichen Zwilling um die 40, alle drei im Zustand des vorkomatösen
Trunkes. Fröhliche Weihnacht! Wenn der doppelt sieht, hat er vier Frauen
dabei.
Kinder werden gezerrt, beschimpft, überfüttert, angemeckert, mit
häßlichen Strickmützchen verunstaltet und gucken von weit unten mit
panischen Augen, ob der sich über sie hinwegwälzenden Menge von
unachtsamen und sehr viel größeren Leuten.
Eine Freundin nannte es: Schweinestall mit Glitzer, ich will es hier, aus
Rücksicht gegenüber den sprachlichen Empfindlichkeiten meiner Leser,
gar nicht benennen. Nur so viel: im Angesicht dieser Manschmasse
mißgelaunter Konsumenten, scheint mir für Momente das Überleben
unserer Spezies ein nur bedingt wünschenswertes Ziel.
Ich, die ich Weihnachten liebe, bin verstört.