Dienstag, 8. März 2022

Krieg

Ich hatte Mühe, bei "Bühnenschüssen", auch wenn ich vorgab der Schütze zu sein, nicht panisch zusammenzuzucken. Im echten Leben habe ich keinen Schuß erlebt oder auch nur gehört, außer Luftgewehre auf Jahrmärkten.

Das nahezu orchestrale Pfeifen der Stalinorgeln in Dokumentationen über den Zweiten Weltkrieg jagte mir Angst ein.

In Filmen ist Schießen meist lustig, 1000 Patronen in einer Minute und lauter Tote, die nur tot spielen.

 

Mein Onkel Herbert ist vor Stalingrad "gefallen", vermutlich wurde er von einem Panzer überrollt. Mein Vater sollte 44 noch zu den Werwölfen und wurde von seinem Vater daran gehindert, was ihn den Krieg überleben ließ. Die Familie wurde 45 in Magdeburg ausgebombt.

Meine Familie mütterlicherseits war 12 Jahre auf der Flucht vor dem Krieg, der jetzt der 2. Weltkrieg genannt wird. Beim Ersten gab es noch keine Nummerierung, er hieß einfach der Große Krieg.

Meine liebsten Freunde hatten schreckliche Zeiten bei der NVA in DDR-Friedenszeiten und der gänzlich militaristische Wehrkundeunterricht meiner Oberschulzeit lehrte uns Verhalten im Kriegsfall, dass sicher nichts genutzt hätte. Z.B.: Übermangansaures Kaliumpermanganat in Wasser auflzuösen und darin Kleidung etc. einzuweichen, um sie strahlungsabweisend zu machen, die Hülle des Personalausweises  zur Schutzbrille umzuarbeiten und den Deckel für den Exkremente-Eimer im Schutzkeller nicht zu vergessen. Der FDJ-Sekretär täuschte aus einem Busch heraus mit feuchten Platzpatronen einen Atomangriff vor, woraufhin wir uns in Richtung der "Explosion" auf den Boden werfen sollten, da wir so unter den konkaven Teil des Atompilzes gelangen würden.

Stanislaw Lem war da hilfreicher. "Im Falle eines Atomangriffes werfen sie sich auf den Boden und legen ihre Aktentasche über den Kopf, dann robben sie eilig zum nächsten Friedhof."

Ich gehöre der glücklichen Generation meines Landes an, der, die keinen Krieg erlebt hat. So wie meine Altersgenossen in Frankreich, Groß-Britannien, Schweden, Griechenland, etc. 

Andere, genauso alt, die in Kroatien, Serbien, dem Kosovo, Palästina, Israel, Syrien, dem Kongo, Ruanda und vielen anderen Ländern leben, hatten dieses Glück nicht.

Und jetzt ein Krieg uns ganz nah, es sind nur etwa 1000 Kilometer bis Kyiv. Ich weiß, die Flüchtenden werden liebevoll aufgenommen, aber die aus Syrien kamen, wurden mißtrauisch beäugt. Die jetzigen sehen uns ähnlich. Macht das den Unterschied? Und sie sind eher Christen. Auch Polen und Ungarn öffnen ihre Türen.

Ich weiß, dass die Ukraine kein Land voller Heiliger und ohne eigene Oligarchen, Korruption und rechtsradikale Söldner ist. Ich weiß, (vermute), dass die Nato und die Geheimdienste der USA nach dem offiziellen Ende des Kalten Krieges intensiv eigene Interessen in der Ukraine gefördert haben.

https://www.youtube.com/watch?v=DjTJF8OPAIg 

Und ich weiß, dass die Rote Armee uns unter großen Opfern und mit verspäteter Hilfe durch die westlichen Armeen, vom Faschismus befreit hat.

ABER. ABER. Wladimir Wladimirowitsch Putin hat diesen Krieg erklärt und seine Kriegserklärung mit Lügen gepolstert. Er berät sich mit seinen Generälen an einem 10 Meter langen Tisch, wobei er an dem einen Ende sitzt und die nervösen Militärs am anderen. Er meint entscheiden zu können, ob die Ukrainer das Recht haben, ihr Land ihr eigen zu nennen. Er arbeitet mit nationalistischen Konstrukten, die nach Großrussischem Reich stinken. Er droht mit dem Einsatz von Atomwaffen. Er ist im KGB groß geworden und diese Prägung bestimmt seine Entscheidungen.

https://www.t-online.de/nachrichten/id_91710112/wladimir-putin-enger-vertrauter-spricht-reaktion-vom-kremlchef-geht-viral.html

Laut einer Umfrage des Moskauer Levada-Zentrums, bewerten 70 Prozent der Russen Stalins Rolle in der Geschichte positiv, während sie nur von 19 Prozent negativ beurteilt wird. (Umfrage des Levada Zentrums 2019)

Russisches Gas & Nord Stream oder amerikanisches Flüssiggas? Welche Rolle spielt das?

100 000 000 Millionen für die Aufrüstung, eine große erschreckende Geste, die mir erst bewußt gemacht hat, dass nach 89 wirklich und fast unbemerkt abgerüstet wurde. Und jetzt alles wieder hochpumpen? 

Und die Klimakrise macht keine Kriegspause. Und Corona ist noch nicht vorbei. Und Trump dreht  ab.

https://www.youtube.com/watch?v=dLSaFerdWQE

Hier meine Losung, die ein besonders idiotisches Transparent aus der DDR zu Zeiten des Kalten Krieges wiederholt.

WIR FORDERN EINE WELT OHNE ATOME!


Sonntag, 6. Februar 2022

Dieter Mann ist gestorben

Dieter Mann. 

Wir haben uns über die vielen Jahre immer gesiezt und doch mit dem Vornamen angesprochen. Eine unfassbar altmodische Form von gegenseitigem Respekt.

Ich war 21, Elevin und in den Proben zu Alexander Langs "Sommernachtstraum" gab es der Witzeleien über meine Jugend die Menge. Eines Tages, wieder mal eine lustige Bemerkung, diesmal von Dieter Mann, über meine jugendliche Erscheinung, genauer meine Brüste. Und ich hatte genug, biss zurück, "Ist Ihnen das nicht irgendwann langweilig?" Pause. Mir schoß durchs Hirn, jetzt hast Du's dir mit einem älteren Kollegen versaut. Nach langer Pause murmelte D.M. "Ich werde sehr bald 40." Seitdem hatte ich ihn gern.

Mit Christine Schorn in "Unterwegs"

Er hat mir, nun schon als Intendant, vorgeschlagen, das Deutsche Theater zu verlassen, sah keine Zukunft für mich. Er hat zwei Jahre später, ich hatte seinen Rat nicht befolgt, seinen Vorschlag zurückgenommen und mich in die DT-Familie aufgenommen. Er war, mir gegenüber, in ganz erstaunlicher Weise ehrlich und klar. Damit konnte ich gut umgehen.

Er hat mir, zusammen mit Ulrike Krumbiegel, als blutige Regie-Anfängerin zu meiner ersten Regie in den Kammerspielen des Deutschen Theaters verholfen und hat sich meinen noch sehr unlockeren Einfällen großmütig und offen ausgesetzt.

Er hat, als wir, 1988/89, "Die Diktatur des Gewissens", von Schatrow, ein wirklich schlechtes Stück, aber auch ein wirklich notwendiger Text zur Zeit, gefühlte 1000 Mal in einem Jahr spielten, den alten Mann aus der Ukraine, um uns aufzuheitern, ein jedesmal anders alt angelegt, mal war er 80, dann 120, gelegentlich noch viel älter.

Er war ein Arbeiterkind, Student der Arbeiter- und Bauern Fakultät, seine Bildung, und sie war beeindruckend, war das Ergebnis von harter Arbeit und Hoffnung. Wenn der verfluchte unsozialistische Sozialismus eine gute Seite hatte, dann, dass Kinder, die nie hätten studieren können, es konnten.

Er war Mitglied der SED und Intendant, sicher ein zweischneidiges Ding, eine solche Position in einem solchen Land. Er hat im aufgeregten und aufregenden Jahr 1989 einige gute Entscheidungen getroffen und versucht, Notwendiges zu ermöglichen.

ZWEI KRAWATTEN  Aufzeichnung der Inszenierung des Deutschen Theaters. Was für ein Spaß war das und dann hat Dieter auch noch gesteppt.

Er gab elegante Handküsse.

Er konnte ganz wunderbar Gedichte sprechen und Verse, präzise, unangestrengt, ganz gerade gedacht, nicht betont oder getönt. 

Photo Ralf Hirschberger / dpa

Ich hatte ihn sehr gern und es gibt mittlerweile verflixt viele Kränze, die von der Nachwelt, für von mir verehrte Mimen, nicht geflochten werden.

Dem Mimen flicht die Nachwelt keine Kränze,
Drum muss er geizen mit der Gegenwart,
Den Augenblick, der sein ist, ganz erfüllen,
Muss seiner Mitwelt mächtig sich versichern,
Und im Gefühl der Würdigsten und Besten
Ein lebend Denkmal sich erbaun – So nimmt er
Sich seines Namens Ewigkeit voraus,
Denn wer den Besten seiner Zeit genug
Getan, der hat gelebt für alle Zeiten.



Samstag, 25. Dezember 2021

DON'T LOOK UP - Netflix schenkt uns eine weihnachtliche Apokalypse

DON'T LOOK UP

Ein sehr großer Komet steuert auf die Erde zu und wird sie demnächst zerstören, was tuen wir, um das zu verhindern?

Nichts.

Dann unter übergroßem Druck, das absolut Notwendige.

Ohne all zu viel Opfer zu bringen.

Ein guter Freund von mir, der seit 1990 in den USA lebt und dort gerne lebt, erzählte mir, dass er 2017, als Trump die Wahl zum Präsidenten der USA gewann, und er ist ein bekennender Zyniker, zwei Wochen lang unter Magenschmerzen und Brechreiz litt.

Die Wut und die Angst, die ich fühle, wenn ich es mit Menschen zu tun bekomme, die irrational argumentieren, für die weiß nicht weiß ist, 1 + 2 nicht 3, sondern 5, sind real. Wissenschaftliche Erkenntnisse werden von ihnen mit einem Schulterzucken abgetan. Ihre Gefühle werden als Meinungen verkauft. Behauptungen bekommen das Gewicht von Urteilen. "Ich lasse mich nicht impfen, denn Gott hat mir ein Immunsystem gegeben." Ich brauche keine Impfung, denn ich lebe gesund, bewege mich viel an der frischen Luft und esse gesund.", "Ich fühle tief in mir, das da was nicht stimmt und handele dementsprechend.". 

Wenn mein Gasherd nicht funktioniert, wende ich mich an einen Experten für Gasherde, wenn mein Blinddarm schmerzt, gehe ich in die Notaufnahme, um Hilfe zu bekommen. Aber bei Corona weiß ich es besser, denn hier geht es nicht um die drei Impfungen, die ich benötige, um in Kenia auf Safari zu gehen, sondern um meine Freiheit. 

Was ist mit unseren Gehirnen passiert? 

Im Film sieht man den sich der Erde nähernden Kometen ab einem bestimmten Punkt deutlich am Himmel, da ist "Don't look up", "Schau nicht hin", der passende Slogan, weniger Tests, heißt weniger Corona. Was ist mit unseren Gehirnen passiert?



Sonntag, 5. Dezember 2021

DIE COVID-IMPFUNG UND SELBST EINIGERMASSEN KLUGE LEUTE DREHEN DURCH.

Ich bin heute auf Facebook als KZ-Wärterin bezeichnet worden, weil ich mich fieser Propaganda verweigert habe, man hat mir prophezeit, ich würde in einer, nicht näher bezeichneten Zukunft, meine Hände nicht in Unschuld waschen können und würde mich für meine Worte schämen, mein Vater würde sich im Grab umdrehen und mein Großvater wäre empört, ob dessen, was ich poste. Dies alles geschah in Folge zweier Postings in denen ich erstens eine emotionale, aggressive und gänzlich introvertierte Reaktion auf die Äußerungen einer bestürzend ungenauen, esoterischen Nicht-Impferin konstatiert und, zweitens, meinen Impfstatus auf "geboostert" aufgestockt habe.

Ich habe in jungen Jahren meine kleine Schwester einmal geschupst, ansonsten ist mein physisches Gewaltkonto ernüchternd leer, gemein bin ich manchmal, aber, so denke ich, nur im Rahmen des Üblichen.

Was ist mit uns los? Nette Leute, bei denen ich vermute, dass sie unter normalen Umständen, freundlich und umgänglich wären, äußern plötzlich Vorwürfe der aggressivsten Art und fühlen sich dabei völlig im Recht.

"Wir befinden uns in einer Situation, die der in 1933 oder wahlweise 1989 gleicht. Die Diktatur ist im Kommen oder, was das gleiche ist, diese Diktatur muß verhindert werden, mit allen Mitteln."

Ist das so? Nein. Keiner wird heute für nichteinverständliche Meinungen bezüglich der Impfung ins Gefängnis geworfen, verhört, gefoltert und verurteilt. Millionen Juden wurden ermordet, aus keinem anderen Grund, als dem, dass sie Juden waren. Kein Impfgegegner befindet sich in solcher Gefahr. Keiner.

Was ist mit uns los? Haben wir jedes Maß verloren? Anne Franks Schicksal gleicht dem eines Lockdowns? Sophie Scholl darf unerwidert von Jana aus Kassel vereinnahmt werden? 

Ich bin ein, zugegeben, uneinsichtiger Anhänger der Wissenchaft, Big Pharma existiert, aber es hat auch vielen von uns das Leben gerettet. Blinddärme, Bluthochdruck, Diabetes ... Mensch, die Hälfte der Leute, die ich lieb habe und ich selber, wäre tot ohne "Big Pharma".


Samstag, 27. November 2021

Cevapcici - Eine Erinnerung

Meine Freundin hat sie als junges Ding in der "Möwe" gegessen, dem Künstlerclub in Ost-Berlin, offen bis sehr spät. Man mußte ordentlich angezogen sein, um reinzukommen, konnte aber gänzlich besoffen wieder rausgehen, taumeln, stolpern. Wenn man nachts noch irgendwo abhängen wollte, war die "Möwe", damals fast die einzige Möglichkeit. Cevapcici mit Pommes und Gin Fizz für 1,50 Mark der DDR, Studenten bekamen besonders große Portionen. 

"Memories"! Viele Flirts, viele Gespräche, die die Welt verändern wollten, viele Küsse.

Komischerweise habe ich Cevapcici dort nie gegessen, aber kenne sie aus Bulgarien mit Schopskasalat und bulgarischen Zigaretten. Papyrossa, gräßliches Zeug. Aber Bulgarien war Ausland, anders, und auf dem Weg zurück machten wir noch einen Tag Zwischenstop in Budapest, was faktisch schon wie Westen war.

Jedes Land auf dem Balkan hat eine eigene, beste Variante, ich mochte diese, saftig, würzig.

Das Rezept:

700 g Hackfleisch, gemischt, halb Schwein, halb Rind, ich habe bei meinem Lieblingsfleischer Lamm-Gehacktes bekommen und mit Rindergehacktem gemischt. https://www.fleischerei-erchinger.de/

150 g Zwiebel, sehr fein geschnitten, gehackt oder gerieben

3 Knoblauchzehen durchgedrückt oder auch mehr, je nach Laune

1,5 TL Salz 

1/2 TL Natron

1 TL schwarzen Pfeffer

2 TL Paprikapulver edelsüß 

1 TL Papriakpulver rosenscharf 

1 EL Olivenöl, plus Olivenöl zum braten

Alle Zutaten in einer Schüssel vermischen und 10 (in Worten zehn) Minuten kneten, 10 Zentimeter lange und circa zwei Zentimeter breite Miniwürste rollen und, auf einen Teller legen, mit Frischhaltefolie abdecken und für mindestens zwei Stunden an die kälteste Stelle des Kühlschranks stellen, dann in reichlich Olivenöl 8 bis 10 Minuten bei mittlerer Hitze braten. Dazu Zatziki und Avjar (Paprika-Auberginen Püree) und, wenn man sentimentale Erinnerungen folgt, mit Pommes, in unserem Fall vom sehr guten Currywurststand in der Oranienburger, servieren. 

Das ursprüngliche Rezept ist von dieser Website: https://emmikochteinfach.de/cevapcici-das-original-ganz-einfach/

Ich schaffe es fast nie, Photos zu machen, bevor alles aufgegessen ist. Deshalb eine Leihgabe.



 

Sonntag, 21. November 2021

GUDRUN RITTER - GÖTZ-GEORGE-PREIS

 

Ich liebe Gudrun Ritter. 

Sie ist eine zarte, kleine Frau mit wissenden Augen und einem gefährlich sinnlichen Mund, ihre Stimme kann rau und schrill und flirrend und trocken und gurrend und hart und zärtlich und und und ... Sie ist immer, immer direkt im Ton, nie tönend, nie salbadernd, nie vage, sondern genau ins Ziel.

Eine gefährliche Elfe, eine klarsehende Träumerin, eine Unschuld mit Wissen und Sexappeal, ein Mysterium, selbst wenn sie scheinbar einfach wirkt. 

Und wie macht sie das, dass es jedesmal wirkt, als sei es frisch, gerade passiert, neu gedacht? 

Torquato Tasso, Zwei Krawatten, Miss Sara Sampson, Stella, Die Rundköpfe und die Spitzköpfe, Sugardollies, die Aufzählung könnte Seiten füllen. 

Ich gucke ihr so gern zu, so gern. 

Und ihr unerreichtes "Was?" in Proben, superlaut und gänzlich plötzlich, wenn sie die Souffleuse nicht verstand. Das nahm der Probe die Heiligkeit und gab ihr Leben.

In einer Produktion, in der der Regisseur gelegentlich zu terroristischen Methoden gegen einzelne Spieler, öfter gegen mich, griff, rettete mich ihr gut gesetztes Rülpsen, nach hinten, unhörbar fürs Publikum, aber mir die Angst nehmend, in einer anderen, nicht ganz gelungenen Inszenierung hat sie mich an einer schwer erträglichen Stelle lustvoll, heftig in die Wade gekniffen. Dafür bin ich ihr ewig dankbar.

Heute wurde sie mit dem Götz-George-Preis der gleichnamigen Stiftung in einer liebevoll vorbereiteten und durchdachten Veranstaltung, ausgezeichnet. Der Abend war 2G plus und trotzdem habe ich Angsthase meist mit Maske dagesessen, so viele Leute.

Und plötzlich saß da eine kleine Runde von DT Veteranen, Tine Schorn, Bernd Stempel, Dagmar Manzel - uff, so viele Erinnerungen. Ich hab an diesem Haus 15 Jahre verbracht, gute Jahre, mit harschen Phasen. Es waren meine prägende Jahre und ich habe dort Menschen getroffen, die mir die wirklich wichtigen Dinge für mein Theaterleben beigebracht haben, obwohl sie sich nie als "Lehrer" verstanden habe. Und dafür liebe ich sie. Manche, wie Tine und Gudrun sind putzmunter und aktiv, andere sind krank oder von uns fortgegangen, alle waren Spielmäuse.

Besser als Gudrun es heute Abend gesagt hat, kann ich es nicht formulieren: "Wenn ich könnte, ich würde nochmal von vorn anfangen."

Freitag, 19. November 2021

Juhu, die Welt geht unter und ich sitze im Atomschutzbunker

Bin ich hysterisch oder macht euch die augenblickliche Situation auch nervös? 

Die Nachrichten klingen, als wären sie wirre Schnittschnipsel aus irgendwelchen Hollywood-Weltuntergangsfilmen. Österreich im Lockdown, Bayern auch, Sachsen, Thüringen auf dem Weg dorthin. 

Eigentlich bin ich ein nervender Optimist, Glas halb voll, gelegentlich sogar überlaufend.

Aber: Verzweifelte Schausteller packen ihre Waren, gekauft oder produziert fürs Weihnachtsgeschäft wieder ein. Erschöpfte Clubbesitzer schalten die Musik aus, obwohl sie brav 2G plus eingehalten haben. Teenager verabschieden sich vom Feiern. Erste Theater schließen.

Die Lage tendiert ins Apokalyptische, aber wir unternehmen erst nächste Woche was?

Wir müssen die Ängste der Nichtimpfer verstehen. Muß ich? Will ich? Sicher, ihre Gründe sind sehr unterschiedlich. Aber bis auf die, die aus medizinischen Gründen nicht geimpft werden dürfen, klingen viele ihrer Begründungen für meine Ohren übelst vage oder geradezu dämlich. Allgemeine Bauchgefühle, irgendwelche möglichen DNA-Veränderungen, unbewiesene Spätfolgen, Bill-Gates-Chipping, Wissenschaftsskeptizismus ohne größeres eigenes Wissen, Big-Pharma ganz allgemein und durch keine genauen Fakten begründetes überhebliches Besserwissen. Und ich weiß, dass ich vereinfache, aber 400 Tote am Tag und mehr in in der Zukunft gestatten mir das das vielleicht.

Wenn meine Waschmaschine aufgibt, frage ich einen Waschmaschinenreparateur um Hilfe. Wenn mein Blinddarm entzündet ist, lege ich meine Gesundheit in die Hände eines Chirurgen. Bei Zahnschmerzen hilft ein Zahnarzt, bei Unwissen hilft lernen. Zweitmeinungen sind möglich und manchmal nötig, aber letzten Endes hilft ein Spezialist. Übrigens würde ich in meinem Job auch nicht auf die Meinung jedes Laien hören, der meint, es besser zu wissen, weil er er das so fühlt oder auf Telegram gelesen hat, wie es anders geht.

Widerständig zu sein ist eine hohe Qualität. aber ist es eine Qualität an sich oder muß es seinen Feind genau definieren und nicht nur das Gegenhalten-An-Sich zur Qualität erklären? Bin ich ein Schlafschaf, wenn ich die Hygienemaßnahmen für richtig halte und sie, um gesund zu bleiben, einhalte?

Und die Impfdurchbrüche? Müssen die alten Leute aber auch alle irgendwelche Vorerkrankungen haben?  Mathematik ist auch zu verwirrend. Wenig Trauer um die Toten, viel Rechthaberei. Sie sind ja eh alt. Früher oder später. Begrüßt den Tod, er ist Teil unserer Existenz. Ich glaube, zu sterben, wenn man lieber leben will, ist schlimm, sehr schlimm. Weil wir nur ein Leben haben. Und dann sind da noch die, die uns lieben und vermissen werden.

Wie sind wir hier her geraten? Erst war Wahlkampf, da wollten sie keinen verschrecken und jetzt ampeln sie wie wild.

Ist die Lage so schlimm, wie sie mir scheint oder soll ich mich abregen und auf meine Booster-Impfung warten?

Corona ist wie Tinitus, ein dauernder stressiger Ton in meinem Innenohr. Ja, ich weiß, ich jammere auf hohem Niveau, aber so what.

Ich will, dass es besser wird. Bald. Balder. Am baldesten. 
 
Letztendlich bin ich fassungslos, wie viele meiner Mitbürger wirklich dumm sind, oder nicht einmal dumm, aber unwillig zu denken, mitzufühlen, weil wütend zu sein, so viel einfacher ist. Die Juden sind schuld, die Muslime, die Regierung, Bill Gates, wer auch immer, nur ich, armes, immer geplagtes Ich habe nie keinerlei Verantwortung zu tragen.

Montag, 8. November 2021

Beelitz - Heilstätten - Eine Kapitalismus Studie

Eine Führung durch die alte Chirugie - es ist kalt, es regnet, es weht, wir fahren nach Beelitz. Das Gelände ist riesig, Ruinen auf der einen Seite der Landstrasse, in Sanierung befindliche Gebäude und funktionierende Kliniken auf der anderen. 

Hier wurde zwischen 1898 und 1930 die größte Lungenheilstätte Europas errichtet. Eine kuriose und politische Geschichte. Arbeiter des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts lebten unter grauenhaften Bedingungen, lange Arbeitstage, wenig Sonne, enge Wohnungen mit Nässe, Überbelegung, grässlichen hygienischen Bedingungen. 

Ergo, Sie erkrankten, oft schon in der Kindheit, an Tuberkolose. Was sie als Arbeiter früher oder später unverwendbar machte. Bismarck hatte zur Befriedung der Arbeiter Sozial- und Gesundheitsversicherung eingeführt, keine Rentenversicherung, aber eine für Veteranen, also für die, die nicht mehr arbeiten konnten. 

Ergo. Es entstand ein Problem: für die "Arbeitgeber", die befürchteten, einen großen Teil ihrer "Arbeitnehmer" an die Tuberkolose zu verlieren, diese Sorge wurde noch größer, als 1914 Soldaten für den geplanten großen Krieg gebraucht wurden, und auch ein Problem für die Versicherung, die immer mehr arbeitsunfähige, aber noch nicht tote, "nur" zunehmend kränkere Versicherte "durchschleppen" musste.

Eine Heilungsmethode gab es nicht, auch wenn Robert Koch schon das Tuberkel, die Ursache des Übels entdeckt hatte. Man wusste, Sonne half, gute Ernährung und Ruhe, keine Heilung, aber Aufschub. Wirkliche wirksame Antibiotika gab es erst nach 1945.

Ergo. Es mußte eine Lösung gefunden werden. Die Arbeits-, Soldatenkraft mußte geschützt werden.

Ergo. Es  wurden von den Versicherungen Kliniken gebaut, erst in bergigen, luftigen Gegenden für die reichen Kranken, dann nahe der Großstädte für die weit mehr betroffenen Armen. Gute Luft, gutes Essen, viel Ruhe. Man stelle sich vor, ein Mensch aus dem vierten Hinterhof, dritte Etage, große Familie, ein Waschbecken für viele, Klo ebenfalls, wenn nicht im Hof, Schwamm in der Wand, keine Sonne, keine Ferien, unterernährt, trifft am Bahnhof Beelitz ein, wird entkleidet, transportiert und behandelt. Vom Elend ins Paradies? Allerdings ein ödes Paradies, ruhen, nicht lesen, nicht stricken, nichts tun. Es soll aber im Geheimen einiges gelaufen sein, der Pförtner hat sich bestechen lassen und es gab Feiern in den weitläufigen Kabeltunneln.

Wie Masttiere wurden die Kranken wieder erwerbsfähig gemacht und nach zwei oder drei Monaten wieder in die Armut, die harte Arbeit und den Dreck entlassen.

Eine Nebengeschichte, um die Lunge, durch die Krankheit, wie von Motten zerfressen, zu operieren, musste auf einer Seite eine Rippe entfernt werden, ohne Narkose, nur mit örtlicher Betäubung, was später zur Buckelhaltung führte.

Ergo, Einzelzimmer für die meisten, weil sie nach der Operation oft Schmerzen erlitten und stöhnten, dicke Wände zur Schallisolierung, hohe Decken, um den Lungenkranken genug Sauerstoff zu bieten, alle Zimmerecken rund, damit sich in den Ecken keine Keime absetzen konnten.

Von 1945 bis 1989 haben die Russen hier das grösste Militärhospital außerhalb der Sowjetunion betrieben. Die Bodenkacheln der ersten Bauphase sind unverwüstbar, die Wandkacheln, produziert in der DDR, nicht ganz so.

Ein Ein verwunschener Ort. Komprimierte Geschichte, deutsches Reich, Nazilazarett, Russenhospital, und der Wandalismus und die Partylaune der Neunziger. 







 





https://sites.google.com/site/beelitzheilstaetten/geschichte 

Zwischen der Eröffnung der Heilstätten 1902 und dem Jahr 1926 waren bereits 66.445 Männer, 43.953 Frauen und 6.559 Kinder als Patienten aufgenommen wurden. Insgesamt gab 1929 es 1.338 Betten, davon 950 für Lungenkranke und 400 Betten für Patienten mit Nervenschwäche, Rheuma, Magen- und Herzleiden. Oberstes Ziel der Behandlung in den Heilstätten war die "Verhütung von Invalidität" und die "Wiederherstellung von Erwerbsfähigkeit" der Kranken.

Sonntag, 7. November 2021

The French Dispatch und Riders Of Justice

Ich habe nur ein einziges Zeitungabonnement. Mehr oder weniger pünktlich, einmal die Woche steckt in meinem Briefkasten mit einem US-Poststempel ein Umschlag mit dem NEW YORKER drin. Die Titelseite ist gezeichnet oder gemalt, die Cartoons reichlich und gut, die viele Artikel richtig lang und enorm fundiert, und, was so sehr besonders ist, großartig geschrieben. 

Herr Wes Anderson hat eine Liebeserklärung an diese Zeitung gefilmt, an ihren Witz, ihre Intelligenz und beharrend traditionelle Ästhetik, letztere macht das Lesen, den optischen Vorgang umso mehr zur Freude.

Alles ist fein, tolle Schauspieler noch für den letzten gemurmelten Halbsatz, frecher Eklektizismus, unverschämter Einsatz jedes erdenklichen visuellen Mittels, Zitate aller Art - alles hoch artifiziell, nie gänzlich ernst, auch der Tod noch ein Bonmot. Benicio del Toro allein erlaubt sich Tiefe ohne die andere Waagschale der Komödie zu überlasten. 

Ein Film zum Dauerlächeln während man ihn sieht, zart, schnell, fein, doch außer einer heiteren Zeit und einigen Bildeinfällen bleibt nicht viel hängen.

Vor Jahren zappte ich durchs Programm und blieb bei einem merkwürdigen Film hängen. Mir erging es, wie es mir, nochmals viele Jahre früher, beim Ansehen von Monty Pythons Flying Circus im Dritten ergangen war, ich fühlte mich verstanden. Das war Humor, der mich lachen machte, immer hart an der Grenze zur Gewalt oder sogar zur Bösartigkeit, aber diese Grenze wie durch ein Wunder nie überschreitend. 

Der merkwürdige Film war "Adams Äpfel" von Anders Thomas Jensen und ich habe ihn mittlerweile wohl zehnmal gesehen.  Mein allererstes Mal mit Mads Mikkelsen! 

"Wilbur Wants To Kill Himself" (Mads als Doktor), Men and Chicken" (Mads als charmante Folge von Inzest), "Dänische Delikatessen" (Mads als Fleischergeselle) und heute abend: "Riders of Justice", Gerechtigkeitsreiter oder, wie es der deutsche Verleih entschied "Helden der Wahrscheinlichkeit" (Gott hilf bei verdeutschten Titeln, ich dachte erst, es handele sich um eine Dokumentation über Statistiker.) 

Kurze Abschweifung, Mads Mikkelsen: wo Hollywood erwartbare Varianten von Bösewichtern sieht, es sei ihm sehr gegönnt, sehen seine skandinavischen, meist dänischen Regisseure, alles mögliche, Lehrer, Ehemänner, Pfarrer, Ärzte, einen Soldaten, was weiß ich, und er verwandelt sich. (Und mit seinem prägnanten und unüblich schönen Gesicht ist das noch einen Zacken toller.) Ich vermute er amüsiert sich prächtig in seinem Zwitter-Dasein.

"Helden der Wahrscheinlichkeit", der Film macht Sprünge zwischen Rachedrama, Komödie, Klamotte, philosophischem Diskurs und psychologischem Drama, die nicht funktionieren können und es doch tun. Er ist ernst und albern, tieftraurig und bedient gleichzeitig die erwarteten Klischees, er ist weise und zutiefst unsicher, ob seiner "Weisheit".

Die Frage nach dem Sinn des Lebens fand ich immer schon blöd, der Sinn des Lebens muß das Leben sein. Aber trotzdem kann ich nicht verhindern, dass, wenn mir Unglück geschieht, die Frage nach dem WARUM? im Hirn tobt. Gibt es Schuldige an diesem, meinem Unglück? Wäre dieses, mein Unglück verhinderbar gewesen? Habe ich mein Unglück verdient? 

Ein Ver-Zweifler erzählt eine Geschichte, weil er die Willkür des Lebens und des Todes etwas entgegensetzen will. Und was kann er entgegensetzen? Eine Geschichte.

Troja wird erobert, seine Bewohner versklavt, wir erzählen uns ihre Geschichte. Ein dreissigjähriger Jude in Galiläa predigt gewaltlosen Widerstand und wird gekreuzigt, wir erzählen uns seine Geschichte. Die Toten der Pest, der Kriege, der Unmenschlichkeit, sie sind tot und nichts bleibt von ihnen, als ihre  Geschichten.

Samstag, 16. Oktober 2021

ICH HABE EINE MEINUNG. ODER ZWEI. ODER ...

William Shatner aka Captain Kirk der USS Enterprise fliegt im stolzen Alter von neunzig Jahren für zehn Minuten, oder waren es elf und eine Unsumme in den Weltraum, Prinz William, 39, Herzog von Cambridge, ohne Beruf, meint, "es gäbe „fundamentale Fragen“ hinsichtlich des CO2-Ausstoßes von Flügen in den Weltraum. Wichtiger als nach bewohnbaren Planeten im Weltall zu suchen, sei die Suche nach Lösungen für den Klimawandel."  (Zitat: Merkur.de)

Ein Professor an der Universität von Michigan zeigt Studenten und Studentinnen seines Kurses für Komposition, um ihnen den Weg vom Stück "Othello" zu Verdis Oper gleichen Namens zu veranschaulichen, eine Aufzeichnung des einer Inszenierung mit Lawrence Olivier in Blackface von 1965 ohne vorherige Triggerwarnung. Schock, Erschütterung, Briefe, Entschuldigungen, mehr Briefe, der Professor muss den Kurs verlassen. (NYT)

Frau Heidenreich redet im Fernsehen Dinge, die ziemlich platt und auf fade Pointen aus wirken und wird dafür verurteilt, als hätten sie das Vierte Reich ausgerufen. (Markus Lanz)

Herr Nuhr ist ein mittelguter Kabarettist, David Chappelle ein großartiger mit sehr eigenen Meinungen zu Rassismus und Transphobie, Mrs. Rawling äußert diskutierbare Ideen, gegen alle drei wird mit Wortkanonen geschossen, als wären sie gewissenslose Kannibalen, die unschuldige Babies zum Frühstück vernaschen. (verschiedene Quellen)                                               

Habt Meinungen. Habt zwei oder drei, so viele ihr wollt. Verteidigt sie. Stellt sie zur Diskussion. Kämpft um sie. Aber vergesst nicht, dass es (nur) eure Meinungen sind.

Es gibt wissenschaftliche Fakten und Meinungen und die sind nicht das gleiche. Faktisch, statistisch, wissenschaftlich beweisbar die einen und offen für Befragung, Zweifel, Ambivalenzen die anderen.

meinen: ‘eine bestimmte Ansicht haben, annehmen, denken’, althochdeutsch meinen (8. Jh.), mittelhochdeutsch meinen ‘sinnen, (nach)denken, seine Gedanken auf etw. richten, (feindlich oder freundlich) gesinnt sein, einem etw. angenehm machen.                                                            (DWDS)

Meine Meinungen sind meine Ansichten, sind, wie ich auf etwas schaue, es einordne, damit es zu mir und meinen anderen Meinungen passt. Andere haben andere Meinungen und noch andere reden einfach nur Müll. Ja, die gibt es auch, sie verweigern sich aus Denkfaulheit oder Ignoranz oder anderen traurigen Gründen wissenschaftlichen Fakten und meinen, dass wäre trotzdem ok. Nein, die Erde ist nicht flach, nein, Covid ist keine Erfindung einer Geheimen Weltregierung, um uns auszurotten, zu chippen, zu dezimieren. Viren sind fucking real. 

Wenn Du Dir nicht 100 prozentig sicher bist, informiere Dich, höre zu, denke nach und 

HALT DEN MUND, AUCH WENN ES DIR MÜHE MACHT,

bis du mehr weißt, und dann bleib dabei oder ändere deine Meinung und das ist auch ok, denn gute, schlaue Leute ändern ihre Meinung, wenn sie dazulernen, wenn sie Gründe finden, neu und anders zu denken.