Liebe. Das Mysterium.
Ein merkwürdiges Gedicht.
Geschrieben von einem Priester der Church of England,
veröffentlicht in dem Gedichtband "Temple", 1633, kurz nach seinem Tod.
Ich, der ich Atheist bin, habe das Gefühl, hier wird etwas Wahres gesagt
über die Liebe.
Love
Love bade me welcome; yet my soul drew back,
Guilty of dust and sin.
But quick-eyed Love, observing me grow slack
From my first entrance in,
Drew nearer to me, sweetly questioning
If I lack'd anything.
'A guest,' I answer'd, 'worthy to be here:'
Love said, 'You shall be he.'
'I, the unkind, ungrateful? Ah, my dear,
I cannot look on Thee.'
Love took my hand and smiling did reply,
'Who made the eyes but I?'
'Truth, Lord; but I have marr'd them: let my shame
Go where it doth deserve.'
'And know you not,' says Love, 'Who bore the blame?'
'My dear, then I will serve.'
'You must sit down,' says Love, 'and taste my meat.'
So I did sit and eat.
LIEBE
Versuch einer wörtlichen Übersetzung
Reimschema: ABABCC
Liebe bot mir Willkommen; doch meine Seele schreckte zurück,
Schuldig an Staub und Sünde.
Doch die aufmerksame Liebe, sah wie ich zusammensackte
Bei meinem ersten Einreten,
Trat näher und fragte zart,
Ob ich etwas bräuchte. (Ob mir etwas fehlte.)
'Ein Gast', antwortete ich, 'wert hier zu sein:'
Die Liebe sagte, 'Der wirst du sein.' ('Du wirst er sein.')
'Ich, der Unfreundliche, Undankbare? Ah, mein Lieb,
Ich kann Dich nicht ansehen.'
Die Liebe nahm meine Hand und entgegnete lächelnd,
'Wer hat die Augen gemacht, wenn nicht ich?'
Richtig, Herr, aber ich habe sie ruiniert: laß meine Schande
Gehen wohin sie gehört.'
'Und weisst du nicht', sagt die Liebe,'Wer die Schuld auf sich genommen hat?'
'Mein Lieb, dann will ich dienen.'
'Du mußt dich setzen', sagt die Liebe, 'und mein Fleisch kosten.'
Da habe ich mich hingesetzt und gegessen.
Abendmahl
Jacopo Bassano 1542
Liebe
Die Liebe empfing mich; doch meine Seele hielt sich zurück,
Schuldig des Staubes und der Sünde.
Doch die geistesgegenwärtige Liebe sah mich zögern.
Als sie mich erblickte,
Trat sie auf mich zu und fragte mich,
Ob mir etwas fehle.
„Ein Gast“, antwortete ich, „ würdig hier zu sein.“
Die Liebe sagte, „ Du sollst dieser Gast sein.“
„ Ich, der Unfreundliche, der Undankbare? Ah, meine Teure,
ich kann Ihnen nicht in die Augen schauen.“
Die Liebe nahm meine Hand und antwortete lächelnd,
„ Wer hat diese Augen denn gemacht, wenn nicht ich?“
„ Das ist wahr, meine Herrin; doch ich habe sie sie befleckt:
lass meine Schande zuschanden gehen.“
„ Und weißt du nicht,“ sagt die Liebe, „wer die Schuld auf sich nimmt?“
„Meine Teure, dann will ich von nun an dienen.“
„ Setz Dich,“ sagt die Liebe,“ und koste von meinem Fleisch.“
Da setzte ich mich und begann zu essen.
Aus dem Englischen übertragen von Stefanie Golisch
Mathias Gruenewald
Abendmahl, um 1500
LIEBE
Die Liebe grüßt’mich, doch mein Herz wich weg
voll Schuld und Sünd und Schmutz.
Doch flinke Liebe, die mein Zögern sah,
als ich am Eingang stand,
trat näher, stellte zart die Frage,
ob irgend etwas fehlt.
Ein Gast, erwidert’ ich, der wert ist, hierzu sein.
Sie sprach: Du sollst es sein.
Bin ich nicht lieblos, undankbar? Geliebter, ach,
wie könnt’ ich dich anschaun!
Die Hand nahm Liebe, lächelnd wand sie ein:
Wer schuf das Aug’ als ich?
Wahr, Herr! Doch ich verdarb es; meine Schmach
sei, wo sie hingehört.
Weißt du denn nicht, sprach Liebe, wer die Schande trug?
Lass dienen, Liebster, dir.
Du setz’ dich hin, sprach Liebe, kost’ mein Mahl!
So setzt’ ich mich und aß.
Übertragung aus G. Stachel,
Simone Weil - Christus - die katholische Kirche, in:
Religionspädagogische Beiträge 37/ 1996, S. 78 f
Abendmahl
Unbekannter Maler, um 1500
LIEBE
Liebe bot mir Willkomm; doch meine Seele schrak zurück,
In Schuld des Staubes, Schuld der Sünde.
Sie aber, Liebe, flinken Auges merksam, wie ich träg
Den Fuß kaum von der Schwelle setzte,
Drang näher an mich, zärtlich fragend,
Ob etwas mir zu mangeln schien.
Ein Gast, gab ich zur Antwort, würdig dieses Orts.
Und Liebe sprach: Du sollst es sein.
Ich, der des Undanks, der Ungüte voll? ach, lieber Freund,
Der nicht dich anzuschauen vermag.
Liebe ergriff mich bei der Hand und sagte lächelnd:
Wer schuf die Augen, wenn nicht ich?
Zu wahr, Herr, aber ich verdarb sie nur; lass meine Schande
Dort hingehn, wo sie es verdient.
Und weisst du nicht, spricht Liebe, wer den Tadel auf sich nahm?
Dann will ich, lieber Freund, dir dienen.
Du musst, spricht Liebe, niedersitzen und mein Mahl genießen.
So setzte ich mich denn und aß.
Ins Deutsch nachgebildet von Wolfgang Kaussen
Simone Weill über die Erfahrung dieses Gedichts:
There
was a young English Catholic there from whom I gained
my first
idea of the supernatural power of the sacraments
because of the
truly angelic radiance with which he
seemed to be clothed after
going to communion. Chance
-- for I always prefer saying chance
rather than Providence
-- made of him a messenger to me. For he
told me of
the existence of those English poets of the seventeenth
century who are named metaphysical. In reading them
later on,
I discovered the poem of which I read you
what is unfortunately
a very inadequate translation.
It is called "Love". I learned it by heart.
Often, at the culminating point of a violent headache,
I make myself
say it over, concentrating all my attention
upon it and clinging with
all my soul to the tenderness
it enshrines. I used to think I was merely
reciting
it as a beautiful poem, but without my knowing it
the recitation
had the virtue of a prayer. It was
during one of these recitations that,
as I told you,
Christ himself came down and took possession of me...
Moreover,
in this sudden possession of me by Christ, neither
my senses
nor my imagination had any part; I only
felt in the midst of my suffering
the presence of
a love, like that which one can read in the smile
on a beloved face.
Excerpts from a letter written by Simone Weill
in Marseilles, France about May 15, 1942 to her close
friend Father Perrin
Während dieses Aufenthaltes in Solesmes lernte Simone Weill ein Gedicht
von George Herbert auswendig: „Liebe“. Eines Tages nahm die Rezitation
die Gestalt eines Gebetes an, Christus ist herabgekommen und hat mich ergriffen...In diesem Augenblick intensiver physischer Schmerzen, als ich
mich bemühte zu lieben, da habe ich eine Präsenz gespürt, die persönlicher, sicherer, wirklicher war als die eines menschlichen Wesens, unerreichbar für
die Sinne und die Einbildungskraft, analog der Liebe die unter dem
zärtlichsten Lächeln eines geliebten Wesens hervor scheint.
Wiki schreibt: Simone Weil (* 3. Februar 1909 in Paris; † 24. August 1943 in Ashford, England)
war eine französische Philosophin jüdischer Abstammung.