Mittwoch, 12. Januar 2011

Das Prinzip Meese - Maxim Gorki Theater

Während meiner Berliner Zwischenaufenthalte versuche ich jedesmal meinen Berliner Theater - Rückstand wieder in den Griff zu kriegen, dieses Jahr bin ich erstmals wieder länger in Berlin, da geht es leichter. Und ich bemerke, wie ich immer öfter ins Maxim-Gorki Theater drifte. Nicht, das da alles toll und spannend ist, aber meistens sehe ich zumindest einen ernsthaften Versuch von Mitteilung. Sysiphos hat wirklich einen Stein zum Rollen und nicht nur einen aus Pappmaché (oder Pappmaschee, wie man, habe ich gerade gelernt, auch schreiben darf.) und er schwitzt und er scheitert und er schafft es - fast, und manchmal, ist die Sekunde, wo der Stein ganz ruhig, nahezu oben auf dem Berg liegt, sehr heiter.
 
Heute abend also das Prinzip Meese von Oliver Stuck, den ich, muss ich zu meiner Schande gestehen, überhaupt nicht kannte und so bin ich auch nur, durch die Empfehlung einer Freundin ins Studiotheater geraten. Der Regisseur, Antú Romero Nunes, den ich auch nicht kannte und zwei Schauspieler:
Anika Baumann und Michael Klammer. Die Bühne leer, dann Nebel und Off-Text während zwei Techniker viele Matratzen und Bettzeug verteilen, am Ende Nebel und Off-Text und Abbau und dazwischen - ja, was? 

Wörter, viele Wörter, Musik, Nasenpfeifen und zweinasenflügeliges C-Flötenspiel, Matratzen hierhin und dorthin, ein Häuschen wird gebaut und wieder eingerissen, Gesang, noch mehr Wörter, eine geradezu unfassbare Lockerheit und Leichtigkeit und Genauigkeit der beiden Spieler, Pausen, lange Pausen, Publikumskontakt und - involvierung, mehr Wörter, Hilflosigkeit und verbale Kotzkrämpfe, und ganz langsam entsteht das verschwommene, unsichere Bild einer GENERATION. 

Das klingt blöd, Generation X, Generation Y, bla bla. Aber - "Eine Generation ist in der Genealogie die Gesamtheit aller Lebewesen, die zu anderen Lebewesen, in aufsteigender oder absteigender Linie durch Abstammung verbunden sind und im selben Abstand stehen." Und der Abstand ist da und die Wahrheit liegt zwischendrin, wie Ionesco sagt. 

Hier, an diesem Abend, sind es die um die Dreissig, geboren circa 1980. In Deutschland heisst das, irgendwo um das zehnte Lebensjahr, Schnitt! Entweder wird alles und alle anders (Ost) oder es wird versucht, so zu bleiben, wie man war, nur dass da plötzlich ein Extra Bein/Arm/Arsch gewachsen ist (West). Und dann? Milleniumspanik oder -euphorie, das Klima wird Zeitungsthema, Irakkrieg 1 und 2, Afghanistan, Jugoslawien oder besser Serbien, Kroatien, Kosovo-Albanien, Makedonien ..., SPD, CDU, die Grünen vielleicht?, nein, doch lieber die Linke, oder die Republikaner, oder was? Irgendwie geht es besser, nein, schlechter, was soll man studieren und wozu? Der größte Vorwurf den mir meine (Stief) Tochter gemacht hat:" Sei doch nicht immer so tolerant!!!!" Arbeit - gibts nicht, aber ein Praktikum wenn's Recht ist, oder zwei, oder drei, oder jobben, oder ... immer pleite, aber verreisen muß gehen, muß! Jung bzw. jugendlich bleiben, so lange es geht, kann man das bis 40 durchhalten? Gesund leben, vegetarisch essen, Yoga, Ekstasy, Weed, Oxy, Koks, aber bloß nicht rauchen, Hühnerpest, Rinderwahn, Schweinegrippe, Vogelwahnsinn. Sex, Sex, RTL Late Night, Pornowebsites, Liebe, wir sollten doch heiraten, bin ich schwul? metrosexuell? (ich dachte erst, das hätte was mit der U-Bahn zu tun), LGBTQ! impotent? aber es gibt ja Viagra. 
SMS, Twitter, facebook ohne face, myspace ohne space, wozu das Ganze?
AIDS, aber doch heute nicht mehr, da gibt es doch Medikamente. (Einer der schlimmsten Momente meines Lebens war, als ich der oben erwähnten (Stief) Tochter gegenüber, beim Gespräch über den in naher Zukunft anstehenden ersten Sex, die Möglichkeit des Todes erwähnen musste. Mann, hatte ich ein Glück, 1975, Pille kostenlos, Abtreibung erlaubt und ein Tripper behandelbar. Das Ganze war ja trotzdem aufregend und mystisch und herrlich genug.)
Ja, das ist, was mir nach diesem Abend durch den Kopf schießt. Ich habe, erstaunlicherweise, Freunde in diesem Alter, meine Alters-Arroganz hat einen Hieb abgekriegt, Gut so.

„Und weiter sah ich den Sisyphos in gewaltigen Schmerzen: wie er mit beiden Armen einen Felsblock, einen ungeheuren, fortschaffen wollte. Ja, und mit Händen und Füßen stemmend, stieß er den Block hinauf auf einen Hügel. Doch wenn er ihn über die Kuppe werfen wollte, so drehte ihn das Übergewicht zurück: von neuem rollte dann der Block, der schamlose, ins Feld hinunter. Er aber stieß ihn immer wieder zurück, sich anspannend, und es rann der Schweiß ihm von den Gliedern, und der Staub erhob sich über sein Haupt hinaus.“

Sysiphos Ohne Stein

1 Kommentar:

  1. Sysiphos Zitat Homer: Odyssee 11. Gesang, 593–600. Übersetzung Wolfgang Schadewaldt

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