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Sonntag, 8. Dezember 2013

Weihnachtsmarkt oder Untergang des Abendlandes


     Da ich ein Kind war, da redete ich wie ein Kind und war klug wie ein Kind

     und  hatte kindische Anschläge; da ich aber ein Mann ward, tat ich ab, was 
     kindisch war.
     1. Korinther 13:11 Luther 1912 - Oder natürlich "da ich eine Frau wurd".
     
     In meiner frühen Kindheit war der jährliche Besuch des Weihnachtsmarktes
    
ein sehnlichst erwarteter, nahezu magischer Familien-Ausflug.
      
     Ost-Berlin hatte damals nur einen einzigen dieser Märkte, auf der Karl-Marx-
     Allee, stadtauswärts linker Hand, und soweit ich mich erinnere kurz vor dem 
     Frankfurter Tor in einer der größeren Häuserlücken. Franziska Trögner sagt, 
     es war da, wo die Sporthalle stand, zwischen Lebuser und Koppenstraße, da,
     wo, nur wenige Jahre vorher, noch direkt gegenüber das Stalin-Denkmal
     gestanden hatte.
     Es gab ein paar Karussels, eine recht kleine, aber damals aus meiner 
     Perspektive (circa 80 cm), himmelhohe Achterbahn, ein Kettenkarussel, 
     eine Berg-und-Tal-Bahn und, als herrlichste der Herrlichkeiten, die 
     Zehnerbahn, was eine Riesenrutsche mit individueller Rutschdecke war.  
     Und auch eine versiffte Geisterbahn mit echten, lebendigen Gespenstern und
     noch einige, wenige Freßstände inklusive langer geduldiger Warteschlangen.
     In einer provisorischen Weihnachtshütte, mit Wänden aus echten 
     ungeschälten Baumstämmen, oder direkt in der Sporthalle, da bin ich mir
     nicht sicher, konnten wir, die Kinder, Weihnachtsgeschenke basteln,
     das hieß Kleiderbügel mit Lötkolben bemustern oder Luftschlangen zu 
     sinnfreien Untersetzern umformen. Meine arme Mutter muß eine großartige 
     Schauspielerin sein, wenn ich mir ihre jubelnden Freudenbezeugungen im 
     Angesicht meiner doppellinkshändig gefertigten Monstrositäten ins
     Gedächtnis rufe.
     Den Höhepunkt bildete jedesmal die Photosession mit dem Weihnachtsmann 
     oder, siehe unten, dem Weihnachtseisbären, manchmal unter Tränen und
     und dem Druck elterlicher Überredung, manchmal als Mutprobe gegen die 
     eigene Kinderangst.
     Sentimentalisierte Erinnerungen an lang vergangene Zeiten?


 Der Weihnachts-Horror-Bär. Und das linke Kind weiß um die Gefahr.

      Gestern, nur vierzig Jahre später, der Weihnachtsmarkt in Rostock auf

      dem Weg zu einer Verabredung. Mehr oder weniger ist Rostock im
      Dezember ein einziger nichtendenwollender Weihnachtsmarkt, mit der
      Betonung auf Markt. Buden mit Nippes, Buden mit Tand, Buden mit 
      Ramsch, Buden mit fettigem Freßzeug, Buden mit hochprozentigem Gesöff, 
      Buden, Buden, Buden. Die Besucher, sonst Menschen genannt, fressen,
      kaufen, grapschen, saufen, schubsen, rempeln, drängeln, brüllen, blöken,
      wanken, torkeln. Vor mir ein Mann um die 60, an jedem Arm einen
      weiblichen Zwilling um die 40, alle drei im Zustand des vorkomatösen 
      Trunkes. Fröhliche Weihnacht! Wenn der doppelt sieht, hat er vier Frauen 
      dabei.
      Kinder werden gezerrt, beschimpft, überfüttert, angemeckert, mit
      häßlichen Strickmützchen verunstaltet und gucken von weit unten mit 
      panischen Augen, ob der sich über sie hinwegwälzenden Menge von
      unachtsamen und sehr viel größeren Leuten.
      Eine Freundin nannte es: Schweinestall mit Glitzer, ich will es hier, aus 
      Rücksicht gegenüber  den sprachlichen Empfindlichkeiten meiner Leser,
      gar nicht benennen. Nur so viel: im Angesicht dieser Manschmasse 
      mißgelaunter Konsumenten, scheint mir für Momente das Überleben
      unserer Spezies ein nur bedingt wünschenswertes Ziel.
      Ich, die ich Weihnachten liebe, bin verstört.

Sonntag, 1. Dezember 2013

1. Advent: Das fluktuierende Selbstbewusstsein des Freischaffenden


  Wie fast jeder mir bekannte Freischaffende gleite, stolpere 

  und tanze ich mit übermütigem, nichtzugenauhinschauenwollendem 
  Selbstbewusstsein auf dem dünnen Eis der Angst vor der 
  Arbeitslosigkeit, gelegentliche Schlitterattacken inbegriffen.
  Jetzt geht es gut, sehr gut, aber weiß ich, wie lange es noch  

  so gehen wird?
  Die mythische Gegenwart des nichtklingelnden Telephons oder des 
  nicht das erhoffte Angebot enthaltenden, spamgeplagten 
  Emailordners ist schnöder Alltag. Heute bin ich König der
  Stadttheaterwelt, und morgen nurmehr Narr oder Hofschranze im 
  häßlichen grünen Satinsnzug mit bunter Schärpe, verschämt auf 
  fremden Premierenfeiern lungernd mit besorgten suchenden Augen 
  und zu raschem munterem Lächeln. 
  Wenn ich also sagen kann, dass ich bis Sommer 2015 nahezu
  ausgebucht bin, dann ist dies das geschriebene Äquivalent eines 

  gejubelten und gehüpften Juchuhs!
  Ich liebe meine Arbeit und ich meine das oft mißbrauchte Wort 

  lieben hier in seinem vollen, umfassenden, herztiefen Sinn.
  Wiki schreibt lakonisch: "Liebe ist im Allgemeinen die 

  Bezeichnung für die stärkste Zuneigung und Wertschätzung,die      
  ein Mensch einem anderen entgegen zu bringen in der Lage ist. Der 
  Erwiederung bedarf sie nicht." Aber ohne Erwiderung ist das Leben
  eine Qual. Ich liebe meine Arbeit, aber liebt sie mich, oder 

  lieben mich wenigstens die "Arbeitgeber"? All you need is ...!
  Ich bin glücklicher Besitzer eines Privatlebens, aber meine 
  Arbeit ist wichtiger Teil von mir, und auf verflixte und   
  ganz und gar unästhetische Weise auch bestimmender Faktor meines 
  Kontostandes. Normale Absurdität: man tut etwas über Jahrzehnte   
  immer auf Anfrage, immer in direkter Verwicklung mit dem Angebot-
  und-Nachfrage Axiom. Der Markt ist konkret und eindeutig stets 
  gegenwärtig. Die Lorbeeren auf denen man sich ausruhen könnte,
  sind nur geleast. It keeps you on your toes! Aber es ist auch
  anstrengend, Teil des mittleren Marktes zu dein - nicht wirklich 
  gefährdet, aber auch nie auf längere Zeit gebettet. Andererseits:
  In nächster Zeit: Shakespeares Könige, Lear, Hamlet, eine Oper,
  Virginia Woolf - keiner weiß was folgt, und es nicht zu wissen, 
  ist auch wunderbar, weil es könnte ja etwas völlig  Neues,
  Überrraschendes sein.
    
 © Benjamin Thompson

  Ein lyrisch verbrämtes Danke an die, die mir geholfen haben, 

  eine recht lange Liste von hilfreichen Menschen, die nicht 
  veröffentlicht werden wird und ein Gruß zum Ersten Advent!

Vom Glück 

Wer entkommen will, braucht Glück
Ohne Glück
Rettet sich keiner vor der Kälte 
Vor dem Hunger oder gar vor Menschen. 

Glück ist Hilfe

Ich habe viel Glück gehabt. Deshalb
Bin ich noch da. 
Aber in die Zukunft schauend, erkenne ich schaudernd
Wieviel Glück ich noch brauche. 

Glück ist Hilfe. 

Stark ist, wer Glück hat. 
Ein guter Kämpfer und ein weiser Lehrer 
Ist einer mit Glück. 

Glück ist Hilfe 
 
Bertolt Brecht

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Das moderne Prekariat an deutschen Bühnen

 Arte Journal

"Es gibt Statistiken, dass ein Schauspieler, im Durchschnitt,
10 000 Euro im Jahr verdient."
http://www.arte.tv/de/das-moderne-prekariat-an-deutschen-buehnen/7716928,CmC=7717178.html


Sonntag, 24. November 2013

Die Theaterwohnung 4 - Ganz allgemein und auch nicht.


Vor zehn Tagen noch ein Souterrain in Bremen in halbrenoviertem Zustand mit vier Meter Glasfront ohne Vorhänge, heute eine Pension in Rostock, ungewöhnlich gemütlich, für alle möglichen und einige unmögliche Bedürfnisse ist vorgesorgt, nur ein gewisser Hang zur Überdekorierung wäre vielleicht zu bemängeln. 

Zwischendurch zu Hause. 

Zu Hause, in dem Haus, das ich als das meinige bezeichne. Heimat in Architektur gebunden.

Warum spielt es eine Rolle, ob ich einen Lichtschalter im Dunkeln finden kann? Was macht ein Zuhause zu einem Ort an, oder besser, in dem ich mich zu Hause fühle? Die meisten Menschen lasssen sich irgendwann nieder, sie verbinden sich und ihre Lieben mit einem Ort und gehen von ihm aus hinaus in die Welt. Dies ist in meinem, freiwillig gewählten, Beruf nicht möglich, meine Möbel, zum Beispiel, lagern seid fünf Jahren in einem Container.
Also finde ich mich circa alle acht Wochen mit einer neuen Umgebung zurecht. Mal ist es schön, mal nicht, mal neigt sich das Bett meinen Bedürfnissen entgegen, mal ist es ein überweicher, durchgelegener Ort der Schlafqual. Die Farben wurden von mir unbekannten Menschen ausgewählt, wie auch die Formen. Dänemark und die Designer dänischer Massivholzmöbel bestimmen mein ästhetisches Sein weit mehr, als ich es wünsche und IKEA und der OTTO-Katalog, achja und Rattan in allen Verbiegungen. 

Ich schlafe mich sozusagen durch die Geschichte der deutschen Innendekoration.
Da ist das Zimmer der alten Dame in schwerem Gelsenkirchener Barock aus dem Möbelkatalog des Jahres 1965, oder die verschiedensten Theaterzimmer, die, da Theater stets finanziell klamm sind, dies durch ihre in langen Jahren ehrenvoll erworbene Abgewetztheit und eine bescheidene Neigung zu fleckenunempfindlichem Beigebraun illustrieren. Oder Wohngemeinschaftszimmer möbliert mit allem, was noch übrig war und sonst keiner wollte.
Manche Räume sind mit den ungelesenen Buchcluberwerbungen vieler Jahrzehnte ausgestattet, manche haben nicht mal eine Nachttischlampe. Theaterplakate sind beliebte Wandverzierung, auch um Flecken abzudecken. Entkalker für Wasserkocher ist
immer in meinem Gepäck, genau wie die Kaffeetasse, die die für mein morgenmuffliges Gehirn nötige Menge Kaffee aufnehmen kann. 
Vielleicht nur für die weiblichen Leser verständlich: man lebt sieben Wochen mit den Klamotten, die man, meist in Hast gepackt hat und deren Inhalt in keiner Weise, auf wetterliche Stimmung, Selbstempfinden oder Tageslaune reagieren kann.
In der ersten Woche wache ich manchmal auf und versuche mich zu erinnern, wo diesmal das Badezimmer ist. 
Aber dann finde ich ein Cafe mit gutem Macchiato, einen Bäcker mit knusprigen Brötchen, eine tolle Pizzeria, einen kleinen Buchladen und, wenn dann die Proben Vergnügen machen, aufregend sind und produktiv - dann geht's irgendwiem meist sogar gut - bis zur nächsten Überraschung oder, um es politisch unkorrekt zu formulieren: "Lustig ist das Zigeunerleben!"

Beispiel für Gelsenkirchener Barocck mit Deko

Freitag, 22. November 2013

Theater hat auch einen Mangel an Zynismus (manchmal)


Letztens auf einer Probe in Bremen:
Eine Schauspielerin probiert König Heinrich den Fünften, das Stück über das ultimative manipulative Macho-Arschloch. Großer König, größerer Krieger, bis heute strahlendes Heldenbild des britischen Nationalstolzes. Shakespeare läßt ihn uns in Heinrich IV. kennenlernen, als jungen unzufriedenen Mann mit Vaterhass, der dann, in Heinrich V., nach gewonnener Schlacht um Agincourt, um die Tochter des besiegten französischen Königs wirbt.
"Wenn du einen Burschen von solcher Gemütsart lieben kannst, wenn du so einen möchtest, dann nimmst mich; und nimmst mich, nimmst einen Soldaten; und nimmst einen Soldaten, nimmst einen König."
oder

"Das ist nicht möglich, dass du den Feind von Frankreich liebst, Cathi-Kätchen: aber indem Sie mich lieben, sollten Sie den Freund von Frankreich lieben; denn ich liebe Frankreich so sehr, dass ich kein einziges Dorf davon hergeben will; ich will das alles ganz für mich"
oder
"Sollten denn nicht wir beide, du und ich, mit vereinten Kräften, einen Jungen zustande bringen, halb französisch, halb englisch, der mal nach Konstantinopel geht und den Türken am Bart packt? Sollten wir nicht?" 

Der triumphierende König führt die Besiegte seinen erschöpften Leuten vor, amüsiert seine Truppen mit bösartigen Bonmots, der Super-Mann unter soldatischen Männern. Comedy, Kabarett für die Truppen.
Sehr witzig und sehr ekelhaft. Die Schauspielerin machte das ganz wunderbar, beendete die Szene, schüttelte sich und sagte: "Igitt! Widerlich! Fühlt sich scheußlich an. Aber es stimmt wohl, da müssen wir es wohl so machen."

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Heute auf einer Probe in Rostock:
Zehn Studenten, des zweiten Studienjahrs, lesen Heiner Müller. Für die meisten ist es das erste Mal. "Mauser" ist ein harter Brocken, geschrieben als radikale und verzweifelte Antwort auf Brechts "Maßnahme", ja, auf die Verkrüppelung jedweder Utopie, den unauslöschbaren Makel des 20. Jahrhunderts, zwingt der Text Unerträgliches in stahlharte und fast unerträglich schöne Sprache. 

„Wozu das Töten und wozu das Sterben
Wenn der Preis der Revolution die Revolution ist
Die zu Befreienden der Preis der Freiheit.“

Wird das Töten aufhören, wenn die Revolution gesiegt hat.
Wird die Revolution siegen. 

Wie lange noch“

Geboren zwischen 1986 und 1994, ist der kalte Krieg der Systeme für sie, die wir die Jugend nennen, nur mehr ein vager Mythos. Stalin? Arbeitslager? Säuberungen? (Was für ein Begriff!) Und sie lesen, stocken, lesen wieder, stammeln, "Oh, mein Gott", grinsen, zittern, ächzen (der Text ist kompliziert), staunen, erschrecken, begreifen. Empörung, Erschrecken und Begeisterung über solche Konsequenz im Durchdenken eines Gedankens halten sich die Waage. Was für ein harter Ritt! Sie machen eine Erfahrung. Sie erleben etwas mit all ihren Sinnen. Theater kann ohne Zustimmung auskommen. Es kann uns erregt, bestürzt und fragend entlassen. 
Ich habe mich heute sehr verantwortlich gefühlt. 


Edvard Munch Der Schrei 1910
© The Munch Museum/The Munch Ellingsen Group/VBK

Donnerstag, 21. November 2013

DORMIVEGLIA


Dormiveglia, was man mit Schlafwachen übersetzen könnte, ist das italienische Wort für Halbschlaf, dieses Dämmern zwischen Wachen und Bewusstlosigkeit - einnicken, noch ein Rest von Realität hält mich hier und doch bin ich schon nicht mehr ganz von dieser Welt. Ich schlummere.  
Oder am Morgen bettwarm dösen, den letzten Traum noch zu Ende spinnen, den Schlaf noch am wegfliehenden Zipfel halten, anstatt, wie meist, schlagartig, abrupt von dort nach hier zu stürzen.

Forscher haben festgestellt, dass, wenn wir müde sind, Teile unseres Gehirns schon beginnen zu schlafen, obwohl wir noch scheinbar wach unseren Tätigkeiten nachgehen. Wir machen dann häufiger Fehler, weil halt einige Neuronen schon zu Bett gegangen sind.
Delphine haben da eine wirklich großartige Fähigkeit, sie können abwechselnd mit nur einer Gehirnhälfte schlafen, während die andere aufmerksam bleibt, wachsam nach Feinden Ausschau hält und sich darum kümmert, dass aufgetaucht wird, wenn Atemluft knapp zu werden droht.

Alles schläft, keiner wacht...

Manchmal, in diesen Wachtraumzeiten finde ich plötzlich Lösungen für langwierig durchgekaute Probleme, weiß ich plötzlich was ich wirklich fühle, ja, ist mir die Welt kein Rätsel mehr. Aber dann senkt sich eine der Waagschalen, Schlaf oder Alltag übernehmen die Zügel und ... Da steh ich nun, ich armer Tor, und bin so klug als wie zuvor.


Hypnagog & Hypnopomp

Hypnagogie bezeichnet einen Bewusstseinszustand, der beim Einschlafen auftreten kann. Eine Person im hypnagogischen Zustand kann visuelle, auditive und taktile Pseudohalluzinationen erleben, unter Umständen, ohne sich bewegen zu können. Obwohl der Person bewusst ist, dass sie halluziniert, kann sie in den meisten Fällen nicht darauf reagieren. Der Begriff wurde im 19. Jahrhundert durch den französischen Gelehrten Alfred Maury geprägt. Die traumartigen Erlebnisse in der Aufwachphase wurden vom englischen Literaten Frederick William Henry Myers Hypnopomp genannt. 
Vermutlich tritt Hypnagogie dann auf, wenn eine Person beim Einschlafen zu schnell in den REM-Schlaf, die Traumphase, absinkt. Während der REM-Phase blockiert das Gehirn die Glieder (Schlafparalyse), damit man die Bewegungen, die man träumt, nicht auch ausführt. Im Fall einer Hypnagogie ist die Person immer noch bei Bewusstsein – sie träumt, ist aber wach. (Wiki)

Hypnopomp ist ein fettes schönes Wort, oder? Schlaf und Feierlichkeit oder Gepränge, Ein Schlaf, der sich brüstet, der angibt: noch bin ich der König, noch geb ich dich nicht her.


Träumender Buddha aus Java

Halb Schlaf 
für Uwe Johnson

Und wie in dunkle Gänge
mich in mich selbst verrannt,
verhängt in eigne Stränge
mit meiner eignen Hand:

So lief ich durch das Finster
in meinem Schädelhaus:
Da weint er und da grinst er
und kann nicht mehr heraus.

Das sind die letzten Stufen,
das ist der letzte Schritt,
der Wächter hört mein Rufen
und ruft mein Rufen mit

aus meinem Augenfenster
in eine stille Nacht;
zwei rufende Gespenster:
eins zittert und eins lacht.

Dann schließt mit dunklen Decken
er meine Augen zu:
jetzt schlafen und verstecken
und endlich Ruh.

Thomas Brasch im Herbst 1982

Witz: Heute Morgen im Halbschlaf an den Wecker gekuschelt und Freundin an die Wand geworfen. Irgendwas ist immer.

Donnerstag, 31. Oktober 2013

Lachkrampf


ICH HABE HEUTE VIEL, SEHR VIEL GELACHT.


Worüber?
Darüber!
Wirklich?
Wirklich.
Warum?
Darum!


Das Lachen wird ... durch gewisse Gefühlseindrücke (wie beispielsweise beim Kitzeln) hervorgerufen und dient als Mittel zum Ausgleich des durch jene Eindrücke verursachten Reizes. Die Reflexbewegung des Lachens kann leicht zu einer Art von Krampf ausarten, dem Lachkrampf. ... Aus sozialpsychologischer Sicht ist exzessives Lachen geradezu ein Sieg des Körpers über die Macht des dominierenden Verstandes. (Wiki)



Der Talkshow-Moderator einer Sendung des holländischen Fernsehens zum Thema "Medizinische Behandlungsfehler" verfällt, in Reaktion auf die ungewöhnlich hohe Stimme eines seiner Talkgäste, infolge eines eben solchen ärztlichen Versagens, in einen immer schwerer beherrschbaren Lachkrampf, ein Zuschauer wird befragt und antwortet im sonoren Bass, der Moderator gibt sich endgültig dem Lachen hin, die Gäste verlassen brüskiert das Studio.

http://www.youtube.com/watch?v=aQa3R3wczAU

Seit sechs Wochen graben wir uns durch die wiedererkennbaren und darum umso grässlicheren Kämpfe der englischen Herrscher in Shakespeares Königsdramen - heute Heinrich V. - ein König entwickelt Krieg zur perfekten Ganztagsbeschäftigung seiner Bürger. 
Der Text bietet manipulative Geschichtsverfälschung, kalten Zynismus, Terrordrohungen, Beschreibungen von Vergewaltigung und Brandschatzung, Kriegspoesie, Dinge, die gemeinhin eher nicht zu den besonders lustigen gerechnet werden. Und was tun wir? Wir arbeiten, schwitzen, denken, probieren aus und brechen zwischendurch und hinterdrein immer wieder in nicht wirklich begründbare Lachorgien aus. Es wird in einem fort gemordet und gestorben, Städte werden in Schutt und Asche zerlegt, halb Frankreich verblutet auf dem Schlachtfeld vor Agincourt und wir kichern, gurgeln, hicksen, glucksen, prusten, lachen, ja brüllen vor lachen. Totgelacht hat sich, Gott sei Dank, noch keiner, nicht mal kaputtgelacht, obwohl ein Gesicht und auch ein Bauch schon arg schmerzen können, bei einer Lachattacke - einem Lachenangriff. 
Herrlich meschugge und ein wenig Hysterie war auch dabei - Shakespeare-Mord-Tod-Wut Überdosis?

  Jack Nicholson lacht in Kubricks "Shining"
 
ALBERN: Das althochdeutsche alawari („freundlich“) verwandelte sich im Mittelhochdeutschen ins Negative: alwære bedeutete „einfältig“.

Der Frankfurter Dichter Robert Gernhardt und die Tübinger Hirnforscherin Barbara Wild über Komik, Karneval und den Sinn des Lachens
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-46046468.html

Kann man sich wirklich totlachen?
http://www.spiegel.de/schulspiegel/wissen/1000-fragen-kann-man-sich-wirklich-totlachen-a-599167.html

Sonntag, 27. Oktober 2013

Die DDR und der Atomschlag - Irrsinn selbst erlebt


Ungenaue Erinnerungen:
Das Jahr ist 1976, ich bin Schülerin der 11. Klasse am Grauen Kloster oder, wie sie  offiziell genannt wird, der Zweiten Erweiterten Oberschule in Berlin Mitte am Hausvogteiplatz. Jeden Morgen führt mich mein Schulweg am Französischen Dom vorbei, an dem ein einsamer Steinmetz Restaurationsarbeiten durchführt, ich habe nie mehr als diesen einen Mann gesehen.
Ein neues Lehrfach wird eingeführt: der Wehrkundeunterricht. In meiner Erinnerung lautete der erste Satz des Lehrbuchs: "Der Feindesangriff kann Dich in der Schule, beim Sport oder in der Freizeit treffen." 
Wir marschieren im unregelmäßigen Gleichschritt durch die eckigen Umgänge unsereres Schulgebäudes, das einstmals ein Gefängnis oder Krankenhaus gewesen sein muß. Für den Fall eines atomaren Angriffes wird uns dringend geraten, unsere Kleidung in übermangansaures Kali (Kaliumpermanganat) zu tauchen, um sie strahlenabweisend zu machen. Das Wort Kaliumpermanganat, ein rotes kristallines Pulver für Sitzbäder bei Blasenentzündungen, ist ein fester Bestandteil meiner Erinnerungen, und wird sie wahrscheinlich erst im Endstadium einer möglichen Alzheimererkrankung verlassen. Die Plastikhülle des Personalausweises der DDR könnte zur Herstellung einer Schutzbrille dienen und für den atomaren Schutzkeller muß unbedingt ein Eimer mit Deckel (!) angeschafft werden, der dann als Latrine dienen soll. 
Ein ungewöhnlich heißer Sommer in Biesenthal, wir fahren für zehn Tage ins GST-Lager. Die GST ist die Gesellschaft für Sport und Technik, ein verlogener, idiotischer Titel für eine paramilitärische Organisation von Laien und Volltrotteln. 30 Siebzehnjährige marschieren durch brandenburgische Kiefernwälder, einige der Mädchen in Stöckelschuhen. Beim "Anprobieren" eines monströsen Atomschutzanzuges werden zwei Teilnehmer ohnmächtig. Beim regnerischen Nachtmarsch liegt unser magerer FDJ-Sekretär im Gebüsch und schießt mit feucht gewordenen Knallplätzchen, die nur noch ein müdes Pffft! von sich geben, auf uns, um zu prüfen, ob wir uns auch wirklich, der Anweisung folgend, in Richtung des imaginierten Atomschlages auf den nassen, sandigen Boden werfen. Mein Freund ist GST-Gruppenführer und küßt mich fünf Minuten vor dem gebrüllten "AUFSTEHEN" liebevoll wach. Da ich völlig unfähig bin ein Gewehr zu bedienen, schießt bei der Prüfung zur "Goldenen Fahrkarte" ein Mitschüler für mich, gewinnt den ersten Platz und vom geteilten Preisgeld kaufe ich meinen ersten Staubsauger.
In Berlin-Mitte hängt über mehrere Monate ein Großtransparent an einer Häuserwand mit roten Worten auf schwarzem Grund: "Wir fordern eine Welt ohne Atome!".
Stanislaw Lem hat in einem seiner Bücher bemerkt: " im Fall eines Atomangriffs werde ich mich auf den Boden werfen, mir eine Zeitung auf den Kopf legen und ganz langsam in Richtung des nächsten Friedhofs robben." 



Mittwoch, 9. Oktober 2013

Theater hat auch eine Probensituation



Wir probieren Richard II. von William Shakespeare.

Der gottgewählte König Richard II. wird mit unerhörten Forderungen eines seiner Untertanen konfrontiert. Sein Gefolgsmann York läuft zum Gegner über. Der Noch-König wirft überraschend seine Krone den völlig verwirrten Herausforderern vor die Füsse und schlägt nebenbei Yorks Kopf hart auf den Verhandlungstisch. Der König erklärt sich zum Nicht-König. Er setzt sich selber ab. ("Das trifft nach meiner Kenntnis … ist das sofort, unverzüglich" - Schabowsky am 9.11.1989) - gänzliche bühnenweite Verwirrung!

Alles ist plötzlich neu, neuer König, neue Loyalitäten. York hat Nasenbluten vom Zusammentreffen seines Kopfes mit dem Tisch und er ist ein Überläufer, ihm ist also nicht wirklich zu vertrauen und seine Nase hört nicht auf zu bluten. Eine Kollegin bietet ihm Tampons zum Stillen der Blutung an. York, im verzweifelten Versuch, seine noch frische Treue zum neuen König zu beweisen, wirft seinen Sohn dem neuen Wolf zum Fraß vor - während er Tampons in den Nasenlöchern stecken hat.
Das wird sicher bei der Premiere so nicht stattfinden, sicher nicht. Aber die Erinnerung an den panischen Mann, der verlangt, dass sein Sohn wegen Hochverrats, also der Treue zu eben dem König Richard II., dem er selbst nur kurze Zeit zuvor selbst noch diente, hingerichtet wird, während ihm die blauen Bänder zweier o.b. Tampons vor dem angestrengt Hass produzierenden Mund hängen, wird als surrealer Schatten hinter der irgendwann endgültigen Szene bleiben, nie gesehen und doch vorhanden.
Diese Beschreibung macht vielleicht nicht sehr viel Sinn für die, die bei unserer Probe nicht anwesend waren, aber ich hatte heute den Gedanken, dass die Dinge hinter den Dingen, das Ungesagte doch Mitgedachte, das Nicht-Jetzt-Stattfindende doch Erinnerte, einstmals Erfahrene oft genauso stark sind, wie das, was wir wirklich erleben, ob im Leben oder im Theater.
Das Jetzt ist immer nur scheinbar nur ein Jetzt.
Die Probe wurde übrigens wegen nicht beendbaren Lachkrämpfen vorzeitig beendet.


Sonntag, 6. Oktober 2013

Theater hat auch Eigenwerbung


   Vor Jahren, in einer öffentlichen Diskussionsrunde,
   oder trendiger, auf einem Panel, gemeinsam mit anderen 
   Regisseuren während der Berliner Festtage, über irgendein
   theaterbezogenes Thema gelang es dem, zugegebenermaßen, 
   erfolgreichsten unter uns mit blitzschnellem Charme und 
   nahezu unbemerkbarer Frechheit immer wieder die Höhepunkte 
   seiner Karriere in das Gespräch einzuflechten. Großartig. 
   Beim Mittagessen mit einem nur flüchtig bekannten älteren
   Kollegen werden mir die genauen Premieren-Applausminuten jeder  
   seiner mir unbekannten Produktionen serviert. Nicht wirklich 
   appetitanregend.
   Ich werde zur Premiere eines Bekannten eingeladen und drücke 
   bedauernd den Absagen-Button, weil ich wieder mal keine Zeit
   habe oder in einer anderen Stadt hocke. Schade.
   Eine fremde Dame postet auf Facebook fast täglich Aufrufe, ihre 
   acting Kurse zu besuchen, die sich an einer mir unbekannten 
   acting-Technik orientieren und die mir helfen sollen relaxter zu 
   acten. Und auch mal abgesehen davon, dass ich innerhalb 
   Deutschlands eh zu nix gehen würde, was sich acting-irgendwas 
   nennt, nervt sie mir die Seite voll. Sie wird entfreundet, aber 
   schnell.

   Facebook und all die anderen sozialen Netzwerke sind voll von 
   Vorankündigungen, Privatrezensionen, Crowdfunding-Aufrufen,  
   Inszenierungsphotos, letzten und allerletzten Terminen, Website-
   Links, Projekt-Einladungen und dringlichen Bitten um 
   Unterstützung, Besuch und Weiterverbreitung.

   Wir alle befahren eine unsichere, verunsichernde Strasse
   zwischen notwendiger und interessanter Werbung, auch wenn es 
   Eigenwerbung ist und Anbiederung mit verzweifelten Untertönen, 
   Glatteis allüberall, oder?
   Die einen verkaufen Homestories, Hochzeitsphotos, Diättipps und  
   oder ergreifende Berichte über weltwichtige Aufenthalte bei 
   hungernden Kindern, an der Front oder im Entzug. Von 
   Selbstvermarktung durch Werbeauftritte will ich gar nicht erst 
   anfangen.

© Mike Köppel

   Andere versuchen so entspannt wie möglich über ihre Arbeit zu 
   sprechen, Interesse zu erwecken. Und manche haben fast gar keine 
   Chancen sich überhaupt vorzustellen. 
   Klinken putzen, klappern, das zum Handwerk gehört, sich anbieten 
   wie Sauerbier* und was der abfälligen Formulierungen mehr sind 
   für den einfachen Fakt, dass nur die wenigsten unter uns 
   "gefragt" genug sind, um nie nach Arbeit Ausschau halten zu 
   müssen. Es ist verflixt. Ohne Veröffentlichung geht es nicht, 
   aber wie macht man's ohne Peinlichkeit? Humor hilft. 
   Selbstvertrauen auch. Wenn das, was wir machen Qualität hat, dann
   sollen es die Leute auch wissen. Sie müssen ja nicht zuhören.
   Aber vielleicht verpassen sie dann etwas Schönes und/oder 
   Wichtiges.


"Du kannst ein erfolgreicher Künstler sein"

   *In früheren Zeiten kam es bei der Bierproduktion häufiger zu 
   Misserfolgen, so dass anstelle des gewünschten Produkts "saures" 
   Bier entstand. Um den Schaden zu begrenzen, wurde dieses 
   minderwertige Produkt mit marktschreierischen Methoden (meist 
   erfolglos) angepriesen. Die Redensart kommt schon bei Hans Sachs 
   und bei Grimmelshausen vor.