Samstag, 27. August 2022

Patientenimpressionen 4

Es sind jetzt sieben Wochen seitdem mir eine Konstruktion aus Titan und Kunststoff in den Körper implantiert wurden - auf dem Röntgenbild sieht es toll aus, elegant, wie ein leicht gebogenes Attentätermesser, dass in meinem Oberschenkelknochen steckt. Ich spüre es nicht. Es piekt hier und es piekt da, aber nicht dort. Und ich muß Sport machen, etwas, dass ich seit Ewigkeiten nicht mehr konnte und, ehrlicherweise, auch nicht richtig wollte. Sport ist langweilig. Aer jetzt muss er sein. Täglich. Das atrophierte Bein, wegen der Schmerzen geschont seit Jahren, muss wieder fit werden. What the fuck. Also habe ich jetzt ein Theraband und einen Gymnastikball und mein 40 Jahre altes Ketteler Standfahrrad wird endlich entsprechend genutzt. 

Trotzdem merkwürdig, wie ich in meinen Körper hineinhorche. Ein Schmerz da, was bedeutet der? ein Schmerz dort, ist der schlimm? Ich bin ängstlich, eine Gefühlslage, die ich nicht mag. Mißtrauen dem eigenen Körper gegenüber ist nicht förderlich.

GEDULD, nicht eine meiner größten Qualitäten, ist notwendig. Ein Jahr dauert es, bis man nix mehr merkt. Ein Jahr sind circa 52 Wochen. Sieben sind es jetzt. 



Patientenimpressionen 3

Meine erste Operation am 4. Juli, drei Wochen zu Hause, die Reha drei Wochen später - eine Reise. Meine erste Op, drei Wochen allein zu Haus mit Krücken, dann meine erste Reha. Ein Abenteuer.

"Gutmütigst", ein Wort, habe ich gerade zum ersten Mal gehört ( Das Wort wurde der Deutlichkeit wegen wiederholt! ) und ich hoffe, es nie wieder hören zu müssen. 

Die gemeinte "Gutmütigste" ist die Rentenkasse oder die Rehabilitationsklinik, die mir aus "Gutmütigskeit" mehr Behandlungsminuten zugesteht, als mir den bürokratischen Regeln nach zustehen würden.

Die Rehabilitationsklinik - Medical Park Humboldtmühle - ist eigentlich toll. Die Zimmer geräumig und genau richtig karg möbliert, immerhin müssen hier auch Rollstuhlfahrer zurechtkommen, das Bad perfekt, die Physiotherapeut*innen, Masseur*innen, Trainer*innen, Kellner*innen und Rezeptionist*innen zu 99 Prozent freundlich und kompetent, das Essen durchaus akzeptabel. Ich kann meine Fortschritte täglich spüren und bin heiterster Stimmung. 

Aber als ich, zum vierten Mal, nun mehr nachdrücklich, wegen zu viel ungenützter Zeit, um mehr Trainingseinheiten bitte, geschieht mir eine Begegnung der dritten Art: Ein Arzt mittleren Alters um die Lippen ein allwissendes Lächeln, das überdeutlich impliziert, ich kann die Kompliziertheit der Situation unmöglich vollumfänglich begreifen, steht vor mir und er "mansplained" auf mich herab. (Mansplaining: jemandem etwas auf eine als herablassend oder bevormundend empfundene Weise erklären, typischerweise ein Mann gegenüber einer Frau, so nennt es Wiki.) Hey, er ist 50, ich über 60, wir sind beide berufstätig, nur bin ich momentan in seinem Machtbereich. Zitat: "Manchen Patienten kann man es einfach nicht Recht machen." ARSCHLOCH. Seit ich raus aus der Schule bin, habe ich, erst im Osten, dann im Westen ganz brav Rentenbeiträge eingezahlt und der Kerl offeriert mir meine Therapie als "Geschenk", das mir die Rentenversicherung in ihrer unendlichen Güte zukommen läßt. Ein unangenehmes Zusammentreffen. Ich habe übrigens erstaunlicherweise nicht die Beherrschung verloren, sondern bin einfach gegangen und habe dann mehr Trainingseinheiten bekommen. Wäre ich um einiges älter oder weniger aufmüpfig, wie wäre das gelaufen?

Demut ist ein Wort, das mir jetzt öfters durchs Hirn schießt. Demut, sagt Wiki, ist die in die Einsicht in die Notwendigkeit und den Willen zum Hinnehmen der Gegebenheiten begründete Ergebenheit. Klingt edel, aber meint, glaube ich, auch die Einsicht, dass es mir im Vergleich zu vielen anderen Menschen verflixt gut geht. Drei Wochen in einem Haus mit Menschen, deren Leiden und Krankheiten, meine Hüfte zu einer Harmlosigkeit machen. Mir wird es wahrscheinlich in einigen Wochen richtig gut gehen, ihnen nicht. Also rege ich mich ab und versuche, demütig zu sein.


Freitag, 22. Juli 2022

Patientenimpressionen 2

Drei Wochen zuhause bis zur Reha meine zwei roten Krücken und ich. Neue Bewegungsabläufe, neue Langsamkeit, neue Bedachtsamkeit, immer eins nach dem anderen, alles durchgeplant und in realisierbare Einzelaktionen aufgeteilt. Dazu die ständige Innenbeobachtung, wo tut was weh und warum, ist es die Hüfte, bitte nur die nicht, nein, es ist nur die Narbe oder einer der vielen Muskeln, die Neues lernen müssen. 

Bisher hatte ich keine Ahnung was meine Lymphen überhaupt so machen, jetzt lerne ich sie kennen, Knie dick, Wade dick, Fuß dick und alle 15 Minuten pullern, Brennnesseltee (Drei "n"!), Lymphdrainage, Kneippgüsse - ich werde zu einer Ansammlung von Heilbehandlungen. 

Da laufe ich 63 Jahre durch die Gegend und mein freundlicher Körper macht was ich will, macht mit, was ich ihm auferlege, antue und plötzlich sagt eben dieser Körper, jetzt bin ich dran, kümmere dich um mich. Er hat jedes Recht dazu, trotzdem hat er mich mit seinen Forderungen überrascht. 

Die Regeln, nicht die Beine übereinanderschlagen, nicht das operierte Bein nach außen drehen, zwischen Oberkörper und Bein muß stets ein Winkel von mindestens 90 Grad bleiben, das ist wie Tanzen mit strengen Vorgaben. Ich stelle fest, dass ich versuche innerhalb dieser Einschränkungen eine gewisse Eleganz zu erreichen, die sich sofort in Luft auflöst, wenn mir was runterfällt. Dann hilft nur noch meine schicke Greifzange oder, wenn die es nicht schafft, warte ich auf den nächsten Besuch, der aufhebt, was ich fallen gelassen habe. Was habe ich für liebenswürdige Freunde! 

Oder, der Weg von mir zur Physio ist kurz, vielleicht normalerweise 1500 Schritte, in etwa 10 Minuten, bestückt mit Krücken zu Beginn 30, jetzt 20 Minuten und ich bin stolz wie ein Marathonläufer, wenn ich wieder daheim bin -und - ich schaue viel mehr als sonst auf den Boden, damit die Krücken nicht in Löcher stockern. 

Soviel Selbstbetrachtung, -beschäftigung, obwohl unbedingt nötig, wirkt trotzdem irgendwie egozentrisch auf mich, arbeiten geht nicht, Intelligentes lesen auch nicht, nur gesund werden ist die Aufgabe.

Dienstag, 19. Juli 2022

Patientenimpressionen 1

Ich humple schon seit langem und als jetzt das andere, das gesunde linke Bein, angefangen hat, sich wegen Überlastung zu beschweren, mußte ich, wohl oder übel, ins Krankenhaus. Meine erste Operation!

"Ein Streifen verrutscht. Halb so schlimm", sagt Dr. Walterfrosch. "kleine Operation, Tiger geheilt." Eine Operation ist, wenn der kleine Tiger eine wohltuende Spritze bekommt, dann schläft und einen schönen blauen Traum hat. Wacht auf, Operation vorbei, Tiger geheilt. Wohltuende kleine Spritze, blauer Traum, Operation vorbei, nix gemerkt, total komplett gesund geheilt. (Janosch)

Die Präparation: Verrückt, Menschen schneiden in Dein Fleisch, sägen ein Stück Knochen ab, stecken eine Konstruktion aus Titan und Kunststoff in dich und nähen dann das Ganze wieder zu. Vorher wurdest du geröntgt, kernspintomographiert, elektrokardiogrammt und sonst noch so Einiges. Du humpelst von Labor zu Labor, sitzt, wartest, siehst andere Kranke und viel Kränkere (Den Anblick von sehr alten Menschen, die in Krankenhausgängen auf Tragen liegen, finde ich entsetzlich traurig.) und du phantasierst dir mögliche imaginäre Schrecklichkeiten zusammen. Natürlich hast du dich vorher informiert, gegoogelt, (Sollte man nur in Maßen tun!) Freunde und Bekannte befragt, aber ... mein Hirn hat einen perversen Spaß daran, sich auszumalen, was alles schief gehen könnte.

Damit sie nicht das falsche Bein aufschneiden!  
 

Die Operation: Nüchtern bleiben (in neuer Bedeutung), "rückenfreies" Nachthemd anziehen, auf einer Trage herumgeschoben werden durch lange, leicht abgeschrammte Gänge vollgestellt mit hochmoderner Technik, der Anästhesist sagt Hallo, der Lagerungsassistent wechselt Nettigkeiten, der Operateur wischt vorbei, Spritze, schlafen, kein Traum.

Die Nachsorge: Wach werden, Aua, Schmerzmittel, schlafen, dämmern, pullern auf einem Schieber (unbequemer, demütigender Horror), Pappstulle mit Pappkäse und Pappbierschinken. Schlafen. Tag 2 aufstehen, selbstständig pinkeln, die Hüfte hält, das Pappessen wiederholt sich. Tag 3 den Flur runter und rauf an Krücken (Meine sind rot, habe ich mir zur Stimmungsaufhellung gekauft.)  schreiten, die Hüfte hält und die Schwestern sind zum überwiegenden Teil sehr lieb, auch unter Stress, die Pappe bleibt Pappe, sogar Schafskäse kann wie Pappe schmecken. Am Tag 4 ich darf runter in den Hof rauchen. Vor einem übergroßen Rauchverbotsschild versammeln sich Kranke und Pfleger und paffen um die Wette. Einer hat zwei gebrochene Arme, ein anderer trägt drei Fläschchen mit verschieden farbigen Flüssigkeiten, die aus ihm herauslaufen, mit sich herum, Rollstühle, Gehhilfen, Krücken, alles vertreten. Wie vorm Späti, nur ohne Bier. Man kommt schnell ins Gespräch, ich sehe ein Video, auf dem Leute mit Baseballschlägern auf einen Mann einprügeln, es ist der mit den eingegipsten Armen. Keiner hat ihm geholfen, als er blutend auf dem Bürgersteig lag, bis auf eine ältere türkische Frau, die ihr Kopftuch abnahm und damit seine Vene abgebunden hat. Er nennt sie jetzt "Mama". Was mag die Vorgeschichte sein.

Wie unterstützend, schützend und tröstend Freundschaften sind, wird einem wohl nie deutlicher, als zu solcher Zeit, wenn man eingeschränkt und rekonvaleszent auf Zuspruch und Hilfe angewiesen ist, ein Kokon von Wärme, Snacks, Aufmunterung und blöden Witzen.

Bis heute tut immer mal was anderes mehr oder weniger weh, aber nicht die neue Hüfte. Wünscht mir Glück!

 


 

Mittwoch, 15. Juni 2022

Beerdigungen

Mit zunehmendem Alter nehme ich häufiger an Beerdigungen teil, immer klarer wissend, dass die letzte dieser Zeremonien, meine eigene sein wird

Als mein allerliebste Großmutter starb war ich 12 und ihr Begräbnis war hauptsächlich ein dienstliches Zusammentreffen von egozentrischen Selbstdarstellern. Es wurde viel gelacht. Der Mann, der ihre Totenrede hielt, verwendete das Pronomen "ich" 57 Mal. Ich habe mitgezählt. Die Stasi machte derweil sinnlose Photos der vor dem Friedhof geparkten Autos. Ich habe sie, mein wunderbare olle Großmutter sehr, sehr geliebt.

Als ich 17 Jahre alt war, hat sich ein guter Freund umgebracht. Für uns Teenager damals völlig unbegreiflich und unfassbar. Wir hatten nichts vorausgesehen. fühlten uns vage schuldig.

Mit Mitte 20 starb ein mir lieber Mensch an Aids, ein wunderschöner, begabter, liebenswürdiger. Sein Lebenspartner besuchte mich und zündete mir aus alter Gewohnheit eine Zigarette an, dass ich sie nahm und rauchte berührte ihn. Wie sehr traurig.

50 Jahre alt war ich, als meine beste Freundin starb. Sie war 6 Jahre jünger als ich, lebenslustig, eine wild begabte, schlaue, lustige, gefühlvolle Frau, ein sexy Mädchen und ein herrlicher Mensch. Der letzte Satz, den sie zu mir gesagt hat, schon schwach und zerbrechlich, doch mich fest beim Kragen packend, waren: "Wag es nicht, nicht gern zu leben."

Mittlerweile sind es so viele mehr geworden. Immer die Kapelle, die Blumen, die Musikauswahl meist den Wünschen des Verstorbenen folgend, der Gang zum Grab, die Blumenblätter und der Sand, ein Ritual, eine Abwesenheit. Der Dorotheenstädtische Friedhof ist so etwas wie mein persönlicher Treffpunkt für Abschiede.

Mein Opa Walter, seine Frau, eine weitere Großmutter, mein Vater, meine Mutter, geliebte Kollegen, entfernte Verwandte - keiner lebt mehr, der mich als Kind kannte, ich bin eine der Alten. Seltsam.

Als mein Vater begraben wurde habe ich es geschafft die vier Zeilen seines Gedichtes aufzusagen.

Meinetwegen auch mit Schmerzen
meinetwegen auch mit Wut
sterben nicht nur mit dem Herzen
sterben so, als sei es gut.

Beim Begräbnis von Klaus Piontek, dem feinen, gebildeten, herzensguten, habe ich bei Strophe zwei von Mathias Claudius Gedicht "Der Mond ist aufgegangen" heulend aufgegeben.

Der Mond ist aufgegangen,
die goldnen Sternlein prangen
am Himmel hell und klar;
der Wald steht schwarz und schweiget,
und aus den Wiesen steiget
der weiße Nebel wunderbar.

Bei der Totenfeier für Dieter Mann, meines guten Intendanten, habe ich alle vier Strophen geschafft.

So legt euch denn, ihr Brüder,
In Gottes Namen nieder!
Kalt ist der Abendhauch.
Verschon' uns Gott mit Strafen,
Und laß uns ruhig schlafen,
Und unsern kranken Nachbar auch!

Katharina Thalbach hat liebenswürdigerweise, für mich beim Totengang meiner Mutter ihr Lieblingsgedicht gesprochen, ich konnte es nicht.

Der letzte Wellenreiter
Einer schöneren Zeit
Mir ward warm wo es schneit
Die mich lieben
Sind mir lang geblieben
Und auch so kleine Sorgen
Sind immer wieder – morgen
Die Kriege die die Welt zerfraßen
Haben mich und Meine in Ruh gelassen
Das Essen schön
Die Betten warm
Die Kinder kamen nicht zu Harm
Die Kindheit von Vater und Mutter umgeben
Mein Mann der liebt mich sein ganzes Leben
Und eigentlich froh und heiter
Ich bin der Wellenreiter
Zwischen Himmel und Hai
Kam ich halb sorglos
Am Schlimmsten vorbei.


Lasst uns, die, die wir lieben, gut behandeln, bevor wir begraben werden.









Sonntag, 5. Juni 2022

Freundlichkeit im Angesicht des Krieges

Wir alle, und ich weiß, dass ich zu diesem "wir" gehöre, kritisieren, schimpfen, meckern gern und ausgiebig. Wir brüllen unentwegt empört unsere Wahrheit in die mediale Welt. 

Warum begreift keiner, was wir so klar sehen?

Früher war es besser. Oder wenn es schlimm war, dann war es nur der damaligen Zeit und Situation geschuldet. So schlimm wie jetzt war es noch nie. 

Und (fast) keiner begreift das außer uns. Warum nur?

Bald wird die Welt untergehen. Die Menschen werden immer dümmer und böser. Die da oben, die Politiker, die Medien, die Trill-, Bill-, Millionäre machen alles kaputt, weil sie gierig, zynisch, korrupt sind. Die da unten sind blind, korrumpiert, verblendet oder von Qanon oder ähnlichem  gehirngewaschen. 

Warum begreift (fast) keiner, was "wir" klar sehen?

Klimakatastrophenleugnung, Coronaepidemie und Ukrainekrieg - Inflation, Hungersnöte, Trumpismus, Fundamentalismus, Populismus, Antisemitismus, Rassismus, Incels, Wokeness, Frauenfeindlichkeit. 

"Wir" sind frei davon, warum all die anderen nicht?

Seit drei Wochen laufe ich mit einer Krücke und erlebe eine andere Realität, eine, wo mir Menschen Hilfe anbieten, ungefragt, höflich und durchaus ernsthaft. Ich bin eine ältere Frau mit Gehhilfe, nix weltbewegendes, nur ein Detail, eine Kleinigkeit, eine mich beglückende Erfahrung.

Ich befürchte, hoffe, meine, unsere selbstgewisse Weltuntergangsgewissheit ist möglicherweise nur unserer, meiner Empathiefaulheit geschuldet. Denn wenn wir, ich, die Anderen so ernst nehmen würden, wie wir uns, ich mich selbst, dann müssten wir, müsste ich, Zweifel einräumen, Grautöne akzeptieren, unangenehme Fragen zulassen.

Es ist ungemein schön, sich, mich im Recht zu fühlen. Ich bin schlau, habe den Durchblick, weiß was läuft. Im Recht zu sein kostet mich allerdings auch nichts.  

Dieser bequeme Salonkommunismus, dieser Pazifismus ohne Achtung der Opfer, dieses Ich-bin-auf jeden Fall-besser-als-ihr-Denken, es kotzt mich an.

Momentan versucht keiner mich zu töten. Keiner bedroht mein Haus, mein Heim, meine Liebsten, meine Existenz.

Den Mund halten. Einatmen. Ausatmen. Einfühlen. Nachfühlen. Nachdenken. Nochmal nachdenken.

 



 


 

Samstag, 2. April 2022

GEHT ES DIR GUT? an der Volksbühne

 Fabian Hinrichs und René Pollesch sind "von alldem müd und wahnsinnig".

Geht es Dir gut? Um die Frage klar zu beantworten, nein, es geht mir nicht gut. Aber heute Abend geht es mir etwas besser, weil sich ein ein langer, dünner Mann anderthalb Stunden lang die Seele nach mir aus dem Leib gerufen hat. "Komm zurück!" 

Toller Trick, dieses "DU", mit dem er mich meint, mich und die anderen Zuschauer und vielleicht auch den Gott, an den ich nicht glaube.

Er hat gerufen, nicht geschrien, nicht gebrüllt, gerufen, die Seele aus dem Leib, nach mir. In Hoffnung auf Antwort?

Er hat mit bulgarischen und afrikanischen Chören gesungen und recht schlecht getanzt, damit ich noch mehr begreifen konnte, wie gut die Tänzer von Flying Steps waren. Und er hat mit einem Taxi coole Bremsmanöver veranstaltet und eine Mutter, die ein zweijähriges Kind mitgebracht hatte, höflich gebeten, zu gehen, weil hier doch nicht KIKA sei. Und er hat, als ein Zuschauer, um zum Pinkeln zu gehen, die Tür knallen ließ, lächelnd, leicht betrübt erwähnt, dass dies "die zweitleiseste Stelle" des Abends gewesen sei. Und in der ersten Hälfte trug er dabei das blödeste denkbare Kostüm, eine asymetrisch geschnittene Leinenparka mit schiefem Fellkragen.

Es ging um Corona, Masken, Putin, die Ukraine, Elon Musk, das Klima, und nichts davon wurde ausgesprochen. 1,5 Meter Abstand, 1,5 tausend Kilometer bis Kiyv, 1,5 Millionen Lichtjahre.

"Wir müssen jetzt über mehr reden, als über Dich und mich."

Und es gab eine wunderschöne silberne Rakete. 

"Geht's Dir gut?" von René Pollesch und Fabian Hinrichs 
an der Berliner Volksbühne © Thomas Aurin

Sonntag, 13. März 2022

DER HORATIER - HEINER MÜLLER - 1968


Heiner Müller
DER HORATIER (1968)

Zwischen der Stadt Rom und der Stadt Alba

War ein Streit um Herrschaft. 

Gegen die Streitenden

Standen in Waffen die Etrusker, mächtig.

Ihren Streit auszumachen vor dem erwarteten Angriff

Stellten sich gegeneinander in Schlachtordnung

Die gemeinsam Bedrohten. Die Heerführer

Traten jeder vor sein Heer und sagten

Einer dem andern: Weil die Schlacht schwächt

Sieger und Besiegte, laßt uns das Los werfen

Damit ein Mann kämpfe für unsere Stadt

Gegen einen Mann, kämpfend für eure Stadt

Aufsparend die andern für den gemeinsamen Feind

Und die Heere schlugen die Schwerter gegen die Schilde 

Zum Zeichen der Zustimmung und die Lose wurden geworfen. 

Die Lose bestimmten zu kämpfen

Für Rom einen Horatier, für Alba einen Kuriatier.

Der Kuriatier war verlobt der Schwester des Horatiers

Und der Horatier und der Kuriatier

Wurden gefragt jeder von seinem Heer:

Er ist/Du bist verlobt deiner/seiner Schwester. 

Soll das Los Geworfen werden noch einmal?

Und der Horatier und der Kuriatier sagten: Nein

Und sie kämpften zwischen den Schlachtreihen

Und der Horatier verwundete den Kuriatier

Und der Kuriatier sagte mit schwindender Stimme:

Schone den Besiegten. Ich bin

Deiner Schwester verlobt.

Und der Horatier schrie:

Meine Braut heißt Rom

Und der Horatier stieß dem Kuriatier

Sein Schwert in den Hals, daß das Blut auf die Erde fiel.

Als nach Rom heimkehrte der Horatier

Auf den Schilden der unverwundeten Mannschaft

Über die Schulter geworfen das Schlachtkleid

Des Kuriatiers, den er getötet hatte

Am Gürtel das Beuteschwert, in Händen das blutige eigne 

Kam ihm entgegen am östlichen Stadttor

Mit schnellem Schritt seine Schwester und hinter ihr

Sein alter Vater, langsam

Und der Sieger sprang von den Schilden, im Jubel des Volks 

Entgegenzunehmen die Umarmung der Schwester.

Aber die Schwester erkannte das blutige Schlachtkleid

Werk ihrer Hände, und schrie und löste ihr Haar auf.

Und der Horatier schalt die trauernde Schwester:

Was schreist du und lösest dein Haar auf.

Rom hat gesiegt. Vor dir steht der Sieger.

Und die Schwester küßte das blutige Schlachtkleid und schrie: Rom.

Gib mir wieder, was in diesem Kleid war.

Und der Horatier, im Arm noch den Schwertschwung

Mit dem er getötet hatte den Kuriatier

Um den seine Schwester weinte jetzt

Stieß das Schwert, auf dem das Blut des Beweinten

Noch nicht getrocknet war

In die Brust der Weinenden

Daß das Blut auf die Erde fiel. Er sagte:

Geh zu ihm, den du mehr liebst als Rom.

Das jeder Römerin

Die den Feind betrauert.

Und er zeigte das zweimal blutige Schwert allen Römern

Und der Jubel verstummte. Nur aus den hinteren Reihen

Der zuschauenden Menge hörte man noch

Heil rufen. Dort war noch nicht bemerkt worden

Das Schreckliche. 

Als im Schweigen des Volks der Vater 

Angekommen war bei seinen Kindern

Hatte er nur noch ein Kind. Er sagte:

Du hast deine Schwester getötet.

Und der Horatier verbarg das zweimal blutige Schwert nicht

Und der Vater des Horatiers

Sah das zweimal blutige Schwert an und sagte:

Du hast gesiegt. Rom Herrscht über Alba.

Er beweinte die Tochter, verdeckten Gesichts

Breitete auf ihre Wunde das Schlachtkleid

Werk ihrer Hände, blutig vom gleichen Schwert

Und umarmte den Sieger.

Zu den Horatiern jetzt

Traten die Liktoren, trennten mit Rutenbündel und Beil

Die Umarmung, nahmen das Beuteschwert

Vom Gürtel dem Sieger und dem Mörder aus der Hand das zweifach Blutige eigne.

Und von den Römern einer rief:

Er hat gesiegt. Rom Herrscht über Alba.

Und von den Römern ein andrer entgegnete:

Er hat seine Schwester getötet.

Und die Römer riefen gegeneinander:

Ehrt den Sieger.

Richtet den Mörder.

Und Römer nahmen das Schwert gegen Römer im Streit

Ob als Sieger geehrt werden sollte

Oder gerichtet werden als Mörder der Horatier.

Die Liktoren

Trennten die Streitenden mit Rutenbündel und Beil

Und beriefen das Volk in die Versammlung

Und das Volk bestimmte aus seiner Mitte zwei

Recht zu sprechen über den Horatier

Und gab dem einen in die Hand

Den Lorbeer für den Sieger

Und dem andern das Richtbeil, dem Mörder bestimmt

Und der Horatier stand

Zwischen Lorbeer und Beil.

Aber sein Vater stellte sich zu ihm

Der erste im Verlust, und sagte:

Schändliches Schauspiel, das der Albaner selbst

Nicht ansäh ohne Scham.

Gegen die Stadt stehn die Etrusker

Und Rom zerbricht sein bestes Schwert.

Um eine sorgt ihr.

Sorgt um Rom.

Und von den Römern einer entgegnete ihm

Rom hat viele Schwerter.

Kein Römer

Ist weniger als Rom oder Rom ist nicht.

Und von den Römern ein anderer sagte

Und zeigte mit Fingern die Richtung des Feinds: 

Zweifach mächtig

Ist der Etrusker, wenn entzweit ist Rom

Durch verschiedne Meinung

In unzeitigem Gericht.

Und der erste begründete so seine Meinung:

Ungesprochenes Gespräch

Beschwert den Schwertarm.

Verhehlter Zwiespalt

Macht die Schlachtreihe schütter.

Und die Liktoren trennten zum zweiten Mal

Die Umarmung der Horatier, und die Römer bewaffneten sich

Jeder mit seinem Schwert.

Der den Lorbeer hielt und der das Beil hielt

Jeder mit seinem Schwert, so daß die Linke jetzt

Den Lorbeer oder das Beil hielt und das Schwert

Die Rechte. Die Liktoren selbst

Legten aus der Hand einen Blick lang

Die Insignien ihres Amts und steckten

In den Gürtel jeder sein Schwert und nahmen

In die Hand wieder Rutenbündel und Beil

Und der Horatier bückte sich

Nach seinem Schwert, dem blutigen, das im Staub lag. 

Aber die Liktoren Verwehrten es ihm mit Rutenbündel und Beil.

Und der Vater des Horatiers nahm sein Schwert auch und ging 

Aufzuheben mit der Linken das blutige

Des Siegers, der ein Mörder war

Und die Liktoren verwehrten es ihm auch

Und die Wachen wurden verstärkt an den vier Toren

Und das Gericht wurde fortgesetzt

In Erwartung des Feinds.

Und der Lorbeerträger sagte:

Sein Verdienst löscht seine Schuld

Und der Beilträger sagte:

Seine Schuld löscht sein Verdienst

Und der Lorbeerträger fragte:

Soll der Sieger gerichtet werden? 

Und der Beilträger fragte:

Soll der Mörder geehrt werden?

Und der Lorbeerträger sagte:

Wenn der Mörder gerichtet wird

Wird der Sieger gerichtet

Und der Beilträger sagte:

Wenn der Sieger geehrt wird

Wird der Mörder geehrt.

Und das Volk blickte auf den unteilbaren einen

Täter der verschiedenen Taten und schwieg.

Und der Lorbeerträger und der Beilträger fragten:

Wenn das eine nicht getan werden kann

Ohne das andere, das es ungetan macht

Weil der Sieger/Mörder und der Mörder/Sieger sind ein Mann, unteilbar 

Sollen wir also von beidem keines tun

So daß da ein Sieg/Mord ist, aber kein Sieger/Mörder

Sondern der Sieger/Mörder heißt Niemand?

Und das Volk antwortete mit einer Stimme

(Aber der Vater des Horatiers schwieg): 

Da ist der Sieger. Sein Name: Horatius. 

Da ist der Mörder. Sein Name: Horatius. 

Viele Männer sind in einem Mann.

Einer hat gesiegt für Rom im Schwertkampf.

Ein andrer hat seine Schwester getötet

Ohne Notwendigkeit. Jedem das Seine.

Dem Sieger den Lorbeer. Dem Mörder das Beil. 

Und der Horatier wurde gekrönt mit dem Lorbeer 

Und der Lorbeerträger hielt sein Schwert hoch 

Mit gestrecktem Arm und ehrte den Sieger

Und die Liktoren legten aus der Hand

Rutenbündel und Beil und hoben das Schwert auf

Das zweimal blutige mit verschiedenem Blut

Das im Staub lag und reichten es dem Sieger

Und der Horatier mit gekrönter Schläfe

Hielt sein Schwert hoch so daß für alle sichtbar war

Das zweimal blutige mit verschiedenem Blut

Und der Beilträger legte das Beil aus der Hand, und die Römer alle 

Hielten jeder sein Schwert hoch drei Herzschläge lang

Mit gestrecktem Arm und ehrten den Sieger.

Und die Liktoren steckten ihre Schwerter

In den Gürtel wieder, nahmen das Schwert

Des Siegers aus der Hand dem Mörder und warfen es

In den vorigen Staub, und der Beilträger riß

Dem Mörder von der Schläfe den Lorbeer

Mit dem der Sieger gekrönt worden war und gab ihn

Wieder in die Hand dem Lorbeerträger und warf dem Horatier 

Über den Kopf das Tuch in der Farbe der Nacht

In die zu gehen er verurteilt war

Weil er einen Menschen getötet hatte

Ohne Notwendigkeit, und die Römer alle

Steckten jeder sein Schwert in die Scheide

So daß die Schneiden alle bedeckt waren

Damit nicht teilhatten die Waffen

Mit denen der Sieger geehrt worden war

An der Richtung des Mörders. Aber die Wachen

An den vier Toren in Erwartung des Feinds

Bedeckten ihre Schwerter nicht

Und die Schneiden der Beile blieben unbedeckt

Und das Schwert des Siegers, das im Staub lag, blutig.

Und der Vater des Horatiers sagte:

Dieser ist mein letztes. Tötet mich für ihn.

Und das Volk antwortete mit einer Stimme:

Kein Mann ist ein andrer Mann

Und der Horatier wurde gerichtet mit dem Beil

Daß das Blut auf die Erde fiel

Und der Lorbeerträger, in der Hand

Wieder den Lorbeer des Siegers, zerrauft jetzt

Weil von der Schläfe gerissen dem Mörder

Fragte das Volk:

Was soll geschehn mit dem Leichnam des Siegers?

Und das Volk antwortete mit einer Stimme:

Der Leichnam des Siegers soll aufgebahrt werden

Auf den Schilden der Mannschaft, heil durch sein Schwert.

Und sie fügten zusammen ungefähr

Das natürlich nicht mehr Vereinbare

Den Kopf des Mörders und den Leib des Mörders 

Getrennt voneinander mit dem Richtbeil

Blutig aus eigenem beide, zum Leichnam des Siegers

Auf den Schilden der Mannschaft, heil durch sein Schwert 

Nicht achtend sein Blut, das über die Schilde floß

Nicht achtend sein Blut auf den Händen, und drückten ihm 

Auf die Schläfe den zerrauften Lorbeer

Und steckten in die Hand mit den gekrümmten Fingern 

Vom letzten Krampf sein staubig blutiges Schwert ihm 

Und kreuzten über ihm die nackten Schwerter

Andeutend, daß nichts versehren solle den Leichnam 

Des Horatiers, der gesiegt hatte für Rom

Nicht Regen noch Zeit, nicht Schnee noch Vergessen 

Und betrauerten ihn mit verdecktem Gesicht.

Aber die Wachen an den vier Toren

In Erwartung des Feinds

Verdeckten ihre Gesichter nicht.

Und der Beilträger, in Händen wieder das Richtbeil

Auf dem das Blut des Siegers noch nicht getrocknet war 

Fragte das Volk:

Was soll geschehn mit dem Leichnam des Mörders? 

Und das Volk antwortete mit einer Stimme

(Aber der letzte Horatier schwieg) :

Der Leichnam des Mörders

Soll vor die Hunde geworfen werden 

Damit sie ihn zerreißen

Also daß nichts bleibt von ihm

Der einen Menschen getötet hat 

Ohne Notwendigkeit.

Und der letzte Horatier, im Gesicht

Zweifach die Tränenspur, sagte:

Der Sieger ist tot, der nicht zu vergessende

Solange Rom über Alba herrschen wird.

Vergeßt den Mörder, wie ich ihn vergessen habe

Der erste im Verlust.

Und von den Römern einer antwortete ihm:

Länger als Rom über Alba herrschen wird

Wird nicht zu vergessen sein Rom und das Beispiel

Das es gegeben hat oder nicht gegeben

Abwägend mit der Waage des Händlers gegen einander

Oder reinlich scheidend Schuld und Verdienst

Des unteilbaren Täters verschiedener Taten

Fürchtend die unreine Wahrheit oder nicht fürchtend

Und das halbe Beispiel ist kein Beispiel

Was nicht getan wird ganz bis zum wirklichen Ende

Kehrt ins Nichts am Zügel der Zeit im Krebsgang.

Und der Lorbeer wurde dem Sieger abgenommen

Und von den Römern einer verneigte sich

Vor dem Leichnam und sagte:

Gestatte, daß wir aus der Hand brechen, Sieger

Dir nicht mehr Empfindendem

Das Schwert, das gebraucht wird.

Und von den Römern ein andrer spie auf den Leichnam und sagte: 

Mörder, gib das Schwert heraus.

Und das Schwert wurde ihm aus der Hand gebrochen

Nämlich seine Hand mit der Totenstarre

Hatte sich geschlossen um den Schwertknauf

So daß die Finger gebrochen werden mußten 

Dem Horatier, damit er das Schwert herausgab 

Mit dem er getötet hatte für Rom und einmal 

Nicht für Rom, das blutige einmal zu viel

Damit gebraucht werden konnte von andern besser 

Was gut gebraucht hatte er und einmal nicht gut.

Und der Leichnam des Mörders, entzweit vom Richtbeil

Wurde vor die Hunde geworfen, damit sie

Ganz ihn zerrissen, so daß nichts bleibe von ihm

Der einen Menschen getötet hatte 

Ohne Notwendigkeit, oder so viel wie nichts.

Und von den Römern einer fragte die andern: 

Wie soll der Horatier genannt werden der Nachwelt? 

Und das Volk antwortete mit einer Stimme: 

Er soll genannt werden der Sieger über Alba

Er soll genannt werden der Mörder seiner Schwester

Mit einem Atem sein Verdienst und seine Schuld.

Und wer seine Schuld nennt und nennt sein Verdienst nicht 

Der soll mit den Hunden wohnen als ein Hund

Und wer sein Verdienst nennt und nennt seine Schuld nicht 

Der soll auch mit den Hunden wohnen.

Wer aber seine Schuld nennt zu einer Zeit

Und nennt sein Verdienst zu anderer Zeit

Redend aus einem Mund zu verschiedner Zeit anders 

Oder für verschiedne Ohren anders

Dem soll die Zunge ausgerissen werden.

Nämlich die Worte müssen rein bleiben. Denn

Ein Schwert kann zerbrochen werden und ein Mann

Kann auch zerbrochen werden, aber die Worte

Fallen in das Getriebe der Welt uneinholbar

Kenntlich machend die Dinge oder unkenntlich.

Tödlich dem Menschen ist das Unkenntliche.

So stellten sie auf, nicht fürchtend die unreine Wahrheit

In Erwartung des Feinds ein vorläufiges Beispiel

Reinlicher Scheidung, nicht verbergend den Rest

Der nicht aufging im unaufhaltbaren Wandel

Und gingen jeder an seine Arbeit wieder, im Griff

Neben Pflug, Hammer, Ahle, Schreibgriffel das Schwert.





Dienstag, 8. März 2022

Krieg

Ich hatte Mühe, bei "Bühnenschüssen", auch wenn ich vorgab der Schütze zu sein, nicht panisch zusammenzuzucken. Im echten Leben habe ich keinen Schuß erlebt oder auch nur gehört, außer Luftgewehre auf Jahrmärkten.

Das nahezu orchestrale Pfeifen der Stalinorgeln in Dokumentationen über den Zweiten Weltkrieg jagte mir Angst ein.

In Filmen ist Schießen meist lustig, 1000 Patronen in einer Minute und lauter Tote, die nur tot spielen.

 

Mein Onkel Herbert ist vor Stalingrad "gefallen", vermutlich wurde er von einem Panzer überrollt. Mein Vater sollte 44 noch zu den Werwölfen und wurde von seinem Vater daran gehindert, was ihn den Krieg überleben ließ. Die Familie wurde 45 in Magdeburg ausgebombt.

Meine Familie mütterlicherseits war 12 Jahre auf der Flucht vor dem Krieg, der jetzt der 2. Weltkrieg genannt wird. Beim Ersten gab es noch keine Nummerierung, er hieß einfach der Große Krieg.

Meine liebsten Freunde hatten schreckliche Zeiten bei der NVA in DDR-Friedenszeiten und der gänzlich militaristische Wehrkundeunterricht meiner Oberschulzeit lehrte uns Verhalten im Kriegsfall, dass sicher nichts genutzt hätte. Z.B.: Übermangansaures Kaliumpermanganat in Wasser auflzuösen und darin Kleidung etc. einzuweichen, um sie strahlungsabweisend zu machen, die Hülle des Personalausweises  zur Schutzbrille umzuarbeiten und den Deckel für den Exkremente-Eimer im Schutzkeller nicht zu vergessen. Der FDJ-Sekretär täuschte aus einem Busch heraus mit feuchten Platzpatronen einen Atomangriff vor, woraufhin wir uns in Richtung der "Explosion" auf den Boden werfen sollten, da wir so unter den konkaven Teil des Atompilzes gelangen würden.

Stanislaw Lem war da hilfreicher. "Im Falle eines Atomangriffes werfen sie sich auf den Boden und legen ihre Aktentasche über den Kopf, dann robben sie eilig zum nächsten Friedhof."

Ich gehöre der glücklichen Generation meines Landes an, der, die keinen Krieg erlebt hat. So wie meine Altersgenossen in Frankreich, Groß-Britannien, Schweden, Griechenland, etc. 

Andere, genauso alt, die in Kroatien, Serbien, dem Kosovo, Palästina, Israel, Syrien, dem Kongo, Ruanda und vielen anderen Ländern leben, hatten dieses Glück nicht.

Und jetzt ein Krieg uns ganz nah, es sind nur etwa 1000 Kilometer bis Kyiv. Ich weiß, die Flüchtenden werden liebevoll aufgenommen, aber die aus Syrien kamen, wurden mißtrauisch beäugt. Die jetzigen sehen uns ähnlich. Macht das den Unterschied? Und sie sind eher Christen. Auch Polen und Ungarn öffnen ihre Türen.

Ich weiß, dass die Ukraine kein Land voller Heiliger und ohne eigene Oligarchen, Korruption und rechtsradikale Söldner ist. Ich weiß, (vermute), dass die Nato und die Geheimdienste der USA nach dem offiziellen Ende des Kalten Krieges intensiv eigene Interessen in der Ukraine gefördert haben.

https://www.youtube.com/watch?v=DjTJF8OPAIg 

Und ich weiß, dass die Rote Armee uns unter großen Opfern und mit verspäteter Hilfe durch die westlichen Armeen, vom Faschismus befreit hat.

ABER. ABER. Wladimir Wladimirowitsch Putin hat diesen Krieg erklärt und seine Kriegserklärung mit Lügen gepolstert. Er berät sich mit seinen Generälen an einem 10 Meter langen Tisch, wobei er an dem einen Ende sitzt und die nervösen Militärs am anderen. Er meint entscheiden zu können, ob die Ukrainer das Recht haben, ihr Land ihr eigen zu nennen. Er arbeitet mit nationalistischen Konstrukten, die nach Großrussischem Reich stinken. Er droht mit dem Einsatz von Atomwaffen. Er ist im KGB groß geworden und diese Prägung bestimmt seine Entscheidungen.

https://www.t-online.de/nachrichten/id_91710112/wladimir-putin-enger-vertrauter-spricht-reaktion-vom-kremlchef-geht-viral.html

Laut einer Umfrage des Moskauer Levada-Zentrums, bewerten 70 Prozent der Russen Stalins Rolle in der Geschichte positiv, während sie nur von 19 Prozent negativ beurteilt wird. (Umfrage des Levada Zentrums 2019)

Russisches Gas & Nord Stream oder amerikanisches Flüssiggas? Welche Rolle spielt das?

100 000 000 Millionen für die Aufrüstung, eine große erschreckende Geste, die mir erst bewußt gemacht hat, dass nach 89 wirklich und fast unbemerkt abgerüstet wurde. Und jetzt alles wieder hochpumpen? 

Und die Klimakrise macht keine Kriegspause. Und Corona ist noch nicht vorbei. Und Trump dreht  ab.

https://www.youtube.com/watch?v=dLSaFerdWQE

Hier meine Losung, die ein besonders idiotisches Transparent aus der DDR zu Zeiten des Kalten Krieges wiederholt.

WIR FORDERN EINE WELT OHNE ATOME!


Sonntag, 6. Februar 2022

Dieter Mann ist gestorben

Dieter Mann. 

Wir haben uns über die vielen Jahre immer gesiezt und doch mit dem Vornamen angesprochen. Eine unfassbar altmodische Form von gegenseitigem Respekt.

Ich war 21, Elevin und in den Proben zu Alexander Langs "Sommernachtstraum" gab es der Witzeleien über meine Jugend die Menge. Eines Tages, wieder mal eine lustige Bemerkung, diesmal von Dieter Mann, über meine jugendliche Erscheinung, genauer meine Brüste. Und ich hatte genug, biss zurück, "Ist Ihnen das nicht irgendwann langweilig?" Pause. Mir schoß durchs Hirn, jetzt hast Du's dir mit einem älteren Kollegen versaut. Nach langer Pause murmelte D.M. "Ich werde sehr bald 40." Seitdem hatte ich ihn gern.

Mit Christine Schorn in "Unterwegs"

Er hat mir, nun schon als Intendant, vorgeschlagen, das Deutsche Theater zu verlassen, sah keine Zukunft für mich. Er hat zwei Jahre später, ich hatte seinen Rat nicht befolgt, seinen Vorschlag zurückgenommen und mich in die DT-Familie aufgenommen. Er war, mir gegenüber, in ganz erstaunlicher Weise ehrlich und klar. Damit konnte ich gut umgehen.

Er hat mir, zusammen mit Ulrike Krumbiegel, als blutige Regie-Anfängerin zu meiner ersten Regie in den Kammerspielen des Deutschen Theaters verholfen und hat sich meinen noch sehr unlockeren Einfällen großmütig und offen ausgesetzt.

Er hat, als wir, 1988/89, "Die Diktatur des Gewissens", von Schatrow, ein wirklich schlechtes Stück, aber auch ein wirklich notwendiger Text zur Zeit, gefühlte 1000 Mal in einem Jahr spielten, den alten Mann aus der Ukraine, um uns aufzuheitern, ein jedesmal anders alt angelegt, mal war er 80, dann 120, gelegentlich noch viel älter.

Er war ein Arbeiterkind, Student der Arbeiter- und Bauern Fakultät, seine Bildung, und sie war beeindruckend, war das Ergebnis von harter Arbeit und Hoffnung. Wenn der verfluchte unsozialistische Sozialismus eine gute Seite hatte, dann, dass Kinder, die nie hätten studieren können, es konnten.

Er war Mitglied der SED und Intendant, sicher ein zweischneidiges Ding, eine solche Position in einem solchen Land. Er hat im aufgeregten und aufregenden Jahr 1989 einige gute Entscheidungen getroffen und versucht, Notwendiges zu ermöglichen.

ZWEI KRAWATTEN  Aufzeichnung der Inszenierung des Deutschen Theaters. Was für ein Spaß war das und dann hat Dieter auch noch gesteppt.

Er gab elegante Handküsse.

Er konnte ganz wunderbar Gedichte sprechen und Verse, präzise, unangestrengt, ganz gerade gedacht, nicht betont oder getönt. 

Photo Ralf Hirschberger / dpa

Ich hatte ihn sehr gern und es gibt mittlerweile verflixt viele Kränze, die von der Nachwelt, für von mir verehrte Mimen, nicht geflochten werden.

Dem Mimen flicht die Nachwelt keine Kränze,
Drum muss er geizen mit der Gegenwart,
Den Augenblick, der sein ist, ganz erfüllen,
Muss seiner Mitwelt mächtig sich versichern,
Und im Gefühl der Würdigsten und Besten
Ein lebend Denkmal sich erbaun – So nimmt er
Sich seines Namens Ewigkeit voraus,
Denn wer den Besten seiner Zeit genug
Getan, der hat gelebt für alle Zeiten.