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Sonntag, 22. Dezember 2013

Weihnachten und keiner lächelt


Nach einer ungewöhnlich langen Zeit ohne freie Tage, begann heute Abend mein Weihnachtsurlaub. Ich habe die letzten Tage damit zugebracht zwischen Rostock, Berlin, Heilbronn, Schwäbisch Hall, wegen vergessenem Koffer noch einmal Heilbronn, Nürnberg, Augsburg und wieder Berlin hin und her zu reisen, manchmal per Auto, öfter per Bahn und bestieg den vorerst letzten Zug von Augsburg nach Berlin mit einem breiten Grinsen im Gesicht, wissend, dass ich nun zehn Tage verantwortungslos, verblödet, vergnügt in meiner Heimatstadt zubringen würde. 
ABER niemand grinste zurück!
Die meisten meiner Mitreisenden waren, wie aus ihrem geschenkverpacktem Gepäckinhalt deutlich ablesbar war, auf dem Weg zu irgendwelchen Feiern zu Ehren der historisch nicht sicher verbürgten Geburt des Jesus Christus. Wie auch immer man darüber denken mag, irgendein sympathisches Kind ist sicherlich am 24.12. vor 2013 Jahren geboren worden. Aber mit welch religiösem oder atheistischen Impetus auch immer, sie alle fuhren zu einer Feier! Sie saßen aber in dem immerhin nur zehn Minuten verspäteten Zug mit den Gesichtern von vergrämten Dienstreisenden, ohne Lächeln, ohne Augenkontakt, ohne irgendein Anzeichen dafür, dass sie die nächsten Tage mit Menschen, die sie mögen und freudig einige Zeit verbringen werden. 
What the fuck!?
Ihr müßt Weihnachten nicht mögen. Mancher mag Kummer fühlen, den auch Festtage nicht dämpfen können. Aber ein Lächeln ist zu viel verlangt?
Und wenn es auch nur anderen, das wünscht, was man selbst nicht haben wird.

http://www.upworthy.com/watch-the-first-54-seconds-that-s-all-i-ask-you-ll-be-hooked-after-that-i-swear?g=3&c=reccon1

DAS MÄDCHEN MIT DEN SCHWEFELHÖLZERN
Ein Märchen von Hans Christian Andersen 

Es war ganz grausam kalt; es schneite und es begann dunkler Abend zu werden; es war auch der letzte Abend im Jahre, Silvesterabend. In dieser Kälte und in diesem Dunkel ging auf der Straße ein kleines, armes Mädchen mit bloßem Kopf und nackten Füßen. Ja, sie hatte ja freilich Pantoffeln angehabt, als sie von zu Hause wegging, aber was konnte das helfen! Es waren sehr große Pantoffeln, ihre Mutter hatte sie zuletzt benützt, so groß waren sie, und die verlor die Kleine, als sie über die Straße eilte, weil zwei Wagen so schrecklich schnell vorbeifuhren. Der eine Pantoffel war nicht zu finden, und mit dem andern lief ein Junge davon; er sagte, daß er ihn als Wiege benützen könne, wenn er selbst Kinder bekomme.
Da ging nun das kleine Mädchen auf den kleinen, nackten Füßen, die rot und blau vor Kälte waren; in einer alten Schürze trug sie eine Menge Schwefelhölzer, und mit einem Bund in der Hand ging sie dahin. Keiner hatte ihr während des ganzen Tages etwas abgekauft, keiner ihr einen kleinen Schilling gegeben; hungrig und verfroren ging sie dahin und sah so verschüchtert aus, das arme kleine Wurm! Die Schneeflocken fielen in ihre langen, blonden Haare, die sich so schön um den Nacken lockten; – aber an die Pracht dachte sie freilich nicht. Aus allen Fenstern leuchteten Lichte, und dann roch es da in der Straße so herrlich nach Gänsebraten; es war ja Neujahrsabend, – ja, daran dachte sie.
Hinten in einer Ecke zwischen zwei Häusern, das eine sprang ein wenig mehr in die Straße vor als das andere, da setzte sie sich hin und kauerte sich zusammen. Die kleinen Beine hatte sie hinaufgezogen unter sich, aber sie fror noch mehr und heimgehen durfte sie nicht, sie hatte ja keine Schwefelhölzer verkauft, keinen einzigen Schilling bekommen, ihr Vater würde sie schlagen. Und kalt war es auch daheim, sie hatten nur grade das Dach über sich, und da pfiff der Wind herein, obschon Stroh und Lumpen in die größten Spalten gestopft waren. Ihre kleinen Hände waren beinahe ganz tot vor Kälte. Ach, ein kleines Schwefelholz konnte gut tun! Hätte sie nur gewagt, eines aus dem Bund zu ziehen, es an der Wand anzustreichen und die Finger daran zu wärmen! Sie zog eines heraus. “Ritsch!” wie das sprühte, wie es brannte! Es war eine warme klare Flamme wie eine kleine Kerze, als sie die Hand darum hielt; es war ein wunderbares Licht! Dem kleinen Mädchen schien es, als säße sie vor einem großen Eisenofen mit blanken Messingkugeln und Messingtrommel; das Feuer brannte so herrlich, wärmte so gut; nein, was war das! – Die Kleine streckte schon die Füße aus, um auch diese zu wärmen, – da erlosch die Flamme. Der Ofen verschwand, sie saß mit einem kleinen Stumpf eines abgebrannten Schwefelholzes in der Hand.
Ein neues wurde angesteckt, es brannte, es leuchtete, und wie der Schein auf die Mauer fiel, wurde sie durchsichtig wie ein Schleier; sie sah ganz bis in die Stube hinein, wo der Tisch mit einem schimmernden weißen Tuch gedeckt stand mit seinem Porzellan, und herrlich dampfte die gebratene Gans, die mit Pflaumen und Äpfeln gefüllt war; und was noch prächtiger war, die Gans sprang von der Schüssel, wackelte über den Boden mit Gabel und Messer im Rücken, ganz hin zu dem armen Mädchen kam sie; da erlosch das Schwefelholz, und es war nur die dicke, kalte Mauer zu sehen.
Sie zündete ein neues an. Da saß sie unter dem herrlichsten Weihnachtsbaum, der war noch größer und noch mehr geputzt als der, den sie am letzten Weihnachtsabend durch die Glastüre bei dem reichen Kaufmann gesehen hatte. Tausend Lichte brannten an den grünen Zweigen, und bunte Bilder wie die, die die Ladenfenster schmückten, sahen auf sie herab. Die Kleine streckte beide Hände hoch, – da erlosch das Schwefelholz. Die vielen Weihnachtslichter stiegen höher und höher, sie sah, es waren nur die klaren Sterne, einer von ihnen fiel und bildete einen langen Feuerstreifen am Himmel.
“Nun stirbt da jemand!” sagte die Kleine, denn die alte Großmutter, die die Einzige war, die gut zu ihr gewesen, aber jetzt tot war, hatte gesagt: Wenn ein Stern fällt, steigt eine Seele empor zu Gott!
Sie strich wieder ein Schwefelholz an die Mauer, es leuchtete im Umkreis, und in dem Glanz stand die alte Großmutter, so hell, so leuchtend, so mild und gesegnet.
“Großmutter!” rief die Kleine, “oh, nimm mich mit! Ich weiß, du bist fort, wenn das Schwefelholz ausgeht, fort, wie der warme Ofen, der herrliche Gänsebraten und der große, prachtvolle Weihnachtsbaum!” – Und sie strich in Eile den ganzen Rest Schwefelhölzer an, die im Bund waren, sie wollte die Großmutter recht festhalten; und die Schwefelhölzer leuchteten mit einem solchen Glanz, daß es heller war als am lichten Tag. Großmutter war früher niemals so schön gewesen, so groß; sie hob das kleine Mädchen auf ihren Arm, und sie flogen in Glanz und Freude so hoch, so hoch! Und da war keine Kälte, kein Hunger, keine Angst – sie waren bei Gott!
Aber in der Ecke beim Hause saß in der kalten Morgenstunde das kleine Mädchen mit roten Wangen, mit einem Lächeln um den Mund – tot, erfroren am letzten Abend des alten Jahres. Der Neujahrsmorgen ging auf über der kleinen Leiche, die mit Schwefelhölzern dasaß, von denen ein Bund fast abgebrannt war. Sie hat sich wärmen wollen, sagte man; niemand wußte, was sie Schönes gesehen, in welchem Glanz sie mit der alten Großmutter zur Neujahrsfreude eingegangen war!




published by the famed Riverside Press in 1873. the identity of the translator A.A.B. and the illustrator S.G.P. remained a mystery.
 

Montag, 21. Oktober 2013

Die Bremer Stadtmusikanten



Oskar Herrfurth um 1930

Die Bremer Stadtmusikanten


  Es hatte ein Mann einen Esel, der schon lange Jahre die Säcke unverdrossen zur Mühle 
  getragen hatte, dessen Kräfte aber nun zu Ende gingen, sodass er zur Arbeit immer 
  untauglicher ward. Da dachte der Herr daran, ihn aus dem Futter zu schaffen, aber der 
  Esel merkte, dass kein guter Wind wehte, lief fort und machte sich auf den Weg nach 
  Bremen. Dort, meinte er, könnte er ja Stadtmusikant werden. Als er ein Weilchen 
  fortgegangen war, fand er einen Jagdhund auf dem Wege liegen, der japste wie einer, 
  der sich müde gelaufen hat. Nun, was japst du so?", fragte der Esel. Ach", sagte der 
  Hund, weil ich alt bin und jeden Tag schwächer werde, auch auf der Jagd nicht mehr 
  fort kann, hat mich mein Herr wollen totschlagen, da hab ich Reißaus genommen. Aber 
  womit soll ich nun mein Brot verdienen?" Weißt du was", sprach der Esel, ich gehe nach 
  Bremen und werde dort Stadtmusikant, geh mit und lass dich auch bei der Musik 
  annehmen. Ich spiele die Laute, und du schlägst die Pauken." Der Hund war zufrieden 
  und sie gingen weiter. Es dauerte nicht lange, so saß da eine Katze an dem Weg und 
  machte ein Gesicht wie drei Tage Regenwetter. Nun, was ist dir in die Quere 
  gekommen, alter Bartputzer?", sprach der Esel. Wer kann da lustig sein, wenn's einem 
  an den Kragen geht", antwortete die Katze, weil ich nun zu Jahren komme, meine
  Zähne stumpf werden und ich lieber hinter dem Ofen sitze als nach Mäusen herumjage, 
  hat mich meine Frau ersäufen wollen. Ich habe mich zwar noch fortgemacht, aber nun 
  ist guter Rat teuer. Wo soll ich hin?" Geh mit uns nach Bremen, du verstehst dich doch 
  auf die Nachtmusik, da kannst du ein Stadtmusikant werden!" 

 Aus dem Bremer Ratskeller. Fresko von Max Slevogt 
Datiert u. Poststempel 1930

                                                                                           Die Katze hielt das für gut 
  und ging mit. Darauf kamen die drei Landesflüchtigen an einem Hof vorbei, da saß auf 
  dem Tor der Haushahn und schrie aus Leibeskräften. Du schreist einem durch Mark und 
  Bein", sprach der Esel, was hast du vor?" Da hab ich gut Wetter prophezeit", sprach der 
  Hahn, weil unserer lieben Frauen Tag ist, wo sie dem Christkindlein die Hemdchen 
  gewaschen hat und sie trocknen will. Aber weil am Sonntag Gäste kommen, so hat die 
  Hausfrau doch kein Erbarmen und hat der Köchin gesagt, sie wollte mich in der Suppe 
  essen und da soll ich mir heute Abend den Kopf abschneiden lassen. Nun schrei ich aus 
  vollem Hals, solang ich noch kann." Ei was, du Rotkopf", sagte der Esel, zieh lieber mit 
  uns fort, wir gehen nach Bremen, etwas besseres als den Tod findest du überall. Du hast 
  eine gute Stimme und wenn wir zusammen musizieren, so wäre dies wohl fantastisch." 
  Der Hahn ließ sich den Vorschlag gefallen und sie gingen alle zusammen fort.

George Cruikshank 1823

  Sie konnten aber die Stadt Bremen in einem Tag nicht erreichen und kamen abends in 
  einen Wald, wo sie übernachten wollten. Der Esel und der Hund legten sich unter einen 
  großen Baum, die Katze und der Hahn machten sich in die Äste, der Hahn aber flog bis 
  in die Spitze, wo er sich sicher fühlte. Ehe er einschlief, sah er sich noch einmal nach 
  allen vier Winden um, da dachte er, er sähe in der Ferne ein Fünkchen brennen und rief 
  seinen Gesellen zu, es müßte nicht gar weit ein Haus sein, denn es scheine ein Licht. 

 Arthur Rackham
Constable & Company Ltd, 1909

  Sprach der Esel: So müssen wir uns aufmachen und noch hingehen, denn hier ist die 
  Herberge schlecht." Der Hund meinte, ein paar Knochen und etwas Fleisch dran täten 
  ihm auch gut. Also machten sie sich auf den Weg nach der Gegend, wo das Licht war 
  und sahen es bald heller schimmern. Es wurde immer größer, bis sie vor ein hell 
  erleuchtetes Räuberhaus kamen. Der Esel näherte sich dem Fenster und schaute hinein. 
  Was siehst du, Grauschimmel?", fragte der Hahn. Was ich sehe?", antwortete der Esel. 
  Einen gedeckten Tisch mit schönem Essen und Trinken und Räuber sitzen daran und 
  lassen es sich wohl sein." Das wäre was für uns", sprach der Hahn. Ja, ja, ach, wären wir 
  da!", sagte der Esel. Da ratschlagten die Tiere, wie sie es anfangen könnten, um die 
  Räuber hinauszujagen, und fanden endlich ein Mittel. Der Esel musste sich mit den 
  Vorderfüßen auf das Fenster stellen, der Hund auf den Rücken des Esels springen, die 
  Katze auf den Hund klettern und endlich flog der Hahn hinauf und setzte sich der Katze 
  auf den Kopf. Wie das geschehen war, fingen sie auf ein Zeichen an, ihre Musik zu 
  machen.Der Esel schrie, der Hund bellte, die Katze miaute und der Hahn krähte. Dann 
  stürzten sie durch das Fenster in die Stube hinein, dass die Scheiben klirrten. Die
  Räuber fuhren bei dem entsetzlichen Geschrei in die Höhe, meinten, ein Gespenst käme 
  herein und flohen in größter Furcht in den Wald hinaus. Nun setzten sich die vier 
  Gesellen an den Tisch, nahmen mit dem vorlieb, was übriggeblieben war und aßen, als 
  wenn sie vier Wochen hungern sollten. Wie die vier Spielleute fertig waren, löschten sie 
  das Licht aus und suchten sich eine Schlafstätte, jeder nach seiner Natur und 
  Bequemlichkeit. Der Esel legte sich auf den Mist, der Hund hinter die Türe, die Katze 
  auf den Herd bei die warme Asche und der Hahn setzte sich auf den Hahnenbalken. Und 
  weil sie müde waren von ihrem langen Weg, schliefen sie auch bald ein. Als Mitternacht 
  vorbei war und die Räuber sahen, dass kein Licht mehr im Haus brannte, auch alles 
  ruhig schien, sprach der Hauptmann: Wir hätten uns doch nicht sollen ins Bockshorn 
  jagen lassen!" Er hieß einen hingehen und das Haus untersuchen. Der Abgeschickte fand 
  alles still, ging in die Küche, ein Licht anzuzünden und weil er die glühenden, feurigen 
  Augen der Katze für lebendige Kohlen ansah, hielt er ein Schwefelhölzchen daran, dass 
  es Feuer fangen sollte. Aber die Katze ver stand keinen Spaß, sprang ihm ins Gesicht, 
  spie und kratzte. Da erschrak er gewaltig, lief und wollte zur Hintertüre hinaus, aber 
  der Hund, der da lag, sprang auf und biss ihn ins Bein. Als der Räuber über den Hof an 
  dem Mist vorbeirannte, gab ihm der Esel noch einen tüchtigen Schlag mit dem 
  Hinterfuß. Der Hahn aber, der vom Lärmen aus dem Schlaf geweckt und munter 
  geworden war, rief vom Balken herab: Kikeriki!" Da lief der Räuber zu seinem 
  Hauptmann zurück und sprach: Ach, in dem Haus sitzt eine greuliche Hexe, die hat mich 
  angehaucht und mit ihren langen Fingern mir das Gesicht zerkratzt. Vor der Türe steht 
  ein Mann mit einem Messer, der hat mich ins Bein gestochen! Auf dem Hof liegt ein 
  schwarzes Ungeheuer, das hat mit einer Holzkeule auf mich losgeschlagen und oben auf 
  dem Dache, da sitzt der Richter, der rief: 'Bringt mir den Schelm her.' Da machte ich, 
  daß ich fortkam." Von nun an getrauten sich die Räuber nicht weiter in das Haus, den 
  vier Bremer Musikanten gefiel es aber so gut darin, dass sie nicht wieder heraus wollten.

  Aus den Märchen der Gebrüder Grimm

 Bremer Stadtmusikanten in Bremen
 

Freitag, 13. September 2013

Der Süsse Brei - Grimm


PORRIDGE - HAFERFLOCKENBREI

Ein Rezept von Jamie Oliver!

Zutaten

• 200g Haferflocken
• 750ml Milch, Sojamilch oder Wasser
• Meersalz


Die Haferflocken und die Milch oder das Wasser in einen Topf tun und mit 
einer Prise Salz auf mittlerer Hitze aufkochen lassen.
Dann für 5 bis 6 Minuten köcheln lassen und möglichst oft umrühren, um ein 
cremiges, glattes Porridge zu erreichen.
Währenddessen auch die zusätzlichen Zutaten vorbereiten.
Diese 1 oder 2 Minuten bevor das Porridge fertig ist, dazugeben.


Blaubeeren und Apfel
- 2 Äpfel
- ein großer Knubbel Butter
- eine Handvoll Haferflocken
- mindestens ein Teelöffel Honig
- 2 Hände frische oder gefrorene Blaubeeren

Banane und Zimt

- 2 reife Bananen
- eine kleine Handvoll Mandelsplitter oder Kokosraspeln
- 1/2 Esslöffel Zimt
- 2 bis 4 Esslöffel Mohn
- 2-4 Esslöffel Ahornsirup oder Honig, je nach Geschmack



Ich mag Porridge am liebsten mit brauner Butter und braunem Zucker drüber!



Es war einmal ein armes, frommes Mädchen, das lebte mit seiner Mutter allein, und sie hatten nichts mehr zu essen. Da ging das Kind hinaus in den Wald, und begegnete ihm da eine alte Frau, die wusste seinen Jammer schon und schenkte ihm ein Töpfchen, zu dem sollt es sagen: "Töpfchen, koche," so kochte es guten, süssen Hirsebrei, und wenn es sagte: "Töpfchen, steh," so hörte es wieder auf zu kochen.

Das Mädchen brachte den Topf seiner Mutter heim, und nun waren sie ihrer Armut und ihres Hungers ledig und assen süssen Brei, sooft sie wollten.

Auf eine Zeit war das Mädchen ausgegangen, da sprach die Mutter: "Töpfchen, koche,
" da kocht es, und sie isst sich satt; nun will sie, dass das Töpfchen wieder aufhören soll, 
aber sie weiss das Wort nicht. Also kocht es fort, und der Brei steigt über den Rand 
hinaus und kocht immerzu, die Küche und das ganze Haus voll und das zweite Haus 
und dann die Strasse, als wollt's die ganze Welt satt machen, und ist die grösste Not, 
und kein Mensch weiss sich da zu helfen. Endlich, wie nur noch ein einziges Haus übrig 
ist, da kommt das Kind heim und spricht nur: "Töpfchen, steh," da steht es und hört auf 
zu kochen, und wer wieder in die Stadt wollte, der musste sich durchessen.

Dienstag, 9. Juli 2013

Hans Christian Andersen - Amor - Caravaggio


OMNIA VINCIT AMOR


Amor Vincit Omnia Caravaggio 1601/02

Omnia vincit amor et nos cedamus amori!
Die Liebe besiegt alles, unterwerfen wir uns der Liebe!
Virgil Eclogen 10,69, Bucolica 

DER UNARTIGE KNABE

Es war einmal ein alter Dichter, so recht ein guter alter Dichter. Eines Abends als er zu Hause saß, entstand draußen ein schrecklich böses Wetter; der Regen strömte hernieder, aber der Dichter saß warm und gut bei seinem Ofen, wo das Feuer brannte und die Äpfel zischten.
"Es bleibt kein trockner Faden auf den Armen, die bei diesem Wetter nicht zu Hause sind!" sagte er, denn er war ein guter Dichter.
"O, öffne mir! mich friert und ich bin ganz nass!" rief draußen ein kleines Kind. Es weinte und klopfte draußen an die Tür, während der Regen herabströmte und der Wind mit allen Fenstern klirrte. "Du kleines Wesen!" sagte der alte Dichter, als er die Tür öffnete. Da stand ein kleiner Knabe, der war ganz nackt, und das Wasser floss aus seinen langen gelben Locken. Er zitterte vor Kälte; wäre er nicht hereingekommen, hätte er in dem bösen Wetter sicher umkommen müssen.
"Du armer Junge!" sagte der freundliche Dichter und nahm ihn bei der Hand. "Komm zu mir, ich werde dich schon erwärmen! Wein und einen Apfel sollst du haben, denn du bist ein prächtiger Knabe!"
Das war er auch. Seine Augen sahen wie zwei klare Sterne aus, und obgleich das Wasser aus seinen gelben Locken herabfloss, ringelten sie sich doch. Er sah aus wie ein kleines Engelskind, war aber bleich vor Kälte und zitterte über den ganzen Körper. In der Hand trug er einen herrlichen Bogen, aber der war vom Regen ganz verdorben, alle Farben auf den schönen Pfeilen liefen vom nassen Wetter in einander.
Der alte Dichter setzte sich an den Ofen, nahm den kleinen Knaben auf seinen Schoß, drückte das Wasser aus seinen Locken, wärmte ihm die Hände in den seinen und kochte ihm süßen Wein. Da erholte er sich, bekam rote Wangen, sprang auf den Fußboden nieder und tanzte rings um den alten Dichter herum.
"Du bist ein lustiger Knabe!" sagte der Alte. "Wie heißt du!"
"Ich heiße Amor!" erwiderte er. "Kennst du mich nicht? Dort liegt mein Bogen; glaube mir, damit schieße ich! Sieh, nun wird das Wetter draußen wieder gut, der Mond scheint."
"Aber Dein Bogen ist verdorben!" sagte der alte Dichter." "Das wäre schlimm!" sagte der kleine Knabe, nahm ihn auf und besah ihn. "O, der ist ganz trocken, der hat gar keinen Schaden gelitten; die Sehne sitzt ganz stramm; nun werde ich ihn probieren!" Dann spannte er ihn, legte einen Pfeil darauf, zielte und schoss dem guten alten Dichter gerade in das Herz: "Siehst du wohl, dass mein Bogen nicht verdorben war?" sagte er, lachte ganz laut und lief seines Weges. Der unartige Knabe, so den alten Dichter zu schießen, der ihn in die warme Stube hereingenommen, so gut gegen ihn gewesen war und ihm den schönsten Wein und die besten Äpfel gegeben hatte.
Der gute Dichter lag auf dem Fußboden und weinte, er war wirklich gerade in das Herz geschossen: "Pfui! was ist dieser Amor für ein unartiger Knabe, das werde ich allen guten Kindern erzählen, damit sie sich in Acht nehmen können und nie mit ihm spielen, denn er tut ihnen etwas zu Leide!"
Alle guten Kinder, Mädchen und Knaben, welche er dieses Erzählte, nahmen sich auch vor dem bösen Amor in Acht, aber er führte sie doch an, denn er ist schlau. Wenn die Studenten von den Vorlesungen kommen, läuft er ihnen zur Seite, mit einem Buche unter dem Arm und hat einen schwarzen Rock an. Sie können ihn gar nicht erkennen, und dann fassen sie ihn unter dem Arm und glauben, dass er auch ein Student sei, aber dann sticht er ihnen den Pfeil in die Brust. Wenn die Mädchen vor dem Prediger kommen und wenn sie eingesegnet werden, so ist er auch hinter ihnen.

Ja, er ist immer hinter den Leuten her! Er sitzt in der großen Lampenkrone im Theater und brennt lichterloh, so dass die Leute glauben, er sei eine Lampe, aber später sehen sie den Irrtum ein. Er läuft im Schlossgarten und auf den Wällen umher, ja, er hat auch einen deinem Vater und deiner Mutter gerade in das Herz geschossen! Frage sie nur danach, so wirst du hören, was sie sagen. Ja, es ist ein böser Knabe, dieser Amor, mit ihm musst du nie etwas zu schaffen haben; er ist hinter Jedermann her. Denk einmal, er schoss sogar einmal einen Pfeil auf die alte Großmutter ab, aber das ist lange her, dass es geschehen ist. Die Wunde ist zwar geheilt, doch vergisst sie es nie. Pfui, der böse Amor! Aber nun kennst du ihn und weißt, was er für ein unartiger Knabe ist!

Hans Christian Andersen

Donnerstag, 13. Juni 2013

Zwerg im Märchen



sitzend in den pergen, geleich den twergen, 
zwair daum prait, ellen langk
Versroman Herzog ernst 1180

DAS MÄRCHEN VOM ZWERG 
Paul Klee 1925


DAS LIED DES ZWERGES
 
Meine Seele ist vielleicht grad und gut;
aber mein Herz, mein verbogenes Blut,
alles das, was mir wehe tut,
kann sie nicht aufrecht tragen.
Sie hat keinen Garten, sie hat kein Bett,
sie hängt an meinem scharfen Skelett
mit entsetztem Flügelschlagen.
Aus meinen Händen wird auch nichts mehr.
Wie verkümmert sie sind: sieh her:
zähe hüpfen sie, feucht und schwer,
wie kleine Kröten nach Regen.
Und das Andre an mir ist
abgetragen und alt und trist;
warum zögert Gott, auf den Mist
alles das hinzulegen.

Ob er mir zürnt für mein Gesicht
mit dem mürrischen Munde?
Es war ja so oft bereit, ganz licht
und klar zu werden im Grunde;
aber nichts kam ihm je so dicht
wie die großen Hunde.
Und die Hunde haben das nicht.

Rainer Maria Rilke
Aus: Das Buch der Bilder 

Hubertus Giebe Zwerg II

Und hier ein deutscher Puck?
 
Der Zwerg
 
Es lebt nicht fern von hier auf einem hohen Berg
Ein Mann, an Geiste groß, an Körper nur ein Zwerg,
Der kennet manches Kraut, manch zauberische Tinte,
Vor dem flieht jedermann wie Vögel vor der Flinte,
Und wie manch altes Weib in dieser Gegend weiß,
Verwandelt er sich bald in eine schwarze Geiß,
Bald in ein Schaf, bald in ein Rind, doch glänzet immer
In jeglicher Gestalt um seinem Haupt ein Schimmer;
Des Gnomen Tück ist nichts zu groß und nichts zu klein,
Er macht den Baur zum Fuchs, den Clericus zum Schwein,
Kein Amt, kein Stand ist seiner Rachbegier zu heilig,
Er neckt und quälet jeden, flieht man noch so eilig,
Er steht im Bunde mit dem leidgen Höllenhund,
Drum hütet euch vor ihm, zur Warnung mach ichs kund.
 
Franz Grillparzer
Den 28ten Oktober 1807
 
Wiki schreibt: Die im Hochmittelalter begonnene Diabolisierung 
der Zwerge nahm im Laufe der Zeit immer mehr zu. So wurden 
die Zwerge im 16. Jahrhundert von christlichen Theologen 
allgemein für gefallene Engel gehalten, die sich nur nicht völlig 
in Teufel verwandelt hätten, weil sie, als bloß Verführte, bei ihrem 
Sturz an Bergen und Bäumen hängen geblieben seien. 
 
 Hof-Zwerg Don Antonio el Ingles
Diego Velaquez 1640
 
Es gibt auch ein wunderbares Bild von Carl Spitzweg: Gnom,
die Eisenbahn betrachtend, Mythos trifft Neuzeit!
 
161.
Schneeweißchen und Rosenroth.
Eine arme Wittwe, die lebte einsam in einem Hüttchen, und vor dem Hüttchen war ein Garten, darin standen zwei Rosenbäumchen, davon trug das eine weiße, das andere rothe Rosen: und sie hatte zwei Kinder, die glichen den beiden Rosenbäumchen, und das eine hieß Schneeweißchen, das andere Rosenroth. Sie waren aber so fromm und gut, so arbeitsam und unverdrossen, als je zwei Kinder auf der Welt gewesen sind: Schneeweißchen war nur stiller und sanfter als Rosenroth. Rosenroth sprang lieber in den Wiesen und Feldern umher, suchte Blumen und fieng Sommervögel: Schneeweißchen aber saß daheim bei der Mutter, half ihr im Hauswesen, oder las ihr vor, wenn nichts zu thun war. Die beiden Kinder hatten einander so lieb, daß sie sich immer an den Händen faßten, so oft sie zusammen aus giengen, und wenn Schneeweißchen sagte „wir wollen uns nicht verlassen,“ so antwortete Rosenroth „so lange wir leben nicht,“ und die Mutter setzte hinzu „was das eine hat solls mit dem andern theilen.“ Oft liefen sie im Walde allein umher, und sammelten rothe Beeren, aber kein Thier that ihnen etwas zu leid, sondern sie kamen vertraulich herbei: das Häschen fraß ein Kohlblatt aus ihren Händen; das Reh graste an ihrer Seite; der Hirsch sprang ganz lustig vorbei; die Vögel blieben auf den Aesten sitzen, und sangen was sie wußten. Kein Unfall traf sie: wenn sie sich im Walde verspätet hatten und die Nacht sie überfiel, so legten sie sich nebeneinander auf das Moos und schliefen bis der Morgen kam, und die Mutter wußte das, und hatte ihrentwegen keine Sorge. Einmal, als sie im Walde übernachtet hatten, und das Morgenroth sie aufweckte, da sahen sie ein schönes Kind in einem weißen glänzenden Kleidchen neben ihrem Lager sitzen. Es stand auf, und blickte sie ganz freundlich an, sprach aber nichts, und gieng in den Wald hinein. Und als sie sich umsahen, so hatten sie ganz nahe bei einem Abgrunde geschlafen, und wären gewiß hinein gefallen, wenn sie in der Dunkelheit noch ein paar Schritte weiter gegangen wären. Die Mutter aber sagte ihnen das müste der Engel gewesen seyn, der gute Kinder bewache.
Schneeweißchen und Rosenroth hielten das Hüttchen der Mutter so reinlich, daß es eine Freude war hinein zu schauen. Im Sommer besorgte Rosenroth das Haus, und stellte der Mutter jeden Morgen, ehe sie aufwachte, einen Blumenstrauß vors Bett, darin war von jedem Bäumchen eine Rose. Im Winter zündete Schneeweißchen das Feuer an, und hieng den Kessel an den Feuerhacken, und der Kessel war von Messing, glänzte aber wie Gold, so rein war er gescheuert. Abends, wenn die Flocken fielen, sagte die Mutter „geh, Schneeweißchen, und schieb den Riegel vor,“ und dann setzten sie sich an den Herd, und die Mutter nahm die Brille, und las aus einem großen Buche vor, und die beiden Mädchen hörten zu, saßen und spannen; neben ihnen lag ein Lämmchen auf dem Boden, und hinter ihnen auf einer Stange saß ein weißes Täubchen, und hatte seinen Kopf unter den Flügel gesteckt.
Eines Abends, als sie so vertraulich beisammen saßen, klopfte jemand an die Thüre, als wollte er eingelassen seyn. Die Mutter sprach „geschwind, Rosenroth, mach auf, es wird ein Wanderer seyn, der Obdach sucht.“ Rosenroth gieng, und schob den Riegel weg, aber statt daß ein Mensch gekommen wäre, streckte ein Bär seinen dicken schwarzen Kopf zur Thüre herein. Rosenroth schrie laut, und sprang zurück; das Lämmchen blöckte, das Täubchen flatterte auf, und Schneeweißchen versteckte sich hinter der Mutter Bett. Der Bär aber fieng an zu sprechen, und sagte „fürchtet euch nicht, ich thue euch nichts zu leid, ich bin halb erfroren, und will mich nur ein wenig bei euch wärmen.“ „Ei, du armer Bär,“ sprach die Mutter, „leg dich ans Feuer, und gib nur acht daß dir dein Pelz nicht brennt.“ Dann rief sie „Schneeweißchen, Rosenroth, kommt hervor, der Bär thut euch nichts, er meints ehrlich.“ Da kamen sie beide heran, und nach und nach näherten sich auch das Lämmchen und Täubchen, und hatten keine Furcht mehr. Der Bär sprach „ihr Kinder, klopft mir den Schnee ein wenig aus dem Pelzwerk,“ und sie holten den Besen, und kehrten dem Bär das Fell rein, er aber streckte sich ans Feuer, und brummte ganz vergnügt und behaglich. Nicht lange, so wurden sie ganz vertraut, und trieben Muthwillen mit dem unbeholfenen Gast, zausten ihm das Fell mit den Händen, setzten ihre Füßchen auf seinen Rücken, und walgerten ihn hin und her, oder nahmen eine Haselruthe und schlugen auf ihn los, und wenn er brummte, so lachten sie. Der Bär ließ sichs aber gerne gefallen, nur wenn sies gar zu arg machten, rief er „laßt mich am Leben, ihr Kinder:
Schneeweißchen, Rosenroth,
schlägst dir den Freier todt.“

Als Schlafenszeit war, und die andern zu Bett giengen, sagte die Mutter zu dem Bär „du kannst in Gottes Namen da am Herde liegen bleiben, so bist du vor der Kälte und dem bösen Wetter geschützt.“ Als der Tag graute, ließen ihn die beiden Kinder hinaus, und er trabte über den Schnee in den Wald hinein. Von nun an kam der Bär jeden Abend zu der bestimmten Stunde, legte sich an den Herd, und erlaubte den Kindern Kurzweil mit ihm zu treiben, so viel sie wollten; und sie waren so gewöhnt an ihn, daß die Thüre nicht eher zugeriegelt wurde, als bis der schwarze Gesell angelangt war.
Als das Frühjahr heran gekommen und draußen alles grün war, sagte der Bär eines Morgens zu Schneeweißchen „nun muß ich fort, und darf den ganzen Sommer nicht wieder kommen.“ „Wo gehst du denn hin, lieber Bär?“ fragte Schneeweißchen. „Ich muß in den Wald und meine Schätze vor den bösen Zwergen hüten: im Winter, wenn die Erde hart gefroren ist, müssen sie wohl unten bleiben und können sich nicht durcharbeiten, aber jetzt, wenn die Sonne die Erde aufgethaut und erwärmt hat, da brechen sie durch, steigen herauf, suchen und stehlen: und was einmal in ihren Händen ist und in ihren Höhlen liegt, das kommt so leicht nicht wieder an des Tages Licht.“ Schneeweißchen war ganz traurig über den Abschied, und riegelte ihm die Thüre auf, und als der Bär sich hinaus drängte, blieb er an dem Thürhacken hängen, und ein Stück seiner Haut riß auf, und da war es Schneeweißchen, als hätte es Gold durchschimmern gesehen: aber es war seiner Sache nicht gewiß, weil der Bär eilig fort lief und bald hinter den Bäumen verschwunden war.
Nach einiger Zeit schickte die Mutter die Kinder in den Wald Reisig zu sammeln. Da fanden sie draußen einen großen Baum, der lag gefällt auf dem Boden, und an dem Stamme sprang zwischen dem Gras etwas auf und ab, sie konnten aber nicht unterscheiden was es war. Als sie näher kamen, sahen sie einen Zwerg mit einem alten verwelkten Gesicht und einem ellenlangen schneeweißen Bart. Das Ende des Bartes war in eine Spalte des Baums eingeklemmt, und der Kleine sprang hin und her wie ein Hündchen an einem Seil, und wußte nicht wie er sich helfen sollte. Er glotzte die Mädchen mit seinen rothen feurigen Augen an, und schrie „was steht ihr da! könnt ihr nicht herbei gehen und mir Beistand leisten?“ „Was hast du angefangen, kleines Männchen?“ fragte Rosenroth. „Dumme neugierige Gans,“ antwortete der Zwerg, „den Baum habe ich mir spalten wollen, um kleines Holz in der Küche zu haben; bei den dicken Klötzen verbrennt gleich das Bischen Speise, das unser einer braucht, der nicht so viel hinunter schlingt als ihr, grobes Volk. Ich hatte einen Keil hinein getrieben, und es wäre alles nach Wunsch gegangen, aber das verwünschte Holz war zu glatt, und sprang unversehens heraus, und der Baum fuhr so geschwind zusammen, daß ich meinen schönen weißen Bart nicht mehr herausziehen konnte; nun steckt er drinn, und ich kann nicht fort. Da lachen die albernen glatten Milchgesichter! pfui, was seyd ihr garstig!“ Die Kinder gaben sich alle Mühe, aber sie konnten den Bart nicht heraus ziehen, er steckte zu fest. „Ich will laufen, und Leute herbei holen“ sagte Rosenroth. „Wahnsinnige Schafsköpfe,“ schnarrte der Zwerg, „wer wird gleich Leute herbeirufen, ihr seyd mir schon um zwei zu viel; fällt euch nicht besseres ein?“ „Sey nur nicht ungeduldig,“ sagte Schneeweißchen, „ich will schon Rath schaffen,“ und holte sein Scheerchen aus der Tasche, und schnitt das Ende des Bartes ab. Sobald der Zwerg sich frei fühlte, griff er nach einem Sack, der zwischen den Wurzeln des Baums steckte, und mit Gold gefüllt war, hob ihn heraus, und brummte vor sich hin „ungehobeltes Volk, schneidet mir ein Stück von meinem stolzen Barte ab! lohns euch der Guckguck!“ damit schwang er seinen Sack auf den Rücken, und gieng fort ohne die Kinder nur noch einmal anzusehen.
Einige Zeit danach wollten Schneeweißchen und Rosenroth ein Gericht Fische angeln. Als sie auf den Bach zu giengen, sahen sie daß etwas wie eine große Heuschrecke nach dem Wasser zu hüpfte, als wollte es hinein springen. Sie liefen heran, und erkannten den Zwerg. „Wo willst du hin?“ sagte Rosenroth, „du willst doch nicht ins Wasser?“ „Solch ein Narr bin ich nicht,“ schrie der Zwerg, „seht ihr nicht, der verwünschte Fisch will mich hinein ziehen?“ Der Kleine hatte da gesessen und geangelt, und unglücklicher Weise hatte der Wind seinen Bart mit der Angelschnur verflochten: als gleich darauf ein großer Fisch anbiß, fehlten dem Zwerg die Kräfte ihn herauszuziehen, der Fisch behielt die Oberhand, und riß den Zwerg zu sich hin. Zwar hielt er sich an allen Halmen und Binsen, aber das half nicht viel, er mußte den Bewegungen des Fisches folgen, und war in beständiger Gefahr ins Wasser gezogen zu werden. Die Mädchen kamen zu rechter Zeit, hielten ihn fest, und versuchten den Bart von der Schnur loszumachen, aber vergebens, Bart und Schnur waren fest in einander verwirrt. Es blieb nichts übrig, als das Scheerchen hervor zu holen und den Bart abzuschneiden: dabei gieng ein kleiner Theil desselben verloren. Als der Zwerg das sah, schrie er sie an, „ist das Manier, ihr Lorche, einem das Gesicht zu schänden! nicht genug, daß ihr mir den Bart unten abgestutzt habt, jetzt schneidet ihr mir den besten Theil davon ab: ich darf mich vor den Meinigen gar nicht sehen lassen. Daß ihr laufen müßtet und die Schuhsohlen verloren hättet!“ Dann holte er einen Sack Perlen, der im Schilfe lag, und ohne ein Wort weiter zu sagen, schleppte er ihn fort, und verschwand hinter einem Stein.
Es trug sich zu, daß bald hernach die Mutter die beiden Mädchen nach der Stadt schickte, Zwirn, Nadeln, Schnüre und Bänder einzukaufen. Der Weg führte sie über eine Heide, auf der hier und da mächtige Felsenstücke zerstreut lagen, da sahen sie einen großen Vogel in der Luft schweben, der langsam über ihnen kreiste, sich immer tiefer herab senkte, und endlich nicht weit bei einem Felsen niederstieß. Gleich darauf hörten sie einen durchdringenden, jämmerlichen Schrei. Sie liefen herzu, und sahen mit Schrecken daß der Adler ihren alten Bekannten, den Zwerg, gepackt hatte und ihn forttragen wollte. Die mitleidigen Kinder hielten gleich das Männchen fest, und zerrten sich so lange mit dem Adler herum, bis er seine Beute fahren ließ. Als der Zwerg sich von dem ersten Schrecken erholt hatte, sprach er „konntet ihr nicht säuberlicher mit mir umgehen, gerissen habt ihr an meinem dünnen Röckchen daß es überall zerfetzt und durchlöchert ist, unbeholfenes und täppisches Gesindel das ihr seyd!“ Dann nahm er einen Sack mit Edelsteinen, und schlüpfte wieder unter den Felsen in seine Höhle. Die Mädchen waren an seinen Undank schon gewöhnt, setzten ihren Weg fort, und verrichteten ihr Geschäft in der Stadt. Als sie beim Heimweg wieder auf die Heide kamen, überraschten sie den Zwerg, der auf einem reinlichen Plätzchen seinen Sack mit Edelsteinen ausgeschüttet und nicht gedacht hatte daß so spät noch jemand daher kommen würde. Die Abendsonne schien über die glänzenden Steine, und sie schimmerten und leuchteten so prächtig in allen Farben, daß die Kinder stehen blieben, und sie betrachteten. „Was steht ihr da, und habt Maulaffen feil!“ schrie der Zwerg, und sein aschgraues Gesicht ward zinnoberroth vor Zorn. Er wollte mit seinen Scheltworten fortfahren, als sich ein lautes Brummen hören ließ, und ein schwarzer Bär aus dem Walde herbei trabte. Erschrocken sprang der Zwerg auf, aber er konnte nicht mehr zu seinem Schlupfwinkel gelangen, der Bär war schon in seiner Nähe. Da rief er in Herzensangst „lieber Herr Bär, verschont mich, ich will euch alle meine Schätze geben, seht, die schönen Edelsteine, die da liegen. Schenkt mir das Leben, was habt ihr an mir kleinen schmächtigen Kerl? ihr spürt mich nicht zwischen den Zähnen: da die beiden gottlosen Mädchen packt, das sind für euch zarte Bissen, fett wie junge Wachteln, die freßt in Gottes Namen.“ Der Bär kümmerte sich um seine Worte nicht, gab dem boshaften Geschöpf einen einzigen Schlag mit der Tatze, und es regte sich nicht mehr.
Die Mädchen waren fortgesprungen, aber der Bär rief ihnen nach „Schneeweißchen, Rosenroth, fürchtet euch nicht, wartet, ich will mit euch gehen.“ Da erkannten sie seine Stimme, und blieben stehen, und als der Bär bei ihnen war, fiel plötzlich die Bärenhaut ab, und er stand da als ein schöner Mann, und war ganz in Gold gekleidet. Er sagte „ich bin eines Königs Sohn, und war von dem gottlosen Zwerg, der mir meine Schätze gestohlen hatte, verwünscht als ein wilder Bär in dem Walde zu laufen, bis ich durch seinen Tod erlöst würde. Jetzt hat er seine wohlverdiente Strafe empfangen.“
Schneeweißchen wurde mit ihm, und Rosenroth mit seinem Bruder vermählt, und sie theilten die großen Schätze mit einander, die der Zwerg in seiner Höhle zusammen getragen hatte. Die alte Mutter lebte noch lange Jahre ganz glücklich bei ihren Kindern. Die zwei Rosenbäumchen aber nahm sie mit, und sie standen vor ihrem Fenster, und trugen jedes Jahr die schönsten Rosen, weiß und roth.
 
Gebrüder Grimm Märchen 3. Auflage


Freitag, 11. Januar 2013

Blaubart, ein Märchen in drei Variationen

 

Blaubart  

(Gebrüder Grimm)


In einem Walde lebte ein Mann, der hatte drei Söhne und eine schöne Tochter. Einmal kam ein goldener Wagen mit sechs Pferden und einer Menge Bedienten angefahren, hielt vor dem Haus still, und ein König stieg aus und bat den Mann, er möchte ihm seine Tochter zur Gemahlin geben. Der Mann war froh, dass seiner Tochter ein solches Glück widerfuhr, und sagte gleich ja; es war auch an dem Freier gar nichts auszusetzen, als dass er einen ganz blauen Bart hatte, so dass man einen kleinen Schrecken kriegte, sooft man ihn ansah. Das Mädchen erschrak auch anfangs davor und scheute sich, ihn zu heiraten, aber auf Zureden ihres Vaters willigte es endlich ein. Doch weil es so eine Angst fühlte, ging es erst zu seinen drei Brüdern, nahm sie allein und sagte: "Liebe Brüder, wenn ihr mich schreien hört, wo ihr auch seid, so lasst alles stehen und liegen und kommt mir zu Hülfe." Das versprachen ihm die Brüder und küssten es. "Leb wohl, liebe Schwester, wenn wir deine Stimme hören, springen wir auf unsere Pferde und sind bald bei dir." Darauf setzte es sich in den Wagen zu dem Blaubart und fuhr mit ihm fort. Wie es in sein Schloss kam, war alles prächtig, und was die Königin nur wünschte, das geschah, und sie wären recht glücklich gewesen, wenn sie sich nur an den blauen Bart des Königs hätte gewöhnen können, aber immer, wenn sie den sah, erschrak sie innerlich davor. Nachdem das einige Zeit gewährt, sprach er: "Ich muss eine große Reise machen, da hast du die Schlüssel zu dem ganzen Schloss, du kannst überall aufschließen und alles besehen, nur die Kammer, wozu dieser kleine goldene Schlüssel gehört, verbiet ich dir; schließt du die auf, so ist dein Leben verfallen." Sie nahm die Schlüssel, versprach ihm zu gehorchen, und als er fort war, Schloss sie nacheinander die Türen auf und sah so viel Reichtümer und Herrlichkeiten, dass sie meinte, aus der ganzen Welt wären sie hier zusammengebracht. Es war nun nichts mehr übrig als die verbotene Kammer, der Schlüssel war von Gold, da gedachte sie, in dieser ist vielleicht das Allerkostbarste verschlossen; die Neugierde fing an, sie zu plagen, und sie hätte lieber all das andere nicht gesehen, wenn sie nur gewusst, was in dieser wäre. Eine Zeitlang widerstand sie der Begierde, zuletzt aber ward diese so mächtig, dass sie den Schlüssel nahm und zu der Kammer hinging: "Wer wird es sehen, dass ich sie öffne", sagte sie zu sich selbst, "ich will auch nur einen Blick hineintun." Da Schloss sie auf, und wie die Türe aufging, schwamm ihr ein Strom Blut entgegen, und an den Wänden herum sah sie tote Weiber hängen, und von einigen waren nur die Gerippe noch übrig. Sie erschrak so heftig, dass sie die Türe gleich wieder zuschlug, aber der Schlüssel sprang dabei heraus und fiel in das Blut. Geschwind hob sie ihn auf und wollte das Blut abwischen, aber es war umsonst, wenn sie es auf der einen Seite abgewischt, kam es auf der andern wieder zum Vorschein; sie setzte sich den ganzen Tag hin und rieb daran und versuchte alles mögliche, aber es half nichts, die Blutflecken waren nicht herab zu bringen; endlich am Abend legte sie ihn ins Heu, das sollte in der Nacht das Blut ausziehen. Am andern Tag kam der Blaubart zurück, und das erste war, dass er die Schlüssel von ihr forderte; ihr Herz schlug, sie brachte die andern und hoffte, er werde es nicht bemerken, dass der goldene fehlte. Er aber zählte sie alle, und wie er fertig war, sagte er: "Wo ist der zu der heimlichen Kammer?" Dabei sah er ihr in das Gesicht. Sie ward blutrot und antwortete: "Er liegt oben, ich habe ihn verlegt, morgen will ich ihn suchen." "Geh lieber gleich, liebe Frau, ich werde ihn noch heute brauchen." "Ach ich will dir's nur sagen, ich habe ihn im Heu verloren, da muss ich erst suchen." "Du hast ihn nicht verloren", sagte der Blaubart zornig, "du hast ihn dahin gesteckt, damit die Blutflecken herausziehen sollen, denn du hast mein Gebot übertreten und bist in der Kammer gewesen, aber jetzt sollst du hinein, wenn du auch nicht willst." Da musste sie den Schlüssel holen, der war noch voller Blutflecken.

"Nun bereite dich zum Tode, du sollst noch heute sterben", sagte der Blaubart, holte sein großes Messer und führte sie auf den Hausehrn. "Lass mich nur noch vor meinem Tod mein Gebet tun", sagte sie. "So geh, aber eil dich, denn ich habe keine Zeit lang zu warten." Da lief sie die Treppe hinauf und rief, so laut sie konnte, zum Fenster hinaus: "Brüder, meine lieben Brüder, kommt, helft mir!" Die Brüder saßen im Wald beim kühlen Wein, da sprach der jüngste: "Mir ist, als hätte ich unserer Schwester Stimme gehört; auf! wir müssen ihr zu Hülfe eilen!" Da sprangen sie auf ihre Pferde und ritten, als wären sie der Sturmwind. Ihre Schwester aber lag in Angst auf den Knien; da rief der Blaubart unten: "Nun, bist du bald fertig?" Dabei hörte sie, wie er auf der untersten Stufe sein Messer wetzte; sie sah hinaus, aber sie sah nichts als von Ferne einen Staub, als käme eine Herde gezogen. Da schrie sie noch einmal: "Brüder, meine lieben Brüder! kommt, helft mir!" Und ihre Angst ward immer größer. Der Blaubart aber rief: "Wenn du nicht bald kommst, so hol ich dich, mein Messer ist gewetzt!" Da sah sie wieder hinaus und sah ihre drei Brüder durch das Feld reiten, als flögen sie wie Vögel in der Luft, da schrie sie zum dritten Mal in der höchsten Not und aus allen Kräften: "Brüder, meine lieben Brüder! kommt, helft mir!" Und der jüngste war schon so nah, dass sie seine Stimme hörte: "Tröste dich, liebe Schwester, noch einen Augenblick, so sind wir bei dir!" Der Blaubart aber rief: "Nun ist's genug gebetet, ich will nicht länger warten, kommst du nicht, so hol ich dich!" "Ach! nur noch für meine drei lieben Brüder lass mich beten." Er hörte aber nicht, kam die Treppe herauf gegangen und zog sie hinunter, und eben hatte er sie an den Haaren gefasst und wollte ihr das Messer in das Herz stoßen, da schlugen die drei Brüder an die Haustüre, drangen herein und rissen sie ihm aus der Hand, dann zogen sie ihre Säbel und hieben ihn nieder. Da ward er in die Blutkammer aufgehängt zu den andern Weibern, die er getötet, die Brüder aber nahmen ihre liebste Schwester mit nach Haus, und alle Reichtümer des Blaubarts gehörten ihr.

Gustav Dore

Blaubart - La barbe bleu

(Charles Perrault)

Es war einmal ein Ritter, der besaß viele Häuser in der Stadt und viele Schlösser auf dem Lande und silbernes und goldenes Tafelgeschirr und Möbel voll kostbarer Stickereien und vergoldete Karossen und Kasten voll Geld – aber er besaß auch einen blauen Bart, und das gab ihm ein so abstoßendes Aussehen, daß Weiber und Mädchen ihn weder leiden noch sehen mochten.
Eine seiner Nachbarinnen, eine vornehme, aber arme Dame, hatte zwei sehr schöne Töchter. Er warb bei ihr, es der Mutter überlassend, welche von beiden sie ihm geben wolle. Sie mochten aber alle beide von dieser Partie nichts wissen, und eine wollte ihn der andern aufreden, da sich keine entschließen konnte, einen Mann mit blauem Barte zu heiraten. Auch hatte es etwas Abschreckendes, daß Blaubart schon mehrere Male verheiratet gewesen und daß man nicht wußte, was aus seinen bisherigen Frauen geworden. Es war das jedenfalls ein verdächtiger Umstand.
Blaubart aber kannte die Weiber und die Mittel, ihnen die Köpfe zu verdrehen. Er lud die Mutter und die Töchter samt einigen ihrer Freundinnen und mehrere junge Männer auf eines seiner Schlösser, wo man sich durch acht Tage aufs angenehmste unterhielt. Da ging es hoch und lustig her; nichts als Landpartien, Bälle, Mahlzeiten, Gesellschaftsspiele, Neckereien, dazu wohlangebrachte Geschenke an die Mädchen wie an die Mutter und an die Freundinnen, die auf die Schwestern am meisten Einfluß hatten. Kurz, nach acht Tagen fand die jüngere Schwester, daß der Bart ihres Wirtes nur bläulich, nicht blau, 
und daß er selbst im ganzen und großen ein recht galanter Ritter und höchst 
annehmbarer Ehemann sei. Wenige Wochen nach diesen Lustbarkeiten war Hochzeit.
Nach Verlauf des Honigmondes sagte Blaubart zu seiner Frau: »Ich muß in sehr wichtiger Angelegenheit eine längere Reise machen, die mich wohl sechs Wochen lang von dir, mein Engel, und von meinem jungen Glücke trennen wird. Betrübe dich darum nicht allzusehr; im Gegenteil, lasse deine Freundinnen kommen und unterhalte dich während meiner Abwesenheit so gut als möglich. Hier übergebe ich dir die Schlüssel zu meinen Vorrats- und Schatzkammern, denn was mir gehört, gehört dir, und schalte und walte du damit nach Belieben. Dieser Schlüssel führt zum Saal der Gold- und Silbergeschirre, die man nicht täglich braucht, dieser zu meinen Kassen voll Gold und Silber, dieser zu den Kisten, in denen ich meine Diamanten aufbewahre, und dieser hier ist der Hauptschlüssel, der alle Türen öffnet. Was nun dieses kleine Schlüsselchen betrifft, so führt es in das kleine Gemach am Ende der großen Galerie. Gehe du überall hin, wohin es dir beliebt, öffne alle Türen, wie du willst, aber ich verbiete dir aufs strengste, in jenes kleine Kabinett einzutreten. Sollte es dir dennoch begegnen, daß du es öffnest, so wisse, daß du von meinem Zorne das Schrecklichste zu erwarten hast.« Sie versprach und beteuerte, seine Verordnungen aufs gewissenhafteste zu beobachten. Er umarmte sie zärtlich, stieg zu Roß und ritt davon. Die Nachbarinnen, Gevatterinnen und Freundinnen warteten nicht, bis man sie abholte. Kaum war Blaubart abgeritten, als sie schon herbeikamen, neugierig, wie sie waren, alle Reichtümer und Herrlichkeiten der jungen Frau zu sehen, während sie bisher nicht gewagt hatten, sie zu besuchen, aus Furcht vor dem blauen Barte. Da liefen sie nun voll Neugierde durch Zimmer und Zimmerchen, durch Säle und Sälchen und Schatzkammern und konnten sich nicht genug verwundern, und manche beneidete die glückliche Blaubärtin. Diese Tapisserien, diese Sofas, diese Lehnstühle, diese ausgelegten Tische – es war alles über alle Beschreibung reich und schön, jedes Kabinettchen ein Grünes Gewölbe. Am schönsten aber waren die großen Spiegel mit den prächtigen Rahmen, in denen das häßlichste Frauenzimmer reizend aussah. Sie waren alle wie berauscht von den schönen Sachen, und manche bedauerten, daß es nicht noch viele solche Blaubärte in der Welt gab. Am wenigsten unterhielt sich bei all dem die Beneidete, die Frau des Hauses selbst. Sie war zerstreut, sie konnte es nicht erwarten, hinabzusteigen in die Galerien und das kleine Kabinett zu öffnen. Die Neugierde verzehrte sie, und am Ende hielt sie es nicht länger aus, verließ unartigerweise ihre Gesellschaft und schlüpfte über die verborgene Wendeltreppe so schnell hinab, daß sie zwei- oder dreimal in Gefahr war, den Hals zu brechen. Erst vor der Türe des kleinen Kabinetts kam sie einigermaßen zur Besinnung und überlegte, ob es auch recht sei, die Verbote des Gatten so sehr außer acht zu lassen, und ob ihr aus ihrem Ungehorsam nicht etwelches Unglück erwachsen könne. Sie erinnerte sich des Gesichtes, das Blaubart gemacht hatte, als er ihr einschärfte, das Kabinett nicht zu öffnen, und sie schauderte. Aber die Versuchung war zu groß. Sie konnte nicht widerstehen – und schon hielt sie das kleine Schlüsselchen in der Hand, und schon hatte sie, obwohl zitternd, die Türe geöffnet.
Zuerst sah sie nichts, gar nichts, weil die Fenster geschlossen waren. Nach einigen Minuten sah sie, daß der Boden mit geronnenem Blut bedeckt war und in dem Zimmer tote Frauen lagen. Es waren das die Frauen, die Blaubart früher geheiratet und die er alle, eine nach der andern, umgebracht hatte. Sie war halb tot vor Schrecken, und das Schlüsselchen, das sie aus dem Schlosse gezogen., entfiel ihren Händen.
Nachdem sie sich wieder gefaßt, hob sie das Schlüsselchen auf, schloß die Türe und lief in ihr Zimmer, um sich zu sammeln und von ihrem Schrecken zu erholen. Aber das wollte ihr nicht gelingen, so sehr erschrocken und aufgeregt war sie. Da sie bemerkte, daß das Schlüsselchen mit Blut befleckt war, wischte sie es zwei- und dreimal ab, aber das Blut wollte nicht weichen. Sie mochte es noch so sehr waschen und mit Sand und Bimsstein reiben, der Blutfleck blieb nach wie vor, denn der Schlüssel war ein Zauberschlüssel, da half nichts. Und wenn der Blutfleck an einer Stelle verschwand, kam er an einer andern wieder zum Vorschein. Blaubart kehrte noch am selben Abend von der Reise zurück und erzählte, daß er durch Briefe, die er unterwegs erhalten, in Erfahrung gebracht, daß die Reise überflüssig und daß seine Angelegenheiten aufs beste geordnet seien. 
Seine Frau tat alles mögliche, um ihn glauben zu machen, daß sie über seine frühe Rückkehr hocherfreut sei.

Am nächsten Morgen verlangte er die Schlüssel zurück. Sie übergab sie ihm, 
aber mit so arg bebenden Händen, daß er leicht erriet, was geschehen war. 
»Wie kommt es«, fragte er, »daß der kleine Schlüssel zum Kabinett hier fehlt?«
»Ich werde ihn wohl oben auf dem Tische haben liegenlassen.«
»Vergiß nicht, mir ihn alsbald zu bringen«, sagte Blaubart.
Sie schob es mehrere Male auf, aber am Ende mußte sie den Schlüssel denn doch herbeibringen. Blaubart betrachtete ihn und sagte dann: »Wie kommt Blut an diesen Schlüssel?« »Ich weiß es nicht«, antwortete das arme Weib, blaß wie der Tod.
»Du weißt es nicht«, schrie Blaubart, »ich aber weiß es, ich! Du wolltest in das Kabinett! Nun wohl, du sollst deinen Willen haben, du wirst hineinkommen in dieses Kabinett und wirst deinen Platz einnehmen neben den Damen, die du dort zu sehen das Vergnügen hattest. Sie warf sich ihm zu Füßen, weinte und bat um Verzeihung und Gnade mit allen Zeichen der Reue. Sie weinte, wie man sich denken kann, vergebens, denn Blaubart hatte ein Herz von Stein. »Du mußt sterben«, sagte er gefaßt, »und zwar gleich.«
»Wenn ich schon sterben muß«, sagte sie mit vor Tränen zitternder Stimme, »so laß mir nur so viel Zeit, um mein Gebet verrichten zu können.« »Ich gewähre dir eine halbe Viertelstunde und keine Minute mehr.« Als er sie allein ließ, rief sie ihre Schwester und sagte zu dieser: »Schwester Anna, ich bitte dich, steige auf den Turm, so hoch du kannst, und sieh, ob nicht meine Brüder kommen. Sie haben sich auf heute zu Besuch angesagt, und wenn du sie kommen siehst, mache ihnen Zeichen, daß sie sich beeilen.«
Schwester Anna stieg auf den Turm, so hoch sie konnte, und die arme Betrübte rief von Zeit zu Zeit zu ihr hinauf: »Anna, Schwester Anna, siehst du nichts kommen?«
Und Schwester Anna antwortete: »Ich sehe nur die Sonne, die schimmert, und das grüne Gras, das glitzert.« Unterdessen stand Blaubart, mit einem großen Messer in der Hand, unten und rief aus Leibeskräften seiner Frau; »Komme rasch herunter, oder ich steige hinauf!«
»Noch einen Augenblick!« antwortete seine Frau, und dann rief sie leise: »Anna, Schwester Anna, siehst du nichts kommen?« Und Schwester Anna antwortete: »Ich sehe nur die Sonne, die schimmert, und das grüne Gras, das glitzert.«
»So komm doch!« schrie Blaubart, »oder ich steige hinauf!«
»Ich komme!« antwortete seine Frau, dann rief sie: »Anna, Schwester Anna, siehst du nichts kommen?«
»Ich sehe«, erwiderte Schwester Anna, »einen großen Staub, der sich von jener Seite erhebt.«
»Sind es meine Brüder?«
»Ach nein, meine Schwester, es ist eine Schafherde.«
»Willst du nicht endlich kommen?« schrie Blaubart.
»Noch eine Minute«, antwortete seine Frau, dann rief sie: »Anna, Schwester Anna, siehst du nichts kommen?«
»Ich sehe«, antwortete Schwester Anna, »ich sehe zwei Ritter von jener Seite kommen, aber sie sind noch sehr weit.« Und einen Augenblick später rief sie: »Gott sei gelobt, es sind die Brüder. Ich mache ihnen, soviel ich kann, Zeichen, daß sie sich beeilen.«
Blaubart schrie und rief jetzt so stark, daß das Haus zitterte. Das arme Weib stieg hinab, warf sich ihm zu Füßen, weinte und jammerte ganz fürchterlich und rang die Hände.
»Das führt zu nichts«, sagte Blaubart, »du mußt sterben!«
Dann griff er mit einer Hand in ihr Haar, mit der andern schwang er das große Messer, um ihr den Kopf abzuschneiden. Die arme Frau wandte sich zu ihm, sah ihn mit brechenden Augen an und bat noch um einen Augenblick, um sich zu sammeln.
»Nein! Nein! Empfiehl deine Seele Gott aufs beste!« rief er und hob den Arm ... In diesem Augenblick schlug man so gewaltig an die Tür, daß Blaubart stutzte. Man öffnete sogleich. Zwei Ritter mit gezückten Schwertern traten ein und stürzten sich geradenwegs auf Blaubart. Er erkannte die Brüder seiner Frau und wollte auf und davon gehen, aber die Brüder verfolgten ihn auf dem Fuß, erwischten ihn, bevor er aus dem Hause war, stießen ihm die Degen mitten durch den Leib und streckten ihn tot hin. Die arme Frau, die fast ebenso tot war wie ihr Gatte, hatte kaum Kraft genug, um sich zu erheben und ihre Brüder zu begrüßen. Blaubart hatte keine Anverwandten, und so fiel die ganze Erbschaft seiner Frau zu. Einen Teil ihres ungeheuren Vermögens gab sie ihrer Schwester Anna und verheiratete sie mit einem trefflichen jungen Mann, der sie seit langem liebte. Einen anderen Teil überließ sie ihren Brüdern, die als Soldaten das sehr wohl brauchen konnten, und den Rest brachte sie einem soliden Manne zu, an dessen Seite sie im Glücke die schweren Stunden ihrer kurzen Ehe mit Blaubart vergaß.

 Gustav Dore

Das Märchen vom Ritter Blaubart

(Ludwig Bechstein) 

Es war einmal ein gewaltiger Rittersmann, der hatte viel Geld und Gut und lebte auf seinem Schlosse herrlich und in Freuden. Er hatte einen blauen Bart, davon man ihn nur Ritter Blaubart nannte, obschon er eigentlich anders hieß, aber sein wahrer Name ist verloren gegangen. Dieser Ritter hatte sich schon mehr als einmal verheiratet, allein man hatte gehört, daß alle seine Frauen schnell nacheinander gestorben seien, ohne daß man eigentlich ihre Krankheit erfahren hatte. Nun ging Ritter Blaubart abermals auf Freiersfüßen, und da war eine Edeldame in seiner Nachbarschaft, die hatte zwei schöne Töchter und einige ritterliche Söhne, und diese Geschwister liebten einander sehr zärtlich. Als nun Ritter Blaubart die eine dieser Töchter heiraten wollte, hatte keine von beiden rechte Lust, denn sie fürchteten sich vor des Ritters blauem Bart und mochten sich auch nicht gern voneinander trennen. Aber der Ritter lud die Mutter, die Töchter und die Brüder samt und sonders auf sein großes schönes Schloß zu Gaste und verschaffte ihnen dort so viel angenehmen Zeitvertreib und so viel Vergnügen durch Jagden, Tafeln, Tänze, Spiele und sonstige Freudenfeste, daß sich endlich die jüngste der Schwestern ein Herz faßte und sich entschloß, Ritter Blaubarts Frau zu werden. Bald darauf wurde auch die Hochzeit mit vieler Pracht gefeiert.
Nach einer Zeit sagte der Ritter Blaubart zu seiner jungen Frau: »Ich muß verreisen und übergebe dir die Obhut über das ganze Schloß, Haus und Hof, mit allem, was dazu gehört. Hier sind auch die Schlüssel zu allen Zimmern und Gemächern, in alle diese kannst du zu jeder Zeit eintreten. Aber dieser kleine goldne Schlüssel schließt das hinterste Kabinett am Ende der großen Zimmerreihe. In dieses, meine Teure, muß ich dir verbieten zu gehen, so lieb dir meine Liebe und dein Leben sind. Würdest du dieses Kabinett öffnen, so erwartet dich die schrecklichste Strafe der Neugier. Ich müßte dir dann mit eigner Hand das Haupt vom Rumpfe trennen!« Die Frau wollte auf diese Rede den kleinen goldnen Schlüssel nicht annehmen, indes mußte sie dies tun, um ihn sicher aufzubewahren, und so schied sie von ihrem Mann mit dem Versprechen, daß es ihr nie einfallen werde, jenes Kabinett aufzuschließen und es zu betreten.
Als der Ritter fort war, erhielt die junge Frau Besuch von ihrer Schwester und ihren Brüdern, die gerne auf die Jagd gingen; und nun wurden mit Lust alle Tage die Herrlichkeiten in den vielen, vielen Zimmern des Schlosses durchmustert, und so kamen die Schwestern auch endlich an das Kabinett. Die Frau wollte, obschon sie selbst große Neugierde trug, durchaus nicht öffnen, aber die Schwester lachte ob ihrer Bedenklichkeit und meinte, daß Ritter Blaubart darin doch nur aus Eigensinn das Kostbarste und Wertvollste von seinen Schätzen verborgen halte. Und so wurde der Schlüssel mit einigem Zagen in das Schloß gesteckt, und da flog auch gleich mit dumpfem Geräusch die Türe auf, und in dem sparsam erhellten Zimmer zeigten sich – ein entsetzlicher Anblick! – die blutigen Häupter aller früheren Frauen Ritter Blaubarts, die ebensowenig wie die jetzige dem Drang der Neugier hatten widerstehen können und die der böse Mann alle mit eigner Hand enthauptet hatte. Vom Tod geschüttelt, wichen jetzt die Frau und ihre Schwester zurück; vor Schreck war der Frau der Schlüssel entfallen, und als sie ihn aufhob, waren Blutflecke daran, die sich nicht abreiben ließen, und ebensowenig gelang es, die Türe wieder zuzumachen, denn das Schloß war bezaubert, und indem verkündeten Hörner die Ankunft Berittner vor dem Tore der Burg. Die Frau atmete auf und glaubte, es seien ihre Brüder, die sie von der Jagd zurück erwartete, aber es war Ritter Blaubart selbst, der nichts Eiligeres zu tun hatte, als nach seiner Frau zu fragen, und als diese ihm bleich, zitternd und bestürzt entgegentrat, so fragte er nach dem Schlüssel; sie wollte den Schlüssel holen, und er folgte ihr auf dem Fuße, und als er die Flecken am Schlüssel sah, so verwandelten sich alle seine Gebärden, und er schrie: »Weib, du mußt nun von meinen Händen sterben! Alle Gewalt habe ich dir gelassen! Alles war dein! Reich und schön war dein Leben! Und so gering war deine Liebe zu mir, du schlechte Magd, daß du meine einzige geringe Bitte, meinen ernsten Befehl nicht beachtet hast? Bereite dich zum Tode! Es ist aus mit dir!«