Freitag, 24. Mai 2019

Mischpoche - Andreas Mühe

Ein Mann hat einen Vater, der hatte drei Ehefrauen und mit ihnen fünf Kinder. Der Mann will seine Geschichte, das Gewebe seiner Familie untersuchen, vielleicht um etwas über sich selbst zu begreifen. Einige seiner Vorfahren sind am Leben, andere sind tot, manche sind früher, als üblicherweise erwartbar, aus dem Leben gegangen. Eine Familienaufstellung mit Menschen und Wachspuppen.



Als ich zum ersten Mal von diesem Vorhaben gehört habe, war ich schockiert. In einer Ausstellung von Werken des Photographen hing, irgendwie alles beherrschend, ein Bild seines Vaters Ulrich Mühe, als Nachbau. Fast lebensecht.

Wenn ich mir vorstelle, meine sicher auch nicht unkomplizierte Familiengeschichte öffentlich zu machen, sie mit Hilfe meiner Kunst zu untersuchen, wird mir ganz blümerant. Wie könnte ich diese Menschen, die ich in ihrer ganzen Anstrengendheit, ihrer letztendlich unerklärbaren Widersprüchlichkeit liebe, veröffentlichen, ohne ihnen Vereinfachung, also Gewalt anzutun?

Ich habe Ulli Mühe etwas gekannt, nicht intim, aber in Zuneigung, er war, in meinen Augen, unfassbar begabt, lustig, ambitioniert, direkt, verborgen, zynisch und zart.

Andreas Mühe habe ich, durch seine Bilder, letztes Jahr kennengelernt. Saugwirkung hatten sie. Sie zwangen mich zu schauen, zu staunen. Merkel und Kohl, anders als bekannt, deutsche Männer in deutscher Landschaft, deutsche Häuser - Faszination.

Heute habe ich seine "Mischpoche"-Austellung gesehen. Viele verstörende kleine Bilder, einige größere schwarz-weiß im Spotlight, aber dann sehe ich die zwei zentralen großformatigen Arbeiten und erkalte. 

Sich "nackt machen" ist furchtbar gefährlich, weil man nicht alles in der Hand haben kann, was dann zu sehen sein wird.

Mühe erschafft mit seinen Vorarbeiten eine Erwartung, die er nicht einlöst. Zwei große Photographien ohne Krisen. Zwei Ausweichmanöver. Völlig verständlich. Aber weil er seinen Titel wählte, Mischpoche, hat er in mir eine Erwartung geweckt, und der waren diezentralen Bilder nicht gewachsen.

Jiddisch ist ein tückischer Dialekt. Seine Worte bedeuten nicht immer das gleiche, je nachdem wer sie verwendet.

Mischpoche - deine Familie, mit all ihren schmutzigen Ecken und ihrer Liebe. Etwas, das Du dringend benötigst, selbst wenn Du sie erwürgen möchtest. Das wäre meine Definition.

Selbstentblößung ist trendy. Aber Herr Mühe ist, so habe ich es empfunden, die letzte Kurve nicht gefahren . Entweder / Oder. Ich will nicht darüber reden. Er will es und traut sich dann doch nicht.

WIKI: Mischpoke, auch Mischpoche oder Muschpoke, ist ein auf das hebräische מִשְׁפָּחָה ([miʃpa'χa] ‚Familie‘) zurückgehender Jiddismus in der Bedeutung ‚Familie, Gesellschaft, Sippschaft‘, der Anfang des 19. Jahrhunderts in der abwertenden Bedeutung ‚Gesindel, Diebesbande‘ in die deutsche Umgangssprache übernommen wurde. Während die Bezeichnung im Jiddischen wertneutral verwendet wird, hat das Wort im Deutschen häufig eine abwertende Bedeutung. Der Duden, der den Begriff 1941 aufnahm, definiert Mischpoke heute als salopp abwertend in der Bedeutung „jemandes Familie, Verwandtschaft“ und „üble Gesellschaft, Gruppe von unangenehmen Leuten“

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