Mit zunehmendem Alter nehme ich häufiger an Beerdigungen teil, immer klarer wissend, dass die letzte dieser Zeremonien, meine eigene sein wird
Als mein allerliebste Großmutter starb war ich 12 und ihr Begräbnis war hauptsächlich ein dienstliches Zusammentreffen von egozentrischen Selbstdarstellern. Es wurde viel gelacht. Der Mann, der ihre Totenrede hielt, verwendete das Pronomen "ich" 57 Mal. Ich habe mitgezählt. Die Stasi machte derweil sinnlose Photos der vor dem Friedhof geparkten Autos. Ich habe sie, mein wunderbare olle Großmutter sehr, sehr geliebt.
Als ich 17 Jahre alt war, hat sich ein guter Freund umgebracht. Für uns Teenager damals völlig unbegreiflich und unfassbar. Wir hatten nichts vorausgesehen. fühlten uns vage schuldig.
Mit Mitte 20 starb ein mir lieber Mensch an Aids, ein wunderschöner, begabter, liebenswürdiger. Sein Lebenspartner besuchte mich und zündete mir aus alter Gewohnheit eine Zigarette an, dass ich sie nahm und rauchte berührte ihn. Wie sehr traurig.
50 Jahre alt war ich, als meine beste Freundin starb. Sie war 6 Jahre jünger als ich, lebenslustig, eine wild begabte, schlaue, lustige, gefühlvolle Frau, ein sexy Mädchen und ein herrlicher Mensch. Der letzte Satz, den sie zu mir gesagt hat, schon schwach und zerbrechlich, doch mich fest beim Kragen packend, waren: "Wag es nicht, nicht gern zu leben."
Mittlerweile sind es so viele mehr geworden. Immer die Kapelle, die Blumen, die Musikauswahl meist den Wünschen des Verstorbenen folgend, der Gang zum Grab, die Blumenblätter und der Sand, ein Ritual, eine Abwesenheit. Der Dorotheenstädtische Friedhof ist so etwas wie mein persönlicher Treffpunkt für Abschiede.
Mein Opa Walter, seine Frau, eine weitere Großmutter, mein Vater, meine Mutter, geliebte Kollegen, entfernte Verwandte - keiner lebt mehr, der mich als Kind kannte, ich bin eine der Alten. Seltsam.
Als mein Vater begraben wurde habe ich es geschafft die vier Zeilen seines Gedichtes aufzusagen.
Meinetwegen auch mit Schmerzen
meinetwegen auch mit Wut
sterben nicht nur mit dem Herzen
sterben so, als sei es gut.
Beim Begräbnis von Klaus Piontek, dem feinen, gebildeten, herzensguten, habe ich bei Strophe zwei von Mathias Claudius Gedicht "Der Mond ist aufgegangen" heulend aufgegeben.
Der Mond ist aufgegangen,
die goldnen Sternlein prangen
am Himmel hell und klar;
der Wald steht schwarz und schweiget,
und aus den Wiesen steiget
der weiße Nebel wunderbar.
Bei der Totenfeier für Dieter Mann, meines guten Intendanten, habe ich alle vier Strophen geschafft.
So legt euch denn, ihr Brüder,
In Gottes Namen nieder!
Kalt ist der Abendhauch.
Verschon' uns Gott mit Strafen,
Und laß uns ruhig schlafen,
Und unsern kranken Nachbar auch!
Katharina Thalbach hat liebenswürdigerweise, für mich beim Totengang meiner Mutter ihr Lieblingsgedicht gesprochen, ich konnte es nicht.
Der letzte Wellenreiter
Einer schöneren Zeit
Mir ward warm wo es schneit
Die mich lieben
Sind mir lang geblieben
Und auch so kleine Sorgen
Sind immer wieder – morgen
Die Kriege die die Welt zerfraßen
Haben mich und Meine in Ruh gelassen
Das Essen schön
Die Betten warm
Die Kinder kamen nicht zu Harm
Die Kindheit von Vater und Mutter umgeben
Mein Mann der liebt mich sein ganzes Leben
Und eigentlich froh und heiter
Ich bin der Wellenreiter
Zwischen Himmel und Hai
Kam ich halb sorglos
Am Schlimmsten vorbei.
Lasst uns, die, die wir lieben, gut behandeln, bevor wir begraben werden.
Vielleicht ist dies ein würdiger Platz meines besten Freundes Frank Körner zu gedenken. Er verabschiedete sich, 22-jährig, mit den Worten: Verklungen das Lied,
AntwortenLöschenverraucht der Rauch,
die Welt ist müd‘,
ich bin es auch.