Singe den Zorn, o Göttin,
des Peleiaden Achilleus
Illias, erste Zeile
Sei nicht so wütend, die Gänse zu beißen, und nicht so schwach, von
Gänsen dich beißen zu lassen.
Aufbrausen, einen Koller kriegen, einen Wutausbruch haben,
sich entrüsten, sich empören, es satt haben, toben, seinem Zorn
freien Lauf lassen, in die Luft gehen, die Fassung verlieren, rot sehen,
ergrimmen, aufbegehren, austicken, ausrasten, aus der Haut fahren,
mit der Geduld am Ende sein, in Rage geraten, explodieren, rasen,
fuchsteufelswild werden, einen Hals haben, garstigwerden, vor Wut
schäumen oder tief durchatmen und bis zehn oder 155 zählen? Was tun
in dem Augenblick, wo der Kragen platzt, der Hut hoch geht,
Schluß ist, man an die Decke geht?
Zorn gleicht einem vorübergehenden Wahnsinn, denn er ist, ebensowenig
wie dieser, Herr über sich selbst.
Seneca
"Johanna, die Milch kocht über!" flötete Fräulein Montowski durch das
Klassenzimmer, wenn ich, siebenjährig, wegen irgendeiner empfundenen
Ungerechtigkeit, wieder die idiotische Disziplin der sozialistischen
Grundschule störte. Lehrer, Therapeuten, Kummerkastentanten, alle
möglichen Leute raten einem dazu, Ruhe zu bewahren. Wer die
Contenance verliert, macht sich klein. Wer pur reagiert, verliert die
Oberhand. Wer die Kontrolle verliert, verliert. Warum eigentlich?
In meiner Jugend wurde ich oft von allzuleicht erregbarem Jähzorn gequält,
das hat sich gelegt. Gottseidank.
Es dauert heutzutage lang, sehr lang bis ich die Ruhe verliere.
Und dann folgt erst noch die Phase, wo ich die Wut unterdrücke,
meine Unterlippe zittert und ich, welch Ironie, vor Wut platzen könnte,
weil ich nicht weinen mag, weil das wie Demut wirken könnte.
Sicher ist meine größere Geduld auch antrainierte Vorsichtigkeit, um nicht
andauernd mit beiden Beinen knietief in verschiedensten Fettnäpfchen
herumzustehen, aber auch Folge der entspannteren Amüsiertheit meines
höheren Alters.
ABER, aber, wenn mein Limit erreicht ist, dann ...
Ich bin froh, dass ich noch sauer werden kann. Froh, dass ich nicht
immer überlegt und bedacht handele. Wenn ich lange genug Verständnis
und Mitgefühl gezeigt habe und mir im Gegenzug Unverschämtheit und
Nachlässigkeit erwiesen wurde, dann lege ich irgendwann mein wohl-
erzogenes, einsichtiges, immer auch die Gegenseite verstehendes
Ich ab und lasse meinem garstigen, empörten, verletzten Ego freien
Lauf. Oh, welche Erleichterung! Ja, die Folgen muß ich ausbaden, und
wenn schon. Das ist es wert!
Fuck it!
http://www.sueddeutsche.de/kultur/peter-sloterdijk-zorn-und-zeit-entdecke-buerger-den-zorn-1.878953
"Johanna, die Milch kocht über!" flötete Fräulein Montowski durch das
Klassenzimmer, wenn ich, siebenjährig, wegen irgendeiner empfundenen
Ungerechtigkeit, wieder die idiotische Disziplin der sozialistischen
Grundschule störte. Lehrer, Therapeuten, Kummerkastentanten, alle
möglichen Leute raten einem dazu, Ruhe zu bewahren. Wer die
Contenance verliert, macht sich klein. Wer pur reagiert, verliert die
Oberhand. Wer die Kontrolle verliert, verliert. Warum eigentlich?
In meiner Jugend wurde ich oft von allzuleicht erregbarem Jähzorn gequält,
das hat sich gelegt. Gottseidank.
Es dauert heutzutage lang, sehr lang bis ich die Ruhe verliere.
Und dann folgt erst noch die Phase, wo ich die Wut unterdrücke,
meine Unterlippe zittert und ich, welch Ironie, vor Wut platzen könnte,
weil ich nicht weinen mag, weil das wie Demut wirken könnte.
Sicher ist meine größere Geduld auch antrainierte Vorsichtigkeit, um nicht
andauernd mit beiden Beinen knietief in verschiedensten Fettnäpfchen
herumzustehen, aber auch Folge der entspannteren Amüsiertheit meines
höheren Alters.
ABER, aber, wenn mein Limit erreicht ist, dann ...
Ich bin froh, dass ich noch sauer werden kann. Froh, dass ich nicht
immer überlegt und bedacht handele. Wenn ich lange genug Verständnis
und Mitgefühl gezeigt habe und mir im Gegenzug Unverschämtheit und
Nachlässigkeit erwiesen wurde, dann lege ich irgendwann mein wohl-
erzogenes, einsichtiges, immer auch die Gegenseite verstehendes
Ich ab und lasse meinem garstigen, empörten, verletzten Ego freien
Lauf. Oh, welche Erleichterung! Ja, die Folgen muß ich ausbaden, und
wenn schon. Das ist es wert!
Fuck it!
http://www.sueddeutsche.de/kultur/peter-sloterdijk-zorn-und-zeit-entdecke-buerger-den-zorn-1.878953
IRA - Wut - Zorn
AntwortenLöschenSenecas Traktat DE IRA scheint mir - nach meinem Sprachgebrauch und Sprachgefühl - eher von Wut als von Zorn zu handeln. Wut, denke ich, ist der Affekt, Ausblendung der Ratio, während Zorn über den Impuls des Affekts hinausgeht, steuerbar wird, und durchaus rational strategisch und taktisch ausgebaut werden kann - bis zum "heiligen Zorn", zur formulierbaren Idee, und auch weiter zur eiskalten Ideologie, die dann wiederum affektives Verhalten bei anderen evozieren kann. So oder so.
Juristen haben zu unterscheiden zwischen Totschlag (Affekt) und Mord (Plan).
Ich meine hier ganz sicher die affektive Wut und nicht den heiligen oder unheiligen Zorn.
AntwortenLöschenMut zur Wut!
AntwortenLöschenhttp://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/psychologie-wuetendes-gesicht-laesst-menschen-staerker-erscheinen-a-988824.html
Wütend bin ich eigentlich immer
AntwortenLöschenauch gerne mal
es ist wie ein Schmerz
den ich mir manchmal zufüge
zornig bin ich, wenn die Wut nicht mehr reicht
Jähzorn überlasse ich meinem Sohn, wenn er mal wieder nicht bekommt, was er will...
Wut scheint dann privater oder intimer zu sein als Zorn. Ich kenne sie im Zusammenhang mit Ohnmacht gut. Und auch sonst. Klar. Es ist höchst ungesund, ihr nicht Luft zu machen. Dampf abzulassen. Wenn sie falsch adressiert abgelassen wird ist sie wie Dominosteine und wird weiter gereicht. Immer auf den nächst ungefährlicheren, also schwächeren. Um sie dahin zu adressieren, wo sie hingehört, braucht es manchmal Mut. Oder ihre Umwandlung in Zorn.
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