Dienstag, 28. Januar 2014

Marianne Brün ist gestorben


MARIANNE BRÜN

"Nein, die heutigen Verhältnisse können nicht ermutigen. Also muß Ermutigung woanders herkommen, zum Beispiel vom Wollen, vom Begehren her." M.B.

7. Januar 2014. Eine gute Frau ist gestorben. Eine ernsthafte Frau mit einem Kinderlachen und verstehenden Augen. Eine schlaue Frau, die einem nix durchgehen ließ. Wir haben uns nicht oft gesehen, aber ich werde sie vermissen, besonders zur jüdischen Weihnacht.
Gute Reise.

"Ob es einen Gott gibt oder nicht, ist mir bis heute egal. Mich interessieren die Dinge hier auf Erden, mit denen ich mich auseinandersetzen - und die ich vielleicht auch ändern kann." M.B.

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Ein Artikel aus der FAZ vom 2.3.2009

Im Gespräch: Marianne Brün 

Ich hatte neunundfünfzig Adressen 

Die „ungeduldige Gesellschaftskritikerin“ Marianne Brün wohnt heute in Berlin und den Vereinigten Staaten. Mit der F.A.Z. sprach sie über ihr Leben als Tochter Fritz Kortners und in der Emigration. Deutliche Worte findet sie, die sich gegen die Kriege in Vietnam und im Irak engagierte, für den Gaza-Konflikt. 
Die „ungeduldige Gesellschaftskritikerin“ Marianne Brün wohnt in Berlin und den Vereinigten Staaten. Sie hat sich gegen den Krieg in Vietnam wie im Irak engagiert. Hier erzählt sie über ihr Leben als Tochter Fritz Kortners und in der Emigration.
Frau Brün, Sie werden in diesem Jahr achtzig Jahre alt, aber der Computer flößt Ihnen keine Angst ein. Sie pflegen einen regen E-Mail-Verkehr. Macht Ihnen das Spaß? 
Mit bald achtzig bin ja noch nicht senil. Außerdem habe ich meine Kinder in den Vereinigten Staaten, Freunde und Bekannte sind in der ganzen Welt verstreut, wie soll ich da ohne E-Mail auskommen? Mit Briefen geht das bei mir nicht. Deshalb ist es mir in früheren Zeiten nie gelungen, mit Freunden in Verbindung bleiben. Seit meine Eltern im Jahr 1933 erst nach England, dann in die Vereinigten Staaten emigriert sind, habe ich mich überall wohl gefühlt, hatte und habe aber nirgends das Gefühl hinzugehören, zu Hause zu sein. Das ist aber keineswegs unangenehm. So geht es heute ja vielen Menschen. Natürlich gibt es tausend Funktionen, die ich am Computer nicht beherrsche, aber das, was ich brauche, schon: Texte und E-Mails schreiben, Informationen besorgen.
Sie wirken überhaupt so aktiv und munter - wie machen Sie das?
Mit einer sehr guten Ärztin, fünf Pillen und zwei Sprays täglich!
Obwohl Ihr Vater Fritz Kortner ein berühmter Regisseur und Schauspieler, Ihre Mutter Johanna Hofer eine berühmte Schauspielerin war, sagten Sie einmal, dass in Ihrer Kindheit daheim nur wenig über Theater, aber viel über Politik gesprochen wurde. Hat Sie das geprägt?
Ganz bestimmt. Als Immigrant ist man wohl empfindlicher gegenüber jeglicher Unterdrückung. Meinen Vater hat zum Beispiel die Situation der Schwarzen in den Vereinigten Staaten nicht weniger berührt als die der Juden in Deutschland. Unterdrückung ist immer Unterdrückung! Ich war schon als junges Mädchen politisch aktiv, und seit 1968 bin ich Mitglied der Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit.
Sie haben nicht nur gegen den Irak-Krieg demonstriert, sondern bereits gegen den in Vietnamkrieg - und Sie haben Wehrdienstverweigerer in den Vereinigten Staaten beraten. Was für Erfahrungen haben Sie dabei gemacht?
Besonders interessant war damals zu beobachten, wie viele Mütter uns wegen dieser Beratungen angegriffen und beschimpft haben: "Sie können sich nicht vorstellen, was meine Nachbarn sagen, wenn mein Sohn nicht nach Vietnam geht!" Das Urteil der Nachbarn war wichtiger als das Leben des eigenen Kindes. Das hat mich zutiefst schockiert. Eine Frau hat mich sogar körperlich angegriffen. Die Väter waren toleranter, da bin ich weder physisch noch verbal attackiert worden. Sie haben meist herumgestanden und so getan, als würden sie nicht zuhören.
Hatten Sie keine Angst, in dieser politisch überreizten Zeit selbst Schwierigkeiten zu bekommen?
Angst nicht: Mir war es sowieso wegen des Vietnam- Krieges nicht geheuer, dass wir nicht weggingen. Es war immer eine Diskussion zwischen meinem Mann und mir: Wann kommt der Moment, in dem man emigrieren muss, auch wenn man nicht selbst betroffen ist?
Ihr Mann, der Komponist, Musiktheoretiker und Kybernetiker Herbert Brün, der im Jahr 2000 verstorben ist, emigrierte 1936 nach Palästina und wurde nach Stationen in Frankreich sowie Deutschland an die University of Illinois berufen.
Er ist aus Israel auch wegen der Art weggegangen, wie sich die Israelis schon damals gegenüber den Palästinensern verhalten haben. Immer wieder wird auf den Holocaust gepocht - und wegen des Holocausts trauen sich viele nicht, Israel zu kritisieren. Als Martin Walser im Jahr 1998 seine Friedenspreis-Reise gehalten hatte, hoffte ich auf eine Normalisierung dieser Debatten in Deutschland - leider habe ich das vergebens gehofft. In den Vereinigten Staaten ist das noch schwieriger. Wenigstens in einem ARD-Kommentar hat sich ein Korrespondent zu sagen getraut, dass Israel derzeit im Begriff ist, aus dem Gazastreifen ein zweites Somalia zu machen.
Ist es denn nicht das erklärte Ziel der Hamas, Israel zu vernichten?
Der Gazastreifen misst knapp vierhundert Quadratkilometer, das ist weniger als das Bundesland Bremen. Darin sind anderthalb Millionen Palästinenser eingesperrt. Es kommen kaum die nötigsten Materialien durch, sie kriegen nicht genug zu essen, haben zu wenig Strom und nicht genug Wasser - klar, dass sie irgendwann gegen ihre Unterdrücker aggressiv werden. Man will seine Unterdrücker natürlich vernichten.
Sind Sie mehr das Kind Ihrer Mutter oder Ihres Vaters?
Ich glaube, ich bin wirklich eine Mischung aus beiden Elternteilen. Meine Mutter Johanna Hofer war vom Wesen her keineswegs so politisch, wie ich es bin. Oder wenigstens nicht so direkt. Sie hat unter bestimmten Sachen auch sehr gelitten, aber sie war nie aktiv. Das kommt bei mir eher von meinem Vater, der immer Stellung bezogen hat. Von meiner Mutter wiederum habe ich gewisse mildere Wege gelernt, um mich zu behaupten, darin war sie viel geschickter als mein Vater. Kortner hat einmal gesagt, er sei ein "tobender Pantoffelheld"! Meine Mutter hat sich immer durchgesetzt, obwohl es nie so aussah.
Sie kamen im Jahr 1948 nach Europa zurück und haben an die zwei Jahre am Berliner Ensemble auch bei Bertolt Brecht assistiert. Wollten Sie Regisseurin werden?
Mir scheint, ich wusste gar nicht genau, was ich wollte. Aber ich entschied mich schon bald gegen den Beruf der Regisseurin - in Deutschland ging es wegen meines berühmten Vaters nicht und in den Vereinigten Staaten wegen des nicht wirklich vorhandenen Theaters. Ich habe danach als Bildmischerin beim Bayerischen Rundfunk gearbeitet, der gerade sein Fernsehprogramm begann.
Gehen Sie denn in Deutschland manchmal ins Theater?
Früher ging ich leidenschaftlich gerne. Seit geraumer Weile aber mache ich das kaum noch, weil mich ganz selten etwas interessiert. Lange Zeit fand ich alles grässlich. Ich hatte das Gefühl, dass die Regisseure keine Liebe zu den Stücken hatten, die sie inszenierten. Und ich konnte nicht verstehen, warum sie es trotzdem taten. Natürlich muss man den Theatertext jedes Mal auf das überprüfen, was heute wichtig ist. Aber man kann sich nicht bloß lustig machen über ein Werk oder sich gegen den Autor wenden. Dann sollte man doch lieber selbst ein Stück schreiben. Ich erinnere mich, dass ich einmal in der Berliner Volksbühne saß und ein Schauspieler auf der Bühne zum dritten oder vierten Mal die Hose herunterließ. Daraufhin muss ich einen solchen Seufzer der Langeweile ausgestoßen haben, dass alle um mich herum zu lachen anfingen.
Tochtersein ist kein Beruf, haben Sie einmal gesagt.
Nein, das interessiert mich nicht. Ich habe meinen Vater ungeheuer geliebt, aber jetzt ist er tot. Für mich war er kein Forschungsobjekt, ich habe kein Buch über ihn geschrieben, ich habe ihn nicht studiert. Die Erinnerungen, die ich an ihn habe, sind wirklich lediglich die einer Tochter. Und die sind äußerst angenehm, weil ich sehr verwöhnt wurde.
Sie haben einmal von sich gesagt, an mindestens neunundfünfzig Adressen in sieben Ländern gelebt zu haben, dreiundzwanzig Schulen besucht, achtzehn bezahlte - darunter von 1971 bis 1988 als Dozentin für Gesellschaftsveränderung an der University of Illinois -, sowie unzählige unbezahlte Stellungen gehabt zu haben. Wie erlernt man so viel Offenheit und Wandlungsfähigkeit?
Wahrscheinlich durch diese vielen Wechsel. Außerdem hatte ich eine ziemlich unkonventionelle Erziehung. Über manche Sachen wurde ich einfach nicht aufgeklärt, zum Beispiel darüber, dass es heute noch Religionen gibt. Ich dachte, das sei ein Überbleibsel aus vergangenen Jahrhunderten.
Im Ernst?
Mit zehn Jahren habe ich meinen Vater erschüttert gefragt: "Wusstest du, dass Leute heute noch an Gott glauben?" Und er antwortete: "Ich weiß es, aber ich kann nichts dafür." Wir haben zwar Weihnachten und Ostern gefeiert, aber völlig ohne Gott. Als ich sehr klein war und nur noch ein paar Worte Deutsch konnte - wir lebten schon in England -, hielt ich Weihnachten für die Nacht, in der man Wein hat. Es war tatsächlich die einzige Nacht, in der ich einen Schluck Wein trinken durfte. Das erklärte die Angelegenheit für mich vollkommen. Ob es einen Gott gibt oder nicht, ist mir bis heute egal. Mich interessieren die Dinge hier auf Erden, mit denen ich mich auseinandersetzen - und die ich vielleicht auch ändern kann.

Die Fragen stellte Irene Bazinger.

"Ich hatte neunundfünfzig Adressen."

UND:
Ein Artikel aus der Welt vom 28.8.2010

"Tochter von Beruf war ich nie."

UND:
Noch ein Artikel

"Ermutigung muß von Begehren kommen."


1 Kommentar:

  1. Mirjam Temba
    Was fuer eine intensiver blick ....so wach, lebendig und eigen .....wunderbar ....gibt so wenige menschen die noch im alter diese lebendigkeit haben ....how encouraging xxx love you

    Pia Kleber
    Liebe Johanna, tut mir sehr leid. Erinnere mich intensiev an unsere interessanten Treffen. Danke Dir und Deiner mama dafuer.
    Love

    Guntram Brattia
    Beileid.Bleibenden Eindruck hat sie hinterlassen.

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