Samstag, 25. Januar 2014

DEUTSCHES ESSEN - GRÜNKOHL UND PINKEL


Grünkohl & Pinkel & Bregenwurst & Gestreifter Speck & Kassler & Kartoffeln, das alles mit scharfem Senf & starkem Kümmelschnaps

In Bremen zum Grünkohl und Pinkel Essen eingeladen zu werden, ist keine Geste harmloser sozialer Interaktion, sondern eher ein Akt der Einweihung in ein kompliziertes norddeutsches bürgerliches Ritual der fremdartigen, herzlichen und äußerst nahrhaften Art. Zum Überleben dieses grandiosen Erlebnisses ist ein gußeiserner Magen von Nöten und mittlere Alkoholverträglichkeit. 
Vorher wird gelaufen, zwei bis drei Stunden, den Teil habe ich wegen vertraglichen Arbeitsverpflichtungen überspringen dürfen, während dieses Spazierganges wird gewürfelt und wenn eine Sechs erscheint, getrunken, der Würfel hat allerdings nur Sechsen. Dann wird gegessen, unglaublich viel, sehr schmackhaft, sehr schwer, sehr lecker und möglichst lange. Wer am längsten ißt, gewinnt den Preis des besten Pinkelessers. Manche Familien entscheiden dieses Ergebnis auch durch zweimaliges Wiegen der Teilnehmer, vorher und nachher. Heute habe ich gewonnen, aber natürlich nur weil ich der zu initierende Gast war. Ich habe deshalb einen sehr schönen Zinnlöffel geschenkt bekommen, aus dem wird der traditionelle und überlebenswichtige Kümmel getrunken, früher aß man mit diesem Löffel dann auch. Und die Redewendung vom Löffel, der abgegeben wird, könnte sehr gut, von einem Pinkelesser im Verdauungskoma erfunden worden sein.


Diese irrwitzigen Eßgewohnheiten, die wir frühkindlich annehmen und nur unter großer Anstrengung und mit ideologisch geschärftem Willen vermeiden können. 
Gebt mir Fleisch, gebt mir Fett, gebt mir stark gewürzte Speisen, gebt mir dicke Saucen und Zutaten, die ich zusammenmanschen kann - und - ich bin glücklich. Kalbfleisch-Schnitzel ist edel, aber Schweineschnitzel ist des Berliners Droge, und zwar unbedingt dickpaniert und nicht dünngeklopft. Buletten, Blutwurst, Klopse, Eisbein, Kassler, Schweinebraten und Rouladen, im Geiste bin ich Vegetarier, aber mein Magen schreit lauthals nach Fleisch. Salat ist wunderbar, Gemüse al dente herrlich, aber fette Eintöpfe mit Fleischbeilage bleiben mein inneres Traumbild an kalten Wintertagen - Kohl mit Kassler, grüne Bohnen mit Hammelfleisch, Teltower Rübchen mit Rinderfleisch, nichts davon gesund, alles Kindheit.
Senf ist auch so ein Ding. Als Kind im Strandbad hatte ich die Wahl zwischen einer Bockwurst für eine Mark und zehn Stullen mit Senf für den gleichen Preis, keine Frage, wie ich mich entschieden habe. Im Ferienlager an der Ostsee mußten "unartige" Kinder beim Neptunfest Essig trinken oder Senf essen, Teufelspädagogik a la DDR, aber ich liebte beides, Essig und Senf, da triumphierte das böse Kind!
Vielleicht sterben mit meiner Generation die letzten uneinsichtigen Fresser von 
ungesunden, aber wundervoll wohlschmeckenden Schädlichkeiten aus. Vielleicht ist das gut so. Aber trotzdem ist es schade drum. 
Dies alles gilt natürlich nur für den wohlversorgten, guternährten Teil der Welt, in dem ich glücklicher- und zufälligerweise lebe.


TRINKSPRUCH NACH DEM PINKELESSEN:

Gastgeber:Ik seh di!
Ich sehe dich!
Gast:
Dat freit mi!
Das freut mich!
Gastgeber:
Ik sup di to!
Ich trinke dir zu!
Gast:
Dat do!
Das tu!
Gastgeber:
Prost!
Gastgeber:
Ik heb di tosapen!
Ich habe dir zugetrunken!
Gast:
Hest’n Rechten drapen!
Hast den Richtigen getroffen!


 
Wiki sagt dazu:

DEN LÖFFEL ABGEBEN:
Die unverzichtbare Tätigkeit des Essens steht bei dieser Redewendung Pate, mitsamt der Tatsache, dass im Mittelalter und früher Neuzeit das Armeleuteessen üblicherweise ein Brei in einer Schüssel für alle inmitten des Tischs war, wofür ein jeder seinen eigenen Löffel parat hatte. Diesen höchsteigenen, nicht selten selbstgeschnitzten, Löffel wegzulegen, ist dabei gleichbedeutend mit dem Ende des Lebens. Im Schwarzwald gab es früher die Tradition, dass ein Löffel im persönlichen Besitz war und nach dem Tod nicht weitergegeben, sondern an die Wand des Bauernhauses gehängt wurde. Den Knechten dagegen wurde nicht selten vom Bauern ein Löffel zur Verfügung gestellt, den sie abgeben mussten, wenn sie weiterzogen oder der weiterverwendet wurde, wenn sie starben.
 
PINKEL:
Es gibt verschiedene Namensdeutungen, die die Bezeichnung allerdings weder mit „pinkeln“ (für urinieren) noch mit dem „feinen Pinkel“ (für einen eitlen Menschen) in Verbindung bringen. Der Ausdruck Pinkel (auch Püngel oder Pünkel) bedeutete vielmehr zusammengedrängte Masse oder kurzer, dicker Gegenstand und hat möglicherweise seine Weiterentwicklung zu Bündel gefunden. Ähnlich ist die Deutung, die sich von Pinker für den Mastdarm (hier: Rindermastdarm) ableitet, der traditionell bis heute als Wursthülle verwendet wird.

BREGENWURST:
oder Brägenwurst ist eine rohe oder leicht geräucherte Mettwurst aus magerem Schweinefleisch, Schweinebauch, Zwiebeln, Salz und Pfeffer. Sie ist eine Spezialität in Niedersachsen und Sachsen-Anhalt und wird meist zu Grünkohl gegessen, der regional als Braunkohl bezeichnet wird; dazu lässt man sie eine Weile zusammen mit dem Kohl garen. Ihren Namen hat die Bregenwurst vom früher zugegebenen Schweinehirn: Plattdeutsch steht Bregen oder Brägen für Hirn, heute darf Hirn nicht mehr verarbeitet werden.

2 Kommentare:

  1. Mir hebt sich der Magen, wenn ich das Bild sehe.
    Geschmacksache ist Geschmacksache.
    Schmeckt wie Grünkohl, sagte mein Vater (aus Oldenburg), wenn ihn ein Essen, egal welches, begeisterte.

    AntwortenLöschen
  2. Obwohl ein halbes Jahr in Bremen zuhause ist mir dieses Ritual entgangen... macht auch Sinn, ich trinke wenig Alkohol und esse kein Fleisch. Danke, dass ich es durch Deine köstliche Beschreibung passiv doch noch nachholen konnte! Lecker!

    AntwortenLöschen