Mittwoch, 4. Oktober 2017

Horst, mein Freund, ist tot.

HORST VOGELGESANG - MEIN NACHRUF

Horst hat mir viele, viele Jahre lang die Sicht offen und den Rücken frei gehalten. Seit 1996, seit mehr als 20 Jahren. Damals waren wir beide jung.
Wir. Dieses wir sind, Horst, der Bühnenbildner, Jenny, meine Schwester und Kostümbildnerin und ich, haben sehr gute Abende hingelegt und sind heftigst gescheitert. Und immer gemeinsam.
Horst wurde mir als wortkarg angekündigt und hat auf unserer ersten gemeinsamen Fahrt nach Leipzig geredet wie ein Wasserfall. 
Hunderte Autofahrstunden, unzählige Abende in Theaterwohnungen, Nudeln in unerwarteten Variationen, gräßlicher Kantinenfraß und lange, sehr lange, augenlichtverwirrende Beleuchtungsproben, 50 Premieren und noch mehr absurde Stadttheaterverwicklungen haben wir zusammen erlebt und überlebt, und nun hat ihn, der sehr alt werden wollte, der harte wahllose Tod geholt. 
Warum? Weil er es konnte.
Alles was ich über Beleuchtung weiß, habe ich von Horst gelernt.
Und viel über seinen schrägen Humor. Ja, Sachsen haben Humor!  
Horst hat mit über 60 nochmal studiert, um ein Brandenburger Theater-Festival buchhalterisch zu unterstützen. Horst konnte Sushi rollen und Brot backen. Horst war Dresdener mit Herz und Seele, und nie waren wir einem Streit näher, als an dem Tag, als ich die Dresdener Schweigeminute in Erinnerung der Bombardierung in Frage stellte. Horst hat viel Zeitung gelesen und mehr gearbeitet, als irgendjemand den ich kenne. Horst war ein eleganter Tänzer. Und ein cooler Klamottenträger. Keine Sportschuhe niemals!
Manchmal war er mißgelaunt und meckerig, und viel öfter sanft und hilfreich.
Horst und ich sind durch Deutschland gejockelt. Von Nord nach Süd und hin und her. Detmold, Esslingen, Leipzig, Greifswald, Senftenberg, Rostock, Magdeburg, Ingolstadt, Heilbronn, Konstanz, Berlin. Groß und nicht ganz so groß, es war egal. Alles war im Angebot. Alkoholabhängige Chefbeleuchter, Bühnenmeister kurz vor der Rente, oft zu wenig Geld, Schauspieler mit Talent und welche ohne jegliches, das falsche Rot und das genau richtige, hilflose Requisiteure und gewiefte Bastler. Theater halt.
Horst hat seine Krankheit als Aufgabe begriffen, die es anzugehen galt. Kein leichtes Nachgeben, kein depressives Unterordnen, ein Widerstandsplan wurde entwickelt. Ich weiß nicht, ob ich diese Stärke hätte. Er hatte sie.

Jetzt bin ich hier in Rostock und beleuchte, ohne ihn, ein Bühnenbild, dass er entworfen und auf den Weg gebracht hat. Die Gewerke arbeiten mit großer Zärtlichkeit. Sie mögen ihn. Er war ein Künstler und ein Handwerker, ein Kollege.

WHAT THE FUCK?

Er sollte jetzt hier sein und ist es nicht. Der Mistkerl. Es ist nicht seine Schuld. Ich werde ihn vermissen. Eine lange Zeit.


MENSCHENFEIND VON MOLIERE IN KARLSRUHE, eine frühe Zusammenarbeit.

1 Kommentar:

  1. Liebe Johanna,

    das hast Du so schön geschrieben; all die Erinnerungen, die manchmal im Laufe des Lebens verloren gehenm, zu Papier gebracht.
    "Abschied ist ein scharfes Schwert",hat Roger Witthaker gesungen. So ist es. Ich bin im Gedanken bei Dir / bei Euch.
    Liebe Grüße Jacki Stickel

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