Gestern: "Was hast DU geliebt? Kinder, Essen, Frauen, Theater. Und zwar von allem
reichlich. Darum sind wir auch sechs Kinder. Mit vier Müttern. Aber am
meisten hast du das Theater geliebt. Erst wenn gespielt wurde, hast du
das Leben durchschaut. Wach, witzig, böse und so unglaublich gescheit.
Benno, du fehlst!" Katharina Thalbach
Heute: "Ich muss das Vergessen dem Vergessen entreissen."
Gestern: eine Feier zum 100. Geburtstag von Benno Besson in der Volksbühne.
Heute: "Vögel" von Wajdi Mouawad im Neuen Haus des Berliner Ensembles.
Gestern: Thalbach, Pierre Besson, Philippe Besson, Ezio Toffolutti, Christoph Hein, Christian Grashof, Hermann Beyer, Winfried Glatzeder, die Jazz-Optimisten, Hildegard Alex, Walfriede Schmidt, Christoph Waltz, Friedrich Dieckmann, Manfred Karge, Kollegen von anderen Berliner Theatern und, sehr anwesend, so viele Gegangene, Vermisste.
Heute: Amina Merai, Dennis Svensson, Martin Rentzsch, Kathrin Wehlisch, Robert Spitz, Naomi Krauss, Rafat Alzakout, Hadar Dimand und als Regisseur Robert Schuster und ein unfassbar gutes Stück, ein mich glücklich erregender poetischer Text von Wajdi Mouawad, von dem ich viel gehört hatte, aber nichts gelesen oder gesehen, was ich nun zutiefst bedaure. Und froh bin, dass das jetzt von nun an anders ist.
Gestern: Theaterliebe in ihrer zärtlichsten Form. Indem sich öffentlich erinnert wurde, durfte ich mich erinnern. Im Foyer Super 8 Aufnahmen, die Besson gemacht hat, Ost-Berlin am 1. Mai 1955, ein junger Spund springt durchs Bild, es ist mein Theater-Held, Fred Düren. Auch zu sehen, meine Mama und mein Vater, beide sind 25, meine Großmutter ist jünger, als ich es jetzt bin, Brecht ist kurz zu sehen und Sabine Thalbach, die Frau mit dem schönsten Hals den es je gab, Wolf Kaiser, Raimund Schelcher, Norbert Christian, Regine Lutz, all diese Menschen kannte ich, aber ich war Kind und sie waren aus meiner Sicht hauptsächlich alt. Und ich treffe Leute, die ich als Kinder kannte und die nun selbst sehr großgewachsene Kinder haben. Man bin ich alt. Dann im Saal, Glatzeder, der Liebende aus "Paul und Paula", er wollte ums Verrecken nicht abgehen und dann zitiert er einen Monolog des Jacques aus "Wie es euch gefällt", den er 1975, also vor fast 50 Jahren gearbeitet hat und ich bin froh, dass er nicht abgegangen ist. Ezio Toffoluti liefert die beste Slapstick-Nummer des Abends, ermöglicht durch Katharina Thalbach, die ihm in zauberhaft helfender Weise zur Seite steht. Überhaupt, sie, die den Abend moderiert, gbt ihm eine Wärme, einen liebenden Respekt, der mich sehr berührt hat.
Der Gefeierte, Benno Besson, mit 12 war ich das erste Mal außerhäusig im Theater, bis dahin nur im BE aus familiären Gründen und im Theater der Freundschaft, weil ich halt ein Kind war, aber nun sah ich im Deutschen Theater "Der Drache" von Jewgeni Schwarz und der Gang von Rolf Ludwig, dem Drachen, die Treppe hoch, ist in mein Hirn eingebrannt und einige andere Bilder auch. Die Spektakel in der Volksbühne, wenn man nicht in Berko Acker verknallt war, dann in Kurt Goldstein und jedes Mittel war recht um reinzukommen. Zum "Hamlet" hat meine Schulfreundin ihr Deutsch-Abi gemacht. Wie wichtig Theater damals war? Ein Ort des Einverständnisses, des Verstehenwollens. Diktaturen sind die beste Zeit für Theater und die schlimmste.
Heute: Theaterliebe die mich zum Weinen gebracht hat, weil mir eine Geschichte ohne Erlösung mit Intensität und Distanz erzählt wurde. Hier haben Schauspieler monatelang ihnen völlig fremde Sprachen gelernt und spielen in ihnen, als wäre es ihre Muttersprache und verhandeln Probleme, die unsere Welt auseinanderreissen könnten. Meine Freundin hoffte, wider alle Realität auf ein Happy End. Ach gäbe es das doch. Ach.