Montag, 24. Oktober 2022

Ophelia 's got talent in der Volksbühne

Hätte mich jemand ins Theater eingeladen und das zu Erwartende in etwa so beschrieben, nur Frauen, meist nackt, viel Tanz, eine gynäkologische Untersuchung, viel Blut, viel Wasser, viel in Englisch und eine Gruppe Kinder, ich hätte, höchstwahrscheinlich höflich dankend abgelehnt. Gott sei Dank hat mich keiner eingeladen, sondern ich habe Ulrich Seidlers Kritik in der Berliner Zeitung gelesen, der überwältigt und ziemlich fassungslos einen wunderbaren Text geschrieben hat. Ich liebe diesen Kritiker, auch wenn ich, weiß Gott, nicht immer seiner Meinung bin. Aber er liebt. 

https://www.berliner-zeitung.de/kultur-vergnuegen/theater/florentina-holzinger-inszeniert-ophelias-got-talent-mit-hubschraubereinsatz-in-der-volksbuehne-extremer-geht-es-nicht-li.267672

Ich habe sowas, wie das, was ich heute gesehen habe, noch nie gesehen. 

Der Abend ist eine Materialschlacht, Tänzer/Akrobaten/Spieler, die sich völlig verausgaben und dabei gemeinsam Spaß haben, Licht, Musik, Video und mehr Bühnenelemente, als sich ein Stadttheater in zwei Jahren leisten könnte, aber die überwältigende Menge macht Sinn. 

Frau, Flüssigkeiten, Wasserwesen, Kraft, Leid, Ertrinken, Ersaufen, Schwimmen/ Schweben, Sexualität von weiblichen Wesen, Fortpflanzung, Erniedrigung, Schmerz.

Zweimal kommen hilfreiche, männliche technische Mitarbeiter auf die Bühne, freundliche Fremdkörper. Eine Umkehrung der gewöhnlichen Machtverhältnisse.

Das Bühnenbild ist so gigantisch, das es dem Klimawandel gewiss einiges an Hilfe leistet. Aber die Bilder, die entstehen sind magisch.

Es gibt Längen und einige zu offensichtliche Schockelemente, aber, aber was bleibt, ist, dass sich die Spielerinnen sich unterstützen, sich Kraft geben, sich beschützen und mich unterhalten wollen, mich einbeziehen wollen. Nie wird auf mich herabgesehen, ich werde immer berücksichtigt, angesprochen.

Ein Fest, dass Frauen feiert, das Frausein feiert, ohne Sentimentalität und ohne Besserwisserei, aber mit der Gewissheit, das wir Leben erzeugen können. Ein Privileg. Eine Last. Ein Glück.

Im Finale springen kindliche Haie durchs Wasser, das übersät ist mit leeren Wasserflaschen und fordern unsere Zustimmung.

https://www.tagesspiegel.de/kultur/ophelias-got-talent-an-der-volksbuhne-make-up-fur-die-wasserleiche-8652970.html

Manchmal ist er vielleicht zu offensichtlich, aber der Abend hinterlässt Spuren, was mehr ist, als was ich über viele meiner letzten Theaterabende sagen kann. Und ich hatte in keinem Moment das Gefühl belehrt zu werden. Es wurde mit mir gesprochen.

Konzept & RegieFlorentina Holzinger

mit
Melody Alia Saioa Alvarez Ruiz Inga Busch Renée Copraij Sophie Duncan Fibi Eyewalker Paige A. Flash Florentina Holzinger Annina Machaz Xana Novais Netti Nüganen Urška Preis Zora Schemm
Musik
Paige A. Flash Urška Preis Stefan Schneider
Bühne
Nikola Knežević
Licht Design
Anne Meeussen
Videodesign
Melody AliaJens Crull Max Heesen
Dramaturgie
Renée Copraij Sara Ostertag Fernando Belfiore Michele Rizzo
Autor/in
Florentina Holzinger

 

1 Kommentar:

  1. „... mit der Gewissheit, das wir Leben erzeugen können. Ein Privileg. Eine Last. Ein Glück.“

    Ich habe da ein paar Zitate zu diesem Thema, zwei von Männern, eine von einer Frau, als Replik auf die Männer.

    „Das Leben ist eine ekelerregende Sache, ein schäbiges Ding, das aus sich selbst herausdrängt, feuchte Wärme absondert, kriecht, stinkt, wächst. Die Geburt eines Menschen ist selbst ein alienartiges Ereignis, ein ungeheuerliches, monströses Geschehen, bei dem ein großer, dummer, haariger Körper aus dem Inneren eines Leibes hervorbricht und herumkriecht.“ (Žižek 2018, S.192)

    „In ‚Der blinde Uhrmacher‘ (1987) legt Dawkins seine Grundannahmen offen. In der für ihn charakteristischen Deutlichkeit schreibt er: ‚Wenn wir das Leben verstehen wollen, so dürfen wir nicht an vibrierende, pochende Gele und Schlamme denken, sondern an Informationstechniken.‘()“ (Hustvedt 2018, S.183)

    „Der Mensch aus Fleisch und Blut ist nicht trocken, sondern feucht. Mir scheint, dass Dawkins’ ‚pochende Gele und Schlamme‘ Platzhalter für den feuchten, lebendigen Embryo oder den ganzen biologischen, stofflichen Körper sind. Mit dieser Umschreibung will er sich alles Feuchte und die enorme Komplexität der Embryonalentwicklung, die ‚näher zu betrachten‘ er ausdrücklich ablehnt, vom Leib halten. Das Computerparadigma des Geistes ... ‚trocknet‘ ihn aus auf handliche algorithmische Formeln. ... Wir Menschentiere nehmen die Welt auf verschiedene Weise in uns auf, beim Essen, Kauen und Atmen. Wir nehmen sie mit den Augen, den Ohren, der Nase auf, und wir schmecken sie auf der Zunge und spüren ihre Beschaffenheit auf unserer Haut. Wir urinieren und defäkieren und erbrechen uns, und wir weinen und spucken und schwitzen und menstruieren, produzieren Milch und Sperma, scheiden Vaginalsekrete aus und Rotz. ... Wir küssen und dringen auf vielerlei erotische Weisen in andere Menschen ein, wir kopulieren, und aus manchen körperlichen Verschlingungen entstehen Kinder. Und wenn eine Frau ein Kind gebiert, stößt sie es aus ihrem Körper heraus. Das Neugeborene tritt mit Blut und anderen Flüssigkeiten beschmiert in die Welt ein. .... Unser organischer Körper verwest, löst sich auf und verschwindet dann aus der Welt.“ (Hustvedt 2018, S.280f.)

    Selbst in der so wissenschaftlichen Wissenschaft der Biologie ist es der männliche ‚Same‘, der das weibliche Ei ‚befruchtet‘. Das wird wider besseren Wissens auch von Biologen so verbreitet. Aber das weibliche Ei ist von Anfang von sich aus fruchtbar und muß erst durch eine komplizierte Prozedur in den Zustand zurückverwandelt werden, in dem es mit dem sogenannten Samen etwas anfangen kann. Dieser sogenannte Samen aber ist eine reduzierte Zelle, die von sich aus überhaupt nicht keimfähig wäre, anders als der vollwertige Same einer Pflanze. Der ‚Same‘ ist 80.000 mal kleiner als eine Eizelle. Das einzige, was er zum neuen Menschen besteuert, ist ein halber Chromosomensatz. Alles andere macht die Eizelle.

    Für meine Mitmänner ist das ein echtes Problem und wohl auch seit dreitausend Jahren der Grund, den eigenen Beitrag durch Verächtlichmachung der weiblichen Fruchtbarkeit aufzuwerten. Und wie man an Dawkins sehen kann, ist auch die Informationstheorie vom männlichen Minderwertigkeitskomplex beeinflußt.

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