Eduard Fuchs hat einst eine llustrierte Sittengeschichte in sechs Bänden veröffentlicht. Damals bevor die Pest kam, waren die Regeln streng, dann starb ein Drittel der Bevölkerung, die Regeln wurden gelockert, die Einwohnerzahl wuchs auf die Vorpestzahl und flugs wurde die Moral angepasst, die katholischen Umgangsformen griffen wieder.
FACTFULLNESS
Hat sich der Anteil der Weltbevölkerung, der in extremer Armut lebt, in den zurückliegenden 20 Jahren verdoppelt, deutlich mehr als halbiert, oder ist er gleich geblieben? Insgesamt ein Dutzend solcher Fragen hat der 2017 verstorbene Hans Rosling mehreren tausend Menschen in verschiedenen Ländern gestellt. Der Professor für Internationale Gesundheit am schwedischen Karolinska-Institut arbeitete als Berater für die Weltgesundheitsorganisation und das Kinderhilfswerk UNICEF und gründete gemeinsam mit seinem Sohn Ola Rosling sowie seiner Schwiegertochter Anna Rosling Rönnlund die Gapminder-Stiftung zur verständlichen Aufbereitung von Statistiken.
Anhand statistischer Daten zeigt der Forscher in diesem Buch, dass es den Menschen insgesamt besser geht. Der Anteil der in extremer Armut Lebenden hat sich weltweit mehr als halbiert, und 80 Prozent der einjährigen Kinder sind geimpft. In Ländern mit niedrigem Einkommen besuchen inzwischen 60 Prozent der Mädchen die Grundschule. Auch zu diesen Themen hatte der Autor zahlreiche Probanden von verschiedenen Kontinenten um ihre Einschätzung gebeten.
Rosling überraschte, dass die Menschen die Lage oft viel düsterer sehen, als mithilfe der Daten belegbar ist. Zum Beispiel beantworteten in Schweden und Norwegen nur 25 Prozent der Teilnehmer die Frage nach dem in Armut lebenden Anteil der Weltbevölkerung richtig, in Großbritannien nur neun und in Deutschland sogar nur sechs Prozent. Selbst Fachleute wie Universitätsprofessoren, Investmentbanker oder Journalisten lagen daneben.
Rosling fragte sich, worauf diese Fehleinschätzungen zurückzuführen seien. Dazu identifizierte er zehn verschiedene menschliche "Instinkte": etwa den der "Kluft", der "Negativität", der "Angst", des "Schicksals" und der "Schuldzuweisung". Sie alle seien in einem Millionen Jahre währenden Evolutionsprozess entstanden und hätten dazu beigetragen, dass sich der Mensch in einer feindlichen Umwelt zurechtfinden, Gefahren rechtzeitig erkennen und sich gegen sie behaupten könne. Zwar seien diese Instinkte heute noch wichtig, sie führten aber immer wieder zu einer verzerrten Weltsicht.
Jeden neuen Buchabschnitt widmet der schwedische Mediziner einer andereninstinktiven Denkweise, deren wichtigsten Eigenschaften er am Kapitelende zusammenfasst. Zugleich gibt er Tipps, wie man mögliche Denkfallen umgehen kann. So verleite der "Instinkt der Kluft" dazu, die Welt in Extreme zu unterteilen, etwa in Arm und Reich, Entwicklungs- und entwickelte Länder. Die Situation aus einer Vogelperspektive zu betrachten, helfe dagegen, die vielen dazwischenliegenden Schattierungen zu erkennen und die eigene Sichtweise zu relativieren.
https://www.spektrum.de/rezension/buchkritik-zu-factfulness/1570136