Freitag, 10. Mai 2019

Freilichttheater - ein Riesenpuzzle

Etwa 40 Rollenträger, 90 Statisten, hier Volk genannt, ein Chor mit 120 Sängern, ein Jugendchor mit fast 40, zwei Tanzgruppen, eine Gauklertruppe, ein Zupforchester, ein Stuntpferd, 14 Reit- und Kutschpferde, ein Esel, drei Ziegen, ein Hund, zwei Kutschen, ein Schlitten, ein Streitwagen, Pyrotechnik, Wind- und Schneemaschinen, ein luftbetriebenes Seeungeheuer, elf Bilderrahmen, eine halbe Erde plus 500 Kostüme, inclusive Perücken und falschen Bärten
- das alles sind Teile des Puzzles, das zusammengesetzt werden will, damit Ende Juni viele Tausende Menschen, die Abenteuer des Barons Münchhausen auf der Bühne der Volksschauspiele in Ötigheim erleben können. Es wird acht Vorstellungen bei hellem Tageslicht und vier in abendlich-beleuchteter Atmosphäre geben.

Abendproben sind unter der Woche, meist die einzig möglichen, weil außer dem Darsteller des Münchhausen, alle Mitwirkenden Amateure sind und also tagsüber arbeiten. Arbeiten in unterschiedlichsten Bereichen, als Zollbeamte, Krankenschwestern, Hoteliers, Steuerberater, Kernkraftwerker, IT-Spezialisten, Bankangestellte, Lehrer usw. und dann kommen sie vom Dienst und proben. Haushalt, Familie und all das läuft auch noch nebenbei.

Manche, die meisten, sind wach und spiellustig und energiegeladen, andere beflissen, einige müde, wenige faul. Viele Mitspieler haben vor 40, 50 Jahren begonnen an den Aufführungen teilzunehmen, andere sind nahezu jungfräulich. Alt, jung, extrovertiert und schüchtern, mit schneller Auffassungsgabe und gutem Gedächtnis und langsam und vergesslich, alle Varianten gibt es.

An einem regnerischen Abend stehen sieben Rollenträger aka Darsteller auf der gigantischen Bühne, 150 Meter breit und mit Schloß, See, Gebirge, Haus und Rasen bestückt und werfen sich Sätze zu, die Erich Kästner 1942 geschrieben hat. Er hatte seit 1933, als auch seine Bücher verbrannt worden waren, Schreib- und Publikationsverbot und durft nun mit einer Sondererlaubnis von Goebbels das Drehbuch für einen Aufmunterungsfilm der UFA mit Hans Albers in der Hauptrolle schreiben. Was für ein hartes Dilemma! Und er mußte unter einem Pseudonym schreiben: Bertolt Bürger. Irrsinn. Die Belagerung Stalingrads durch die deutsche Armee stand kurz vor der Niederlage und Kästner muß ein heiteres Drehbuch verfassen. Die Schizophrenie der Situation macht den Text besonders.

Meist fehlen zwei oder drei Spieler aus dienstlichen oder persönlichen Gründen, das Volk kommt hin- und wieder, die Pferde etc. auch. Die technischen Gewerke sind Zauberer der besten Art, kommen aber erst gegen Ende zum Einsatz.

Also muß man sich Vieles vorstellen, die Effekte, die vollständige Besetzung, die Tierdarsteller, mal wird es kunstvoll beleuchtet sein, mal einfach sommerlich hell, mal regnerisch, mal sonnendurchflutet. Mein Kopf raucht, aber auf gute Art.

Wie erschafft man Winter in gleißendem Sonnenlicht? Wie wird es stockdunkel um 3 Uhr nachmittag?

Ich liebe es. Das ist Theater pur. Im Globe muß es ähnlich gelaufen sein, ohne Lichteffekte, aber mit Imagination.

Noch sechs Wochen. Ich bin so gespannt.


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