ÜBER DIE MERKWÜRDIGKEIT SEHR BEGABTE VORFAHREN ZU HABEN
oder
DER BIBERPELZ - Eine Diebeskomödie von 1893
&
DER ROTE HAHN - Eine Tragikomödie von 1901
geschrieben von Gerhart Hauptmann,
in einer Bearbeitung von Jan Liedtke und Philippe Besson,
mit Katharina Thalbach, Pierre Besson, Anna Thalbach, Nellie Thalbach & Julian Mehne, Roland Kuchenbuch, Jörg Seyer, Ronny Miersch.
Die Familie ist es, die unsren Zeiten nottut. Adalbert Stifter
Vor vielleicht neun Jahren besuchte der bereits weit überachtzigjährige Benno Besson eine Vorstellung seiner Tochter Katharina am Volkstheater Rostock: so viel Charme, Grazie und erfreuliches Flirten ist mir noch selten begegnet und noch nie bei einem Mann in diesem Alter. Hinreißend. Immer wieder begegne ich auf Premieren, die der eine oder die andere dieses zahlreichen Clans hat, anderen Familienmitgliedern, die kommen, um zu unterstützen, nicht als Claque, sondern als persönlichste Fangruppe. In einem doch recht einsamen Job, wie freischaffende Theaterleute ihn ausüben, ist das eine nicht zu unterschätzende Rückendeckung oder Herzwärmung.
Die Komödie am Kudamm heute Abend, fünf Mitglieder einer Familie unter der Regie eines Sechsten spielen zusammen mit noch ein paar nichtverwandten Spielern Gerhart Hauptmann.
In einem meiner ersten Szenenstudien hat mich Pauline Piperkarcka aus den Ratten mit ihrem greinenden Schlesisch Schweiß, Tränen und Zungenkrämpfe gekostet und mir eine lebenslange Abneigung gegen schlecht imitierte Dialekte auf deutschen Bühnen eingepflanzt.
Westphalinnen, die mit dem "et jrünt so jrün" verzweifelte Sprachringkämpfe aufführen, Strieses, die den feinen Unterschied zwischen Leipzig und Dresden, proletarisch und residenzstädtisch, nicht hören und also auch nicht sprechen können. So irre lustik gedachtes Bayrisch, wenn es volkstümelnd klingen soll. Ärghhhh!
Heue Abend wurde berlinert und meist großartig, ich mußte mich inner Pause janz schön zusammnreissen, det ick nich tief in kindheitliche Töne verfalle. Knorke.
Nebenbei: vor Jahren, bei einer anderen Inszenierung des "Roten Hahnes" mit einer berühmten Kollegin, deren Namen ich hier aus Pietätsgründen weglasse und deren Stimme eine gewisse Ohrenfreundlichkeit vermissen ließ, brach das Publikum nach dem Tod der Mutter Wolffen und dem dies kommentierenden Satz: "Nun spricht se nich mehr!" in Jubel und rasenden Applaus aus. Die Kollegin ließ sich noch in derselben Nacht umbesetzen.
Ist schon was Tolles, so eine Theaterdynastie, wenn einige davon so sehr gut sind. In England gibt es eine Menge solcher Theaterfamilien, in anderen Ländern auch, hier in Deutschland wird das eher schnell & mißtrauisch als plumpe Bevorteilung abgeurteilt, dabei werden doch viele Kinder von Klempnern, Wirten, Ärzten oder Pferdetrainern auch Klempner, Wirt, Arzt oder Pferdetrainer? Na, was solls, es hat Vor- und Nachteile wenn man in die Fußstapfen der Meschpoke tritt. Man kennt dich eher, und man verurteilt dich eher. Mal so, mal so. Und nach ein paar Jahren ist es eh egal. Jedenfalls meistens. Nur manchmal, in Interviews oder auch ganz plötzlich in einem Gespräch, schiebt sich ein Bild vor dich, eine Art mystische Vision von Verwandtschaft, und dann verschwindet für kurze Zeit deine dreissigjährige Berufserfahrung und du spürst, da sieht jemand nicht dich, bzw. nicht die aktuelle Arbeit, sondern sowas wie genealogische Schuld oder auch Verdienst aus Familienzugehörigkeitsgründen. Dann inszeniere du plötzlich episches Theater, weil ein Verwandter den Begriff geprägt hat oder aber deine Arbeit läßt Einfühlung vermissen, weil derselbe Verwandte angeblich ein Feind derselben war. Ich habe diesen Verwandten, meinen Großvater übrigens nie getroffen, da er die Ungeschicklichkeit hatte, zwei Jahre vor meiner Geburt zu sterben. Eigenartig.
Familien-Glosse: Eine Bearbeitung des von Bertolt Brecht geleiteten Berliner Ensembles, die die beiden Hauptmann-Dramen Der Biberpelz und Der rote Hahn zu einem Sechsakter "Biberpelz und Roter Hahn" zusammenzog, hatte am 24. März 1951 in den Kammerspielen des Deutschen Theaters Berlin Premiere. Am 15. April 1951 untersagte Hauptmanns Witwe Margarete weitere Aufführungen dieser Fassung. Teile wurden 1952 veröffentlicht; ein vollständiger Druck erfolgte 1992 in der Großen kommentierten Berliner und Frankfurter Ausgabe der Werke Brechts schreibt Wiki.
Familienglosse 2: 1951 spielte Katharina Mutter Sabine Thalbach Adelheid, die jüngere Tochter der Wolffen. Jetzt spielt sie Nellie Thalbach, ihre Urenkelin. Und Emanuel Hauptmann, der die Musik für die heutige Inszenierung komponierte, ist der Urenkel Gerhart Hauptmanns.
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MITTELDORF. Juten Morjen!
FRAU WOLFF. Wo bleibt'n der Vorsteher aso lange?
MITTELDORF. Schreibt janze Boochen voll, Mutter Wolffen. 's sin wichtche Sachen, det kann ich Ihn sachen. Vertraulich. Und wissen Se: 't liejt wat in de Luft. Wat, weeß ich noch nich. Aber det wat liejt, det weeß ick so sicher... Wenn Se bloß man acht jeben, denn werns Se's erleben. Et kracht, und wenn et kracht, Mutter Wolffen, denn hat et jekracht. Nee, wie jesacht, ick versteh ja nischt von. Det is allens de Neuheit. De Neuheit is allens. Und von de Neuheit versteh ick nischt. Et muß wat jeschehn. Det jeht nich so weiter. Der janze Ort mufl jesäubert wern. Ick finde mich ja nu nich mehr so rin. Wat der Vorsteher war, der jestorben is, det war jejen den blofl 'n Eckensteher. Ick könnte Ihn'n all noch ville erzähl'n. Ick hab man nich Zeit. Der Baron vermißt mir. Geht, in der Tür wendet er sich noch einmal und sagt: Et kracht, Mutter Wolffen, det können Se mir jlooben. Ab.
FRAU WOLFF. Na, wenn's ock bei dem nich etwa geschnappt hat. Pause.