Mittwoch, 5. August 2015

Eine Reise - Riga - Die Moskauer Vorstadt






Sieben Schwestern ist eine Bezeichnung für die sieben im Auftrag Stalins im Sozialistischen Klassizismus (auch: stalinistischen Zuckerbäckerstil) erbauten Hochhäuser in Moskau. Manchmal werden sie auch Stalins Kathedralen oder Stalinfinger genannt... Sie wurden in den letzten zehn Jahren der Stalin-Herrschaft erbaut.Die Moskauer Stalin-Hochhäuser hatten Vorbildwirkung für die Architektur der 1950er-Jahre in den Ostblock-Staaten... in Riga entstand ein Kulturpalast, der heute Sitz der Lettischen Akademie der Wissenschaften ist. Der Architekt hieß Lew Wladimirowitsch Rudnew, der auch das Hauptgebäude der Lomonossow-Universität (1949–1953) entwarf, wahrscheinlich sein bekanntestes Gebäude, dafür erhielt er 1949 den Stalinpreis. (Wiki)




Danksagung
 
I
In seinen Werken reicht er uns die Hand.
Band reiht an Band sich in den Bibliotheken,
Und niederblickt sein Bildnis von der Wand.
Auch in dem fernsten Dorf ist er zugegen.

Mit Marx und Engels geht er durch Stralsund,
Bei Rostock überprüft er die Traktoren,
Und über einen dunklen Wiesengrund
Blickt in die Weite er, wie traumverloren.

Er geht durch die Betriebe an der Ruhr,
Und auf den Feldern tritt er zu den Bauern,
Die Panzerfurche – eine Leidensspur.
Und Stalin sagt: »Es wird nicht lang mehr dauern.«

In Dresden sucht er auf die Galerie,
Und alle Bilder sich vor ihm verneigen.
Die Farbentöne leuchten schön wie nie
Und tanzen einen bunten Lebensreigen.

Mit Lenin sitzt er abends auf der Bank,
Ernst Thälmann setzt sich nieder zu den beiden.
Und eine Ziehharmonika singt Dank,
Da lächeln sie, selbst dankbar und bescheiden.

Die Jugend zeigt euch ihre Meisterschaft
In Sport und Spiel – und ihr verteilt die Preise.
Dann summt ihr mit die Worte »lernt und schafft«,
Wenn sie zum Abschied singt die neue Weise.

II
Dort wird er sein, wo sich von ihm die Fluten
Des Rheins erzählen und der Kölner Dom.
Dort wird er sein in allem Schönen, Guten,
Auf jedem Berg, an jedem deutschen Strom.

Dort wirst du, Stalin, stehn, in voller Blüte
Der Apfelbäume an dem Bodensee,
Und durch den Schwarzwald wandert seine Güte,
Und winkt zu sich heran ein scheues Reh.

Nun lebt er schon und wandert fort in allen,
Und seinen Namen trägt der Frühlingswind,
Und in dem Bergsturz ist sein Widerhallen,
Und Stalins Namen buchstabiert das Kind.

Im Wasserfall und in dem Blätterrauschen
Ertönt dein Name, und es zieht dein Schritt
Ganz still dahin. Wir bleiben stehn und lauschen
Und folgen ihm und gehen leise mit.

Gedenke, Deutschland, deines Freunds, des besten.
O danke Stalin, keiner war wie er
So tief verwandt dir. Osten ist und Westen
In ihm vereint. Er überquert das Meer,

Und kein Gebirge setzt ihm eine Schranke,
Kein Feind ist stark genug, zu widerstehn
Dem Mann, der Stalin heißt, denn sein Gedanke
Wird Tat, und Stalins Wille wird geschehn.
 
Johannes R. Becher
 
Quelle: Sinn und Form, 5 (1953), Heft 2, S. 8 ff.















Eine Reise - Riga - Rumbala? Nie gehört.



Manchmal stößt man auf eine Geschichte, wie diese hier, und wird unerwartet erschüttert. 
Riga. Ich war nur kurz in dieser Stadt. Ihre jüdische Geschichte ist nahezu ausgelöscht.
Die alte große Synagoge abgebrannt, mitsamt der in ihr eingesperrten Gläubigen.
1941 hat man 959 jüdische Berliner in Züge verfrachtet, sie nach Lettland verfrachtet und 
dort die meisten von ihnen erschossen und im Wald von Rumbala, unweit von Riga, verscharrt.
Als das "Kriegsglück" sich wendete, grub man die Leichen aus und verbrannte sie.

Wer hat die Sammelbefehle in Berlin geschrieben?
Wer hat die Sammlung in Berlin organisiert?
Wer hat den Zug nach Lettland gefahren?
Wer hat das Ausladen in Lettland organisiert?
Wer hat geschossen?
Wer hat die Toten im Wald von Rumbala vergraben?
Wer hat sie postmortem verbrannt?

Wiki sagt:
Im Wald von Rumbula wurden während des Holocaust etwa 27.500 Juden umgebracht. Die Massenerschießungen erfolgten an nur zwei Tagen, dem 30. November und dem 8. Dezember 1941. Bei den Opfern handelte sich um lettische Juden aus dem Ghetto Riga und 1.053 deutsche Juden, die am 27. November 1941 von Berlin aus deportiert worden waren; sie wurden nach dreitägigem Transport sofort nach ihrer Ankunft in Riga erschossen.

DAS LIED VON RUMBALA


Dicht vor den Augen des Waldes geh ich,
Die Wimpern der Kiefern streifen die Schulter.
Es seufzt ein weicher Erdhöcker unter dem Schritt
Dies sind die einzigen Geräusche,
Und ich bleibe stehen,
Daß kein einziges mehr bleibt.
Und kann den Damm nicht mehr halten,
Den der Blick gebrochen.

Schreierfüllter Wald,
Schreierfüllter Wald.
Es schreien die auf den Kiefernstämmen erstarrten Schauer
Die vor Entsetzen rauh gewordene Borke.
Es schreien die über den lebendig Begrabenen aufgehäuften Hügel
Die noch bis zum Morgengrauen sich regenden Erdhöcker.

Mein Puls hämmert
Und diesen Wald zu schlagen

im Namen der Birken, die übermorgen wachsen,
im Namen der Kinder, die übermorgen kommen,
im Namen der Lippen, die nicht schreien wollen,
im Namen der Namen, die nicht sterben wollen.

Und dem Wald ins Angesicht
Schreie ich es selber nun:
So einen Wald wie dich darf es heute nicht geben!
Wie ein grüner Krater umschließt mich der Wald,
Eine grüne, zornige Stimme durchfährt mich wie ein Stromschlag

Du sollst nicht vor meinen Augen promenieren!
Du sollst dich nicht an meinen Wimpern ergötzen!
Du sollst dich nicht mit meinen Höckern begnügen!
Damit nicht alle Wälder der Erde so sind wie ich,
Stehe ich hier in Rumbula als ein Schrei,
Ein grünlicher Krater des Grauens zwischen den Feldern.

Ein jeder, der in mich einen Fuß gesetzt
Wird zu meiner Zunge,
Meiner Flamme.
Sei in mir gewesen – Und schrei!


Ojars Vacietis 

Transport 19.10.1942 Berlin

Am Montag den 19.10.1942 verläßt der von der Deutschen Reichsbahn eingesetzte Sonderzug ("21. Osttransport") mit 959 Menschen den „Güterbahnhof Putlitzstraße“ in Berlin-Moabit nahe dem Westhafen. Dieser Transport bestand ausschließlich aus Einwohnern Berlins, deren Durchschnittsalter mit 36,7 Jahren errechnet wurde.
Ziel der dreitägigen Fahrt war das etwa eintausend Kilometer entfernte Ghetto in Riga. Man kann davon ausgehen, das die meisten der Menschen nachdem sie durch die Gestapo aus ihrern Wohnungen abgeholt worden waren, in das Berliner Sammellager Große Hamburger Straße 26 gebracht wurden. In dem Sonderzug befanden sich zudem 140 Kinder im Alter bis zu zehn Jahren, so auch der Knabe Gert Rosenthal (geb. 26. Juli 1932), (Bruder des späteren Entertainers Hans Rosenthal), der als Vollwaise in dem – mit diesem Transport aufgelösten – Jüdischen Kinderheim an der Schönhauser Allee 162 gewohnt hatte.
Auf der handschriftlichen Titelseite der Liste steht am unteren Ende groß der Vermerk „Welle 34“, wobei eine „Welle“ die Bezeichnung für mehrere unmittelbar aufeinanderfolgende Transporte war, in diesem Fall aber nur für den Transport am 19. Oktober 1942 galt. Die Liste wurde von der Geheimen Staatspolizei (Gestapo), Staatspolizeileitstelle Berlin, an die Vermögensverwertungsstelle des Oberfinanzpräsidenten Berlin-Brandenburg gesandt; der zugehörige Begleitbrief ist auf den 23. Oktober 1942 datiert – den Tag nach dem Todestag der überwältigenden Mehrheit der am 19. Oktober nach Riga Deportierten. Das Geschäftszeichen lautet „Stapo IV C 3 -J.E.-“, und letztere Abkürzung ist vermutlich als „Juden-Evakuierung“ aufzulösen, da als Betreff angegeben ist: „Evakuierte Juden.“ Die Unterschrift ist unleserlich. Dem Brief beigefügt sei „eine Transportliste über diejenigen Juden, deren Vermögen im Rahmen der Abschiebung durch Einziehung dem Reiche angefallen ist.“ Das Vermögen sei „teils verfallen, teils durch Einziehung auf das Deutsche Reich übergegangen.“ Die entsprechenden „Vermögenserklärungen“ seien gleichzeitig beigefügt, heißt es abschließend.
Am 22. Oktober 1942 erreichte der Berliner Transport den Bahnhof Skirotava etwa 8 km südöstlich von Riga. Obwohl in diesem Zug 264 Menschen, zwischen 16 und 40 Jahre alt waren, wurden bei der nach ihrer Ankunft vorgenommenen Selektierung nur 81 Männer mit handwerklichen Berufen ausgesucht und anschließend sofort am Bahnhofsgelände zum Entladen von Kohlenwaggons eingesetzt. Anschließend wurden sie verschiedenen Arbeitskommandos, darunter einem Schlachthof, zugeteilt. Nur 17 von ihnen überlebten den Krieg. Alle anderen Insassen des Transports wurden sofort nach der Ankunft in die umliegenden Wälder gebracht und dort an Gruben ermordet.“

Dienstag, 4. August 2015

Eine Reise - Viel Jugendstil in Riga


JUGENDSTIL - Darf's ein bisschen mehr sein?

Riga ist sehr schön.
Wenn auch schon um Einiges mehr auf den Empfang und die gewinnbringende Nutzung von Touristen ausgerichtet als Vilnius, das auf deren massenhafte Ankunft noch zu warten scheint. Riga wirkt mich wie eine Schichttorte. Schichten und unter denen andere, nicht ordentlich übereinander, sich vermischend, konternd, ergänzend. 


RIGA
Mittelalterliche Hansestadt, von einem Bremer gegründet.
Sitz verschiedenster Ritterorden.
Teil Polen-Litauens.
Dann zu Schweden gehörig.
Unter großem Widerstand vom Russischen Zarenreich eingemeindet.
Noch bis 1891 blieb die Amtsprache deutsch.
Nach heftigen Verwerfungen während des
Ersten Weltkrieges und auch danach, wurde Riga 1921 Hauptstadt der Republik Lettland.
Ab 1940 zerrten Sowjetunion und Hitlerdeutschland an der jungen Republik.
Erst seit 1991 gibt es wieder eine Unabhängige Republik Lettland.


Alle diese extrem unterschiedlichen Zeitläufe sind gleichzeitig anwesend. Schick aufgehübscht oder morbide verfallend. Man wandert durch eine Strasse mit wunderschönen, blätternden Holzhäusern, die man aus hunderten russischen Filmen zu kennen meint, biegt um eine Ecke und starrt auf eine Reihe bürgerlicher Fünfstöcker, einer heftiger dekoriert als der nächste. Die planenden Hausbesitzer müssen in einen wahren Wettbewerbsrausch verfallen sein. Noch mehr, noch mehr, noch mehr!  


Sehr informativer Artikel zur Geschichte der Deutschen 
und des Jugendstils in Riga 


Heute der "feine" Teil. 
Morgen der andere, von da wo die Leute wohnen.
Das durchschnittliche Monatsgehalt liegt um 400 Euro. Renten noch darunter.

 
Michail Ossipowitsch Eisenstein, der Vater von Sergeij Eisenstein, dem Regisseur von u.a. PANZERKREUZER POTJOMKIN, entwarf mehr als fünfzig dieser ornamentprallen Konditorhäuser. Er konnte sich – im Gegensatz zu seinem Sohn – nicht mit den Ideen der Oktoberrevolution anfreunden und zog nach Berlin, wo er 1921 starb. Er wurde auf dem Friedhof der Russisch-Orthodoxen Gemeinde Berlin-Tegel, Wittestraße 37 beerdigt. Da liegt übrigens auch der Vater von Vladimir Nabokov.













Montag, 3. August 2015

Die Verabredung in Samarra - W. Somerset Maugham


Die Verabredung in Samarra

Der Tod spricht:
In Bagdad lebte ein Kaufmann, der seinen Diener auf den Markt schickte, um Vorräte zu kaufen und nach kurzer Zeit kam der Diener zurück, weiß und zitternd und sagte, Herr, gerade eben, als ich auf dem Marktplatz war, wurde ich im Gedränge von einer Frau angerempelt und als ich mich umdrehte, sah ich, dass es der Tod war, der mich angerempelt hatte. Sie sah mich an und machte eine bedrohliche Geste; nun, leihe mir dein Pferd und ich werde fortreiten aus dieser Stadt und meinem Schicksal entkommen. Ich werde nach Samarra gehen und der Tod wird mich nicht finden. Der Kaufmann lieh ihm sein Pferd und der Diener bestieg es und schlug seine Sporen in die Flanken, und so schnell das Pferd gallopieren konnte, floh er. Dann ging der Kaufmann auf den Marktplatz und er sah mich im Gedränge stehen und er kam zu mir und sagte, Warum hast du eine bedrohliche Geste gemacht, als du meinen Diener heute morgen getroffen hast? Das war keine bedrohliche Geste, sagte ich, es war ein überraschtes Zusammenzucken. Ich war erstaunt ihn auf dem Markt zu sehen, wo ich doch eine Verabredung heute abend mit ihm habe, in Samarra.
 
 Französicher Elfenbeinanhänger aus dem 16. oder 17. Jahrhundert

The Appointment in Samarra

Death speaks:
There was a merchant in Baghdad who sent his servant to market to buy provisions and in a little while the servant came back, white and trembling, and said, Master, just now when I was in the market-place I was jostled by a woman in the crowd and when I turned I saw it was Death that jostled me. She looked at me and made a threatening gesture; now, lend me your horse, and I will ride away from this city and avoid my fate. I will go to Samarra and there death will not find me. The merchant lent him his horse, and the servant mounted it, and he dug his spurs in its flanks and as fast as the horse could gallop he went.
Then the merchant went down to the marketplace and he saw me standing in the crowd and he came to me and said, Why did you make a threatening gesture to my servant when you saw him this morning? That was not a threatening gesture, I said, it was only a start of surprise. I was astonished to see him in Bagdad, for I had an appointment with him tonight in Samarra. 


W. Somerset Maugham 1931 


Eine Reise - RUSSISCHES KONFEKT



Gefunden auf dem Rigaer Markt, erinnern sie mich an Kindheit,
an Mitbringsel der Eltern, Mischka-Konfekt. Damals wunderbar,
heute eher enttäuschend matt. Aber die Motive auf dem 
Einpackpapier!

KARA-KUM

PAWLINKA - PAULINCHEN


DER HAHN

DER BESUCH

ROTKÄPPCHEN

LJONKA

ALENKA

ROTFRONT hab ich noch im Netz gefunden.

Samstag, 1. August 2015

Eine Reise - Ganz Litauen heiratet


Nach circa 1000 Kilometern Fahrt erreichen wir Vilnius in Litauen, es regnet auch hier.
Aber am nächsten Morgen scheint die Sonne und anscheinend nehmen das viele Menschen
hier zum Anlaß, zu heiraten. Wie heitere Blumensträuße stehen überall Hochzeitsgesellschaften
herum, in den Kirchen, vorm Parlament, in Parks, in Restaurants, an Straßenecken 
- lachsrosane, kornblumenblaue, rote, knallgelbe Brautjungfern um eine weiße Braut. 
Die Haare sorgfältigst frisiert, das Gesicht unter ebenfalls bunter Schminke verborgen, 
die Schuhe neu und unbequem. Die Herren leicht verspannt in zu engen
Jackets, Krawatte oder Fliege in der Farbe der Brautjungfernkleider.


Blaukraut bleibt Blaukraut und Brautkleid bleibt Brautkleid.


Schotte heiratet Litauerin


Litauerin heiratet Schotten


Verspätet

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Das nenn ich noch 
Ein Brautkleid! Keine Königin verlangt es besser.

Brautkleid? Warum Brautkleid eben?

Je nun! Ihr dachtet daran freilich nicht,
Als Ihr ihn kauftet. – Aber wahrlich, Nathan,
Der und kein andrer muß es sein! Er ist
Zum Brautkleid wie bestellt.

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Damen in rosa


Herren mit rosa Fliegen


Lila Pause


Spontan inszeniert


Die neuen Schuhe


Paar als & mit Tandem


Schwarz - Weiß - Rot


Die Dame mit Strumpfband heiratet Morgen früh.

Nach der Trauung

Ihr seid nun eins, ihr beide,
und wir sind mit euch eins.
Trinkt auf der Freude Dauer
ein Glas des guten Weins!
Und bleibt zu allen Zeiten
einander zugekehrt
durch Streit und Zwietracht werde
nie euer Bund zerstört.


J.W. von Goethe 

Eine Reise - Polen


Während es auf unserer Reise durch Polen so sehr viel geregnet hat, haben wir gesammelt, was wir über Polen und seine Bewohner wissen. Es war zu wenig. 

 © Bill Haofei Gong

Geschichte, tja, ein Land immer wieder zerfetzt von seinen Nachbarn, mal Großreich inclusive Litauen, mal fast nicht mehr findbar zwischen russischer und deutscher Gier. Steinkohle aus Schlesien. Pommerland ist abgebrannt. Dann das Warschauer Ghetto, trotz eines heroischen Aufstandes von der SS vernichtet.

Der ehemalige Jüdische Wohnbezirk Warschaus besteht nicht mehr. Mit der Sprengung der Warschauer Synagoge wurde die Großaktion um 20.15 Uhr beendet. […] Gesamtzahl der erfassten und nachweislich vernichteten Juden beträgt insgesamt 56.065. […] Meine Leute haben ihre Pflicht einwandfrei erfüllt. Ihr Kameradschaftsgeist war beispiellos.
16. Mai 1943 SS-Brigadeführer Jürgen Stroop

Aber eben auch Janusz Korczak, der katholische Priester und assimilierte Jude, der darauf bestand die Kinder des Waisenhauses, dem er im Ghetto vorstand, nach Treblinka zu begleiten. 

„Eines Tages, um den 5. August […] wurde ich zufällig Zeuge des Abmarsches von Janusz Korczak und seinen Waisen aus dem Ghetto. Für jenen Morgen war die ‚Evakuierung‘ des jüdischen Waisenhauses, dessen Leiter Janusz Korczak war, befohlen worden; er selbst hatte die Möglichkeit, sich zu retten, und nur mit Mühe brachte er die Deutschen dazu, daß sie ihm erlaubten, die Kinder zu begleiten. Lange Jahre seines Lebens hatte er mit Kindern verbracht und auch jetzt, auf dem letzten Weg, wollte er sie nicht allein lassen. Er wollte es ihnen leichter machen. Sie würden aufs Land fahren, ein Grund zur Freude, erklärte er den Waisenkindern. Endlich könnten sie die abscheulichen, stickigen Mauern gegen Wiesen eintauschen, auf denen Blumen wüchsen, gegen Bäche, in denen man würde baden können, gegen Wälder, wo es so viele Beeren und Pilze gäbe. Er ordnete an, sich festtäglich zu kleiden und so hübsch herausgeputzt, in fröhlicher Stimmung, traten sie paarweise auf dem Hof an. Die kleine Kolonne führte ein SS-Mann an, der als Deutscher Kinder liebte, selbst solche, die er in Kürze ins Jenseits befördern würde. Besonders gefiel ihm ein zwölfjähriger Junge, ein Geiger, der sein Instrument unter dem Arm trug. Er befahl ihm, an die Spitze des Kinderzuges vorzutreten und zu spielen – und so setzen sie sich in Bewegung. Als ich ihnen an der Gęsia-Straße begegnete, sangen die Kinder, strahlend, im Chor, der kleine Musikant spielte ihnen auf und Korczak trug zwei der Kleinsten, die ebenfalls lächelten, auf dem Arm und erzählte ihnen etwas Lustiges. Bestimmt hat der ‚Alte Doktor‘ noch in der Gaskammer, als das Zyklon schon die kindlichen Kehlen würgte und in den Herzen der Waisen Angst an die Stelle von Freude und Hoffnung trat, mit letzter Anstrengung geflüstert: ‚Nichts, das ist nichts, Kinder‘ um wenigstens seinen kleinen Zöglingen den Schrecken des Übergangs vom Leben in den Tod zu ersparen."
Władysław Szpilman 

Willy Brandts Kniefall und die Vertriebenenverbände. Solidarność und damit die Zeit, wo sich sämtliche deutsche Nachrichtensprecher, westdeutsche besser gesagt, verzweifelt und erfolglos bemühten, den Namen Lech Wałęsa richtig auszusprechen. In Frankfurt/Oder beschloß die Kreisleitung der SED, dass wir am Kleisttheater das Solidaritätslied aus einem Kulturprogramm für die NVA zu entfernen hätten. Solidarität - Solidarność! Das einzige Mal, dass ich meine Verwandtschaft mit dem berühmten Dichter schamlos ausgenutzt und mit Skandal gedroht habe.

Was sonst noch? Berühmte Polen. Marie Curie, deshalb Polonium, der polnische Papst, Kopernikus und Chopin, Penderecki, Zbigniew Herbert und Zbigniew Brzeziński, Tadeusz Różewicz und Gombrowicz, Grotowski und Kantor, Stanislaw Lem und Polanski, Kieslowski, Andrzej Wajda, Olbrychski, Krystyna Janda. Quo Vadis hat auch ein Pole geschrieben. Von der Schwarzen Madonna von Tschenstochau hat mir meine schlesische Nenntante erzählt und sie hat auch wunderbar schlesisch und reichhaltig, man kann auch sagen mit viel Butter und Sahne, gekocht. "Sahne ist nur Milch mit ein bissel Luft."

Und heute? Was verbinden wir mit dem Land? Billigeren Sprit, billigere Zigaretten, Blaubeeren und Pfifferlinge und sehr gute und eben auch billigere Handwerker? 

Die Masuren sehen im übrigen aus wie die Märkische Schweiz, nur viel größer und mehr davon.

Wisława Szymborska

Glückliche Liebe


Glückliche Liebe. Ist das normal
und ernstzunehmen und nützlich –
was hat die Welt von zwei Menschen,
die diese Welt nicht sehen?

Zu sich erhoben ohne jedes Verdienst,
die ersten besten von einer Million, allerdings überzeugt,
es habe so kommen müssen – als Preis wofür? für nichts.
Von nirgendwoher fällt Licht –
Weshalb gerade auf die und nicht andre?
Beleidigt es nicht die Gerechtigkeit? Ja.
Verletzt es nicht alle sorgsam aufgetürmten Prinzipien,
stürzt die Moral nicht vom Gipfel? Es verletzt und stürzt.

Seht sie euch an, diese Glücklichen:
Wenn sie sich wenigstens verstellten,
Niedergeschlagenheit spielten, damit die Freunde auf ihre Kosten kämen!
Hört, wie sie lachen - kränkend.
Mit welcher Zunge sie sprechen – scheinbar verständlich.
Und diese ihre Zeremonien, Zierereien,
die findigen Pflichten gegeneinander –
es ist wie eine Verschwörung hinter dem Rücken der Menschheit!

Schwer zu ahnen, was geschähe,
machte ihr Beispiel Schule,
worauf Religion und Dichtung noch bauen könnten.
Was hielte man fest, was ließe man sein,
wer bliebe denn noch im Kreis?

Glückliche Liebe. Muß das denn sein?
Takt und Vernunft gebieten, sie zu verschweigen
Wie einen Skandal in den besseren Kreisen des LEBENS.
Prächtige Babies werden ohne ihr Zutun geboren.
Sie könnte die Erde, da sie so selten vorkommt,
niemals bevölkern.

So mögen alle, denen die glückliche Liebe fremd ist,
behaupten, es gäbe sie nicht.

Mit diesem Glauben leben und sterben sie leichter.


Katze in der leeren Wohnung

Sterben – das tut man einer Katze nicht an,
Denn was soll die Katze
in einer leeren Wohnung.
An den Wänden hoch,
sich an Möbeln reiben.
Nichts scheint sich hier verändert zu haben,
und doch ist alles anders.
Nichts verstellt, so scheint es,
und doch alles verschoben.
Am Abend brennt die Lampe nicht mehr.

Auf der Treppe sind Schritte zu hören,
aber nicht die.
Die Hand, die den Fisch auf den Teller legt,
ist auch nicht die, die es früher tat.

Hier beginnt etwas nicht
zur gewohnten Zeit.
Etwas findet nicht statt,
wie es sich gehört hätte.
Jemand war hier und war,
dann verschwand er plötzlich
und ist beharrlich nicht da.

Alle Schränke durchforscht.
Alle Regale durchlaufen.
Unter Teppichen geprüft.
Trotz des Verbots
die Papiere durchstöbert.
Was bleibt da noch zu tun.
Schlafen und warten.

Komme er nur,
zeige er sich.
Er wird´s schon erfahren.
Einer Katze tut man sowas nicht an.
Sie wird ihm entgegenstolzieren,
so, als wollte sie´s nicht,
sehr langsam,
auf äußerst beleidigten Pfoten.
Noch ohne Sprung, ohne Miau.


übersetzt von Karl Dedecius