Eine Führung durch die alte Chirugie - es ist kalt, es regnet, es weht, wir fahren nach Beelitz. Das Gelände ist riesig, Ruinen auf der einen Seite der Landstrasse, in Sanierung befindliche Gebäude und funktionierende Kliniken auf der anderen.
Hier wurde zwischen 1898 und 1930 die größte Lungenheilstätte Europas errichtet. Eine kuriose und politische Geschichte. Arbeiter des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts lebten unter grauenhaften Bedingungen, lange Arbeitstage, wenig Sonne, enge Wohnungen mit Nässe, Überbelegung, grässlichen hygienischen Bedingungen.
Ergo, Sie erkrankten, oft schon in der Kindheit, an Tuberkolose. Was sie als Arbeiter früher oder später unverwendbar machte. Bismarck hatte zur Befriedung der Arbeiter Sozial- und Gesundheitsversicherung eingeführt, keine Rentenversicherung, aber eine für Veteranen, also für die, die nicht mehr arbeiten konnten.
Ergo. Es entstand ein Problem: für die "Arbeitgeber", die befürchteten, einen großen Teil ihrer "Arbeitnehmer" an die Tuberkolose zu verlieren, diese Sorge wurde noch größer, als 1914 Soldaten für den geplanten großen Krieg gebraucht wurden, und auch ein Problem für die Versicherung, die immer mehr arbeitsunfähige, aber noch nicht tote, "nur" zunehmend kränkere Versicherte "durchschleppen" musste.
Eine Heilungsmethode gab es nicht, auch wenn Robert Koch schon das Tuberkel, die Ursache des Übels entdeckt hatte. Man wusste, Sonne half, gute Ernährung und Ruhe, keine Heilung, aber Aufschub. Wirkliche wirksame Antibiotika gab es erst nach 1945.
Ergo. Es mußte eine Lösung gefunden werden. Die Arbeits-, Soldatenkraft mußte geschützt werden.
Ergo. Es wurden von den Versicherungen Kliniken gebaut, erst in bergigen, luftigen Gegenden für die reichen Kranken, dann nahe der Großstädte für die weit mehr betroffenen Armen. Gute Luft, gutes Essen, viel Ruhe. Man stelle sich vor, ein Mensch aus dem vierten Hinterhof, dritte Etage, große Familie, ein Waschbecken für viele, Klo ebenfalls, wenn nicht im Hof, Schwamm in der Wand, keine Sonne, keine Ferien, unterernährt, trifft am Bahnhof Beelitz ein, wird entkleidet, transportiert und behandelt. Vom Elend ins Paradies? Allerdings ein ödes Paradies, ruhen, nicht lesen, nicht stricken, nichts tun. Es soll aber im Geheimen einiges gelaufen sein, der Pförtner hat sich bestechen lassen und es gab Feiern in den weitläufigen Kabeltunneln.
Wie Masttiere wurden die Kranken wieder erwerbsfähig gemacht und nach zwei oder drei Monaten wieder in die Armut, die harte Arbeit und den Dreck entlassen.
Eine Nebengeschichte, um die Lunge, durch die Krankheit, wie von Motten zerfressen, zu operieren, musste auf einer Seite eine Rippe entfernt werden, ohne Narkose, nur mit örtlicher Betäubung, was später zur Buckelhaltung führte.
Ergo, Einzelzimmer für die meisten, weil sie nach der Operation oft Schmerzen erlitten und stöhnten, dicke Wände zur Schallisolierung, hohe Decken, um den Lungenkranken genug Sauerstoff zu bieten, alle Zimmerecken rund, damit sich in den Ecken keine Keime absetzen konnten.
Von 1945 bis 1989 haben die Russen hier das grösste Militärhospital außerhalb der Sowjetunion betrieben. Die Bodenkacheln der ersten Bauphase sind unverwüstbar, die Wandkacheln, produziert in der DDR, nicht ganz so.
Ein Ein verwunschener Ort. Komprimierte Geschichte, deutsches Reich, Nazilazarett, Russenhospital, und der Wandalismus und die Partylaune der Neunziger.
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Zwischen der Eröffnung der Heilstätten 1902 und dem Jahr 1926 waren bereits 66.445 Männer, 43.953 Frauen und 6.559 Kinder als Patienten aufgenommen wurden. Insgesamt gab 1929 es 1.338 Betten, davon 950 für Lungenkranke und 400 Betten für Patienten mit Nervenschwäche, Rheuma, Magen- und Herzleiden. Oberstes Ziel der Behandlung in den Heilstätten war die "Verhütung von Invalidität" und die "Wiederherstellung von Erwerbsfähigkeit" der Kranken.